E-Book, Deutsch, Band 3, 448 Seiten
Reihe: Ein Erik-Winter-Krimi
Edwardson Das vertauschte Gesicht
12001. Auflage 2012
ISBN: 978-3-8437-0571-4
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der dritte Fall für Erik Winter
E-Book, Deutsch, Band 3, 448 Seiten
Reihe: Ein Erik-Winter-Krimi
ISBN: 978-3-8437-0571-4
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Åke Edwardson, geboren 1953, lebt mit seiner Frau in Göteborg. Einige Monate im Jahr verbringt das Ehepaar im Süden Spaniens, in Marbella. Bevor Edwardson einer der weltweit erfolgreichsten Krimiautoren wurde, arbeitete er als Journalist u. a. im Auftrag der UNO im Nahen Osten.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1
Es hatte angefangen zu regnen. Simon Morelius stellte die Frequenz neu ein. Seit fünf Minuten kein Funkruf. Es war bald zehn, und alles war ruhig. Greger Bartram hielt bei Rot vor der Ampel. Zwei Frauen überquerten die Straße, die eine drehte sich zum Streifenwagen um und lächelte, und Greger Bartram hob grüßend die Hand.
»Siebenundzwanzig und hübsch«, sagte er. »Und sie denkt dasselbe von mir.«
»Mich hat sie angelächelt, nicht dich«, sagte Morelius.
»Sie hat mir direkt in die Augen gesehen«, beharrte Bartram. »Mich hat sie gemeint.«
Die Ampel wurde grün, und Bartram bog in den Korsvägen ein.
»Und dann hat sie festgestellt, dass dahinter niemand zu Hause ist«, sagte Morelius.
»Haha.« Aus dem Sender ertönte eine Frauenstimme: »Neun eins zwanzig, neun eins zwanzig, kommen.« Von irgendwoher das Gemurmel einer Antwort und wieder die Frauenstimme: »Bei Liseberg liegt jemand vorm Focus, wahrscheinlich besoffen. Dort hält sich eine Gruppe Jugendlicher auf. Bitte übernehmen.«
Sie hörten jemanden aus einem anderen Streifenwagen auf den Anruf antworten: »Wir haben gehört. Wir sind auf der Prinsgatan und fahren runter zum Focus.«
Morelius griff nach dem Mikrofon. »Hier elf zehn. Wir sind näher dran, wir befinden uns auf dem Korsvägen und fahren hin.«
»Okay, elf zehn.«
Der Streifenwagen vom Bezirksrevier Lorensberg verließ den Kreisverkehr und fuhr vor das Einkaufszentrum. Eine kleine Gruppe Menschen hockte auf dem Parkplatz. Als das Auto hielt, lief jemand von ihnen auf die Autotür zu, die Bartram gerade geöffnet hatte.
»Ich hab angerufen«, sagte ein Mädchen, etwa fünfzehn oder sechzehn Jahre alt, und schüttelte das Handy, als ob es anfangen sollte zu klingeln, um zu bestätigen, was sie eben gesagt hatte. Ihre Haare glänzten, und ihre Augen waren groß und erschrocken. Sie roch nach Alkohol und Tabak. Ihre Armbewegungen waren übertrieben weit ausholend. »Da liegt sie, Maria, aber ihr geht’s schon wieder besser.«
»Ich hab einen Krankenwagen gerufen«, sagte Bartram.
Morelius folgte dem Mädchen die wenigen Schritte zu der Gruppe Jugendlicher. Sie standen im Halbkreis um ein Mädchen herum, das sich gerade langsam aufrichtete. Als Morelius näher kam, schwankte sie, er streckte einen Arm aus und fing sie auf. Sie wog fast nichts und sah aus wie die Zwillingsschwester von dem Mädchen, das mit ihnen gesprochen hatte, aber ihr Blick war glasig. Bei ihr ist wahrhaftig niemand zu Hause, dachte Morelius.
Sie roch nach Alkohol und Erbrochenem. Morelius spürte die Schmiere unter den Schuhsohlen. Er musste aufpassen, dass er nicht ausrutschte. Ein paar Sekunden später sah das Mädchen ihn mit einem plötzlich scharfen Blick an.
