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E-Book, Deutsch, 256 Seiten, Format (B × H): 1200 mm x 1800 mm

Ellis Anthropozän

Das Zeitalter des Menschen – eine Einführung

E-Book, Deutsch, 256 Seiten, Format (B × H): 1200 mm x 1800 mm

ISBN: 978-3-96238-660-3
Verlag: oekom verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Kein



Willkommen im Anthropozän In der Diskussion um die globalen Krisen ist ein Begriff allgegenwärtig: der des »Anthropozän«. Klimawandel, radioaktiver Fallout, Mikroplastik - die Liste menschlicher Eingriffe in das System Erde ist so lang, dass Wissenschaftler vorschlagen, ein ganzes Erdzeitalter nach uns zu benennen. Erle C. Ellis erläutert, was es mit dem Begriff auf sich hat, welche Umweltveränderungen maßgeblich sind und warum heftig um das Narrativ Anthropozän gestritten wird - eine gleichermaßen kompakte wie umfassende Einführung.

Erle C. Ellis ist ein amerikanischer Professor für Geografie und Umweltsysteme an der University of Maryland. Er beschäftigt sich unter anderem mit der Ökologie von Ökosystemen, die vom Menschen geprägt werden. Sein Ziel ist es, durch seine Forschung eine Wende zu einem nachhaltigen Umgang mit der Erde im Anthropozän anzustoßen.
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KAPITEL 1 Ursprünge »Wir befinden uns im Anthropozän!«, rief der Nobelpreisträger und Meteorologe Paul Crutzen, dessen Forschungsschwerpunkt die Atmosphärenchemie war, bei einer Konferenz im Jahr 2000 frustriert aus. Warum bezeichneten seine Kollegen unsere Zeit immer noch als Holozän? Die Menschheit hatte seit dem Ende der letzten Eiszeit und dem Beginn des Holozäns die Erde doch so deutlich sichtbar umgestaltet. Von diesem Augenblick an gewann der Vorschlag, die gegenwärtige geologische Zwischenzeit nach uns, dem Anthropos, umzubenennen – und die Kritik daran –, enorm an Schwung, sowohl in akademischen Kreisen als auch außerhalb davon. Warum erfuhr ein solch esoterischer geologischer Begriff so rasch allgemeine Aufmerksamkeit, wurde zum Zankapfel wissenschaftlicher Debatten und zugleich weltweit so populär? Um dies zu verstehen, ist es hilfreich, den Blick jenseits der Wissenschaft auf die Ursprungsgeschichten zu richten, die von Beginn der Zeiten an in allen menschlichen Gesellschaften erzählt wurden. Von prähistorischer Zeit bis heute wurde die Rolle des Menschen in der Natur – als Erhalter, Partner, Verwalter, Gärtner oder Zerstörer – immer wieder durch Narrative definiert, die sein Auftauchen auf der Erde erklärten. In den abrahamitischen Religionen wiesen die Ursprungsgeschichten dem Menschen einen privilegierten Platz in der Mitte der göttlichen Schöpfung zu. Kopernikus und Darwin schufen neue Narrative auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse; bei ihnen wurde der Mensch zu einem Tier unter anderen auf einem Planeten unter anderen, der um einen gewöhnlichen Stern unter anderen kreiste. Das Anthropozän als neues Zeitalter verlangt eine noch umfassendere Veränderung unserer Perspektive. Da Geologen und andere über die verschiedenen Vorschläge streiten, das Anthropozän zu definieren, dürfte es nicht überraschen, dass sich auch uralte Auffassungen und zeitgenössische Debatten über die Rolle des Menschen in der Natur daruntermischen, ja sogar darüber, was es überhaupt bedeutet, Mensch zu sein. Eine große Naturkraft
