Eissrich / Frambach | Der dritte Weg der Päpste | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 284 Seiten

Eissrich / Frambach Der dritte Weg der Päpste

Die Wirtschaftsideen des Vatikans

E-Book, Deutsch, 284 Seiten

ISBN: 978-3-86496-926-3
Verlag: UVK
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Ökonomie und Kirche – das ist kein Widerspruch. Klöster häuften früher durch geschicktes Handeln ein gewaltiges Vermögen an. Heute finden religiöse Werte durch den Corporate-Governance-Kodex Eingang in die Geschäftswelt und christliche Parteien prägen die Wirtschaftspolitik.

Auf das Spannungsfeld zwischen Staat, Wirtschaft und Gesellschaft gehen Päpste durch Sozialenzykliken seit dem 19. Jahrhundert ein: Leo XIII. forderte 1891 Lohngerechtigkeit sowie Arbeitnehmerrechte und gab damit der Sozialpolitik in Europa Aufwind. Weitere Sozialenzykliken folgten, wenn das freie Spiel der Marktkräfte zu sozialen Problemen führte. 2009 verwies Benedikt XVI. nach der Finanzkrise darauf, dass Globalisierung von einer „Kultur der Liebe“ beseelt sein müsse. Damit brachte er die Globalisierung mit Verteilungsgerechtigkeit und Gemeinwohl in Zusammenhang.

