E-Book, Deutsch, 416 Seiten
Reihe: Sissi Sommer, Klaus Vollmer
Edelmann Mordsgeschäft
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-96041-090-4
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Allgäu Krimi
E-Book, Deutsch, 416 Seiten
Reihe: Sissi Sommer, Klaus Vollmer
ISBN: 978-3-96041-090-4
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Jahrzehntelang waren sie gezwungen, im besten Viertel von Mindelheim zusammenzuwohnen: die beiden exzentrischen Schwestern Rothenfels. Nun ist eine von ihnen tot und die andere darüber nicht traurig. Sissi Sommer und Klaus Vollmer vom K1 in Memmingen haben schon schwierigere Fälle gelöst. Denken sie. Denn als auf der Mindelburg ein weiterer Toter entdeckt wird, müssen sie erkennen, wie fatal sie sich getäuscht haben.
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Donnerstagabend, Legau »Wo gehst du hin?« Christa Melzer stand mit großen Augen in der Wohnzimmertür und starrte verblüfft ihren Ehemann an, der gerade versuchte, in seine schwarze gefütterte Lederjacke zu schlüpfen, ohne dass seine Frau es bemerkte. »Weg muss ich«, antwortete der Angesprochene mürrisch. »Hab grad einen Anruf gekriegt. Der Helmut hat eine Panne. Kommt sonst keiner, und im ADAC ist er net. Muss ihm helfen.« »So. Der Helmut …« Christa stemmte die Hände in die Hüften und schaute ihren Mann durchdringend an. Sie war eine hübsche, schlanke Blondine Ende dreißig, mit großen blauen Augen und einer bemerkenswert gut proportionierten Figur. Ein Allgäuer Mädel wie aus dem Bilderbuch. Aber leider – wie ihre Mutter immer wieder seufzend beim Friseur erzählte – »nicht die hellste Kerze am Leuchter«. Das wussten eigentlich alle außer Christa selbst. René Descartes hat angeblich einmal gesagt: »Nichts ist so gerecht verteilt wie der Verstand – jeder glaubt, dass er genug davon hat.« Wie sie jetzt empört in der Tür lehnte und ihren Ehemann von oben bis unten betrachtete, dass diesem ganz ungemütlich zumute wurde, ähnelte Christa einer Serienfigur aus den achtziger Jahren, die von ihrem Vater immer liebevoll »Dumpfbacke« genannt worden war. Nur hätte Ernst Mooslechner, Christas Vater, das nie getan, denn er liebte seine Tochter abgöttisch und hasste seinen Schwiegersohn abgrundtief. Christa trat einen Schritt nach vorn. Ihr ansehnliches Dekolleté war nur notdürftig von einer knallroten Trainingsjacke verdeckt. Auf diesen Abend zu zweit hatte sie sich gefreut, denn ihr Mann hatte selten frei und war noch seltener daheim. Nicht mal zur Arbeit nach Mindelheim fuhren beide gemeinsam, weil Toni oft später heimkam und früher wegmusste, denn in der Firma gab es viel zu tun. Und Toni musste gleich auf die Baustelle. Außerdem war sie beunruhigt, denn Helmut hatte ihr gestern etwas verraten … Christa schüttelte ihren hübschen Kopf und scheuchte den Gedanken in die hinterste Ecke ihres übersichtlichen Gehirns. Allerdings … Nein. Das Beste war, nicht darüber nachzudenken. »Und wie heißt der Helmut wirklich? Brunhilde? Beate? Berta?