E-Book, Deutsch, 214 Seiten
Eilers Ebenholz und schwarze Tränen
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-944459-60-8
Verlag: Bedey Media GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Yakub Singer ermittelt
E-Book, Deutsch, 214 Seiten
ISBN: 978-3-944459-60-8
Verlag: Bedey Media GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Wie Gitterstäbe nehmen sich die Hände aus, die aus dem Dunkel auf ihn zustoßen. Und vor ihm liegt der Abgrund. »Don't«, stammelt er. »Please, no.« »Oh, doch...«, flüstert der Killer. Dr. Bill Paddy hört es schon nicht mehr. Mit einem dumpfen Klatschen taucht sein Körper in das eiskalte Wasser der Elbe und verkeilt sich zwischen den treibenden Eisschollen. In Hamburg tagen Deutschlands Edelholzimporteure. Dr. Bill Paddy, ein harter Kritiker des Edelholz-Raubbaus in der Dritten Welt und Mitglied einer Delegation aus Liberia, treibt tot in der Elbe. Mord oder Unfall? Privatdetektiv Yakub Singer soll es herausfinden. Seine Recherche wird begleitet von seltsamen Todesfällen, die nicht nur ihn, sondern auch die schwarze Prinzessin Uva aus Monrovia in bedrohliche Situationen bringt. Ein lausig kalter Winter. Aber ein brennend heißer Fall um kompromisslosen Profit für wenige oder Regenwald für das Weltklima. Ein Thriller am Hamburger Hafenrand mit Fluchtpunkten in Berlin und an der Ostsee.
REIMER BOY EILERS - Seine Kindheit verlebte der vielseitige Autor in den fünfziger und sechziger Jahren auf Helgoland - mit einem Onkel als Haifischer und einem Großvater als Leuchtturmwärter, umweht vom Duft der weiten Welt, umspült vom Wasser, das in alle Richtungen führt. In der Familie wurde er Boy gerufen, eine Reminiszenz an englische Kolonialtage. Er studierte Wirtschaftswissenschaften und arbeitete an der Universität. Dann entdeckte er die Literatur für sich - und wurde sogleich mit dem Debüt-Preis der Frankfurter Buchmesse 1984 auf diesem Weg bestätigt. Seit vielen Jahren ist Reimer Boy Eilers Landesvorsitzender des Verbands deutscher Schriftsteller in Hamburg und Mitglied im Syndikat, der Vereinigung deutschsprachiger Kriminalschriftsteller.
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Die freien Tage waren futsch
Vor mir lagen zwei freie Tage. Ich nahm die letzten Stufen der Außentreppe mit einem Schritt. Keine Frage, spätestens der Abschlussbericht muss auf eine bestimmte Version angelegt sein. Sonst hält die Unzufriedenheit Einzug, und der Kunde grübelt. Und zwar nicht über die Undurchsichtigkeit der Welt, sondern darüber, dass er den Falschen beauftragt hat. Menschen hassen alles, was mit Unsicherheit zusammenhängt: die Zukunft, das Wetter, die Börse. Und Berichte, für die sie teuer bezahlt haben und in denen steht: Es könnte so sein, es könnte aber auch anders gewesen sein. Der Mensch möchte an die Hand genommen werden, wie einst in der Kindheit. Es geht in unserer Branche also nicht um die Wahrheit, die ohnehin überschätzt wird, sondern um den Verkauf einer Dienstleistung, das hat mittlerweile jeder erkannt. Die Fakten müssen stimmen, das ja. Dafür ermitteln wir. Und dann müssen sie zum Sprechen gebracht werden. Mein Büro im Hochparterre hatte ich hinter mich gebracht und quasi bereits vergessen, so war meine Stimmung, als ein Fenster klappte. »Herr Singer, du sollst noch mal rauf zum Chef!« Die Stimme gehörte Elfriede, der Sekretärin von Dr. Leo Seiler. Ich warf einen sehnsüchtigen Blick die belebte Ehrenbergstraße hinunter und seufzte. Bei Seiler im zweiten Stock des baufälligen Hauses (Chefetage, bah) roch es nach Eukalyptus. Ein großer dünner Mann saß vor Seilers Schreibtisch, eine Hand in der ausgebeulten Tasche seines Cordjacketts vergraben, das auf diese Weise über dem Bauch sperrte, trotz der Magerkeit seines Trägers. Er raschelte mächtig mit der verborgenen Hand und zog einen grün eingewickelten Eukalyptusbonbon hervor, den er auswickelte und in den Mund steckte, ohne abzuwarten, bis