E-Book, Deutsch, 450 Seiten
Ebers Gesammelte Märchen
1. Auflage 2015
ISBN: 978-80-268-4539-3
Verlag: e-artnow
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das Elixir, Die graue Locke, Die Nüsse - Weihnachtsmärchen für meine Kinder und Enkel
E-Book, Deutsch, 450 Seiten
ISBN: 978-80-268-4539-3
Verlag: e-artnow
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dieses eBook: 'Gesammelte Märchen' ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Aus dem Buch: 'Es war einmal ein Land, das war das schönste von allen Ländern, und das Schloß des Herzogs, dem es gehörte, lag an einem See, der war so blau, kein Blaufärber hätte ihn blauer färben können. Einmal, vor langer, langer Zeit, war der Ritter Wendelin mit seinem Knappen Jörg an diesen See gekommen und hatte an seinen Ufern nichts gefunden als wüste Heide und nackte Felsen. Aber das Land mußte früher ein anderes Ansehen gehabt haben; denn an manchen Stellen lagen zerbrochene Säulen und marmorne Statuen mit abgebrochenen Nasen und Händen ringsumher. An den Berglehnen gab es noch altes Gemäuer, das früher wohl fruchtbare Erde und Weinstöcke getragen haben mochte; aber der Regen hatte längst die Bodenkrume von den Felsen gewaschen, und in den zusammengesunkenen Bauwerken und eingestürzten Kellern hausten jetzt Füchse, Nachtvögel und anderes Getier.' Georg Ebers (1837-1898) war ein deutscher Ägyptologe und Schriftsteller. Mit seinen historischen Romanen und populärwissenschaftlichen Büchern trug er zur großen Popularität der Ägyptologie im ausgehenden 19. Jahrhundert bei. Beginnend mit Eine ägyptische Königstochter (1864) verfasste Ebers zahlreiche historische Romane, die auf großes Leserinteresse stießen. Neben Felix Dahn gilt er als der bedeutendste Vertreter des 'Professorenromans'. Die Themen der Romane wählte er teilweise aus dem Umfeld seiner wissenschaftlichen Arbeit, also der ägyptischen Geschichte, aber auch aus anderen Epochen (Mittelalter). Inhalt: Das Elixir Die Nüsse - Ein Weihnachtsmärchen für meine Kinder und Enkel Die graue Locke
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Die Nüsse
Inhaltsverzeichnis Ein Weihnachtsmärchen für meine Kinder und Enkel. Der verwundete Oberst, den wir in unserem Hause gesund pflegten, durfte nur wenig gehen, und wenn er am Nachmittag etwas herumspaziert war, mußte er auf dem bequemen alten Lehnsessel, den wir den Großvaterstuhl nannten, Ruhe suchen. In der Dämmerstunde steckte unser lieber Gast die zweite von den drei Pfeifen an, die der Doktor ihm jeden Tag zu rauchen gestattete, gab den Kindern ein Zeichen, und das junge Volk folgte ihm schnell genug; denn es hörte seine Geschichten so gern, wie es ihm gut war. Freilich durfte der Genesende noch nicht länger als eine halbe Stunde hinter einander erzählen; denn seine Wunden waren so schwer gewesen, daß unser vielerfahrener Chirurg versicherte, es widerspreche den Naturgesetzen und sei eigentlich ein Unding, daß dieser Mann überhaupt noch unter den Lebenden wandelte. Was seine Geschichten angeht, so hatten sie nie verfehlt, das Interesse der Zuhörer wach zu erhalten, und dies verdankten sie zum Teil dem Umstande, daß sie gewöhnlich abgebrochen werden mußten, wenn die Spannung eben den Gipfel erreicht hatte. Dazu klang die tiefe Stimme des Erzählers viel leiser, als seine breitschulterige Hünengestalt es erwarten ließ, und es lag in ihrem gedämpften, oft flüsternden Ton ein geheimnisvoller Zauber nicht nur für die Kleinen. Daß der Oberst unsern sechsjährigen Hermy seinen Geschwistern recht auffällig vorzog, dankte das Kind wohl besonders dem Befehlshaberblicke, mit dem der alte Soldat es einmal zum Weinen gebracht hatte. Seitdem war Hermy so entschieden sein »Herzblatt« geworden, daß er ihn sogar den Schwesterchen vorzog, die es ihm zuerst angethan zu haben schienen, und niemals will ich die zärtlichen, beinahe mütterlich