« Christa war davon überzeugt, dass sie betrogen wurde, deshalb beschlich sie immer ein ungutes Gefühl, sobald er das Haus verließ. Das lag zum einen am ungehemmten Konsum etlicher Vorabendserien und zum anderen daran, dass Toni regelmäßig nach Parfüm roch, wenn er nach Hause kam. Darüber hinaus besaß Christa den typisch weiblichen Instinkt, kombiniert mit einem untrüglichen »Flittchenradar«, den sie als verheiratete Frau quasi bei der Hochzeit dazugeliefert bekommen hatte. Christa war hübsch, anständig, fleißig … und ein wenig schlicht im Geiste. Sie konnte zwar Prozentrechnen, war aber vertrauensselig und von einer solch überbordenden Naivität, dass ihre Eltern die letzten zwanzig Jahre vorwiegend damit beschäftigt gewesen waren, die Hände über dem Kopf zusammenzuschlagen und ihre Tochter aus allerlei Bredouillen zu retten. Andererseits war diese Naivität einer der ausschlaggebenden Gründe gewesen, warum Christa es an Heiratskandidaten niemals mangelte, denn sie war sehr freigiebig, was ihre Reize betraf, und nicht nachtragend, weil sie das angestrengt hätte. Für jeden feschen Allgäuer Burschen, der sie nach einer verschwitzten Nacht abservierte, wartete am nächsten Morgen bereits ein neuer vor der Tür. Überhaupt gibt es viele Männer, nicht nur im Allgäu, die es recht praktisch finden, wenn eine Frau kein Mathegenie ist. Denen reicht es, wenn ein hübsches Weibsbild die Zutaten für einen anständigen Gugelhupf ausrechnen kann und das WC-Papier niemals ausgehen lässt. Christas Männer waren oftmals anspruchslos. Sie war es auch. Nun allerdings hing schon seit einiger Zeit bei den Melzers der Haussegen schief. Keine Frau mag es, wenn ihr Mann allabendlich verschwindet, auch wenn es einem guten Zweck dient wie dem Geldverdienen, denn wie schon Marika Rökk so schön in den fünfziger Jahren sang: »In der Nacht ist der Mensch nicht gern alleine.« Und Christa saß oft allein zu Hause, sehr oft, denn das Leben war hart, die Raten für das Haus hoch und ihre Hemmschwelle beim Einkaufen niedrig, seitdem sie auf dem Teleshoppingkanal diese entzückenden Künstlerpuppen für sich entdeckt hatte. Christa konnte nun einmal schlecht Nein sagen zu all den niedlichen großen Augen, den porzellanenen Mündern und den spitzenbesetzten Kleidchen, denn das Kinderzimmer im Hause Melzer war immer noch leer. So kam es, dass immer zu viel Monat am Ende des Geldes bei den Melzers übrig war und es übermäßig oft Nudeln mit Ketchup oder eine Kartoffelsuppe gab, worüber Toni jedes Mal die Nase rümpfte. Denn er war ein Mann, und die brauchten Fleisch, wie er immer wieder betonte. Jetzt lachte Toni seine Frau breit an. »Geh, stell dich net so an. Ich bescheiß dich net, das weißt du doch, obwohl du mich schon am ausgestreckten Arm verhungern lässt in letzter Zeit. Ist net schön, weißt, Schatzi. Aber ich wär doch ohne dich aufgeschmissen. Du bist die Schönste im ganzen Land, das hab ich dir doch schon ein paarmal gesagt. Du sitzt bloß zu viel allein daheim rum oder schläfst. Lust hast auch keine mehr. Außerdem ist es ganz normal, wenn man seinem Kumpel hilft, wenn der ein Problem hat, oder?« Er griff nach seinem Autoschlüssel, der in einer Schale auf der Dielenkommode lag. Im Flur brannte eine trübe Energiesparlampe und beleuchtete notdürftig die gesamte Dieleneinrichtung; also einen zerkratzten, alten handbemalten Bauernschrank, einen stockfleckigen Spiegel und einen an mehreren Stellen ausgefransten Flickerlteppich. Das Haus der Melzers war zwar nagelneu, aber die meisten Teile der Einrichtung waren es nicht. »Ich glaub dir net. Der Helmut … und überhaupt von wegen zu viel daheim rumhocken …«, brummte Christa. »Ich bin genug draußen. Jeden Tag steh ich in der blöden Küche in der ›Kutsche‹ und schnippel Salat. Neulich hab ich Schneckenhäuschen füllen müssen. Mit Schnecken! Außerdem mach ich ständig Sachen, die net in der Arbeitsbeschreibung gestanden sind. Weißt du überhaupt, wie eklig des ist, Schnecken in ein Häuschen zu stopfen? Ich hab was anderes gelernt und darf jetzt jeden Tag mit fettigen Haaren heimkommen. Bloß weil …« »… ich net genug verdien?