Eggmann / Nydahl | Frühmobilisation in der Intensivbetreuung | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 192 Seiten

Eggmann / Nydahl Frühmobilisation in der Intensivbetreuung

Mobilität einschätzen, umsetzen, evaluieren

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

ISBN: 978-3-17-042429-6
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Frühmobilisation wird bei IntensivpatientInnen zur Bewegungsförderung und -erhaltung so früh wie möglich nach deren Aufnahme auf der Intensivstation begonnen. Ein Verfahren, dessen Wirksamkeit wissenschaftlich belegt und eine in erster Linie pflegerische und physiotherapeutische Intervention ist. Das Werk liefert eine praktische Anleitung und dient zur Implementierung der Frühmobilisation im pflegerischen bzw. therapeutischen Alltag, beinhaltet die aktuelle Evidenz zur Frühmobilisation und Kriterien zum Ein- und Ausschluss von PatientInnen, einfache, erlernbare Assessments zur Einstufung der Mobilität und eine Schritt-für-Schritt-Anleitung zu Aufbau und Durchführung der Mobilisation. Weiterhin werden Anleitungen zur Implementierung in multiprofessionelle Teams unterschiedlicher Disziplinen im Krankenhaus geliefert und beispielhafte Protokolle zur Dokumentation vorgestellt, häufige Barrieren und entsprechende Strategien praxisnah erklärt, spezifische Herausforderungen im Alltag anhand von Praxisbeispielen diskutiert und hilfreiche Tipps und Tricks vermittelt. Ein persönlicher Erfahrungsbericht führt als roter Faden durch das Buch und zeigt die Wichtigkeit einer personenzentrierten und individuellen Umsetzung auf.
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1 Hintergrund
? Erleben der Intensivstation: Ein persönlicher Fallbericht erzählt von Daniel Aebersold Durch meine sehr schwere Covid-Erkrankung war ich rund acht Wochen an eine ECMO angeschlossen und rund sechs Wochen im künstlichen Koma. In der Zeit des künstlichen Komas erlebte ich unzählige Geschichten unterschiedlichster Art. Beispielsweise war ich im vordersten Wagen eines Zuges unterwegs. Der Zug war offen und hatte keine Scheiben. Die Fahrt führte über einen hohen Pass und ich hatte nur sehr schlechte Kleidung. Mir war sehr kalt und ich kämpfte gegen den Erfrierungstod. Aber auch viele unterschiedliche Erlebnisse, in denen ich in irgendwelchen Häusern in meiner näheren Umgebung wohnte, die ich aus meinem realen Alltag gut kenne. Dabei war ich meist krank und musste betreut werden, teilweise hatte ich sehr gute Betreuung wie z.?B. durch meine Frau und teilweise wurde ich von fremden Menschen in irgendwelchen Ställen gehalten wie ein Tier. Dann auch verschiedenste Erlebnisse, in denen ich an Kreuzungen stand und mich für einen Weg entscheiden musste. Weiter befand ich mich auch oft in irgendwelchen Tunnel und sah in der Ferne Licht. Später hatte ich wohl trotzdem mitbekommen, dass ich von Thun nach Bern verlegt wurde, denn ich irrte in meinen Geschichten nun stundenlang in der Stadt Bern umher. Dabei wollte ich unbedingt nach Hause, hatte aber kein Geld und erneut nur sehr schlechte Kleidung. Auch in diesen Geschichten war es wieder bitterkalt und ich kämpfte gegen den Erfrierungstod an. In diesen Geschichten kam immer wieder eine sehr warmherzige Frau vor, die mich irgendwo umherirrend oder irgendwo todkrank liegend aufsuchte. Sie hielt mir immer die Hand, sie hatte eine wunderbar warme Hand und ich genoss es unbeschreiblich, wenn sie meine Hand hielt. Sie war meine letzte Hoffnung. In einigen Geschichten lag ich im Spital. Die Räume, in denen ich lag, waren sehr unterschiedlich. Teilweise waren es riesige Hallen