innigen, liebkosenden Töne vergessen, die wir aus der breiten Brust dieses Graubartes mit dem großen runden Haupte und dem echt mannhaften Antlitz vernahmen, während er den Kleinen zu trösten versuchte. Es war wunderbar, wie dieser an Gehorsam gewöhnte und wegen seiner schneidigen Thatkraft bekannte Kriegsheld unter den Kindern zum Kind werden konnte. Er hatte ein geliebtes Weib, ein Söhnchen in Hermys Alter und eine Tochter in jungen Jahren dahinscheiden sehen, und unsere heranwachsende Schar mochte ihn an die verlorenen eigenen Schätze erinnern. Was seine Geschichten angeht, so wußte er sie aufs schärfste zu sondern. Einige begann er mit den Worten: »Da bin ich«. und sie hielten sich immer streng an der Wahrheit, die anderen aber begannen: »Es war einmal«, und während jene sich auf das eigene reiche Leben des Obersten bezogen, waren diese teils bekannte, teils frei erfundene Märchen, worin es von Feen und Geistern, Elfen und Gnomen, Zauberern und Drachen, Wichtelmännchen, Nixen, Lorinnen und Zwergen wimmelte. Jetzt kam die Weihnachtszeit heran und morgen – am Heiligabend – sollte der Christbaum angezündet werden. Am dreiundzwanzigsten Dezember, kurz vor dem Erzählungsstündchen, kam der kleine Hermy nach Hause und zeigte den Geschwistern die winzigen Geschenke, die er gekauft: für den Vater ein Stück Gummi, für die Mutter einen Bleistift, für die Großmama eine Düte voller Nüsse, sowie ähnliche Dinge, die so klein sie auch waren, doch sein ganzes erspartes Taschengeld aufgezehrt hatten. Die älteren Brüder, denen er strahlend vor Freude diese Herrlichkeiten wies, zeigten indessen keineswegs die Bewunderung, die er erwartete, sondern neckten ihn als echte Flegel, die sie damals gerade waren, und machten sich – einer Schwester gegenüber wären sie vielleicht weniger unzart gewesen – über »die großartigen Geschenke« des Brüderchens lustig. Mein Karl erlaubte sich die Frage, was der Vater, den doch kein Mensch jemals zeichnen gesehen hatte, mit dem Gummi anfangen solle, und Kurt fügte hinzu, der Großmama wüchsen im eigenen Garten mehr Nüsse zu, als sie alle zusammen an zehn Weihnachtsabenden bekämen. Da traten dem Kleinen helle Thränen in die Augen, und er warf einen recht bekümmerten Blick auf die verachteten Schätze, an denen er sich eben noch so herzlich gefreut; ja er schluchzte leise auf, und mit einem betrübten: »Aber ich hatte ja nicht mehr!« steckte er die entwerteten Kleinodien in die Tasche. Der Oberst war dem allen schweigend gefolgt, jetzt aber zog er den Liebling zu sich heran, küßte ihn und streichelte ihm die blonden Locken. Dann forderte er ihn freundlich auf, sich ganz dicht neben ihm auf die Fußbank zu setzen, gebot den anderen Kindern, sich gleichfalls niederzulassen, und Karl und Kurt, die Ohren recht weit offen zu halten. Meine Frau und ich, die von diesem Vorgang erst später erfuhren, traten eben auch in das Zimmer und baten den Obersten, mit zuhören zu dürfen. Das wurde gern bewilligt, und nachdem man die Lampen gebracht hatte – denn es war später als sonst geworden – strich der Oberst sich den dichten Schnurrbart länger und sorgfältiger als sonst und begann, nachdem er kurze Zeit stumm vor sich hingeschaut hatte: »Meine Geschichte soll heute heißen: ›Die Nüsse‹. Gefällt Dir das, Hermy?« Der Kleine lächelte ihn erwartungsvoll an und nickte dazu mit dem Kopfe; er aber begann: »Ihr meint gewiß, Kinder, – und das ist verständig – es sei von den Toten noch keiner zurück gekehrt, und kein Mensch könne darum wissen, wie es droben im Himmel und unten in der Hölle aussieht; aber ich – schaut mich nur an – ich hier bin doch im stande, etwas davon zu erzählen.