E-Book, Deutsch, 200 Seiten
Eberlei Afrikas Wege aus der Armutsfalle
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-86099-960-8
Verlag: Brandes & Apsel
Format: PDF
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
E-Book, Deutsch, 200 Seiten
ISBN: 978-3-86099-960-8
Verlag: Brandes & Apsel
Format: PDF
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Afrikas Armutsfalle ist real. Vielfältige strukturelle Hindernisse begrenzen die Entwicklungschancen des Kontinents. Sub-Sahara Afrika ist und bleibt das Armenhaus der Welt. Doch Afrikas Wege aus der Armutsfalle sind ebenso real. Während einige Länder des Kontinents in jeder Hinsicht stagnieren oder zurückfallen, sind seit einigen Jahren aus vielen anderen Ländern beachtliche Entwicklungsfortschritte zu berichten. Dazu zählen ein anhaltend hohes Wirtschaftswachstum sowie signifikante Fortschritte im Kampf gegen Armut und für eine menschenwürdige Entwicklung. Zwar verpasst die aktuelle Weltwirtschaftskrise diesem Trend einen schwerwiegenden Dämpfer, doch langfristig aufhalten, so die Prognose, wird sie ihn nicht. Soziale und wirtschaftliche Fortschritte in Afrika werden ganz entscheidend durch eine armutsorientierte Politik afrikanischer Regierungen beeinflusst. Und diese hat sich in den vergangenen zehn Jahren in vielen Ländern deutlich verbessert. Die neue Qualität von Regierungspolitik fällt nicht vom Himmel. Sie hat ihren Ursprung in der Demokratisierung Afrikas in den späten 1980er und 1990er Jahren und dem Entstehen einer lebendigen Zivilgesellschaft. Eine starke politische Öffentlichkeit schafft heute eine Binnennachfrage nach entwicklungsorientierter Politik und setzt die Mächtigen unter Handlungsdruck. Internationale Entwicklungszusammenarbeit kann diese Trends stärken, gerade in Zeiten der Krise. Bisher hat sie aber nicht genug dazu beigetragen, demokratisches Regieren und armutsorientierte Politik in Afrika zu unterstützen. In jüngster Zeit angestoßene Reformen tragen jedoch dazu bei, die Wirksamkeit von Entwicklungszusammenarbeit zu erhöhen.
Der Autor: Walter Eberlei, Dr., Professor im Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften der Fachhochschule Düsseldorf und gelernter Journalist. Er beschäftigt sich seit über zwanzig Jahren mit Entwicklungspolitik in Forschung und Lehre, aber auch in der Praxis: als Mitarbeiter, Berater und Gutachter von staatlichen und nicht-staatlichen Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit. Zahlreiche Forschungsaufenthalte führten ihn in den vergangenen zehn Jahren in eine Reihe afrikanischer Länder.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
Weitere Infos & Material
Inhalt
Verzeichnis der Textboxen, Abbildungen und Tabellen
Abkürzungsverzeichnis
1.Umbrüche und Aufbrüche: In Afrika viel Neues
2.Entwicklungspolitische Weichenstellungen zur Millenniumswende
Die afrikanische Armutsfalle öffnen: Alte und neue Debatten
Verabschiedung der Millenniumsentwicklungsziele
Einführung nationaler Strategien zur Armutsbekämpfung
Meilensteine einer neuen Entwicklungszusammenarbeit
1999 - 2009: Grundlegende Veränderungen?
3.Eine Dekade sozio-ökonomischer Umbrüche in Sub-Sahara Afrika
Ökonomische Trends
Soziale Trends
Zwischen Stagnation und Fortschritt
Macht die Weltwirtschaftskrise alles zunichte?
4.Armutsorientierte Regierungspolitik
Die neue Rolle des Staates
Demokratische Regierungsführung: Konzepte und Debatten
Theorie und Wirklichkeit: Verbesserte Regierungsführung?
