E-Book, Deutsch, 118 Seiten
Ehmke Klein Fein Böse
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-7565-7052-2
Verlag: neobooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 118 Seiten
ISBN: 978-3-7565-7052-2
Verlag: neobooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Jutta Ehmke schreibt vorwiegend Phantastik in der Tradition von Michael Ende. Entsprechend geht es in den meisten ihrer Romane und Kurzgeschichten magisch, mystisch, märchenhaft zu. Selten fehlt den Geschichten ein Happy End, und sie begeistern alters- und generationenübergreifend.
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Und das Pony, das hat Zähne und die trägt es im Gesicht
Christian Metzger
Wölkchen wartete in einer der hinteren Stallboxen, und es brach Lena fast das Herz, ihr Pony so zu sehen.
„Mussten Sie es auch noch festbinden?“ Lena funkelte den Tierarzt und seinen Helfer Roman an. Sie streckte die Hand durch das Gitter, und das kaum hüfthohe Pony kam zu ihr, soweit es seine Kette erlaubte. Lena streichelte sein braunes Fell und kraulte es anschließend am Kopf.
„Glauben Sie ernsthaft, Wölkchen sei gefährlich?“
„Um das festzustellen, sind wir hier.“
Dr. Wagner war ein stämmiger Mann mit lichtem grauem Haar. „Es gibt einige Vorfälle, die wir besprechen müssten.“
„Der kleine Teufel hat mich gebissen.“ Der Helfer, ein mürrischer Mann mit wütenden Augen, hielt seine bandagierte Hand hoch. „Dieses Pony hat ein Gebiss wie ein Hai und ist hinterhältig wie ein Vampir.“
Unglücklicherweise suchte Wölkchen sich gerade diesen Augenblick aus, um die Zähne zu fletschen. Dr. Wagner und Roman wichen zurück. Lena konnte Wölkchen mit ein paar leise gemurmelten Worten besänftigen. Wenn es ihr doch nur gelänge, sich ebenfalls zu beruhigen.
„Sie wollen Wölkchen einschläfern, das stimmt doch?“
Lena traten Tränen in die Augen. Wölkchen, das ihren Stimmungsumschwung spürte, stieß sie sanft mit der Nase an und sah treuherzig zu ihr auf. Es war wirklich schwer zu verstehen, wie ein so kleines Pony solchen Ärger verursachen konnte.
Dr. Wagner schüttelte den Kopf. „Die Sache ist noch nicht entschieden. Dein Pony ist hier gut versorgt, wie du siehst. Wollen wir uns nicht in meinem Büro unterhalten?“
Dr. Wagner bot ihr in seinem Büro einen Kaffee an, aber sie lehnte dankend ab. Lena verschränkte ihre Hände, damit die beiden Männer nicht sehen konnten, wie sie zitterten. Roman blieb neben der Tür stehen. Ein kurzer Blick in sein Gesicht genügte Lena, um zu erkennen, dass er sein Urteil bereits gefällt hatte. Dr. Wagner griff nach Block und Kugelschreiber und machte sich Notizen.
