E-Book, Deutsch, 228 Seiten, E-Book
Elbert Innere Fesseln lösen – befreit führen
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7910-5677-7
Verlag: Schäffer-Poeschel Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Führungspotenziale entwickeln
E-Book, Deutsch, 228 Seiten, E-Book
ISBN: 978-3-7910-5677-7
Verlag: Schäffer-Poeschel Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dr. Steffen Elbert begleitet Führungskräfte der obersten Führungsebenen bei ihrer beruflichen und persönlichen Weiterentwicklung, insbesondere dort, wo diese sich selbst im Weg zu stehen scheinen. Er ist in selbstständiger Praxis in Hamburg tätig (www.steffenelbert.com). Sein Schwerpunkt liegt auf der Veränderung von - meist biographisch geprägten - langjährigen Glaubenssätzen, Überzeugungen und Denk-/Verhaltensmustern und insbesondere auf dem Thema 'Trauma und Führung'. Vor seiner Selbstständigkeit war der promovierte (Bio-)Chemiker Dr. Steffen Elbert über zwei Jahrzehnte als Berater und Partner bei zwei internationalen Marktführern der Strategie- und Personalberatung tätig (The Boston Consulting Group, Egon Zehnder). Er ist als systemischer Berater, Coach und Supervisor zertifiziert (DBVC, DGSF) und außerdem in Psychotraumatologie, Klinischer Hypnose (nach Milton Erickson), Aufstellungsarbeit, Embodiment-orientierten Methoden (EMDR, PEP nach Dr. Michael Bohne und Somatic Experiencing nach Dr. Peter Levine) und in systemischer Organisationsberatung ausgebildet.
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1 Worum geht es in diesem Buch?
1.1 Wir stehen uns oft vor allem selbst im Weg: Innere Fesseln
Das vorliegende Buch setzt da an, wo viele heutigen Management-Ratgeber aufhören: bei den Inneren Fesseln, die uns abhalten, als Führungskraft unser »Bestes« zu geben. Dieses Buch beschäftigt sich mit dem inneren Drang, alle Dinge in der Tiefe verstehen und kontrollieren zu müssen. Mit dem Gefühl, alles, was man erarbeitet, müsse einem sehr hohen, perfekten Anspruch entsprechen. Mit der Schwierigkeit, mit Kollegen und Mitarbeitern eine Beziehung jenseits des rein sachlichen Austauschs aufbauen zu können, nur wenig Mitgefühl, wenig Empathie empfinden zu können, die Mitarbeitenden nur als Produktionsmittel oder »Humankapital« zu sehen. Mit der Überzeugung, sich in Gesprächen mit anderen immer und unter allen Umständen durchsetzen zu müssen bzw. auf keinen Fall eigene Fehler zugeben zu können und dann emotional überzureagieren. Mit der Beobachtung, kein Ende finden zu können und Tag und Nacht beschäftigt sein zu müssen, getreu der Prämisse »Es reicht nie« (»Workaholismus«). Mit dem übertriebenen Wunsch, von allen immer, unter allen Umständen anerkannt, bewundert und gelobt zu werden und damit kritische Themen in der Regel nicht zur Diskussion zu bringen. Die Liste wäre beliebig erweiterbar.
Manchmal haben uns die oben beispielhaft genannten Verhaltens- und Denkmuster zu Beginn unserer Karriere geholfen. Sie haben in der Vergangenheit vielleicht unser Weiterkommen ermöglicht oder gar beschleunigt. Heute sind sie jedoch meist eher kontraproduktiv für unsere Ziele. Die Muster sind zur Limitation geworden. Sie stellen dann eine Belastung oder zumindest eine Bewährungsprobe für die Führungsrolle und unsere beruflichen wie privaten Beziehungen dar. In diesem Buch werden diese Muster deshalb Innere Fesseln genannt.
Die Beobachtung, dass man als Führungskraft trotz bester Ausbildung und dem Zugriff auf die neusten Konzepte von Führung immer wieder diesen limitierenden inneren Verhaltens- und Denkmustern, den Inneren Fesseln erliegt, begegnet vielen von uns – bei uns selbst oder bei anderen. Manchmal können wir sie durch das Einüben anderer Verhaltensweisen kompensieren, ihre Wirkung durch das Spielen einer Rolle etwas abmildern, oder uns zwingen, sie zu unterdrücken. Gelegentlich können wir den Situationen aus dem Weg gehen, in denen sie sich bei uns zeigen. Meist wirken sie jedoch auch dann noch – im Hintergrund –, und limitieren uns, indem sie Energie binden, uns unfrei machen. Dann ist es, als wären wir innerlich abgelenkt. Wir können in dem Moment unsere gesamte Aufmerksamkeit nur schwer auf die anstehenden Themen lenken, ein Teil unserer Kompetenzen ist innerlich mit der Kompensation oder dem Management der Inneren Fesseln beschäftigt. In diesem Fall bleibt kein anderer Weg, als uns unseren Inneren Fesseln zu stellen.
1.2 Innere Fesseln sind hartnäckig und machtvoll
Innere Fesseln sind bei entsprechender Selbstbeobachtung meist gut erkennbar. Gleichzeitig zeigen sie oft eine erstaunliche Widerstandsfähigkeit gegenüber Veränderung. Meist wissen wir, was zu ändern wäre, wie wir zieldienlicher denken oder handeln könnten – und doch ist Veränderung nicht umsetzbar oder hat keinen Bestand. Der Verstand und der Wille scheinen an eine Grenze zu kommen. Es wirkt, als würden diese Muster wie selbstständige Programme laufen, unserer kognitiven Kontrolle weitestgehend entzogen. Wir scheinen von den Programmen kontrolliert zu werden. Die Programme übernehmen in bestimmten Situationen unsere Steuerung, wir sind ihnen ausgeliefert.
