E-Book, Deutsch, 192 Seiten, Format (B × H): 145 mm x 215 mm
Effmert Mein Kind hat eine Essstörung
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-8426-1758-2
Verlag: Schlütersche
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Krankheit verstehen – dein Kind verstehen. So hilfst du bei Magersucht, Bulimie, Binge Eating oder Emetophobie
E-Book, Deutsch, 192 Seiten, Format (B × H): 145 mm x 215 mm
ISBN: 978-3-8426-1758-2
Verlag: Schlütersche
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wenn sich das Essverhalten bei Kindern oder Jugendlichen ändert, sind Eltern oft die ersten, die das bemerken. Wenn ihr Kind sich weigert, auswärts zu essen oder seine Lieblingsspeisen plötzlich ablehnt, kann die beängstigende Frage auftauchen: Hat mein Kind eine Essstörung? Gerade in der Pubertät verlieren viele Jugendlichen den Bezug zur gesunden Ernährung – auch durch Schönheitsideale aus den Sozialen Medien.
Was können Eltern tun, wenn ihr Kind nicht mehr richtig isst, sich zurückzieht und seinen Körper negativ wahrnimmt? Martina Effmert beschreibt die Ursachen und Risikofaktoren für Essstörungen wie Magersucht, Bulimie oder Binge Eating. Sie gibt Eltern Tipps, wie sie die Anzeichen erkennen,
am besten darauf reagieren und ihrem Kind helfen können.
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WARUM IS(S)T MEIN KIND SO?
Essstörungen sind nicht auf einen einzigen Faktor zurückzuführen, sie entstehen aus einem komplexen Zusammenspiel verschiedener Einflüsse aus biologischen, psychologischen und sozialen Aspekten. Das macht sie unter anderem so kompliziert. Auch kulturelle Faktoren, wie beispielsweise das Schönheitsideal und der Wunsch nach Schlankheit, spielen eine wichtige Rolle. Besonders in der Pubertät können diese Faktoren dazu beitragen, dass sich ein bestehendes Problem verstärkt und sich eine Essstörung herausbilden kann. Die Zusammenhänge zwischen Ursachen, Auslösern und Risikofaktoren sind oft komplex und können voneinander abhängen oder sich gegenseitig verstärken. In meinen Gesprächen mit den Eltern ist es immer wieder eine wichtige Arbeit, diese Faktoren individuell zu erkennen und zu beleuchten. Deshalb gebe ich dir hier erst einmal eine kurze Erklärung, was damit genau gemeint ist, bevor ich im weiteren Text näher auf die einzelnen Faktoren eingehe. Ursachen können direkt oder indirekt mit einem bestimmten Gesundheitszustand verbunden sein, z. B. bestimmten Genen, die das Risiko für eine bestimmte Krankheit erhöhen. Essstörungen können durch verschiedene Faktoren beeinflusst werden, wie beispielsweise genetische, neurobiologische, kulturelle und familiäre Faktoren sowie durch traumatische Erlebnisse. Bestimmte Persönlichkeitsmerkmale wie Perfektionismus und Impulsivität können auch zu deren Entstehung beitragen. Auslöser können einen ursächlichen Faktor verstärken oder zu dem Ausbruch einer bestimmten Erkrankung beitragen. Auslöser von Essstörungen können Ereignisse oder Erfahrungen in der Vergangenheit sowie auch aktuelle Stressfaktoren wie Beziehungsprobleme oder Lebensveränderungen sein. Risikofaktoren erhöhen die Wahrscheinlichkeit, bestimmte Gesundheitsprobleme zu entwickeln, sie müssen aber nicht zwingend Ursache oder Auslöser sein. Risikofaktoren, die zur Entstehung von Essstörungen beitragen können, sind unter anderem geringes Selbstwertgefühl, Depressionen, Angstzustände, eine Familie mit Essstörungen, Diätverhalten, Sportzwang sowie ein Kultur- und Gesellschaftsdruck, der Schönheitsideale und den schlanken Körper hervorhebt. Im Folgenden schauen wir uns diese verschiedenen Faktoren genauer an. Viele Faktoren statt einer Ursache