« Toni, der eigentlich auf dem Sprung nach draußen war, blieb wie angenagelt stehen. »Des hast du jetzt gesagt, Toni«, versuchte Christa einen Rückzieher. »Ich mach doch schon, so viel ich kann«, polterte Toni, ein äußerst attraktiver blonder Bursche mit blitzblauen Augen und einem kantigen Gesicht, und baute sich vor ihr auf. »Ich schaff doch auch jeden Tag. Und sogar oft in der Nacht.« »Ja, und wo ist des Geld dann?«, fragte Christa und hätte sich im gleichen Moment am liebsten auf die Zunge gebissen, denn es gab ein paar Themen, auf die ihr Mann nicht gut zu sprechen war. Obwohl, Christa hätte wirklich gern mal gewusst, wo denn der ganze Verdienst blieb. Ihr Mann hatte einen festen Job und dazu noch den Nebenjob für seine abendliche Tätigkeit, die er seit Neuestem ausübte. Gelegentlich drückte er ihr mal einen Hunderter in die Hand, grinste und sagte: »Kauf dir was Nettes, Mausi. Am besten was zum Ausziehen …« Und Christa nahm den Schein und versteckte ihn in ihrer Wäschekommode unter den geräumigen Büstenhaltern, weil sie annahm, dass dort niemand nachsehen würde. »Jetzt wirst frech, Mausi.« Toni funkelte sie wütend an. Niemand, wirklich niemand wollte, dass Toni Melzer wütend wurde, und das schon seit ungefähr dreißig Jahren, denn er war als Rauf- und Trunkenbold bekannt gewesen, lange bevor er Christa geheiratet hatte. Und wenn Toni in Rage war, dann wuchs kein Gras mehr. Oder kein Zahn. »Mir reden ein andermal, Mausi«, versuchte Toni das Gespräch zu beenden und riss sich zusammen. »Muss wirklich weg. Mir ham Dezember, es ist kalt, und so lang kann ich den Armen net draußen stehen lassen. Der erfriert ja.« »Mir doch wurscht«, knurrte Christa patzig. »Ihr zwei vietnamesische Zwilling, könnts euch wohl gar net trennen. Man könnt meinen, du bist mit dem Helmut verheiratet und net mit mir. Oder ich bin mit dem Helmut verheiratet, weil den des wenigstens interessiert, wie es beim Schaffen ist. Dich nie!« Sie hob den Zeigefinger in die Höhe. »Und gestern hab ich schon wieder beim Helmut mitfahren müssen. Komische Sachen hat der erzählt. Auch über dich. Des weißt net, wie der über dich redet, gell? Ich mag den net. Niemand mag den. Aber des ist traurig, dass mich mein eigener Ehemann nie was fragt, wie es mir geht oder wie es bei der Arbeit ist. Scheiß-Arbeit. Der Helmut hat mir immerhin den Job besorgt.« Christa schob schmollend ihre Unterlippe nach vorn. »Und nie darf ich dein Auto nehmen, obwohl’s bloß umeinandersteht. Du hast doch den Geschäftswagen. Ist gar net, als ob mir zwei verheiratet wären. Gar net.« »So ein Schmarren.« Toni musterte sie, obwohl er es eilig hatte, von oben bis unten. Was er sah, gefiel ihm. Immer noch. Obwohl er in letzter Zeit öfter darben musste, denn seine Frau war, seitdem sie in der »Kutsche« arbeitete, nur noch müde. »Hab dir doch am Dienstag gezeigt, wie mir verheiratet sind, schon vergessen? Müsstest du dir doch gemerkt haben, so oft kommt’s ja nimmer vor, oder? Weil d’ alleweil nur noch schläfst.« Christa wurde tatsächlich rot. Aber...