E-Book, Deutsch, 200 Seiten
Doyle Sherlock Holmes - Die schönsten Detektivgeschichten, Band 2
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-8496-0819-4
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 200 Seiten
ISBN: 978-3-8496-0819-4
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dieser Band beinhaltet die folgenden Geschichten mit und um den berühmten Ermittler: Die tanzenden Männchen. Die Entführung aus der Klosterschule. Der schwarze Peter. Die sechs Napoleonbüsten. Der Mord in Abbey Grange. Der zweite Blutflecken.
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Ich habe meinen Freund Sherlock Holmes nie in einer besseren Verfassung des Körpers und Geistes gesehen als im Jahre 1895. Seine zunehmende Berühmtheit brachte ihm eine ungeheuere Kundschaft. Ich kann jedoch, ohne indiskret zu werden, die Persönlichkeiten aus den höchsten Kreisen, welche unser bescheidenes Heim in der Bakerstraße aufsuchten, nicht einmal andeutungsweise bezeichnen. Holmes lebte aber, wie alle großen Künstler, nur seiner Kunst, und, abgesehen vom Fall des Herzogs von Holdernesse, habe ich ihn selten eine größere Summe für seine unschätzbaren Dienste verlangen hören. Er war so wenig materiell veranlagt – oder vielmehr, er war so eigensinnig – daß er häufig Mächtigen und Reichen seinen Beistand versagte, wenn ihm ihre Fälle nicht paßten, während er für die Angelegenheiten irgend eines armen Klienten oft wochenlang angestrengt arbeitete, wenn sie jene eigenen Umstände und Verwickelungen zeigten, die seine Einbildungskraft reizten und seinen Scharfsinn anspornten.
In diesem denkwürdigen Jahr 1895 hatten eine Menge der eigentümlichsten und absonderlichsten Fälle seine Aufmerksamkeit in Anspruch genommen, von der berühmten Aufklärung des plötzlichen Todes des Kardinals Tosca – eine Untersuchung, die er auf ausdrücklichen Wunsch des Papstes betrieben hatte – bis hinunter zu der Festnahme Wilsons, des bekannten Kanarienzüchters, wodurch aus dem Osten Londons ein wahrer Schandfleck beseitigt wurde. Auf diese beiden Fälle folgte die Tragödie von Woodmans Lee, jene dunkele Geschichte vom Tode des Kapitäns Peter Carey. Eine Niederschrift der Taten Sherlock Holmes', die gerade diese ungewöhnliche und auffallende Begebenheit nicht enthielte, würde nicht vollständig sein.
Während der ersten Juliwoche war mein Freund so häufig und so lange von Hause weg gewesen, daß ich merkte, er müsse etwas Wichtiges vorhaben. Aus der Tatsache, daß in dieser Zeit mehrere handfeste Kerle ankamen und nach Kapitän Basil fragten, entnahm ich, daß Holmes irgendwo in einer seiner zahlreichen Verkleidungen und unter einem falschen Namen arbeitete. Er hatte nämlich in den verschiedenen Teilen Londons mindestens fünf kleine Schlupfwinkel, wo er sich umkleiden und seine gefürchtete Persönlichkeit verheimlichen konnte. Er hatte mir nichts von seinem Vorhaben gesagt, und ich pflegte nicht, Vertrauen zu erzwingen. Das erste Anzeichen, aus dem ich auf seine Tätigkeit schließen konnte, war ganz ungewöhnlicher Art. Er war vor dem Frühstück fortgegangen, und als ich am Tische saß, trat er ins Zimmer, den Hut auf dem Kopf und einen riesigen Speer wie einen Regenschirm unter dem Arm.
"Heiliger Himmel, Holmes!" rief ich. "Du bist doch nicht etwa mit diesem Ding in London umherspaziert?"
"Ich bin damit zu einem Schlächter gefahren und wieder zurück."
"Zu einem Schlächter?"
"Ja, und ich bringe einen guten Appetit mit. Körperliche Uebungen vor dem Frühstück sind zweifellos sehr wertvoll. Aber ich wette mit dir, daß du nicht raten wirst, worin meine Uebung bestanden hat."
"Das will ich lieber gar nicht versuchen."
Er schüttelte sich vor Lachen, als er sich den Kaffee eingoß.
"Wenn du in Allardyce's Metzgerladen einen Blick hättest werfen können, so würdest du nach dem Hof zu ein totes Schwein an einem Haken an der Decke haben hängen sehen, das fortwährend hin- und herpendelte, und dazu einen Herrn in Hemdärmeln, der mit diesem Instrument wütend darauf losstach. Diese energische Person war ich. Und ich habe zu meiner Befriedigung festgestellt, daß ich auch bei der äußersten Kraftanstrengung das Schwein nicht mit einem einzigen Stich durchbohren kann. Vielleicht versuchst du's auch 'mal?"
"Um alles in der Welt nicht. Aber wozu hast du das getan?"
"Weil es mir indirekt mit dem Geheimnis von Woodmans Lee in Zusammenhang zu stehen schien. – Ah, Herr Hopkins, ich erhielt gestern abend Ihre Drahtnachricht und erwartete Sie. Kommen Sie her und frühstücken Sie mit uns."