Seiler mich vorstellte. Sein Unterkiefer bewegte sich dabei gerade soweit, dass der grüne Bonbon aus dem grünen Papier hindurch passte. Als er damit fertig war und aufstand, streckte er mir die Hand an einem langen dünnen Arm entgegen. Ich hatte den Geruch in der Nase und eine plastische Vorstellung davon, dass der Eukalyptus einer der am schnellsten wachsenden Bäume auf dieser runden Erde ist. Aber ich hatte im gleichen Moment, tüddelüt noch mal, keine Ahnung, wo ich dieses Wissen aufgeschnappt hatte oder wozu es mir jemals dienen sollte. »Freut mich«, sagte der dünne Mann. Das trieb mir eine weitere Wolke Eukalyptus-Aerosol entgegen. Das Händeschütteln gab mir Gelegenheit, einen Blick auf die Uhr zu werfen, die mit einem schlichten schwarzen Lederarmband an seinem dünnen Handgelenk hing, bevor der Ärmel des Jacketts wieder darüber glitt. Es war eine Ulysse Nardin, die Edition Astrolabium Galileo Galilei, ein teuflisches Wunderwerk, das nicht nur die gesetzliche und die Lokalzeit lieferte, sondern gleichfalls die Aspekte der Gestirne, Mondphasen und alle Arten von Finsternissen, auf Jahre und Jahrzehnte hinaus. Ein Exemplar dieser Art von Chronometer war mir mal im Zusammenhang mit einem Versicherungsfall am Jungfernstieg unter die Augen gekommen. Sonst hätte ich mich nie für das Ding interessiert, denn mit meiner Arbeit war das Schaustück nicht zu kaufen. Und da baumelten vierzig- bis fünfzigtausend Franken am Handgelenk des dünnen Mannes. Das brachte mich vom Eukalyptus in die Realität zurück. Ich schaute über das Häuflein von grünem Bonbonpapier, das unser neuer Kunde produziert hatte, auf die andere Seite des Schreibtisches und registrierte, dass Dr. Leo Seiler sich das Rauchen verkniff. Er spielte gequält mit einem Bleistift. Die Spitze deutete momentan auf den zweiten Besuchersessel. Ich schwang mich salopp hinein, ich hatte ja eigentlich frei. »Dies ist ein grobes Missverständnis«, sagte ich. »In diesem Land ist die Leibeigenschaft abgeschafft und die Freizeit heiliggesprochen. Und daran ändern auch kleine Klitschen ohne Betriebsrat nichts. Ich habe seit fünf Minuten Feierabend.« Seiler verzog keine Miene. »Tut mir leid. Aber der Fall ist sehr delikat.« Ich musste mich beherrschen. Ich mochte seine kulinarische Sprache nicht, und ich vermied einen direkten Blick in das fleischige Gesicht mit dem übertriebenen Mund. Seiler spitzte die Lippen, wo es um Frauen ging, und schürzte sie kummervoll beim Thema Geld, oder das Thema Frauen machte ihm Kummer und das Geld ihn vergnügt. Im Vorhinein war die Geschmackssache nie ausgemacht. Immer aber stand bei diesem Mund zu befürchten, dass er alles Appetitliche wahllos hinunterschlingen würde. Besonders liebte es Dr. Allwissend, als in Salz-und-Pfeffer gekleideter Buddha hinter seinem Schreibtisch zu hocken und Recherchen auf Lücken hin zu überprüfen. Sein Mund arbeitete, seine Glatze glänzte, ein Spiegel der Weisheit. Ich stellte mir in diesen Momenten jedes Mal vor, wie ich seinen behaarten Bauch rasieren würde. Was man als Angestellter so für Fantasien hat. Kurz, für mich ist es der Tiefpunkt meiner Arbeit, wenn ich Seiler einen Fallbericht abzuliefern habe. Denn wir sind auf schriftlichem Gebiet wie Hund und Katze. Mein Verhältnis zu unseren Recherchen ist ein geschäftsmäßiges, wie schon beschrieben. Ich reichere höchstens das Umfeld an, um die Glaubwürdigkeit von wackligen Vermutungen zu erhärten. Dr. Leo Seiler aber ist ein verkappter Künstler der Kriminalgeschichte. Er malt die leeren weißen Stellen aus. Und er hat eine Vorliebe für Adverbien. Als Chef konnte er sich das leisten, wir taten die Arbeit. Timus Wallraven, unser neuer Kunde, bewegte den Unterkiefer um ein Weniges, stopfte sich ein Eukalyptusbonbon zwischen die hageren Wangen und machte mich mit dem Kongress vertraut, an dem Dr. Bill Paddy noch gestern in vorderer Reihe teilgenommen hatte. Seiler nickte hinter seinem Schreibtisch bei jedem Punkt, den er schon zuvor gehört und sich mit seinem nervösen Bleistift notiert hatte. »Nie wieder gutzumachen ist das Artensterben«, sagte Timus Wallraven. »Auf einem Quadratkilometer Regenwald finden sich mehr Baumarten als ganz Europa zusammen besitzt.