„Um was für ein Pony handelt es sich denn genau bei Wölkchen? Offensichtlich ist es eine mehr als exotische Kreuzung.“
Roman rührte sich. „Die Frage ist nur, ob sie einen Werwolf oder einen tollwütigen Hund eingekreuzt haben!“
„Der Verkäufer meinte, Wölkchen wäre eine Mischung aus Mini-Shetlandpony und so etwas wie einem Wasserpferd. Daher die Zähne.“
„Ein Wasserpferd?“ Dr. Wagner runzelte die Stirn. „Von so etwas habe ich noch nie gehört.“
„Die kommen wohl in Schottland und Irland vor und verbringen viel Zeit im Wasser. Und ich bin sicher, das ist die Wahrheit. Wölkchen badet für sein Leben gern. Ich habe dem Verkäufer gesagt, ich hätte einen Teich im Garten, und nur eine Viertelstunde entfernt gibt es einen großen See. Da hat er gemeint, Wölkchen würde sich bei mir sicher wohlfühlen.“
„In welcher Tierhandlung hast du Wölkchen denn gekauft?“, fragte Dr. Wagner. „Hast du noch die Quittung?“
„Ich habe für Wölkchen gar nichts bezahlt. Der Verkäufer meinte, es wäre ohnehin sehr unwahrscheinlich, dass es jemand anderes kauft.“
Roman verschränkte die Arme. „Das kann ich verstehen.“
„Ich war in der Frankfurter Innenstadt in einer Zoohandlung“, berichtete Lena. „Da hat mich ein anderer Kunde angesprochen und mir eine kleine Tierhandlung in einer ganz verwinkelten Seitengasse empfohlen. Da war nicht einmal ein Schild dran. Aber drinnen hatten sie eine wunderbare Auswahl. Als ich Wölkchen gesehen habe, war es Liebe auf den ersten Blick.“
Dr. Wagner seufzte. „Du besitzt also keinerlei Unterlagen, keinen Herkunftsnachweis? Etwas Schriftliches?“
Lena schüttelte den Kopf. „Es tut mir leid. Ich habe keine Papiere.“
„Es könnte von wer-weiß-woher kommen!“ Roman konnte sich nicht länger zurückhalten. „Es könnte eine illegale Kreuzung aus irgendeinem Labor sein! Dr. Wagner, wir müssen das Biest einschläfern!“
Dr. Wagner seufzte erneut. „Lena, warum erzählst du uns nicht, wie Wölkchen sich bei dir eingelebt hat? Was für einen Eindruck hat es auf dich gemacht?“
„Wölkchen fehlt es bei mir an nichts. Ich besitze ein großes Grundstück mit einer Wiese am Waldrand, alles natürlich eingezäunt. Und ich habe Wölkchen noch einen neuen Stall gebaut, direkt am Teich. Auf einem Nachbargrundstück gibt es andere Pferde, es hat also ein wenig Gesellschaft. Und ich gehe täglich mit ihm spazieren, natürlich vor allem an den See. Im Wasser ist Wölkchen wie ein Labrador. Man bekommt es abends nur mit Mühe wieder heraus.“
„Mir kommen die Tränen“, stieß Roman hervor. „Wahrscheinlich erzählst du uns als nächstes, Wölkchen hätte nur Gras und Heu gefressen und war immer zahm wie ein Lamm?“
„Natürlich füttere ich Wölkchen mit Fleisch! Der Verkäufer hat mir genau erklärt, dass Wölkchen regelmäßig frisches Fleisch braucht. So wie Hunde, Katzen und viele andere Tiere auch. Das macht noch lange keine Bestie aus ihm! Im See hat es sogar Jagd auf Fische gemacht, und im Garten manchmal auf die Vögel. Aber es hat nie einen erwischt. Dafür habe ich nie Probleme mit Mäusen oder Ratten.“ Sie zögerte, ehe sie fortfuhr. „Ich gebe zu, mit den anderen Tieren hat es sich nicht so gut verstanden. Wenn Spaziergänger mit Hunden an unserem Zaun vorbeigehen, fletscht Wölkchen die Zähne. Und die Pferde der Nachbarn mögen ihn nicht. Aber zu mir ist Wölkchen immer lieb, und wenn ich es ausführe, habe ich es an der Leine.“
„Und die vermissten Hunde?“ Dr. Wagner öffnete eine Schublade und zog einen Stapel ausgeschnittener Zeitungsartikel hervor. „Acht Fälle von Hunden, die hier in der Gegend spurlos verschwunden sind.“