»Ich will nach Hause«, sagte sie.
»Was hast du genommen?«, fragte Morelius.
»Ni… nichts«, antwortete sie. »Nur ein paar Bier getrunken.«
»Ein paar Bier, was?« Morelius musterte die Gruppe von fünf oder sechs Jugendlichen. »Was hat sie genommen? Es ist wichtig. Wenn ihr was wisst, dann sagt es jetzt, und zwar ein bisschen dalli.« Er hob seine Stimme, und die Gruppe wirkte eingeschüchtert.
»Wie sie gesagt hat«, antwortete ein Junge mit Strickmütze und Trainingsoverall, »nur ein paar Bier … und etwas Schnaps.«
»Schnaps? Was für Schnaps? Hat einer von euch die Flasche?«
Die Jugendlichen wechselten Blicke.
»DIE FLASCHE!«, wiederholte Morelius.
Der Junge mit der Strickmütze steckte seine Hand unter den zu weiten Overall und zog eine Flasche hervor. Bartram nahm sie und hielt sie ins Licht der Neonschilder.
»Da ist kein Etikett drauf«, sagte er.
»Nei…ein.«
»Was ist das?«, fragte Bartram. In dem Augenblick ertönte von der anderen Seite von Gothiaskrapan die Sirene eines Krankenwagens. »Was ist das für ein Fusel? Ist das Selbstgebrannter?«
»Ja … ich glaub, ja«, sagte der Junge. »Ein Kumpel hat ihn mir verkauft.« Der Junge sah aus, als würde er gleich anfangen zu weinen. »Er hat gesagt, der ist in Ordnung.«
»Nichts ist da in Ordnung«, sagte Morelius. Er spürte, wie das Mädchen in seinem Arm schwer wurde. Sie war wieder auf dem Weg in die Bewusstlosigkeit. »Wo bleibt denn der verdammte Krankenwagen?«, sagte er. In dem Augenblick bremste der Wagen zwei Meter von ihnen entfernt, und rasselnd wurde eine Tragbahre herausgezogen.
Sie saßen im Wartezimmer der Notaufnahme. Das Mädchen war ins Untersuchungszimmer geschoben worden. Nach zwanzig Minuten kam ein Arzt heraus. Morelius sah seinem Gesicht an, dass das Mädchen lebte.
Ein Junge, noch ziemlich jung, tigerte nervös im Wartezimmer herum. Vielleicht war er auch dabei gewesen vorm Focus. Morelius kam er bekannt vor. Wie hatte er es so schnell hierher geschafft?
»Alkohol in einem jungen Körper, tja … das ist keine gute Kombination« sagte der Arzt.
»Wie geht’s ihr?«
»Den Umständen entsprechend gut, wie man so sagt. Sie muss aber über Nacht hier bleiben.«
»Dann war der Alkohol also … in Ordnung?«, fragte Bartram.
Der Arzt warf ihm einen merkwürdigen Blick zu. »Sie meinen, es war Selbstgebrannter? Ist so was jemals in Ordnung?«
»Sie werden ja verdammt noch mal verstehen, wie ich das gemeint hab?!«
Der Arzt sah ihn an.
»Es gibt keinen Grund, so aufzubrausen«, sagte er. Er strich über seinen Kittel, als ob er Bartrams Fluch wegwischen wollte. »Nicht den geringsten.«
»Entschuldigung«, sagte Bartram. »Wir nehmen eben Anteil an diesem Mädchen. Manche Polizisten sind so.«
»Wir möchten nur wissen, ob es noch … andere Folgen gibt … als die üblichen … falls der Schnaps doch gefährlicher war als er normalerweise ist«, sagte Morelius.
Der Arzt sah sie zweifelnd an, als glaubte er, sie wollten ihn auf den Arm nehmen.
»Im Augenblick scheint alles normal zu sein«, sagte er. »Aber hier überlassen wir nichts dem Zufall. Sind übrigens die Angehörigen benachrichtigt?«
»Ja«, sagte Morelius. »Die Mutter muss jeden Augenblick kommen.«
»Jaa … na dann«, sagte der Arzt und wollte gehen.