voller Betten mit schwer kranken Menschen. Es herrschte viel Hektik und Aufregung. Teilweise wurde ich von den Pflegenden in diesen Geschichten auch beschimpft, da ich z.?B. erbrechen musste und mein Bett verschmutzte, oder weil ich Hilfe brauchte und klingelte. In einer anderen Geschichte lag ich ebenfalls in einem Spital, das wie ein farbiges rundes Schaufenster aussah mit bunten Lichtern. Die Pflegenden sagten uns Patienten, dass wir für ein paar Stunden in die Stadt gehen dürfen. Alle gingen, nur ich konnte mich nicht bewegen. Die Bettdecke auf mir war so schwer, dass ich mich darunter nicht bewegen konnte, und so musste ich im Bett liegen bleiben. Ich kämpfte mit aller Kraft gegen die Last, aber alles umsonst. 1.1 Geschichte der Frühmobilisation
Sabrina Eggmann & Peter Nydahl Die Idee der Frühmobilisierung ist nicht neu. Jahrhundertelang haben sich Menschen trotz schwerer Erkrankung weiterhin bewegt, sofern dies rein physisch noch möglich war. Die Idee der Genesung durch Bettruhe entstand erst im 19. Jahrhundert. Aufgrund von technischen Anpassungsschwierigkeiten von Beatmungsmaschinen resultierte eine tiefe physische und mentale Immobilisierung mit tiefer Sedierung auf Intensivstationen. Erst in den letzten 20 Jahren ist wieder ein Paradigmenwechsel von weniger Sedierung und mehr Aktivität zu bemerken. 1.1.1 Paradigmenwechsel
In den 1990er Jahren waren wir davon überzeugt, PatientInnen auf Intensivstationen durch tiefe Sedierung und Immobilisierung vor Schaden und Stress zu schützen (Strom and Toft, 2014). Wir sind davon ausgegangen, das Richtige zu tun, indem wir bei Personen mit Herzinsuffizienz oder schwerer Lungenfunktionsstörung den Sauerstoffverbrauch minimierten und sie durch eine tiefe Sedierung von erhöhtem Stress abschirmten (? Tab. 1.1). PatientInnen wurden zum Teil relaxiert, um die Funktionsweise der Beatmungsgeräte optimal zu gewährleisten und störende Interaktionen zu minimieren. Ein »gegen das Beatmungsgerät kämpfen« wurde damals als häufiges Problem beschrieben. Allerdings verließ keiner aus dieser schwerkranken Patientengruppe die Intensivstation zu Fuß. Das Weaning von der Beatmung gestaltete sich zunehmend als sehr schwierig. Entsprechend stellten immer mehr KlinikerInnen eine tiefe Sedierung in Frage (? Tab. 1.1). Erste Studien unterstützten diese Ansichten, indem sie aufzeigten, dass tägliche Aufwach- oder Spontanatmungsversuche oder eine Kombination aus beidem die Zeit an Beatmungsgeräten und auf der Intensivstation verkürzten und die Mortalität weiter reduzierten (Ely, 2021, Girard et al., 2008). Als kritisch kranke PatientInnen weniger tief sediert und dadurch wacher waren, wurde zunehmend das Problem des Deliriums erkannt. Dies führte zur Erstellung des ersten Assessments zur routinemäßigen Überprüfung eines Deliriums mittels der »Confusion Assessment Method for the Intensive Care Unit« (CAM-ICU) (Ely et al., 2001). Fast zeitgleich führte Stiller aus Australien ein erstes Protokoll zur Frühmobilisierung von IntensivpatientInnen ein (Stiller, 2004) und etwas später gelang Bailey et al. eine Meilensteinstudie, in der sie zeigten, dass auch beatmete PatientInnen sicher aus dem Bett mobilisiert und über die Intensivstation gehen konnten (Bailey et al., 2007). Dabei kam es zu keinen akzidentellen Extubationen und die meisten unerwünschten Ereignissen (< 0.1?