E-Book, Deutsch, 144 Seiten
Doulatabadi Die alte Erde
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-293-30509-0
Verlag: Unionsverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 144 Seiten
ISBN: 978-3-293-30509-0
Verlag: Unionsverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Gholam, der Mann mit dem Motorrad und dem feuerroten Kampfhahn, ist kein Bauer wie all die andern Männer in diesem Dorf am Rande der Salzwüste. Er wohnt in der Karawanserei und hat ein Auge auf den Acker der schönen Witwe Adeleh geworfen. Aber diesen Boden bearbeitet seit alten Zeiten Baba Sobhan, der zähe, gütige Alte mit seinen beiden Söhnen. Was wird aus seiner Sippe, wenn er den Acker verliert? Das Verhängnis beginnt, als die schöne Witwe Gefallen an dem Mann mit dem Motorrad findet und Baba Sobhan die Pacht aufkündigt. Auf dem Dorfplatz bei der Teestube, vor der versammelten Dorfgemeinschaft, vollzieht sich die unausweichliche Tragödie.
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Baba Sobhan ließ seinen Blick über das Dach gleiten. Die Sonne hatte sich bereits zurückgezogen. Baba Sobhan erhob sich, klopfte die Erde von seinem Hosenboden und ging zur Grube. Dort lagen zwei geschnittene Distelbüsche. Er warf sie auf den Futterhaufen und begab sich in den Stall. Er reinigte die Krippe, füllte sie mit einem Korb Stroh und einer Schüssel Gerste. Dann ging er zum Brunnen, schob das Reisigbündel über der Öffnung beiseite, zog einen unter den Fingernagel geratenen Dorn heraus, warf den Kübel in den Brunnen, hievte ihn, mit Wasser gefüllt, hoch und deckte den Brunnen wieder mit dem Reisigbündel zu. Danach goss er das Wasser in eine Gießkanne und stellte sie an den Grubenrand. Als er sich bückte, überfiel ihn ein heftiger Schmerz im Rücken. Mit Mühe richtete er sich auf, lehnte sich an die Stallwand und setzte sich langsam hin. Die Hühner verzogen sich in ihren Verschlag. Baba Sobhan dachte daran, dass er die Öffnung des Hühnerstalls mit einem Rohziegel zudecken müsste. Schokat kam. Sie konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Sie stellte den Krug auf den Boden, setzte sich daneben und faltete ihre Hände über dem Bauch. Ihr Gesicht wurde kreidebleich, ihr Atem heftig. Baba Sobhan stand auf, legte einen Ziegel vor die Öffnung des Hühnerstalls und ging auf seine Schwiegertochter zu. »Was ist mit dir los, Mädchen?« Schokat biss sich auf die Lippen und sagte: »Nichts, am Weiher ist der Teufel los.« Baba Sobhan ließ sich neben dem Krug nieder, betrachtete Schokats Gesicht und sagte: »Es ist deine eigene Schuld, meine liebe Tochter. Mir macht es doch nichts aus, einen Krug Wasser zu holen. Du kannst dich einfach nicht zurückhalten. Du weißt, dass du größere Anstrengungen vermeiden musst. Du musst jetzt auf zwei aufpassen. Ab morgen werde ich Wasser holen. Es macht doch keinen Unterschied, ob ich diese Arbeit verrichte oder du. Geht es dir jetzt besser?« Schokat stöhnte und schluckte ihren Speichel herunter. »Ja, ein wenig«, sagte sie. Sie stemmte die Hand gegen die Wand, versuchte aufzustehen. »Soll ich dir schwarze Kümmel mit Kandiszucker brühen? Oder möchtest du, dass ich deine Mutter zu Hilfe hole?« »Nein, nein«, erwiderte Schokat. »Die Schmerzen werden von alleine nachlassen. Ich brüh mir selbst was. Lass es gut sein.