E-Book, Deutsch, 138 Seiten
Ell Wissenstransfer im Community Based Tourism
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-8288-6806-9
Verlag: Tectum Wissenschaftsverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eine Feldstudie in der Region Yogyakarta, Indonesien
E-Book, Deutsch, 138 Seiten
ISBN: 978-3-8288-6806-9
Verlag: Tectum Wissenschaftsverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Von alternativen Konzepten, wie dem des Community Based Tourism, erhofft man sich, die oftmals negativen Auswirkungen von Tourismus auf die lokalen Bevölkerungen und ihre Lebenswelten zu verbessern. Allerdings zeigt sich, dass auch dieser Ansatz in der Praxis oftmals nicht wie erhofft funktioniert. Der Mangel an Wissen und Verständnis für Tourismus der lokalen Akteure wird als grundlegendes Hindernis der Entwicklung nachhaltiger alternativer Projekte gesehen.
Beruhend auf einer 10-wöchigen durchgeführten Feldstudie behandelt diese Arbeit den Transfer von Wissen in zwei Community Based Tourism-Projekten auf Java, Indonesien. Dort entstehen in den ländlichen Gebieten der Region Yogyakarta seit einigen Jahren vermehrt desa wisata (Tourismusdörfer). Diese beruhen hauptsächlich auf der Vermarktung von Traditionen und Kultur im weitesten Sinne.
In dieser Arbeit werden für die theoretische, aber auch praktische Beschäftigung mit dem Thema relevante Erkenntnisse gewonnen. Es lassen sich auch Handlungsanweisungen für die Praxis der Wissensvermittlung zur Ermächtigung der Durchführung von CBT-Projekten ableiten. Folgende Leitfragen ziehen sich durch die Arbeit: Welche Akteure in den Projekten sind Träger welchen Wissens? Wie wird Wissen vermittelt, und vor allem: welche Faktoren bedingen diesen Prozess?
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2. Wissenstheoretische Grundlagen Wissen steht in mehrfacher Hinsicht im Fokus der vorliegenden Forschung über CBT. Erstens, weil- die Vermittlung von Wissen für die Entwicklung von CBT-Projekten eine bedeutende Rolle spielt. Bildungsinhalte reichen von der grundsätzlichen Idee des Tourismus bis hin zu spezifischen Fähigkeiten der Vermarktung, Buchhaltung etc. Dabei sind externe Akteure maßgeblich an dem Versuch beteiligt, ein Bewusstsein für Tourismus zu vermitteln und entwicklungshemmende Wissensdefizite zu beheben oder zu verringern. Zweitens, weil Kultur im weiteren Sinne das touristische Hauptpotential der Gemeinschaften darstellt, bei dem naturräumliche Gegebenheiten als Attraktionen dienen. Auch auf die untersuchten Dörfer Sambi und Ketingan trifft dies, wenn auch in unterschiedlichem Maße, zu. Mit Kultur rückt auch Wissen in das Zentrum der Aufmerksamkeit, wenn man davon ausgeht, dass Wissen sich in sämtlichen Elementen von Kultur „als Gesamtheit menschlicher Hervorbringungen auf allen Gebieten des Lebens“ (Fried/Kailer 2003:9) manifestiert (vgl. Schareika 2004). Wissen ist zugleich Medium und Motor gesellschaftlicher und kultureller Veränderungen und bedingt die gesamte erfahrene Lebenswelt.36 Dwi und Raharjana, die ebenfalls Forschungen in den beiden von uns untersuchten Dörfern durchgeführt haben, identifizieren das lokale Wissen als potentielle touristische Attraktion (Dwi 2004:28, Raharjana 2005:132). Drittens, weil die sinnstiftende Konstruktion der subjektiven Wirklichkeit der Welt auf Wissen basiert, welches die besprochenen Veränderungen im Selbst- und Weltbild der Communtiy erklären kann. 2.1. Wissenssoziologische Grundlagen Um die drei Aspekte näher zu erläutern, möchte ich mich dem Wissensbegriff zunächst aus (wissens-)soziologischer Sicht nähern. Die Neue Wissenssoziologie oder sozialkonstruktivistische Wissenssoziologie nach Berger und Luckmann begreift das Wissen einer Gesellschaft als sozial konstruiert (Berger/Luckmann 2007 