Lena sah auf ihre Hände. „Davon habe ich auch schon gehört. Aber verschwinden anderswo nicht auch immer mal wieder Hunde? Ich versichere Ihnen, Wölkchen hat nicht das Geringste damit zu tun. Denken Sie vielleicht, dass Wölkchen daran schuld sein könnte? Wollen Sie etwa unterstellen, es hätte die Hunde gefressen?“
„Dafür habe ich keine Beweise, auch wenn diese Berichte einen gewissen Verdacht nahelegen.“
Dr. Wagner klopfte auf die Zeitungsartikel. „Da gab es noch den Vorfall mit diesem jungen Mann, Jonas Neumann?“
Lena wurde rot und rutschte verlegen auf ihrem Stuhl herum. „Das war ein großer Fehler.“
Roman lachte auf. „So kann man es auch nennen. Um ein Haar hätte dein süßes Monsterpony ihn schwer verletzt!“
Dr. Wagner hob die Augenbrauen. „Warum erzählst du uns nicht, was damals passiert ist?“
Lena zwang sich, Dr. Wagners Blick nicht auszuweichen. „Das ist über zwei Jahre her. Jonas … er war für ein paar Monate mein Freund, hat aber dann mit mir Schluss gemacht. Wegen einer anderen. Das war genau zwei Tage vor dem … Zwischenfall.“ Lena holte tief Luft. „Ich bin mit Wölkchen meine übliche Runde um den See gegangen, und da habe ich Jonas am Ufer gesehen. Mit seiner neuen Flamme. Die beiden haben sich geküsst, und da sind mir die Sicherungen durchgebrannt.“
„Ich habe mit dem jungen Mann gesprochen“, sagte Dr. Wagner. „Du hast Wölkchen von der Leine gelassen und es auf ihn gehetzt!“
Lena senkte den Blick. „Es tut mir leid. Das war ein großer Fehler. Ich hatte Wölkchen erst ein paar Wochen und habe es noch nicht so gut gekannt. Es hat sich wie ein Terrier auf Jonas gestürzt, sein Bein gepackt und ihn ins Wasser gezerrt. Ich bin gleich hinterher, habe Wölkchen an der Mähne gepackt und von Jonas weggerissen. Jonas wurde kaum verletzt, es war nur eine Fleischwunde am Bein. Und er hat deswegen ja auch keine Anzeige erstattet.“
„Nimm mich nicht auf den Arm.“ Dr. Wagner beugte sich vor. „Du hast Jonas Neumann bezahlt. Nur deshalb hat er dich nicht angezeigt.“
Lena schwieg und spürte, wie sie noch mehr errötete.
Roman räusperte sich. „Womöglich ist das Problem nicht nur das Tier, Dr. Wagner. Die Halterin ist zu jung und nicht geeignet für die Haltung einer solchen Bestie.“
Lena schluckte. „Wie können Sie das sagen?“
Dr. Wagner rieb sich nachdenklich das Kinn. „Ich befürchte, zu diesem Eindruck komme ich auch. Gegen die Haltung eines potenziell gefährlichen Tieres ist nicht grundsätzlich etwas einzuwenden. Allerdings gibt es, wie auch bei der Haltung von gefährlichen Hunden, bestimmte Auflagen. Volljährigkeit, das Vorlegen eines polizeilichen Führungszeugnisses, teilweise sogar einen Sachkundenachweis.“
„Mein Führungszeugnis ist so weiß wie Ihre Wand. Und ich bin seit einem halben Jahr volljährig!“
„Aber nicht, als du Wölkchen erworben hast“, erwiderte der Tierarzt. „Und in Anbetracht der Umstände wäre ein gesonderter Nachweis der Zuverlässigkeit oder eine bestandene Sachkundeprüfung mehr als angebracht.“
„Wölkchen ist ein Pony, kaum größer als ein durchschnittlicher Hund!“
„Ein Pony mit Zähnen“, hielt Dr. Wagner dagegen.
„Wenn es sein muss, dann mache ich eben so eine dämliche Sachkundeprüfung!“ Lena war mit ihrer Geduld am Ende. „Bekomme ich Wölkchen dann auch ganz sicher zurück?“
„Wohl kaum“, mischte sich Roman ein. „Kommen wir zum nächsten … Zwischenfall. Im vergangenen Jahr soll ein Tier in den Hühnerstall des Bauern Krauss eingedrungen sein und die Hühner gefressen haben. Alle zehn. Zuerst glaubte man, es wäre ein Fuchs gewesen. Zumindest so lange, bis Herr Krauss sich den Film auf seiner Überwachungskamera angeschaut hat.“
Roman legte mehrere Fotos auf den Tisch. Lena schwieg und bemühte sich um einen neutralen Gesichtsausdruck. Wenigstens waren die Fotos...