Die Frage nach der Ursache für eine Essstörung ist häufig für die Eltern zermürbend und oft auch mit Selbstanklagen, gegenseitigen Vorwürfen und Schuldzuweisungen belegt. Manch ein Elternteil grübelt endlos, schlaflose Nächte wird durchdiskutiert. „Was haben wir falsch gemacht? Wie konnte es nur dazu kommen? Was haben wir übersehen?“ Wichtig für dich zu wissen ist: Es gibt viele Faktoren, die zur Entstehung einer Essstörung beitragen können, d. h. Essstörungen sind multifaktoriell und haben somit selten eine einzige Ursache. Im Allgemeinen handelt es sich bei Anorexie, Bulimie oder Binge-Eating-Störung um wirklich komplexe Bedingungen, die durch eine Kombination aus biologischen, psychologischen und sozialen Faktoren zustande kommen. Nach neuesten Erkenntnissen der Forschung gibt es bei den biologischen Faktoren auch eine bestimmte genetische Disposition und einen Einfluss bestimmter Hormone und Neurotransmitter. Weder dein erkranktes Kind noch du, deine Angehörigen oder Freunde tragen die Schuld an der Entstehung der Essstörung. Es ist nicht hilfreich, wenn du dich mit Schuldfragen beschäftigst, da dies den Heilungsprozess nicht unterstützt. Trotzdem ist es für die Therapie deines Kindes notwendig, dass du die Ursachen der Essstörung verstehst, damit du beeinflussbare Faktoren positiv verändern kannst. Nachfolgend habe ich dir die häufigsten Faktoren von Essstörungen zusammengestellt. Biologische Faktoren
Biologische Faktoren wie genetische Veranlagung, Schilddrüsenprobleme, Dysbalancen bei Neurotransmittern und Hormonveränderungen können nach aktueller Studienlage eine Rolle bei der Entstehung von Essstörungen spielen. Das klingt jetzt vielleicht etwas kompliziert. Ich möchte dich dennoch herzlich einladen weiterzulesen, weil diese Erklärungen dir helfen werden, die Erkrankung deines Kindes sehr viel besser zu verstehen. Und ich verspreche dir, dass du kein Spezialist sein musst, um meine Erläuterungen nachzuvollziehen, und dass ich mich kurzfassen werde. 1 Genetik Eine genetische Veranlagung kann dazu beitragen, das Risiko für die Entwicklung von Essstörungen zu erhöhen. Studien haben gezeigt, dass Menschen, die Verwandte mit einer Essstörung haben, häufiger selbst unter einer Essstörung leiden. Hierzu gibt es seit Jahren auch Studien über Zwillinge. Deren Ergebnis ist, dass die Wahrscheinlichkeit, dass beide zweieiigen Zwillinge an einer Essstörung leiden, bei 5 % liegt. Bei eineiigen Zwillingen ist die Wahrscheinlichkeit entschieden höher, sie liegt tatsächlich bei 56 %. Daraus folgt: Bei einer identischen genetischen Veranlagung wie bei eineiigen Zwillingen ist die Erkrankungsmöglichkeit um circa das Zehnfache erhöht. Stellt man also die Frage, warum nicht alle Menschen, die eine Diät machen, infolgedessen an einer Anorexie erkranken, lautet die wirklich einfache Antwort: Weil nicht alle Menschen eine genetische Vorbedingung haben. Den meisten Menschen macht der freiwillige Verzicht auf Nahrung keinen Spaß. Generell löst eine Diät eher eine gereizte Stimmung und schlechte Laune aus. Im Englischen gibt es dafür ein eigenes Wort – „hangry“ aus hungry (hungrig) und angry (wütend). Dieser Begriff meint ganz simpel: Je größer der Hunger, desto gereizter die