%) waren vorübergehende physiologische Veränderungen. Die Vorteile einer frühen Mobilisation während der täglichen Spontanatmungs- und Aufwachversuche wurden mittels einer randomisierten kontrollierten Studie von Schweickert et al. demonstriert, wobei eine frühe Mobilisierung zu einer erhöhten Selbständigkeit bei der Krankenhausentlassung und zu weniger Delirium auf der Intensivstation führte (Schweickert et al., 2009). Zunächst von der Welt unbemerkt, haben dänische Intensivstationen komplett aufgehört ihre PatientInnen zu sedieren (Strom et al, 2014). Dabei haben sie festgestellt, dass sich das psychologische Outcome von nicht-sedierten zu sedierten Personen nicht unterschied. Die Annahme, dass eine Sedierung mit einer Abschirmung vor psychologischen Spätfolgen schützen sollte wurde dadurch weiter hinterfragt (Nedergaard et al., 2020). Um auf die Spätfolgen einer langen Immobilisierung und eines Weaningversagens hinzuweisen, wurde der Begriff »Post Intensive Care Syndrome« entwickelt (Needham et al., 2012). Dadurch werden langfristige Folgen einer kritischen Erkrankung sichtbar. Es erlaubt eine einfachere Identifikation betroffener Personen, ermöglicht aber auch die Prävention und zukünftige Therapien. Die Vorteile und Schäden einer tiefen Sedierung, Lähmung und Immobilisierung wurde also zunehmend in Frage gestellt. Es entstand ein neues Paradigma. Die PADIS-Leitlinie (Pain, Agitation/Sedation, Delirium, Immobility, Sleep Disruption: prevention and management) (Devlin et al., 2018) rückte den Schlaf, die Mobilisierung und eine familienzentrierte Versorgung in die Gegenwart und betrachtete die Integration von Angehörigen in die Versorgung als essenziell (Davidson et al., 2017). Das ABCDEF-Maßnahmenbündel, welches wir heute noch anwenden, entstand (? Kap. 1.4). Tab. 1.1:Entstehung des ABCDEF-Maßnahmenbündels (eigene Zusammenstellung) Jahr Paradigma: Wir schützen PatientInnen durch tiefe Sedierung und Immobilisierung. 1995 Tägliche Spontanatmungsversuche (SBT) reduzieren die Entwöhnungszeit (Ely et al., 1996). 2000 Tägliche spontane Aufwachversuche (SAT) reduzieren die Verweildauer auf der Intensivstation (Kress et al., 2000). 2001 Kombinierte tägliche SBT & SAT reduzieren Beatmungs- und Verweildauer und sind lebensrettend (Girard et al., 2008). 2001 Ein Delir kommt häufig vor und kann erkannt werden (Ely, 2021). 2004 Die Frühmobilisierung von IntensivpatientInnen anhand von Protokollen ist machbar und sicher (Stiller, 2004). 2007 Gehen mit Beatmung und endotrachealem Tubus ist machbar und sicher (Bailey et al., 2007). 2009 Frühe Mobilisierung verbessert funktionelle Ergebnisse (Schweickert et al., 2009). 2010 Keine Sedierung verkürzt die Beatmungs- und Verweildauer (Strom and Toft, 2014). 2012 Viele IntensivpatientInnen haben langfristige Gesundheitsprobleme: Definition des...


Sabrina Eggmann, Dr. phil, MSc, Physiotherapeutin und Therapieexpertin im Bereich Respiratory auf der Intensivstation am Inselspital, Universitätsspital Bern, Schweiz. Verantwortlich für das Curricula CAS Physiotherapie auf der Intensivstation der Berner Fachhochschule.
Peter Nydahl, Dr. rer. hum. biol., BScN, MScN, Pflegewissenschaftler, Pflegeforschung und -entwicklung am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Kiel. Mitbegründer des internationalen Netzwerks Frühmobilisation.

Mit Beiträgen von:
Daniel Aebersold, Jochen Bräunig, Rolf Dubb, Matthias Thomas Exl, Silke Filipovic, Rahel Frohofer, Julius J. Grunow, Valentine Stefanicki Hanschur, Carsten Hermes, Marie-Madlen Jeitziner, Arnold Kaltwasser, Hajime Katsuwaka, Angela Kindler, Silke Klarmann, Ruth Stauffer Lacorcia, Jonas Maurer, Hendrik Mende, Béatrice Jenni Moser, Stefan Nessizius, Oliver Rothaug, Stefan J. Schaller, Silke Stebner, Martin L. Verra, Christa Villinger und Frankziska Wüthrich.


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