E-Book, Deutsch, 480 Seiten
Dutter / Grauer / Schoder Northern Nights. Ein Adventskalender. Lovestorys für 24 Tage plus Silvester-Special
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-473-51272-0
Verlag: Ravensburger Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 480 Seiten
ISBN: 978-3-473-51272-0
Verlag: Ravensburger Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Andreas Dutter lebt in Österreich und hat Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien studiert. In den sozialen Medien postet er über sein Autorenleben auf Instagram (@andreasdutter) und TikTok (AndreasDutterAutor). Mit diesem Wissen konzipiert er auch Vorträge und hat Auftritte im Fernsehen, Radio sowie in der Presse oder als Moderator auf Buchmessen.
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»Ich liebe diese Stunde zwischen Dämmerung und Nacht, wenn die Luft aussieht, als wäre sie mit blauer Aquarellfarbe gemalt worden, und die Lichter der Stadt wie orangefarbenes Feuer darin aufglühen. Wenn es so kalt ist, dass die Nasenspitze rot anläuft, weil sie das Einzige ist, das noch aus einem Berg selbst gestrickter Mützen und Schals hervorschaut. Wenn es an jedem Stand des Weihnachtsmarktes nach etwas anderem duftet: frisch gebackenem Lebkuchen, würzigem Kardamom, süßem Gløgg und – Kacke.«
Kari blickte Kaugummi kauend von ihrem Handy auf und sah mich mit großen Augen an. »Kacke? Hat einer der Huskys irgendwo hingemacht? Sorry, aber im Gegensatz zu dir rieche ich rein gar nichts. Meine Nasenhaare sind exakt fünf Sekunden nachdem das letzte Tageslicht verschwunden ist, eingefroren.«
Ich war blitzschnell hinter dem Tresen unseres Weihnachtsstandes abgetaucht. »Sehr witzig«, zischte ich leise zu ihr hinauf. »Kannst du dich bitte um unseren nächsten Kunden kümmern?«
»Muss ja ein interessanter Typ sein, wenn er selbst die kitschige Schwärmerei unserer Weihnachtselfe abwürgt.« Sie wandte den Kopf über den Tresen und hörte schlagartig mit dem Kauen auf. »Wow.«
»Sag ihm bloß nicht, dass ich da bin!«
Ihre Augen starrten und hatten diesen Glanz angenommen, den ich nur zu gut kannte. Die Art von Glanz, die gerade ein riesiges und völlig unerwartetes Weihnachtsgeschenk auf sich zukommen sieht.
»Hei hei«, begrüßte sie ihn auf typisch norwegische Art, als wäre er ihr ältester Freund hier in Tromsø. »Möchtest du für unsere Straßenhunde spenden oder eine Charity-Schlittenfahrt buchen?«
Ich zog barsch den Finger über den Hals, was so viel heißen sollte wie: Biete ihm bloß nicht die Hundeschlittenfahrt an! Aber um diesen universellen Code zwischen Schwestern verstehen zu können, hätte sie mich zuerst einmal ansehen müssen. Was leider nicht ging, da ihr Blick an etwas klebte, das dem Knirschen nach gerade auf die Sägespäne vor unserem Stand getreten war. Eine tiefe, rauchige Stimme bestätigte diese Theorie.
»Du bist eine der Larsen-Schwestern, stimmt’s?«
»Was auch immer du willst, Süßer«, murmelte Kari tief in ihren Strickschal.
Ich verpasste ihr einen Schlag in die Kniekehle.
Sie knickte leicht ein, überspielte es aber mit einem Lachen und zog ihren Schal ein wenig herunter, damit man sie besser verstehen konnte. Keine Ahnung, ob es nur von hier unten so aussah, aber ich hätte schwören können, dass sie die Lippen zu einem Kussmund spitzte.
»Kari Larsen, ganz genau, wir wohnen nicht weit außerhalb der Stadt, gleich hinter dem See –«
»Prestvannet. Ich weiß. Deshalb bin ich hier.«
Fuck. Oder, um es auf Norwegisch zu sagen: Faen. Allein seine Stimme ließ mir einen Schauder über den Rücken laufen – und ich wünschte, es wäre die gruselige Sorte. Die Sorte, die es einem leicht machte, gewisse Erinnerungen einfach zu vergessen. Ich presste die Augen fest zu und versuchte, bis zehn zu zählen.
En … to … tre …
»Ihr fahrt nach dem Markt mit dem Hundeschlitten am Prestvannet vorbei, richtig?«
Fire … fem …
»Nicht ganz. Ich will noch mit der Fjellheisen-Seilbahn hoch auf den Storsteinen, um Fotos für ein Schulprojekt zu machen. Aber Siri fährt mit den Hunden nach Hause.«
Ich stieß ein verzweifeltes Jaulen aus.
»Ist da ein Hund hinter dem Tresen?«, fragte Mr. Erinnerung.
Kari schüttelte den Kopf, was die Bommel an ihrer Mütze gleich mitschüttelte. »Keine Ahnung, was du meinst.«
»Ist Siri da?« Er klang zweifelnd.
»Ääähhh …« Karis Mund öffnete sich und zog den Laut unnötig in die Länge. »Nein?«
Es klang wie eine Frage.
Innerlich betete ich. Norwegische Götter gab es ja genug. Vielleicht war Thor so gnädig, einen seiner berühmten Blitze herunterzuschießen, bevor Kari sich verplapperte.