Pascale et al. 1998:6). Wissen stellt also keine absolute Wahrheit oder Wirklichkeit dar, sondern ist vielmehr das Produkt „sozial vermittelter Bedeutungen, die mehr von Akzeptanz als von Wahrheit geleitet sind“ (Tänzler et al. 2006:7). Die Bedeutung einer Sache entsteht in der Interpretation durch das Individuum, auf der Grundlage seines bisherigen Wissens, welches als Referenzsystem fungiert (Krais/Gebauer 2002:60ff). Der Anthropologe Frederik Barth definiert Wissen in diesem Sinne als „what a person employs to interpret and act on the world“ (Barth 2002:1). Dies schließt Gefühle und Einstellungen sowie Informationen, körperliche Fähigkeiten (embodied skills) wie auch verbale Taxonomien und Konzepte mit ein: „all the ways of understanding that we use to make our experienced, grasped reality“ (ebd.). Dies wird treffend durch den Begriff Habitus beschrieben, den der französische Soziologe Pierre Félix Bourdieu prägte. Er bezeichnet „Schemata, die der Wahrnehmung der sozialen Wirklichkeit dienen, Denkschemata, mit deren Hilfe diese Wahrnehmung geordnet und interpretiert werden, ethische Ordnungs- und Bewertungsmuster, ästhetische Maßstäbe zur Bewertung kultureller Produkte und Praktiken sowie Schemata, die Hervorbringung von Handlungen ableiten“ (Fuchs-Heinritz/König 2005:114). Aus diesen Schemata leiten sich also Gewohnheiten des Denkens, Fühlens und Handelns ab (Fuchs-Heinritz/König 2005:144ff, Mayerhofer 1998: Rehbein 2006:79-98). Dieses individuelle Wissen speist sich aus dem gesellschaftlichen Wissensvorrat (Keller 2009:42). Individuelle Interpretationen und Auffassungen von Wirklichkeit - also neues Wissen, das auf der Grundlage des vorhandenen gewonnen wird -, werden zu einem Teil des gesellschaftlichen Wissensvorrats.37 Die Gesamtheit des Wissensvorrats ist dabei nicht mit dem Wissensvorrat eines Individuums identisch. Wissen ist niemals gleich auf alle Individuen verteilt, sondern jedes Individuum verfügt nur über einen Teil des gesamten in der Gesellschaft vorhandenen Wissens. Dies ist durch gesellschaftliche Zuteilungsprozesse und individuelle Erfahrungen bedingt (Barth 2002:1ff, Keller 2008:39ff, Fried 2003:10f). Das schlägt sich in der erweiterten Theorie nieder, in der beispielsweise zwischen Wissensformen, wie Jedermanns- und Experten-Wissen oder Alltags- und Spezialwissen unterschieden wird (Berger/Luckmann 2007:26f, Neubert/Macamo 2004). Das umfassende Verständnis von Wissen in der Neuen Wissenssoziologie bietet die Grundlage für weitere theoretische Überlegungen und Konkretisierungen je nach Forschungsinteresse. Soziologen wie Ethnologen haben sich darum bemüht, sinnvolle, operationalisierbare theoretische Konzepte von Wissensformen zu entwickeln. 2.2. Lokales Wissen Lokales Wissen ist zunächst eine Kategorie für die empirische Erhebung (Neubert/Macamo 2004:94, Schareika 2004:32). Im Kontext von Entwicklungszusammenarbeit und ethnologischen Forschungen ist lokales Wissen zu einem zentralen Begriff und Forschungsgegenstand geworden. Es fungiert dabei als Sammelbegriff für eine Vielzahl von Konzepten, wie einheimisches, autochthones oder traditionelles Wissen, Volkswissen und indigenes Wissen, die teilweise auch synonym verwendet werden (Schultze 1998:4, Neubert/Macamo 2004:94).38 Was sich im Einzelnen dahinter verbirgt, ist unterschiedlich. Im Allgemeinen wird das Wissen einer Ethnie, oder Gemeinschaft verstanden. Die Bezeichnung lokales Wissen betont also die Bezogenheit des Wissens auf einen bestimmen Ort, und damit „spezifische kulturelle und physische Umwelt, ohne zugleich Vorgaben über die Herkunft des Wissens zu machen“ (Neubert/Macamo 2004:94). In diesem Sinne wird der Begriff auch in dieser Arbeit verwendet.39 In der Tradition der Neuen Wissenssoziologie bezeichnet der Begriff