Armutsorientierte Regierungspolitik - eine Zwischenbilanz
5.Armutsorientierte gesellschaftliche Entwicklungen
Eine neue Generation partizipativer Prozesse
Zivilgesellschaft in Afrika - Akteure der Armutsbekämpfung
Zivilgesellschaftliche Beteiligung in PRS-Prozessen
Zur Funktion zivilgesellschaftlicher Einflussnahme
Wirkungen zivilgesellschaftlicher Arbeit
6.Armutsorientierte Entwicklungszusammenarbeit
Armutsbekämpfung als Oberziel: Nur schöne Worte?
Die neuen Prinzipien: Rhetorik oder Realität?
Stärkung von demokratischer Regierungsführung
Mehr finanzielle Mittel - auch durch Budgethilfe
Wirkungen der Entwicklungszusammenarbeit
7.Die Armutsfalle öffnen
Quellenverzeichnis
Länderregister
Die Staaten Arikas (Karte)
Kapitel 1
Umbrüche und Aufbrüche: In Afrika viel Neues
Sub-Sahara Afrika gilt vielen als hoffnungsloser Fall. Krisen und Katastrophen, Kriege und Konflikte, Krankheiten und Korruption. Die Afropessimisten haben viele gute Argumente: Es gibt keine Region mit so vielen menschenverachtenden Despoten und so schwachen Regierungen. Keine Region mit solchen Plagen biblischen Ausmaßes wie der HIV/AIDS-Pandemie oder der rasanten Ausbreitung der Wüsten. Keine Region mit so wenig Anschluss an die Weltwirtschaft und so wenig Gewicht in der Weltpolitik.
Kein Zweifel, Sub-Sahara Afrika steht vor schier unüberwindlichen Herausforderungen, deren größte das Elend ist, in dem Hunderte von Millionen Menschen ihr Dasein fristen. Acht von zehn Afrikanerinnen und Afrikanern sind nach ökonomischen Kriterien arm. Die meisten von ihnen kämpfen täglich um ihre Existenz. Jedes zweite Kind, das weltweit an vermeidbaren Ursachen stirbt, stirbt in Afrika. Die Armutsfalle, auf ewig verschlossen, scheint das afrikanische Schicksal zu sein.
Doch verdeckt durch all die täglichen schlechten Nachrichten vom Katastrophenkontinent zeichnen sich in den vergangenen Jahren in einer ganzen Reihe afrikanischer Länder erstaunliche Entwicklungen ab. Die erste Dekade des 21. Jahrhunderts wird durch überraschende Umbrüche und Aufbrüche geprägt, durch Trends, mit denen vor zehn Jahren kaum ein Beobachter gerechnet hätte:
-Nachdem Afrika über Jahrzehnte fast ausnahmslos mit einem wirtschaftlichen Null-Wachstum oder gar schrumpfenden Volkswirtschaften leben musste, erzielen eine ganze Reihe von Ländern seit einigen Jahren Wachstumsraten von jährlich vier, fünf oder sechs Prozent. In den Jahren 2004 bis 2007 lag sogar das durchschnittliche Wachstum für die gesamte Region bei sechs Prozent - das sind Werte, die Sub-Sahara Afrika seit den frühen 1970er Jahren nicht mehr erreicht hat. Seit dem Jahr 2000 wachsen die afrikanischen Volkswirtschaften auch erstmals seit 20 Jahren wieder schneller als die Bevölkerung. So wurden zwischen 2004 und 2007 im Durchschnitt Sub-Sahara Afrikas signifikante Steigerungen des Pro-Kopf-Einkommens von jährlich über drei Prozent erreicht.
-Während die Lebenserwartung der Menschen in Sub-Sahara Afrika in den 1990er Jahren erstmals seit Jahrzehnten gesunken war, vor allem aufgrund der HIV/AIDS-Pandemie, wurde dieser negative Trend inzwischen gestoppt. Seit 2006 steigt sie wieder.
-Nachdem die Armut in Sub-Sahara Afrika Ende der 1990er Jahre ihren historischen Höhepunkt erreicht hatte, sank der Anteil der in extremer Armut lebenden Menschen in der Region in den Jahren 1999 bis 2005 von 58 Prozent auf 51 Prozent. Sie liegt damit noch immer weit über den Armutsraten anderer Weltregionen. Gleichwohl könnte sich Ende der 1990er Jahre eine Trendwende ereignet haben.