Auf die Sozialenzykliken der Päpste gehen die Autoren im Detail ein: Sie beleuchten den geschichtlichen Kontext ebenso wie deren Auswirkungen auf Wirtschaft und Politik. So skizzieren sie einen dritten Weg der Päpste – ein alternatives Wirtschaftskonzept zwischen Kapitalismus und Kommunismus.
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I. Die Arbeiterfrage – zwischen Kapitalismus und Sozialismus
Die Situation in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Das 19. Jahrhundert ist gekennzeichnet durch den Prozess der Industrialisierung mit den Merkmalen der systematischen Arbeitsteilung, Technisierung und Mechanisierung, Rationalisierung und steigenden Kapitalintensität. Hinzu kommen die Ausweitung der Infrastruktur durch die Erschließung neuer Verkehrswege, Verbesserungen in der Übermittlung von Nachrichten sowie die Ausweitung des Finanzwesens, begleitet von Entwicklungen der Verstädterung und einem hohen Anstieg der Bevölkerungszahlen, der vor allem auf eine verbesserte Ernährungssituation, Fortschritte in der Medizin und eine Reduktion der Sterblichkeit von Kindern und Säuglingen zurückgeführt werden kann. So steigt in Deutschland die Bevölkerung von etwa 22,4 Millionen im Jahr 1816 auf über 49,4 Millionen Menschen im Jahr 1890, in Frankreich von über 29,1 Millionen im Jahr 1811 auf über 38,1 Millionen im Jahr 1891 und in Großbritannien einschließlich Wales und Schottland, im gleichen Zeitraum wie Frankreich, von fast 12 Millionen auf über 33 Millionen.12 In Deutschland ist ein Anstieg des Volkseinkommens von 13 Milliarden Mark im Jahr 1867 auf 48 Milliarden Mark im Jahr 1913 zu verzeichnen, der einer Steigerung des jährlichen Pro-Kopf-Einkommens von 380 auf 780 Mark entspricht.13 Mit den 70er-Jahren des 19. Jahrhunderts beginnt eine Periode der wirtschaftlichen Entwicklung, in der Deutschland England deutlich überholt – in England hat sich die industrielle Produktion zwischen 1870 und 1913 verdoppelt, in Deutschland versechsfacht „aus einem Nachfolgerland wird ein Pionierland“.14 Mit dem Ausbau der wirtschaftlichen Leistungskraft in den Industrieländern vollzieht sich eine weitere Verschärfung in der Einkommensverteilung. Weit über 90 Prozent der Einkommensbezieher in Deutschland gehören im ausgehenden 19. Jahrhundert zu den untersten Einkommensstufen, während die Bezieher höherer Einkommen (über 6.000 Mark pro Jahr) bei etwa einem Prozent liegen.15 Die Struktur der Arbeiterschaft wandelt sich stark. Aus den arbeitenden Klassen der Mitte des 19. Jahrhunderts, die sich vor allem aus Landarbeitern, Tagelöhnern, Gesinde, Dienstboten, Heimarbeitern, Handwerksgesellen und Fabrikarbeitern zusammensetzen, bildet sich die Arbeiterschaft oder das Proletariat als Klasse, in der die Industrie-und Fabrikarbeiter, jedoch neu binnendifferenziert, die prägende Gruppe darstellen.16 Arbeiter sind vor allem die Kinder von Eltern aus den handarbeitenden Klassen, namentlich der Landarbeiter, städtischen Tagelöhner, Heimarbeiter und Fabrikarbeiter, womit Geburt und Erbe zum zentralen Moment dessen werden, was einen Arbeiter zum Arbeiter bestimmt.17 Die Arbeit bildet den Mittelpunkt des Lebens eines Arbeiters und ist zunehmend den Mechanismen des Marktes, den Kräften von Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage ausgesetzt, die die Lebenssituation beherrschen. Dort, wo Arbeit verloren geht, Arbeitslosigkeit eintritt, ist dies oft gleichbedeutend mit dem Erleiden von materieller Not – jede wirtschaftliche Krise kann sich schnell in eine Existenzkrise wandeln. Die Arbeit in jener Zeit ist, im Gegensatz zu heute, meist körperlich schwer und belastend, hinzu kommen die Gesundheit beeinträchtigende Faktoren wie Schmutz, Gestank, Lärm, Hitze, Licht-und Luftmangel, unzureichende hygienische Einrichtungen, geringer Gefahrenschutz und erdrückende Arbeitszeiten. Für die 1860er-Jahre wird eine wöchentliche Arbeitszeit von 78 Stunden, 1871 von 72 Stunden, Ende der 1880er-Jahre von 66 Stunden geschätzt, eine Entwicklung, die einen deutlich sinkenden Trend anzeigt. Gearbeitet wird das ganze Jahr hindurch, Urlaub gibt es vor dem 20. Jahrhundert für die Klasse der Industriearbeiter nicht.18 Löhne werden per Vertrag festgelegt, können aber vom Unternehmer, wenn die wirtschaftliche Lage es ihm geboten erscheinen lässt, herabgesetzt werden, oder es wird von ihm nach seinem Ermessen Kurzarbeit angeordnet. Wer dies nicht hinnehmen will, hat die Freiheit, zu gehen. Löhne werden als Individuallöhne verhandelt, d. h. abhängig von der individuellen Leistung des Arbeiters und unabhängig davon, wie viel Geld der Arbeiter zum Unterhalt seiner Familie benötigt. Ein Arbeiter, der sich auf dem Höhepunkt seiner körperlichen Leistungskraft befindet, verdient mehr als ein alternder, dessen Kräfte nachlassen. Es ist durchaus üblich, dass die Familienangehörigen, die Frau und/oder die Kinder zum Familieneinkommen mit beitragen. Als Antwort auf die mit den großen wirtschaftlichen Leistungen der Industriegesellschaften einhergehenden sozialen Probleme entsteht die Arbeiterbewegung, die weltweit großen Zulauf erhält. Politisch werden Tendenzen der Demokratisierung