also „die Kenntnisse, Fähigkeiten und Weltbilder, die in einer bestimmten natürlichen Umwelt und einem bestimmten kulturellen Rahmen“ (Schultze 1998:3) bestehen und sich verändern. Neben diesem Verständnis gehen Neubert und Macamo in ihrer anschaulichen, erweiterten Definition auch auf die explizite und implizite Dimensionen von lokalem Wissen ein: „Lokales Wissen ist somit mehr als reflektierte und verbalisierte Information und Kenntnis. Zum lokalen Wissen gehören daneben auch nicht reflektierte Kategorien und klassifikatorische Ordnungen, Deutungen der Welt (Kosmologien und Kosmogenien), Wissen über Abläufe und Prozesse, Alltagsdrehbücher über angemessenes Verhalten in bestimmten Situationen, automatisierte Bewegungsfertigkeiten und Handlungsabläufe, die geübt und nicht erklärt werden, komplexe Entscheidungsmuster, die über Erfahrungen angeeignet und nur bruchstückhaft verbalisiert werden, bewusste und unbewusste Deutungs- und Relevanzstrukturen“ (Neubert/Macamo 2004:95). Wie schon erwähnt, ist lokales Wissen auch eine empirische Kategorie. Dabei kann der Begriff lokal etwas irreführend sein, denn der Einflussbereich lokalen Wissens ist nicht nur auf einen Ort begrenzt, noch ist bestimmtes Wissen zwingend nur an einem Ort zu finden, bzw. muss auch an diesem entstanden sein (Schultze 1998:3f). Wissen ist also offensichtlich nicht statisch, sondern kann „wandern“ und sich verändern. Dies geschieht dauerhaft „durch selbstständige Innovationen, durch Anpassung an veränderte Bedingungen und Übernahmen von Wissen, Fähigkeiten und Technologien“ (Neubert/Macamo 2004:95). Der Begriff des lokalen Wissens unterstreicht also den Bezug des Wissens auf die für das Wissenssystem relevante Umwelt eines spezifischen Ortes, zu der die „physische Umwelt, Menschen, Institutionen, das spezifische soziokulturelle Umfeld, spezifische lokal verfügbare Ressourcen Techniken und Geräte“ (Schareika 2004:95f) gehören. Neue Eindrücke, besonders Krisen und Probleme, führen zur Produktion neuen Wissens bzw. dessen spezifischer Bedeutung (Macamo/Neubert 2004:186ff).40 Besonders in Zeiten von Not oder nicht alltäglichen Ereignissen, die an sich schon neues Wissen darstellen und die Produktion neuen Wissens erzwingen, kommt es zu einer Veränderung des vorhandenen Wissenssystems (Fried/Kailer 2003:11f). Die Ungleichverteilung von Wissen fand bereits Erwähnung. Sie resultiert u.a. aus der Einbindung von Wissen in lokale Machtstrukturen. Faktoren, welche die Verteilung von Wissen beeinflussen, sind Position, Geschlecht, Alter, sozialer oder religiöser Status und Arbeitsbereich (ebd., Schultze 1998:19f). So teilen bestimmte Gruppierungen oder Einzelpersonen Wissen, das anderen unbekannt oder nur zu Teilen bekannt ist (Gruppenwissen, Geheimwissen, Experten- und Spezialwissen u.a.) (Schultze 1993:20). Innerhalb der weiten Definition von lokalem Wissen ist der Begriff des Spezialwissens hervorzuheben. Dies kann beispielsweise das Wissen eines Heilers sein. Denn, wie am obigen Zitat deutlich wurde, umfasst lokales Wissen das, was die Soziologie unter Alltagswissen versteht (Berger/Luckmann 2007:16, 26f). Alltagswissen ist größtenteils implizites Wissen, das nicht bewusst wahrgenommen wird, da es selbstverständlich ist und nicht hinterfragt als Basis aller Wahrnehmung und sinnhafter Strukturierung der Gesellschaft dient (Neubert/Macamo 2004:96). Spezialwissen wird herangezogen bei Fragen und Situationen, die über die Alltagsroutine hinausgehen. Dabei ist zu betonen, dass es sich bei beiden Wissensarten um ein strukturell ungleiches Paar handelt, denn Spezialwissen wird mittels des Referenzrahmens, den das Alltagswissen stellt, konstruiert. Im wissenschaftlichen Diskurs wird - vor allem in Bezug auf „Entwicklungsländer“ - lokales Wissen oft...