« Hier machte er eine kleine Pause, weil meine Frau ihm mit der Pfeife und dem Fidibus genaht war; die Kinder aber schauten einander fragend und bedenklich an; denn dies war die erste Geschichte des Obersten, die nicht mit dem »Da bin ich« oder »Es war einmal« anfing, und von der sich also nicht gleich sagen ließ, ob sie wahr sei oder erfunden. Wolfgang, mein dreizehnjähriger Aeltester, der auch die jüngeren Knaben schon gern »die Kleinen« nannte und ein echter Sohn seiner Zeit zu werden anfing, entschied sich freilich sofort für das letztere; aber auch er richtete sich höher auf und warf mir einen fragenden Blick zu, als der Oberst fortfuhr: »Die beiden Kugeln hier drinnen und der Säbelhieb in der Schulter – ihr wißt ja, wie und wo ich dazu kam . . . Kurz, am Nachmittag sank ich damals vom Pferd in das Gras, und erst am nächsten Morgen wurde ich von den Krankenträgern gefunden und auf den Verbandplatz geschleppt. Da machten sie mich wieder lebendig. In der Zwischenzeit – einen halben Tag und eine ganze Nacht hat es gewährt – bin ich kein lebendes Menschenkind gewesen wie ihr hier und die anderen zweibeinigen, bisweilen mit Vernunft begabten Geschöpfe.« Dabei ließ er den sonderbar scharfen Blick vielsagend von Karl zu Kurt schweifen; die Mädchen aber faßten einander bei der Hand, und es sprach ihnen aus den Augen, daß sie es bedenklich fänden, einem ehemaligen Toten so dicht gegenüberzusitzen. Ein Glück nur, daß der Auferstandene so gut war und ganz zweifellos lebte; denn das bewies seine Rede und der Dampf, den er bei jeder Pause in die Luft blies. »Ja, Kinder,« begann der Oberst von neuem, »ein großes Wunder hat sich mit mir altem Manne begeben. Der lange Leib hier, der lag unter stöhnenden Menschen, verendenden Pferden, zerbrochenen Kanonenlafetten, Munitionswagen, Granatensplittern und fortgeworfenen Waffen auf dem blutigen Rasen; die Seele aber – ein gar zu schlimmer Sünder muß ich doch nicht gewesen sein hienieden – die Seele, die durfte sich's indes wohl sein lassen im Himmel. Eins, zwei, drei – so schnell, wie ihr nur denken könnt: ›Das ist ein Apfel‹ oder ›Die blonde Ina hat eine hübsche Puppe im Schoß‹ – war sie droben. Und nun – ich seh' es euch an – nun möchtet ihr wissen, wie's im Himmel aussieht, und ich kann's euch, weiß Gott, nicht verdenken; denn schön ist's da freilich, wunderschön, aber leider, leider, nicht einmal versuchen darf ich, es zu beschreiben. Das muß nämlich für die Lebenden ein Geheimnis bleiben, weil – aber das geht euch nichts an, und es bekäme mir übel, wenn ich plaudern wollte.« Hier wurde der Oberst durch manche Aeußerung des Bedauerns unterbrochen; doch fuhr er unbeirrt und in beschwichtigendem Tone fort: »Laßt es nur gut sein. Auf Schilderungen mich einzulassen, ist mir freilich verboten; einzelnes von den Erlebnissen da oben euch mitzuteilen, das wird indes schon angehn. So hört denn! Daß die Hölle unterhalb des Himmels gelegen ist, habt ihr schon, sollt' ich denken, irgendwo vernommen. Natürlich können die seligen Toten für gewöhnlich nichts von den Qualen der Verdammten hören und sehen; denn das würde ihnen die Freuden des Paradieses ganz und gar verderben; aber manchmal – ich glaube einmal im Jahre – ist es den Verklärten dennoch gestattet, in die Hölle zu schauen. Es hat aber damit eine besondere Bewandtnis. Wenn nämlich das Kuppeldach, das die Hölle den Blicken der Himmelsbewohner entzieht, aufgethan wird, so geschieht es zum Besten der Verdammten; denn der Herr gestattete in seiner Gnade, daß die Seligen sich die in der Hölle ansehen, um, wenn sie einen unter ihnen finden, von dem sie etwas Gutes selbst genossen oder auch nur durch andere vernommen haben, dies dem heiligen Petrus zu melden. Gefällt dem nun das Löbliche, das der jetzige Höllenbewohner einmal vor dem Tode auf Erden gethan, so kann er ihm deswegen die Zeit der Strafe kürzen oder ihn freisprechen und ihm sogleich das Himmelsthor öffnen. »Was mich betrifft, so gelangte ich gerade am Tage einer solchen Höllenschau ins Paradies und bekam dadurch merkwürdige Dinge zu schauen. Uf! Das war der...