Ebertowski | Unter den Linden Nummer Eins | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 400 Seiten

Ebertowski Unter den Linden Nummer Eins

Der Roman des Hotel Adlon
13001. Auflage 2013
ISBN: 978-3-8270-7685-4
Verlag: Berlin Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Der Roman des Hotel Adlon

E-Book, Deutsch, 400 Seiten

ISBN: 978-3-8270-7685-4
Verlag: Berlin Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Berlin, 1932: Der arbeitslose Akademiker Karl Meunier bewirbt sich als Hausdetektiv im legendären Hotel Adlon - Inbegriff des mondänen Berliner Flairs der Zwischenkriegsjahre. Bald steht fest: Aus dem Weinkeller verschwinden große Posten des teuersten Champagners.Meunier vermutet, dass hier von hohen Offizieren gefährliche Coups eingefädelt werden.

Jürgen Ebertowski, geboren 1949 in Berlin. Studium der Japanologie und Sinologie, Aikidolehrer, Autor zahlreicher Romane und Krimis. Mit seiner Frau lebt Ebertowski in Berlin.
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6.

EIN ENERGISCHER FUSSFALL ÜBERZEUGT LOUIS ADLON

Louis Adlon bat Karl, Platz zu nehmen. Er selber blieb stehen und begann, als Karl saß, langsam, mit auf den Rücken verschränkten Händen, hinter seinem Schreibtisch auf und ab zu schreiten. Durch die Fenster hinter dem Schreibtisch, das Büro

ging auf die Linden hinaus, sah Karl den morgendlichen Verkehr vorbeifluten. Es schneite noch immer dicke Flocken auf die Blumenfrau.

Louis Adlon räusperte sich mehrmals, bevor er sprach. »Eigentlich fallen Einstellungsgespräche in den Aufgabenbereich meiner Frau, Herr Meunier, aber heute müssen Sie mit mir vorliebnehmen. Sie ist auf Reisen.« Er deutete auf einen handbeschriebenen Briefbogen auf der Schreibtischplatte. »Aber im Vertrauen, das ist eine Ausrede. Natürlich hätte sich auch Herr Engel mit Ihnen unterhalten können.« Er griff nach dem Briefbogen, Karls Lebenslauf. »Ehrlich gesagt ist es Ihre Vita, die mich neugierig gemacht hat. Sie scheinen ein interessantes Leben geführt zu haben und viel in der Welt herumgekommen zu sein.«

Karl zuckte mit den Achseln. »Wie man es nimmt, Herr Generaldirektor. Aber es stimmt, meine diversen Tätigkeiten haben mich soweit einigermaßen ernährt und dazu quasi gratis in der Welt herumgebracht, das ist richtig.« Daraus, daß Louis Adlon dem Generaldirektor nicht widersprach, schloß Karl, daß es allgemein üblich zu sein schien, ihn so anzureden. Er legte den Mantel, den er noch immer über dem Arm trug, in seinen Schoß.

»Sie schreiben«, Louis Adlon unterbrach sein Auf- und Abgehen und las laut vor: »›Nach meinem Ausscheiden aus der Armee als Oberleutnant belegte ich Anglistik, Romanistik und Philosophie an der Friedrich-Wilhelms-Universität und exmatrikulierte 1923 als Magister‹ – gleich darauf teilen Sie mir mit, daß Sie Anfang 1924 bereits Steward auf der Midmed-Linie zwischen Genua und Istanbul waren. Ja, haben Sie denn nie versucht, etwas aus Ihrem Universitätsabschluß zu machen? – Lektorat in einem Verlag oder von mir aus auch Kundenbetreuer für Ausländer bei einer Bank?«

Karl nickte. »Versucht schon, Herr Generaldirektor, aber außer als Fremdenführer bei einer Stadtrundfahrtgesellschaft, das Unternehmen gibt es längst nicht mehr, war zu dieser Zeit einfach kein Unterkommen. Das mit der Fremdenführerei habe ich ein paar Monate gemacht, und dann habe ich in der London Times das Angebot von der Midmed-Reederei gelesen und mich beworben. Denen ging es weniger um Englisch oder Französisch als um jemanden, der auch fließend Deutsch konnte. Das korrekte Alter hatte ich auch, also haben Sie mich genommen. – Bereut habe ich die drei Jahre zur See nicht.«