Crutzens Ausbruch wurzelte in seinen Erfahrungen bei der Erforschung menschengemachter Veränderungen in der Erdatmosphäre und ihrer tief greifenden weltweiten Folgen: des Lochs in der schützenden Ozonschicht und des globalen Klimawandels. Zu hören, wie seine Kollegen über den gegenwärtigen Zustand der Erde sprachen, ohne diese enormen anthropogenen Eingriffe mit einzubeziehen, war für ihn unerträglich. Es war an der Zeit zu akzeptieren, dass mit dem relativ stabilen Zustand des Holozäns Schluss war. Crutzen stand mit dieser Ansicht nicht alleine. Der Ökologe Eugene Stoermer hatte den Begriff »Anthropozän« seit den 1980er-Jahren bereits informell gegenüber Studenten und Kollegen verwendet. 2000 veröffentlichten die beiden eine kurze Meldung in einem wissenschaftlichen Mitteilungsblatt, in dem der Begriff erstmals formell und schwarz auf weiß genannt wurde – auch wenn Andy Revkin, Autor der New York Times, schon 1992 in seinem Buch über den Klimawandel vom »Anthrozän« gesprochen hatte. In jener ersten Meldung stellten Crutzen und Stoermer einen Zusammenhang zwischen dem Anthropozän und Kohlendioxidemissionen aus der Verbrennung fossiler Energieträger her, die mit Beginn der industriellen Revolution in zunehmendem Maße in die Atmosphäre gelangten. Damit knüpften sie an eine lange Reihe früherer Arbeiten an, in denen anthropogene Umweltveränderungen beschrieben worden waren. Mit Crutzens Vorschlag liefen diese vielen Fäden schließlich in der These zusammen, das Auftauchen des Menschen sei eine »große Naturkraft« in der dokumentierten Geschichte der Erde. Eine neue Geschichtsschreibung
Inzwischen liegt eine überwältigende Zahl von Beweisen dafür vor, dass der Mensch die Erde in nie da gewesener Weise verändert hat: der globale Klimawandel, versauernde Meere, Veränderungen in den Kohlenstoff- und Stickstoff- sowie anderen Kreisläufen, die Zerstörung von Wäldern und anderen natürlichen Habitaten zugunsten von Farmen und Städten, eine weitverbreitete Luftverschmutzung, radioaktiver Fallout, die Ansammlung von Plastik, veränderte Flussläufe, ein massives Artensterben, der Transport und die Einführung von Arten in fremde Länder. Dies sind nur einige der vielen verschiedenen globalen Umweltveränderungen, die der Mensch verursacht hat und die höchstwahrscheinlich bleibende Spuren im Gestein hinterlassen werden: die Grundlage für die Markierung neuer Intervalle in der geologischen Zeit. Bei einer derart überwältigenden Beweislage scheint der Vorschlag, das Anthropozän als ein neues Intervall geologischer Zeit, als anthropozäne Epoche, anzuerkennen, außer Frage zu stehen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Der Begriff »Anthropozän« ist selbst unter Erdwissenschaftlern nach wie vor höchst umstritten. Es kommt zu einem hitzigen Streit darüber, ob es genügend wissenschaftliche Belege gebe, eine solch vergleichsweise kurze und junge Epoche zu definieren, während andere darüber streiten, wie es zeitlich zu verorten ist oder wie man es am besten nachweisen kann. Vorschläge, wann das Anthropozän beginnt, reichen von der erstmaligen Beherrschung des Feuers über das Aufkommen der Landwirtschaft vor über 10.000 Jahren bis hin zum Jahr des höchsten atomaren Fallouts 1964. Unterstützt werden diese Hypothesen etwa von Gasblasen in Eiskernen und der weitverbreiteten Ablagerung von Ruß und Radionukliden sowie Pollen von domestiziertem Mais in Sedimentkernen auf der ganzen Welt. Und damit habe ich die vielen Auseinandersetzungen, die durch die Anthropozän-Hypothese ausgelöst wurden, nur oberflächlich gestreift. Der Vorschlag, unsere Epoche als »das Zeitalter des Menschen« zu bezeichnen, ist jenseits der Erdwissenschaften womöglich noch durchschlagender und führt zu intensiven Debatten, anhaltenden Diskussionen und transformativen neuen Forschungsvorhaben in einem breiten Spektrum von Disziplinen, von der Philosophie und Archäologie über die Anthropologie, Geographie, Geschichte, die Ingenieurs- und Umweltwissenschaften, die Gestaltungslehre, die Rechtswissenschaft, die Künste bis hin zur Politikwissenschaft. Die