-Diese Annahme wird auch durch den Index der Menschlichen Entwicklung bestätigt, der vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) vorgelegt wird. Nach den jüngsten Zahlen hat sich dieser Index, der Daten über Lebenserwartung, Bildung/Alphabetisierung und Pro-Kopf-Einkommen kombiniert, zwischen dem Jahr 2000 und 2006 für die Mehrheit der Länder in Sub-Sahara Afrika positiv entwickelt.
Diese Trends fallen nicht vom Himmel. Sie sind das Ergebnis eines entwicklungspolitischen Neuanfangs in Sub-Sahara Afrika. Entwicklungspolitik im Afrika der 1980er und 1990er Jahre zeichnete sich im Kern durch drei Elemente aus. Erstens waren dies die massiven und blaupausenartigen Interventionen von Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) in der Ära neoliberaler Strukturanpassung. Zweitens prägte eine Fülle von unkoordinierten und unterschiedlichen Konzepten der internationalen Entwicklungshilfegeber diese Zeitspanne. Ein unverkennbares drittes Kennzeichen jener Jahre waren politische Eliten, die sich an den ohnehin knappen staatlichen Ressourcen bereicherten und ihre Macht damit absicherten, ohne durch die internationalen Geberorganisationen und noch weniger durch innergesellschaftliche checks and balances davon abgehalten zu werden. Unübertroffen hat Nicolas van de Walle (2001) diese Phase als politics of permanent crisis charakterisiert. Als "verlorene Dekaden" gingen die 1980er und 1990er Jahre in die Chroniken Afrikas ein.
Dem ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts wird dieses Etikett nicht angeheftet werden. Die Entwicklungsprobleme Afrikas sind zwar weiterhin gigantisch: schwache staatliche Strukturen, fragile Demokratien, krisenanfällige wirtschaftliche Dynamiken und die weit verbreitete extreme Armut. Gleichwohl - die politischen Ansätze zur allmählichen Überwindung einer jahrzehntelangen Stagnation haben sich mindestens in Teilen des Kontinents in starkem Maße verändert.
Drei zentrale Neuerungen sind zu verzeichnen: Erstens ist eine neue Rolle des Staates in der Entwicklungspolitik zu konstatieren. Zwei lange Jahrzehnte hatten IWF und Weltbank in Afrika den Abbau staatlicher Kapazitäten erzwungen - stattdessen sollten "die Märkte" als Allheilmittel für alle afrikanischen Leiden dienen. Mitte der 1990er Jahre setzte ein Umdenken ein, das dem Staat wieder die zentrale Akteursrolle für nationale Entwicklungsprozesse zuschreibt. Dies wird ganz besonders in der strategischen Armutsbekämpfung deutlich. Darunter werden hier die 1999/2000 eingeführten Prozesse auf der Basis einer Armutsreduzierungsstrategie (Poverty Reduction Strategy, PRS) verstanden. In Sub-Sahara Afrika wird dieser Ansatz inzwischen von 34 Ländern verfolgt (Stand: Frühjahr 2009; Ausnahmen sind neben Mitteleinkommensländern wie Botswana und Mauritius im wesentlichen chronische failed/failing states).
Zweitens sind in der Politik der internationalen Entwicklungszusammenarbeit weitreichende Veränderungen zu erkennen. Wesentliche Neuerungen sind ein zumindest teilweiser Abschied von neoliberalen Denk- und Handlungsmustern, die konsequente Ausrichtung von externer Hilfe auf Armutsbekämpfung und auf nationale Entwicklungsstrategien sowie die Harmonisierungs- und Koordinierungsansätze der internationalen Geberorganisationen untereinander. Die gemeinsam von Regierungen in Süd und Nord verabschiedete Millenniumserklärung (2000), die Erklärung von Paris über die Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit (2005) sowie der Aktionsplan von Accra (2008) gelten als Meilensteine dieser Reformen. Das im 21. Jahrhundert als skandalös angesehene Problem der extremen Armut wird damit von Regierungen in Nord und Süd als gemeinsame politische Herausforderung begriffen.