« Sie ging ins Zimmer, nahm die Petroleumlampe von der Wandnische, zündete sie an. Baba Sobhan trieb die Ziege, die bei der Backgrube hockte, in den Stall und fragte: »Hast du, als du draußen warst, den Gebetsruf gehört?« »Nein«, rief Schokat aus dem Zimmer heraus. Baba Sobhan nahm den Wasserkrug, brachte ihn zum Stall, goss das Wasser in den Trog und ging dann mit gesenktem Kopf zum Flur. »Bis das Wasser im Samowar kocht, hol ich noch einen Krug Wasser«, sagte er. »Im Krug ist doch noch Wasser.« »Ich hab es in den Trog gegossen.« Schokat sank neben der Tür zu Boden. Schwindelgefühle und innere Unruhe befielen sie. Ihr wurde schwarz vor Augen, aber sie genoss es, wie die Wellen von Wehen durch ihren Körper fluteten. Bis zur Geburt war es nicht mehr lang, vielleicht noch fünfundzwanzig Tage. Sie zählte die Tage. Hoffentlich ist es ein Junge, dachte sie. Saleh hatte gesagt, was auch immer es sein würde, er freue sich auf das Kind. Schokat hatte Kleider für beide genäht, für einen Jungen und für ein Mädchen. Könnten es gleich zwei Kinder sein, überlegte sie. Ihre Mutter hatte gemeint: »Die wenigsten Frauen bringen bei der ersten Geburt Zwillinge zur Welt.« Und Schokat hatte gelacht. Die Wehen ließen nach. Schokat konnte wieder bequem atmen. Sie wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln, trocknete mit einem Küchentuch die Teegläser und Untersätze ab, stellte sie auf ein Tablett und ging zum Hauseingang. Das Haus war in der Dämmerung eingetaucht. Von fern her, von den Gassen, den Feldern und der Gegend um den Weiher war ein dumpfer Lärm, vermischt mit vertrauten Stimmen, zu hören: das Brüllen von Kühen, Wiehern von Stuten, Trampeln von Mauleseln, die hellen Glocken der Schafe, das Geschnatter von Wildenten und auch das Geschrei eines Mannes. Die Bauern kehrten von den Feldern ins Dorf Robat zurück. Schokat vernahm das Knarren der Tür, sie heftete ihren Blick auf den Flur. Es war Saleh. Seine lange, schlanke Gestalt, seine gekrümmten Schultern waren von weitem erkennbar. Der schwarze Esel trottete an der Grube vorbei in den Stall. Saleh rannte ihm hinterher, um ihm den Tragesack vom Rücken zu nehmen. »Der Bastard«, flüsterte er. »Er tut so, als hätte er Berge versetzt. Er kann nicht mal warten, bis ich ihm den Sack abgenommen habe.« Schokat stand an der Tür. »Gott gebe dir Kraft«, sagte sie. Saleh warf den Sack zur Seite: »Gott schütze dich. Was macht dein Bauch?« »Es geht ihm gut. Gelegentlich kommen die Wehen, dann lassen sie mich wieder in Ruhe.« Saleh ging auf sie zu: »Sind sie heftig oder noch nicht ernst zu nehmen?« Schokat wollte ihren Mann nicht beunruhigen und sagte: »Nein, noch ist es nicht ernst«, und lachte. Saleh kniete sich vor Schokat, horchte an ihrem Bauch, hielt einen Augenblick inne. Ein glückliches Lächeln breitete sich über sein Gesicht. »Das muss ein schlaues Fohlen sein.« Schokat nahm ihrem Mann die Mütze ab, haute ihm damit eins auf die Locken und sagte: »Ja, ganz wie der Vater. Komm endlich rein!« Sie zog ihn am Ärmel. »Lass mich zuerst Hände und Gesicht waschen«, sagte er und ging zum Brunnen. Schokat brachte die Petroleumlampe, stellte sie in den Türrahmen und sagte: »Baba Sobhan ist zum Wasserspeicher gegangen, um Wasser zu holen.« »Der arme alte Mann! Die Langeweile quält ihn. Wo ist er jetzt hingegangen? Beim Weiher hab ich ihn nicht gesehen.