»Bist du dir sicher? Ich dachte, ich hätte sie vorhin gesehen.«
Vorhin, als er mit seiner üblichen Angeberclique von Gløgg-Stand zu Gløgg-Stand getorkelt ist. Er und seine Freunde hatten nichts Besseres zu tun, als sich Rentierfelle überzuwerfen, Dekogeweihe an den Kopf zu halten und Brunftlaute zu grölen, während jede Menge potenzieller Paarungspartnerinnen kichernd an ihnen vorbeiliefen. Ich verdrehte die Augen und dachte mit einem sehr miesen Gefühl an jene laue Mittsommernacht vor fünf Monaten …
Kari lehnte sich ihm über dem Tresen entgegen. Das Holz über meinem Kopf knarzte. »Mal unter uns, okay? Falls du irgendwie auf Siri stehst, solltest du deine Hoffnungen lieber nicht allzu hoch schrauben.«
Danke, Kari! Danke!
Ich könnte sie küssen!
»Wahrscheinlich hast du es schon gehört, so was macht ja schnell die Runde hier, wenn die Tage kürzer und die Nächte elendslang werden, aber seit Siri etwas mit diesem berühmt-berüchtigten Extremsportler hatte, sieht sie keinen anderen Typen mehr an …«
Ich sprang auf, schlug mir mit einem Rums den Kopf am Tresen an und sackte zurück auf den Hintern.
»Was entweder bedeutet, dass der Typ total mies war«, fuhr Kari unaufhaltsam fort, »oder er hat die Latte unerreichbar hoch gelegt.«
Blitze, Thor, Blitze! Das konnte doch nicht so schwer sein, verdammt?!
Wieso erkannte sie ihn nicht?! Wieso nur hatte er auf den Pressefotos einen Kletterhelm und einen verschneiten Zehntagebart tragen müssen?!
Und wieso musste er heute so perfekt aussehen?!
Kurze Stille.
Dann ER.
»Da ist etwas hinter dem Tresen. Das Holz hat unter meinen Händen gewackelt.«
Kari hielt seinem Blick stand. »Vielleicht ein Erdbeben? Man kann nie wissen, wann erloschene Vulkane wieder zum Leben erwachen. Warum willst du eigentlich so spät noch raus zum Prestvannet fahren?«
»Eistauchen.«
Kari schnappte nach Luft. »Allein im Dunkeln? Ohne Schutzanzug, Atemgerät und Rettungsleine? Das ist Selbstmord.«
»Darum nennt man es ja auch Extremsport.«
»Ah ja …« Kari stieß ein nachdenkliches Geräusch aus, dann linste sie kurz zu mir in die Dunkelheit, bevor sie ihn erneut ansah. Wenigstens war nun dieser elende Glanz aus ihren Augen verschwunden. »Wie … ähm … war noch mal dein Name?«
»Fynn Frøynes.«
»Wie der … Extremsportler?«
»Genau wie der.«
Ich war mir ziemlich sicher, dass Kari nun die norwegische Variante von Fuck in ihren Strickschal murmelte. Sie hatte es also endlich kapiert. Zugegeben, vielleicht hätte ich sie besser aufklären sollen, aber heiße Erlebnisse auf einer Berghütte gehörten nicht gerade zu den Themen, die man mit seiner sechzehnjährigen Schwester beim Frühstück diskutierte. Vor allem nicht, wenn sie in einem sehr ernüchternden Morgen geendet hatten. Mehr als ein paar harmlose Gerüchte hatte sie nicht aufgeschnappt. Und ich hatte es lieber dabei belassen wollen.
Hinter uns wurde die Tür zum Weihnachtsstand aufgerissen.
Kari und ich zuckten zusammen, als Dad mit apfelroten Wangen und wilder Frisur hereingepoltert kam und lautstark verkündete: »Kari, wir müssen jetzt los, wenn du dein Schulprojekt noch bis morgen früh fertig kriegen willst. Außerdem wollen die Hunde laufen, sie werden schon unruhig. Macht den Stand dicht, Mädels –« Er stutzte. »Was treibst du da, Siri?«
Kurze – sehr peinliche – Stille.
Dann erwiderte ich mit allem Selbstbewusstsein, das ich noch aufbringen konnte: »Ich war unten im Keller.«
Dad sah mich verstört an, als ich so tat, als würde ich stufenweise zu ihm heraufkommen. Was von seinem Standpunkt so aussah, als würde seine älteste Tochter, die eben noch auf einem sehr dicht mit Holzspänen bedeckten Boden gekauert hatte, Ruck für Ruck in die Höhe wachsen.
»Die Kekse waren aus«, fügte ich hinzu und knallte zum Beweis ein Glas Hundekekse auf den Tresen, das in Wahrheit direkt darunter gestanden hatte. Ich drehte mich halb zu Fynn und tat so, als wäre ich von seiner Anwesenheit milde überrascht. »Oh, wir haben Kundschaft. Dad möchtest du das über–«
Aber Dad folgte Kari bereits kopfschüttelnd nach draußen zu unserem Pick-up. Normalerweise hatte meine kleine Schwester es nie so eilig. Ihr war wohl durchaus bewusst, in welche Situation sie mich hineingeritten hatte. Was sollte ich jetzt tun? Eine spontane Amnesie vortäuschen? Oder einfach die Standklappe vor Fynns perfekter Nase zuknallen und flüchten, so schnell ich konnte?
»Gehst du mir aus dem Weg?«, hörte ich ihn fragen.
Wieder lief ein Schauder durch meinen Körper.
Widerwillig wandte ich mich zu ihm um. »Möchtest du einen Keks? Die sind mit viel Liebe aus leckerem...