»Danach steht hier etwas von selbständiger Tätigkeit im Gaststättengewerbe – auf Malta!« Louis Adlon hob fragend die Augenbrauen. »Ich kann dem beim besten Willen nicht entnehmen, was das im Detail bedeutet! – Malta kenne ich übrigens flüchtig. Wir haben bei einer Mittelmeerkreuzfahrt einmal den Grand Harbour angelaufen und sind für ein, zwei Stunden an Land gegangen.«

»Ich habe 1927 meine Ersparnisse in eine kleine Bar in Valletta investiert. Zusammen mit einem schottischen Kollegen, den ich bei der Midmed kennengelernt hatte. Es war eine Bar mit Blick über den Grand Harbour. Wir servierten dort auch kleinere Speisen. Mein Partner war gelernter Koch.«

»Interessant«, sagte Louis Adlon, »und wie weiter?«

»Bis Ende neunundzwanzig lief’s ganz passabel.« Karl seufzte und drehte die Handflächen nach oben. »Irgendwann, wenn auch mit geraumer Verspätung, erreichte der Schwarze Freitag auch Malta, und wir mußten den Laden weit unter Wert verkaufen. War kein Einzelschicksal in jenen Tagen. Ein Jahr haben wir noch versucht, etwas Neues auf die Beine zu stellen, hatten aber kein Glück. Ich bin dann nach Deutschland zurück. Mein ehemaliger Partner – wir schreiben uns noch gelegentlich – hat wieder eine kleine Bar aufgemacht.«

Louis Adlon nickte verständnisvoll und lehnte sich gegen den Schreibtisch, spielte mit einem Brieföffner. »Das Adlon hat auch diese weltweite Krise bloß einigermaßen überlebt – die andere große für unser Haus war die Inflation –, weil mein Vater die Umsicht besessen hatte, im Keller einen riesigen Vorrat krisensicheres Kapital einzulagern.«

In Karls Augen blitzte es auf. »Ihr Weinlager, Herr Generaldirektor, war und ist legendär.« Er erzählte ihm von seinem Leutnantsball anno 1913, und Louis Adlon sagte: »Donnerwetter, Ihr Gedächtnis ist ja vorzüglich!«, als Karl ihm die verschiedenen Weine aufzählen konnte, die damals zum Diner gereicht worden waren. »Eine Sammlung von Weltruf«, sagte Karl.

›Und dabei soll es bleiben‹, dachte Louis Adlon. Mich zu ruinieren wird auch dieser verdammten SA nicht gelingen, wenn ich’s verhindern kann. Und das werde ich, bei Gott!‹ Er trommelte mit dem Brieföffner auf die Schreibunterlage. »Und dann, Herr Meunier, sind Sie im Januar vor ziemlich genau zwei Jahren nach Berlin zurückgekommen und verdienen seitdem als freier Übersetzer und Ju-Jutsu-Lehrer, Sie schreiben, das sei eine Gattung von Ringkampflehrer, Ihr Geld. – Was übersetzen Sie denn so?«

»Meist Kurzgeschichten aus dem Englischen. Weihnachten hat die Morgenpost meine Übersetzung von Sweet Rita gedruckt, und davor hat die Berliner Illustrierte mein Maltagold genommen. Von einem wahnsinnig guten Amerikaner. Kennen Sie ihn? Er heißt George K. Iwertou.«

»Hab von ihm gehört«, sagte Louis Adlon. »Aber Übersetzer und Ringkampflehrer, das ist ja eine schillernde Mischung!«

»Ja«, sagte Karl und lachte. »Das ist kaum zu leugnen. Der Meinung ist meine Mutter übrigens auch. ›Kind, was soll nur aus dir werden!‹ – Sie hat immer gewollt, daß ich nach dem Militär zur Bank gehen sollte, aber die haben, wie gesagt, damals mit einem Anglisten und Romanisten nicht viel anfangen können.«

»Heute wohl auch nicht«, sagte Louis Adlon. »Die Zeiten sind rauh. Wissen Sie was, Meunier, Sie sind mir sympathisch.« Karl registrierte mit Freude, daß Louis Adlon das Herr vor seinem Namen fallengelassen hatte. ›Das‹, dachte er, ›macht man doch wohl kaum, wenn man jemanden gleich abwimmeln will.‹