« Sterben. Ich steckte mir erst mal eine an, ich hatte frei. Feierabend, draußen hing schon der abnehmende Mond starr über dem Viertel. Vom nahen Hafen dröhnte ein Schiffshorn aufreizend herüber: Weg da, jetzt komm ich! Man hörte bei uns in den Büros noch die unwahrscheinlichsten Geräusche. Wir waren inzwischen so ungefähr der letzte Altbau am Platz ohne doppelt verglaste Thermopane-Fenster. Der Rauch meiner Zigarette besänftigte mich vorübergehend. Seilers Augenbrauen wanderten die hohe Stirn hinauf. Ich sah es, ohne ihn direkt anzuschauen. Timus Wallraven rückte bloß ein wenig von mir ab. Es reichte nicht, um den grünen Geruch völlig von mir fern zu halten. Er fuhr jetzt damit fort, mich über seine speziellen Interessen an dem Fall ins Licht zu setzen. »Okay«, unterbrach ich ihn nach wenigen Sätzen. »Ich hab Ihr Gesicht schon ein paar Male in den Medien gesehen.« Mein Kommentar war bereits einer zu viel. Die beiden freien Tage waren futsch. Der dünne Mann schaute mich beifällig an: »Sie verfolgen unser Anliegen, Herr Singer?« »Nicht direkt«, sagte ich. »Das meine ich nicht. Ich meine, ich hab Ihr Gesicht ein paar Male in Filmen gesehen, die ich gerade nicht vermeiden konnte, deutsche Heimatfilme. Meistens spielten Sie einen halbverhungerten Knecht auf einem Einödhof, der später die Tochter des Einödbauern heiratete.« Wallraven betastete unwillkürlich die Ulysse Nardin an seinem dünnen Handgelenk. »Ach so!« Ein Ausdruck von Verachtung trat in sein hageres Gesicht. »Das ist lange her, Herr Singer.« »Lassen Sie ihm nur sein Programm«, mischte sich Seiler ein, an seinen Kunden gewandt. »Das tut nichts zur Sache. Mir sind Ihre aktuellen Beiträge durchaus gewärtig. Ich schätze sie sehr. Und was meinen Mitarbeiter hier betrifft, kann ich Ihnen versichern: Ein unentwickeltes Kunstverständnis kann sich durchaus mit einer erstklassigen Ermittlungsarbeit paaren.« Ich überging Seilers Einwurf. »Es handelt sich also um die Regenwälder, Herr Wallraven. Aufklärung, Aktionen, sympathisch, gewaltlos. David gegen Goliath, okay. Aber haben Sie in Ihrem Verein nicht auch einige Radikale? Solche von der heftigen Art? Ich meine nur, bevor ich einen Fall übernehme, muss ich entscheiden, auf wessen Seite ich mich schlage.« Den aktuellen Pegelstand von Seilers Augenbrauen brauchte ich nicht erst zu erkunden. Mir war es um Wallravens Reaktion zu tun. »Auf jeder guten Suppe schwimmen ein paar Fettaugen«, sagte er. »Man schätzt sie im Zeitalter der Biokost eigentlich nicht, aber sie geben dem Gemüse erst die richtige Kraft.« »Ja, okay«, sagte ich und ärgerte mich sofort über mein ewiges Okay, das ich mir vermutlich aus billigen amerikanischen Medien abgehört hatte. Obwohl, alle jungen Leute sagten heutzutage okay, und warum sollte ich nicht mal wieder ein bisschen jung sein? »Ich bin von Haus aus mehr ein Sozialdemokrat, bescheiden und sozialversicherungspflichtig«, erläuterte ich. »Aber ich trete andauernd in Fettnäpfchen. Ein Erbteil meiner Mutter, mein Erzeuger hat sich deswegen von ihr abgesetzt.« »Herr Singer«, sagte Timus Wallraven mit einer sanft tönenden Kanzelstimme und einem Atem, der getränkt war von grünem Aroma, »dies ist das erste Mal für die Bundesrepublik, dass eine offizielle Delegation aus der Dritten Welt unsere Positionen vertritt. Meine Freunde und ich sind nicht ganz unbeteiligt an diskreten Kontakten gewesen, um die Liberianer auf diese Business-Veranstaltung zu kriegen. Und nun habe ich für mich eine ganz persönliche moralische Verpflichtung. Was genau ist mit Dr. Paddy passiert? Unser Verein hat auf dem Kongress selbstverständlich Hausverbot, sie mögen unsere Flugblätter und...