»Vielen Dank, Doktor«, sagte Bartram.
Sie sahen ihn durch die Schwingtüren verschwinden.
»Arroganter Kerl«, brummte Bartram.
»Er scheint dasselbe von dir zu denken.«
Bartram murmelte etwas Unverständliches und sah seinen Kollegen an. Es war kurz nach elf, und Morelius’ Gesicht war fleckig von dem grellen Licht im Wartezimmer.
»Es ist also die Tochter von der Pastorin. Bist du da sicher? Hanne Östergaard? Die unsere gemarterten Seelen heilt?«
»Das ist kein Grund, so ironisch zu werden.« Morelius hielt die Brieftasche des Mädchens in der Hand. Er hatte ihren Ausweis studiert. »Maria Östergaard. Eine Straße in Örgryte. Unsere Polizeipastorin heißt Hanne Östergaard, wohnt in Örgryte, und sie hat eine Tochter mit Namen Maria.«
»Woher weißt du das eigentlich alles?«
»Spielt das eine Rolle?«
»Nein, nein.«
»Ganz sicher bin ich übrigens nicht.« In dem Moment kam eine Frau zur Tür hereingestürzt. »Oder doch«, sagte Morelius und ging auf Hanne Östergaard zu.
»Wo ist Maria?«, sagte sie. »Wo ist sie, Simon?«
»Immer noch im Untersuchungsraum oder wie das heißt«, sagte Morelius. »Aber es scheint alles in Ordnung zu sein.«
»In Ordnung? Alles scheint in Ordnung zu sein?« Hanne Östergaard sah aus, als würde sie gleich anfangen zu lachen. »Kann mir einer zeigen, wo sie ist?«
Eine Krankenschwester war durch die Schwingtüren gekommen, und Hanne Östergaard folgte ihr ins Untersuchungszimmer.
Der Junge, der im Hintergrund auf und ab gegangen war, ging ihr hinterher. Er sah sich noch einmal um und verschwand im Korridor.
»Na, so was«, sagte Bartram. »Und sie kannte sogar deinen Namen.«
Morelius antwortete nicht.
»Nicht mal Pastoren bleiben verschont«, sagte Bartram.
»Von was?«
»Davon, dass nahe und liebe Angehörige in aufrüttelnde Erlebnisse verwickelt werden. Aber du hast wohl keine Kinder?«
»Die Antwort ist nein. Aber diese Geschichte scheint ja ein glückliches Ende zu nehmen.«
»Und das haben sie uns zu verdanken.«
»Och. Nur ein Gör, das zu viel getrunken hat und kotzen musste. Vermutlich wäre sie nach einer Weile von selbst wieder zur Besinnung gekommen, und jemand aus ihrer Clique hätte sie nach Hause gebracht. Happens all the time. Ist dir das noch nie passiert?«
»Mir? Soweit ich mich erinnern kann, nicht.«
»Das hat vielleicht nicht viel zu sagen.«
»Wollen wir fahren?«, fragte Bartram.
Sie fuhren in Richtung Zentrum, an Chalmers und dem Vasa-Krankenhaus vorbei. Der Regen war stärker geworden. Das Licht der Straßenbeleuchtung wirkte jetzt schwächer, wie in Nacht gehüllt. Bartram hielt bei Rot. Zwei Frauen gingen über die Straße, aber diesmal drehte sich keine der beiden nach ihnen um und lächelte. Morelius stellte die Frequenz neu ein. Sie lauschten den wenigen Funkrufen. Ein verwirrter alter Mann, vor ein paar Stunden in Änggården verschwunden, war wieder aufgetaucht. Eine lautstarke Auseinandersetzung in einer Wohnung in Kortedala war bereits beendet, als die Kollegen vor Ort eintrafen. Ein Betrunkener, der sich bei Brunnsparken gegen eine haltende Straßenbahn gelehnt hatte, war hingefallen, als die Bahn wieder anfuhr. Kann man das als Verkehrsunfall bezeichnen?, fragte Bartram sich.
Morelius dachte an Hanne Östergaard und an das Gespräch, das er vor einigen Wochen mit ihr gehabt hatte. Greger hatte nicht weiter gefragt, und dafür...