Neu vor allem ist aber, drittens, dass diese Politik in den Gesellschaften Afrikas zunehmend eingefordert wird. Gesellschaftliche Akteure messen ihre Regierungen heute nicht mehr (nur) an hehren Worten, sondern an ihren Taten. In den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren haben sich in den meisten Staaten Sub-Sahara Afrikas lebendige, politisch artikulierte und einflussreiche Zivilgesellschaften ausgebildet. Natürlich ist die Geschichte gesellschaftlicher, nicht-staatlicher Akteure viel älter und knüpft teilweise an vorkoloniale gesellschaftliche Organisationsformen an. Doch erstmals in der afrikanischen Entwicklungsgeschichte kann von Zivilgesellschaften mit signifikantem politischen Einflusspotenzial gesprochen werden. Ganz besonders aktiv sind zivilgesellschaftliche Organisationen in den sozio-ökonomischen Entwicklungsprozessen des Kontinents. Mit staatlichen Stellen und internationalen Gebern kooperieren sie bei der Umsetzung von sektoralen Entwicklungsprogrammen, unter anderem in den Bereichen Bildung und Gesundheit. Auch die politische Bearbeitung wichtiger Querschnittsthemen - zum Beispiel der Geschlechtergerechtigkeit - lebt von den Impulsen, Forderungen und Beiträgen zivilgesellschaftlicher Stimmen. Auf politischer Makroebene sind diese Akteure seit einem guten Jahrzehnt in die Politik der strategischen Armutsbekämpfung vieler Länder eingebunden.
Diese drei zentralen politischen Trends - so die Kernthese des Buches - haben eine wesentlich verbesserte Voraussetzung dafür geschaffen, Armut in Sub-Sahara Afrika wirkungsvoll zu bekämpfen. Trotz zahlreicher Widersprüche und halbherziger Umsetzungen sind erste Früchte des neuen Ansatzes erkennbar. Anhand zahlreicher Beispiele lassen sich mögliche Wege aus der Armutsfalle studieren.
Das folgende Kapitel 2 zeichnet wesentliche entwicklungspolitische Weichenstellungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts nach. In Kapitel 3 werden die in Sub-Sahara Afrika feststellbaren sozio-ökonomischen Trends der vergangenen Jahre analysiert. Dabei wird auch die Frage zu diskutieren sein, ob die aktuelle Weltwirtschaftskrise die mühsam erarbeiteten Erfolge eines Jahrzehnts zunichte machen kann. Die dann folgenden drei Kapitel analysieren die genannten politischen Prozesse: die Neudefinition und Re-Aktivierung des Staates (4), das politische Erwachen von Zivilgesellschaften (5) und die Neuausrichtung internationaler Entwicklungszusammenarbeit (6).
Das vorliegende Buch basiert vor allem auf Forschungen, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert worden sind, für die der Autor hier seinen ausdrücklichen Dank aussprechen möchte.
Zutiefst zu Dank verpflichtet ist der Autor allen Interview- und Gesprächspartnern in Afrika. Ihre Gastfreundschaft, ihre Zeit, ihre Offenheit und ihre Kompetenz ist unverzichtbare Grundlage dieser Publikation.
Der Verfasser dankt ferner seinem Team in der Forschungsstelle Entwicklungspolitik der Fachhochschule Düsseldorf - insbesondere Valérie Franze, Judy Müller-Goldenstedt, Magdalena Pac und Vera Vorneweg - für die hervorragende Unterstützung in der Erfassung und Sichtung der inzwischen nahezu unüberschaubaren Fülle an Daten, Dokumenten und Veröffentlichungen zum Themenfeld.
Um die Lesbarkeit des Buches zu verbessern, wurden Quellenverweise auf das wissenschaftlich notwendige Minimum begrenzt. Ausführliche weiterführende Hinweise, Detailverweise, Länderbeispiele, Datenanalysen, ein umfangreiches Glossar sowie vertiefende Teilstudien zu einzelnen Aspekten finden sich auf der Webseite des Autors zum Buch: www.eberlei.de/afrika