Und Karl sollte sich nicht irren. Louis Adlon richtete die Brieföffnerspitze auf ihn. »Ich hätte Verwendung für Sie. How about your oral English?«

Sie unterhielten sich die nächste Viertelstunde auf englisch, wechselten gelegentlich ins Französische, und Karl erfuhr in groben Zügen, was Louis Adlon sich unter seinem zukünftigen Aufgabenbereich als Hausdetektiv (und Sekretär zur besonderen Verwendung) vorstellte. Das, wie gesagt, in English et en français. Dann legte Louis Adlon den Brieföffner auf die Schreibunterlage und trat auf Karl zu.

»Ich denke, wir sind uns jetzt einig. Seien Sie morgen Punkt acht hier bei mir im Büro, Meunier. Dunkler Anzug, schwarz oder blau, gedeckte Krawatte, schwarze Schuhe.« Er deutete auf Karls. »Auf keinen Fall natürlich dunkelbraune!«

»Selbstverständlich, Herr Generaldirektor!« beeilte sich Karl zu versichern.

»Ich werde Sie dann den wichtigen Leuten im Haus vorstellen. Mit den Räumlichkeiten und dem übrigen Personal wird Sie der Oberpage bekanntmachen. Sie sind also hiermit auf Probe engagiert. Probezeit, darunter verstehe ich sechs Wochen, in denen sich das Adlon von Ihnen ohne Angabe von Gründen trennen kann. Es gibt zwar eigentlich noch eine letzte Eignungsprüfung, aber in Ihrem Fall erlasse ich die Ihnen. – Gemacht?« Louis Adlon reichte Karl die Hand. Der erhob sich und schlug ein.

»Mit dem größten Vergnügen, Herr Generaldirektor, allerdings möchte ich Sie bitten, mir die letzte – ominöse – Prüfung doch nicht zu erlassen. Ich hätte da so ein ungutes Gefühl, als ob ich etwas schwänzen würde, wenn Sie verstehen, was ich meine.«

»Wie es Ihnen beliebt«, sagte Louis Adlon. »Einen Augenblick. Ich muß bloß kurz telefonieren.«

Karl hörte, wie Louis Adlon sich mit dem Heizungskeller verbinden ließ und darum bat, einen gewissen Schöffler zu ihm hochzuschicken, der würde schon Bescheid wissen, man möge Schöffler ausrichten, alles wieder wie beim letzten Mal, ja und bitte umgehend.

Als es wenig später an der Bürotür klopfte, hatte Karl von Louis Adlon die Höhe seines Anfangsgehalts erfahren und schlug innerlich Salto. Hundertachtzig Mark während der Probezeit und später dann zweihundertfünfzig. ›Hurra!‹ dachte Karl. ›Ich muß doch nicht in den Schuldturm oder Straßenräuber werden!‹

Es klopfte.

»Herein!« sagte Louis Adlon.

Die Tür öffnete sich. »Zu Diensten, Herr Generaldirektor!«

Emil Schöffler, genannt Faß-Rüdiger, der Heizer aus der Frühschicht, trug seinen Spitznamen mit Recht. Er war einen halben Kopf kleiner als Karl, dafür aber annähernd doppelt so breit. Der lange blaue Arbeitskittel, den die Leute von der Haustechnik außerhalb ihrer Wirkungsstätten tragen mußten, spannte sich über einen tonnenförmigen Brustkasten. ›Ringer‹, überlegte Karl. ›Ich muß ihn schnell wegpacken. Wenn dieser Kerl seinen Gewichtsvorteil nutzt, seh ich blaß aus!‹

Louis Adlon deutete auf das Kraftpaket im Türrahmen. »Herr Meunier, würden Sie bitte so freundlich sein und den Mann aus meinen Räumen entfernen!«

Dem Grinsen von Faß-Rüdiger konnte Karl unschwer entnehmen, daß alle seine Vorgänger an dieser Prüfungsaufgabe gescheitert...


Ebertowski, Jürgen
Jürgen Ebertowski, geboren 1949 in Berlin. Studium der Japanologie und Sinologie, Aikidolehrer, Autor zahlreicher Romane und Krimis. Mit seiner Frau lebt Ebertowski in Berlin.



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