Bei genauer Analyse erkennen wir häufig, dass die Inneren Fesseln uns bereits seit Jahrzehnten begleiten. Sie sind in der Regel nicht vor Kurzem entstanden, sondern wir können ihre Anfänge häufig schon in frühen Lebensjahren verorten oder zumindest vermuten. Es handelt sich somit meist nicht um aktuell entstandene Anpassungen unseres Verhaltens, sondern um langjährige Begleiter – vielleicht in sich verändernden Gewändern. Wir schleppen Innere Fesseln oft gefühlt schon sehr lange, vielleicht lebenslang mit uns herum. Die Wurzeln der Inneren Fesseln liegen überwiegend in unseren frühen Lebensjahren.
Wie kann man nun diese doch recht hartnäckigen, persistenten und autonomen Programme unterbrechen und ihnen die Macht nehmen? Wie kann man die Inneren Fesseln nachhaltig, auf Dauer lockern?
Um sich diesen Fragen zu nähern, müssen wir zunächst von der Vorstellung Abschied nehmen, dass Innere Fesseln auf ein persönliches charakterliches Defizit hinweisen, dass sie einen unüberwindlichen Mangel oder eine »Macke« darstellen, eventuell sogar vererbt, oder dass wir zu dumm, faul, schwach, unvollkommen oder zu undiszipliniert sind, um das Verhalten endlich abzustellen oder zu ändern. Diese Interpretationen führen in eine Sackgasse. In der Regel demotivieren sie uns eher, als dass sie Energien für Veränderung freisetzen.
1.3 Innere Fesseln haben häufig existenzielle Wurzeln
Im vorliegenden Buch lade ich Sie dazu ein, die tiefer greifenden Ursachen der Inneren Fesseln zu erforschen. Hierbei gehen wir davon aus, dass Innere Fesseln irgendwann in unserem früheren Leben entstanden sind und damals eine Funktion, eine Aufgabe hatten. Sie werden so nicht als charakterliche Defizite beschrieben, sondern vielmehr als von uns entwickelte Lösungen, die uns zum Zeitpunkt ihrer Entstehung zum Vorteil gereicht haben. Mit dieser Sichtweise bedienen wir uns einer der wesentlichen Fundamente der Systemtheorie in ihrer heutigen Anwendung im systemischen Coaching. Hier wird Verhalten als die jeweils »beste Lösung«, die uns in einer bestimmten Situation, in einem bestimmten Kontext zur Verfügung steht, interpretiert. Mit dieser Sichtweise eröffnen sich neue Ansätze zur Veränderung1. So wird hinter dem, was uns heute behindert, ein damals kreativer und kluger Ansatz sichtbar, der uns das Leben früher erleichtert oder gar unser Überleben gesichert hat.
Mit diesem Blick auf Innere Fesseln wird deren Macht nur erklärbar, wenn das, was wir damals erlebt haben und in dessen Zusammenhang die Innere Fessel entstanden ist, einen fundamentalen, ja existenziellen Charakter hatte. Es müssen schwere und schwerste Erfahrungen und Erlebnisse gewesen sein, die das Entwickeln solcher machtvollen »Lösungen« erforderlich gemacht haben.
Oft greifen hier Modelle, die auf »Erziehung«, »familiäre Prägungen« oder auf »übermittelten Werten und Glaubenssätzen« aufbauen, zu kurz. Solche Einflüsse sind meist leichter zu revidieren, oft ist dies bereits mit der Pubertät geschehen. Die Macht der Inneren Fesseln weist auf fundamentalere Erfahrungen hin, die sich für uns existenziell, lebensbedrohlich angefühlt haben.
Welche Art von Erfahrungen kann nun in unseren frühen Lebensjahren einen fundamentalen, ja existenziellen Charakter haben?
Hierzu ist es hilfreich, einen kurzen Blick in die Entwicklungspsychologie zu werfen. Als Menschenbabys sind wir von der Biologie her gesehen Frühgeborene, wir kommen völlig hilflos auf die Welt. Wir können uns nicht allein ernähren, sind den Fürsorgenden vollkommen ausgeliefert, würden allein keinen Tag überleben. Wir werden deshalb mit den beiden Urbedürfnissen nach Gesehenwerden und Dazugehören geboren. Diese sichern unser Überleben, denn dann sind wir sicher, werden behütet. versorgt und gepflegt. Die Feinfühligkeit unserer Bezugspersonen stellt sicher, dass wir ohne die Angst aufwachsen, auf uns selbst gestellt zu sein, und sie verhindert, dass wir durch unsere Hilflosigkeit in den Kontakt mit Todesängsten kommen.
Nun haben allerdings viele von uns nicht immer feinfühlige Bezugspersonen erleben dürfen. Wir haben dann einen Alltag erleben müssen, in dem das Dazugehören und Gesehenwerden immer wieder infrage stand und wir dem Gefühl nach existenziell, in unserem Überleben bedroht waren.
Vielleicht haben wir dann emotionale oder körperliche Vernachlässigung oder mangelnde Zuwendung unserer Eltern erleben müssen oder wir waren zu viel allein und auf uns selbst gestellt. Vielleicht waren wir nicht erwünscht, nur Mittel zum Zweck in einer nach außen gerichteten Scheinwelt von Erfolg und sozialem Status oder wir sind nur durch Nannys, Haushaltshilfen oder Au-Pairs »gemanagt« worden, während unsere Eltern ihre Aufmerksamkeit auf andere Dinge richteten und zum Beispiel vor allem mit ihrer Karriere oder dem täglichen Überlebenskampf beschäftigt waren. Oder wir haben regelmäßig Herabsetzung, Demütigung oder Abwertungen erfahren,...