Unser Besucher war ein ungeheuer lebhafter Mann von etwa dreißig Jahren. Er trug einen einfachen Anzug, man konnte an seiner strammen Haltung aber doch sehen, daß er an Uniformen gewöhnt war. Ich erkannte in ihm sofort den jungen Polizeiinspektor Stanley Hopkins wieder, auf dessen Zukunft Holmes große Hoffnungen setzte, und der seinerseits wie ein Schüler die wissenschaftlichen Methoden des berühmten Dilettanten mit Bewunderung und Hochachtung hörte und verfolgte. Hopkins hatte die Stirne in Falten gezogen und zeigte sich sehr niedergeschlagen.
"Nein, danke, Herr Holmes. Ich habe schon gefrühstückt, ehe ich herkam. Ich bin die Nacht in der Stadt geblieben, nachdem ich gestern abend bei Ihnen war, um Ihnen Bericht zu erstatten."
"Und was hatten Sie mir zu berichten?"
"Fehlschläge, lauter Fehlschläge."
"Sie haben keine Fortschritte gemacht?"
"Gar keinen."
"Ei, ei! Da muß ich mir die Sache 'mal ansehen."
"Ich wünschte bei Gott, daß Sie's täten, Herr Holmes. Es ist meine erste größere und aussichtsreichere Sache, und ich komme nicht weiter. Seien Sie so gut und helfen Sie mir."
"Glücklicherweise kenne ich schon den Tatbestand und habe auch den Bericht über die erste Untersuchung ziemlich sorgfältig studiert. Nebenbei bemerkt, was haben Sie aus dem Tabaksbeutel gemacht, den man auf dem Schauplatz des Verbrechens gefunden hat? Bietet der keinen Anhaltspunkt?"
Hopkins sah meinen Freund überrascht an.
"Er gehörte doch dem Ermordeten, die Anfangsbuchstaben seines Namens standen innen drin. Er ist aus Seehundsfell – und sein Besitzer ein alter Seemann."
"Er hatte aber selbst keine Pfeife."
"Allerdings nicht; eine Pfeife haben wir nicht gefunden; er war auch nur ein ganz schwacher Raucher und hat den Tabak nur für seine Freunde gehabt."
"Ohne Zweifel. Ich erwähne es auch nur, weil ich ihn zum Ausgangspunkt meiner Untersuchung gemacht haben würde, wenn ich den Fall aufzuklären gehabt hätte. Jedoch, mein Freund Dr. Watson kennt die Sache noch gar nicht, und auch ich würde die Ereignisse gerne noch einmal in der richtigen Folge und im Zusammenhang hören. Erzählen Sie uns also die Geschichte kurz noch einmal."
Hopkins nahm ein Blatt Papier aus der Tasche.
"Ich habe mir hier ein paar Daten notiert, aus denen Sie die Laufbahn des Ermordeten ersehen können. Peter Carey wurde 1845 geboren – stand also im Alter von fünfzig Jahren. Er war ein äußerst verwegener Robben- und Walfischjäger. Im Jahre 1883 war er Kapitän des Walfischdampfers "Sea Unicorn" aus Dundee. Auf diesem hat er mehrere erfolgreiche Reisen gemacht und sich im folgenden Jahre, 1884, zurückgezogen. Dann hat er ein paar Jahre größere Landreisen unternommen, und schließlich ein kleines Grundstück: Woodmanns Lee bei Forest Row in Sussex gekauft. Dort hat er sechs Jahre gelebt, und dort ist er gerade heute vor acht Tagen gestorben.
"Es war ein sonderbarer Mann, dieser Kapitän. Gewöhnlich war er ein strenger Puritaner – ein wortkarger, finsterer Mensch. Sein Haushalt bestand aus seiner Frau und einer Tochter von zwanzig Jahren und zwei Dienstmädchen, die sehr häufig wechselten, denn ihre Stellung war nie sehr angenehm und zuweilen unerträglich. Er war ein periodischer Säufer, und wenn er in seinem Stadium war, gebärdete er sich wie der leibhaftige Teufel. Er hat dann öfter mitten in der Nacht Frau und Tochter zum Haus hinausgejagt und sie im Garten geschlagen, sodaß durch ihr Schreien die ganze Nachbarschaft aufgeweckt worden ist.
"Er war einmal wegen eines Angriffs auf den alten Ortsgeistlichen angeklagt, der gerufen worden war, um ihm wegen seines Benehmens Vorstellungen zu machen. Kurzum, Herr Holmes, im ganzen Umkreis existierte kein gefährlicherer Kerl als Peter Carey, und ich habe mir sagen lassen, daß er schon ebenso gewesen ist, als er sein Schiff befehligte. Er war in der Handelsflotte unter dem Namen ›Der schwarze Peter‹ bekannt, der ihm nicht nur wegen seiner dunkelbraunen Gesichtsfarbe und wegen seines riesigen schwarzen Bartes beigelegt worden war, sondern auch wegen seiner wilden Sinnesart, die ihn zum Schrecken seiner Umgebung machte. Ich brauche kaum zu sagen, daß er von allen seinen Nachbarn verwünscht und gemieden wurde, und daß ich kein einziges Wort des Mitleids für ihn aus Anlaß seines schrecklichen Todes gehört...