« »Er hat den Krug geleert und wollte wieder Wasser holen.« »Wo hast du denn gesteckt? Wieso hast du den alten Mann zum Wasserspeicher geschickt?« Schokat nahm Saleh die Gießkanne ab, krempelte seine Hemdsärmel hoch und sagte: »Glaubst du etwa, ich hätte ihn fortgeschickt? Er findet einfach keine Ruhe. Ich hatte es ja, trotz allem, selbst geschafft und schon Wasser geholt.« Saleh wurde sanfter. Er betrachtete das schmutzige Wasser, das von seinen Fingerspitzen tropfte, und fragte: »Wozu brauchte er dann noch mehr Wasser?« »Das Wasser, das ich gebracht hatte, hat er dem Esel in den Trog gegossen.« »Das ist doch Schauspielerei. Da geht einer zum Speicher, schleppt den Krug auf der Schulter nach Hause und gießt das Wasser in den Trog eines Esels, der sich täglich dreimal am Weiher vollsäuft. Ich habe den Eindruck, allmählich verlässt ihn der Verstand.« Er wusch sich prustend mit einer Hand voll Wasser das Gesicht, rieb sich die Augen und sagte: »Lass es nicht mehr zu, dass er Wasser holen geht und den Krug erst noch auf den Schultern trägt. Das schickt sich nicht. Die Leute lachen ihn aus.« Schokat goss den Rest des Wassers aus der Gießkanne über Salehs Hände und erwiderte: »Du musst es ihm sagen. Auf mich hört er nicht. Er sagt, ich bestehe aus zwei Personen und dürfe keine anstrengenden Arbeiten leisten. Abgesehen davon, er hasst es, untätig zu sein. Von morgens bis abends sitzt er vor dem Hühnerstall in der Sonne und starrt auf seine Zehennägel.« »Der alte Mann hat Recht. Jemand, der sein ganzes Leben auf dem Feld verbracht hat, kann es wohl kaum ertragen, von morgens bis abends herumzusitzen und nichts anderes zu tun, als die Hühner zu füttern.« »Auch diese Ziege ist ihm zum Verhängnis geworden. Sie lässt ihm keine Ruhe, damit er wenigstens ihre Wolle spinnt.« »Es sind jetzt schon zwei Jahre, dass er nicht mehr auf dem Feld arbeitet, nicht wahr?« »Er hilft ja auch im Haushalt mit, doch das befriedigt ihn nicht. Scheint ihm unter seiner Würde zu sein. Du lässt ja auch nicht zu, dass er aufs Feld kommt und euch eine Kanne Tee kocht.« »Soll er mit seinem lädierten Rücken den weiten Weg laufen, nur um uns Tee zu kochen? Außerdem würde er mich und den Jungen von der Arbeit abhalten.« »Gerade die Tatsache, dass er gesundheitlich angeschlagen ist, quält ihn.« Saleh erhob sich, schüttelte den Kopf, bog seinen Rücken durch und ging ins Zimmer. Während er sein Gesicht mit dem Zipfel des Vorhangs trocknete, sagte er: »Und wozu ist eigentlich deine Mutter gut? Ist sie sich zu schade dafür, der Familie ihrer Tochter einen Krug Wasser zu holen?« »Lass um Gottes willen meine Mutter aus dem Spiel. Glaubst du, sie hätte nichts Besseres zu tun, als sich um meine Hausarbeit zu kümmern?« Schokat stellte die Petroleumlampe in die Nähe des Samowars. Saleh hatte sich halb kniend hingehockt, stützte eine Hand auf den Boden und streckte ihr die andere entgegen: »Komm, schenk mir Tee ein. Sie macht fremden Leuten die Wäsche. Aber wenn sie zu uns kommt, spielt sie die große Dame.« »Ich habe schwarzen Kümmel gebrüht. Möchtest du eine Tasse trinken?« Saleh strich sich seine Haare, die ihm die Augen verdeckten, aus dem Gesicht, nahm die Teetasse und sagte scherzend: »Mir fehlt doch nichts, wozu soll ich schwarzen Kümmel...