sichtbar. In Deutschland bildet die Sozialgesetzgebung Otto von Bismarcks (1883–1889) einen Meilenstein für die Sozialpolitik, mit ihren zentralen Bestandteilen einer Krankenversicherung (1883), Unfallversicherung (1884) und Rentenversicherung (1889) als Pflichtversicherungen für Arbeiter und Angestellte unterer Einkommen. Ziel der Sozialgesetzgebung und verschiedener Arbeiterschutzmaßnahmen ist die Absicherung gegen die Risiken, denen die Arbeiter im Berufsleben ausgesetzt sind. Dies kann durchaus als Folge eines Legitimationszwangs der Herrschaftselite interpretiert werden, die die Sozialpolitik zunächst als „Instrument der ‚defensiven Modernisierung‘ gegen die politische Mobilisierung der Arbeiter einsetzte“.19 Somit können die Reformbestrebungen der Arbeiterschaft als starkes Motiv für die von der Regierung durchgeführte Sozialpolitik gewertet werden und weniger als deren direkte Ursache. Arbeitervereinigungen existierten natürlich bereits vor dem 19. Jahrhundert. In England, dem Mutterland der Industrialisierung, schließen sich Arbeiter schon Ende des 17. Jahrhunderts zusammen, Vereinigungsverbote wie die General Combination Acts sind aus dem Ende des 18. Jahrhunderts bekannt. Nach der Aufhebung des Koalitions- und Streikverbots in den Jahren 1824/25 entstehen nationale Bewegungen, die jedoch immer wieder unterdrückt werden. Schließlich nimmt die Ausbreitung der Gewerkschaften ab 1840 wieder zu, 1864 gründen Arbeiter verschiedener Länder in London die Internationale Arbeiterassoziation (IAA), die später Erste Internationale genannt wird. 1868 wird in Manchester der erste Gewerk-schaftskongress, der Trades Union Congress, abgehalten, und in den 1890er-Jahren sind die Gewerkschaften eine gesellschaftliche Tatsache. Für Deutschland sind einige wichtige Stationen von Arbeiterzusammenschlüssen in der folgenden Übersicht dargestellt.20 * Wissen: Arbeitnehmerzusammenschlüsse in Deutschland In den 40er-Jahren des 19. Jahrhunderts finden in Deutschland die ersten bedeutenderen gewerkschaftlichen Zusammenschlüsse im Zusammenhang mit der Märzrevolution statt. 1848 wird auf dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterkongress in Berlin die Allgemeine Deutsche Arbeiterverbrüderung gegründet, der im Frühjahr 1849 mit 170 Vereinen insgesamt 15.000 Mitgliedern angehören, sie wird 1854 verboten. 1868 gehen aus dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterkongress der sozialistische Allgemeine Deutsche Arbeiterschaftsverband mit zwölf Berufsorganisationen und der liberale Verband der deutschen Gewerkvereine hervor. 1875 entsteht die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands aus der Vereinigung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins Ferdinand Lassalles von 1863 mit der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei August Bebels von 1869. 1878 werden zwei erfolglose Attentate auf Kaiser Wilhelm I. verübt, was Bismarck zum Anlass nimmt, das Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie (Sozialistengesetz) durchzusetzen. 120 Berufsorganisationen sowie 17 gewerkschaftliche Zusammenschlüsse werden aufgelöst. 1890 erfolgt die Aufhebung des Sozialistengesetzes. Die der Sozialdemokratie nahestehenden Gewerkschaften schließen sich in der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands mit über 120.000 Mitgliedern neu zusammen. 1889 entstehen auf Anregung Papst Leos XIII. 280 katholische Arbeitervereine mit ca. 65.000 Mitgliedern neben den von Adolph Kolping ab dem Jahr 1846 gegründeten Gesellenvereinen, deren Hauptaufgabe in praktischer Sozialarbeit besteht. 1890 werden die 1882 gegründeten evangelischen Arbeitervereine (EAV) zum Gesamtverband der evangelischen Arbeitervereine, der 40.000 Mitglieder umfasst, zusammengeschlossen. Die Entstehung von Rerum novarum Spätestens in den 70er- und 80er-Jahren des 19. Jahrhunderts erreicht die Arbeiterbewegung eine Bedeutung, der sich keine gesellschaftliche Institution gegenüber verschließen kann. Spät, aber nunmehr mit Nachdruck, verwandelt sich das Engagement einzelner Kirchenvertreter in eine gesamtkirchliche Bewegung, die sich den Problemen der Arbeiterschaft zuwendet. So werden u. a. katholische und evangelische Arbeitervereine gegründet oder neu organisiert. Der Höhepunkt dieser Entwicklung in der katholischen Kirche ist sicherlich die Veröffentlichung von Rerum novarum, der ersten Sozialenzyklika. Natürlich wurde die prekäre Situation der Arbeiter, bevor sie von der Kirche als drängendes gesellschaftliches Problem, mit dem man sich auch als Kirche offiziell zu befassen hatte, von dieser in den einzelnen Ländern wahrgenommen. Einige Beispiele sollen ein Bild davon vermitteln, auf welche Weise sich die katholische Kirche bereits auf internationaler Bühne mit dem...


Hans Frambach ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Bergischen Universität Wuppertal.

Dr. Daniel Eissrich hat seine Forschungsschwerpunkte im Bereich Wirtschaftssysteme und deren Institutionen. Er ist Bundesbankdirektor im Zentralbereich IT der Deutschen Bundesbank in Frankfurt am Main.


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