Stimmung. Die neuesten Erkenntnisse aus der Forschung zeigen uns, wie Gene unser Gehirn und den Stoffwechsel beeinflussen, und sind für dich und deine Familie sehr wichtig. Essstörungen sind keine rein psychologische Erkrankung, sondern es sind ebenso Entwicklungen in Stoffwechselgenen dafür verantwortlich. Es ist nicht notwendig, dass du dich auf diesem Gebiet auskennst, um die Auswirkungen nachvollziehen zu können. Trotzdem gilt: Eine Essstörung entsteht multifaktoriell und Gene sind nicht allein verantwortlich für die Erkrankung. Und erst recht bestimmen Gene auch nicht unser Schicksal. Aber eine Erkenntnis hilft zu akzeptieren, warum manche Menschen empfänglicher für diese Erkrankung sind und andere nicht. Magersucht: keine rein psychologische Erkrankung Dass Magersucht keine rein psychologische Erkrankung ist, zeigte eine internationale Studie der University of North Carolina (USA). Das Fazit der Studie mit dem Namen Anorexia Nervosa Genetics Initiative (ANGI) war, dass es Unterschiede in bestimmten Genen zwischen Magersucht-Patienten und anderen Personen gibt, insbesondere in Gehirnregionen, die für die Essensmotivation und Belohnung nach der Nahrungsaufnahme wichtig sind. Auch Gene, die im Kohlenhydrat- und Fettstoffwechsel eine Rolle spielen, unterscheiden sich. Aufgrund dieser Erkenntnisse ist wohl eine neue Sichtweise auf die Anorexie notwendig, die als sowohl psychiatrische als auch Stoffwechsel-Erkrankung angesehen und behandelt werden sollte. Bisher hat man bei Menschen, die von Magersucht betroffen sind, den niedrigen Body-Mass-Index (BMI) hauptsächlich als Folge von psychologischen Ursachen angesehen, wie dem zwanghaften Wunsch, schlank zu sein, und der Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper. Allerdings hat sich gezeigt, dass grundlegende Stoffwechsel-Fehlsteuerungen ein entscheidender Faktor für die Probleme sind, die diese Patienten haben, einen gesunden BMI aufrechtzuerhalten, selbst wenn sie therapeutische Unterstützung erhalten haben. Diese Erkenntnis ist in der Therapie von Magersucht sehr wichtig, da eine gezieltere Behandlung die Chancen auf Genesung erhöhen könnte. Familiäre Häufungen von Essstörungen sind schon länger bekannt. Die neuesten Forschungsergebnisse zeigen, dass manche Menschen von Geburt an ein höheres Risiko haben, an einer Essstörung zu erkranken, und dass 50–80 % des Risikos durch genetische Faktoren erklärt werden können. Das Risiko einer Essstörung hängt jedoch nicht von einem einzelnen Gen ab, sondern von hunderten von Genen mit jeweiliger geringer Auswirkung. Die Genomik, die Erforschung unseres genetischen Codes, ist relativ neu und verbessert schnell unser Verständnis von Essstörungen. Aus jüngsten Studien wurde ermittelt, welche Teile des Gehirns und Darms das Denken, Verhalten und Emotionen bei Essstörungen steuern. Bahnbrechende Erkenntnisse von Genetikern zeigen auch, dass Essstörungen mit anderen psychiatrischen Krankheiten und Stoffwechselmerkmalen wie Glykämie und Lipiden zusammenhängen. Die Entdeckung eines genetischen Zusammenhangs bei Essstörungen gibt vielen Eltern und Betroffenen mehr Akzeptanz für die Erkrankung, Hoffnung und Bestätigung. Für viele Eltern ist das ein wichtiger Baustein bzw. eine wichtige Einsicht und Erkenntnis, die dir hilft zu akzeptieren, dass Essstörungen genauso wenig die Schuld oder die Entscheidung deines Kindes oder eurer Familie sind wie andere Krankheiten wie...