Anthropozän-Debatte ist sogar in die Medien und den gesamten öffentlichen Bereich übergeschwappt, sei es in der Klatschpresse oder in der Unterhaltungsmusik. Bedeutet das Zeitalter des Menschen das Ende der Natur? Wer ist für das Anthropozän verantwortlich? Der Homo sapiens? Die ersten Bauern? Reiche Konsumenten des Industriezeitalters? Und ist das Anthropozän notwendigerweise eine Katastrophe – eine Umweltkatastrophe, das Ende der Menschheit –, oder könnte es ein gutes Anthropozän geben, in dem Mensch und Natur gemeinsam in die Tiefe der Zukunft hineinwachsen? Die vielen hitzigen Debatten um das Anthropozän machen deutlich, dass weitaus mehr auf dem Spiel steht als nur die Einführung eines neuen geologischen Intervalls. Die Bedeutung des Anthropozän liegt in seiner Funktion als einer Art neuen Brille, durch die uralte Narrative und philosophische Fragen gesehen werden, sodass sie umgeschrieben werden müssen. Es ist sowohl ein neues Narrativ über das Verhältnis von Mensch und Natur als auch ein kühnes neues Wissenschaftsparadigma – eine »Zweite Kopernikanische Revolution« –, das möglicherweise unsere Auffassung vom Menschsein verändert. Ursprungsgeschichten
Menschliche Gesellschaften haben stets ihre Ursprünge, ihre Beziehungen zur Welt und zu ihren vielen Akteuren – von Tieren und Pflanzen bis hin zu eher mystischen Wesen und Kräften – mithilfe von Narrativen zu erklären versucht. Für die alten Griechen tauchte die Erde in Gestalt der Göttin Gaia aus der Leere auf und gebar alles Leben und die Vorfahren ihrer vielen Götter und Göttinnen von Athene bis Zeus. Die sterblichen Vorfahren der Griechen betreten erst die Bühne, nachdem mehrere frühere Menschengeschlechter geschaffen, von den Göttern als mangelhaft betrachtet und vernichtet worden sind. Nach einer anderen Ursprungsgeschichte erschafft Prometheus Menschen aus Lehm und ermöglicht ihnen eine Weiterentwicklung, indem er ihnen das von den Göttern gestohlene Feuer schenkt. Die Botschaft ist klar. Die Erde erschafft und ernährt als Gaia die gesamte Natur, zu der auch die stets miteinander ringenden Kräfte der Götter gehören. Menschen besetzen nur einen Nebenschauplatz in der Mythologie des alten Griechenland, glücklich, überhaupt zu existieren, und nur dank Prometheus’ Geschenk in der Lage zu leben. Wie wir noch sehen werden, spielen Gaia und Prometheus eine Schlüsselrolle in den Ursprungsgeschichten des Anthropozän. In der ersten Erzählung der jüdischen Genesis erschafft ein einziger allmächtiger Gott den Kosmos, die Erde und die Menschen in einer systematischen Reihenfolge. In der zweiten wird zuerst der Mann erschaffen, dann die Natur – der Garten Eden – und danach die Frau. Ihr Leben ist sorg- und mühelos, bis sie durch den »Baum der Erkenntnis« verführt werden. Ein zorniger Gott vertreibt sie daraufhin aus dem Paradies und zwingt sie und ihre Nachkommen somit, bis in alle Ewigkeit die Erde zu bestellen, damit sie überleben können. Mit diesem Narrativ erfahren wir, warum sich die Menschen trotz ihrer privilegierten, zentralen Rolle in Gottes Schöpfung mit der Kultivierung der Erde abplagen müssen. Durch die Handlungslinien, die Kosmos, Erde und Menschen mit allen anderen Akteuren und Kräften, mit denen sie interagieren müssen, verbinden, erzählen uns Ursprungsgeschichten, wer wir sind, woher wir kommen, welche Rolle wir auf der Erde spielen und in welcher Beziehung wir zur übrigen Natur stehen. Ähnlich stellt auch das Anthropozän eine Erzählung über...


Ellis, Erle C.
Erle C. Ellis ist ein amerikanischer Professor für Geografie und Umweltsysteme an der University of Maryland. Er beschäftigt sich unter anderem mit der Ökologie von Ökosystemen, die vom Menschen geprägt werden. Sein Ziel ist es, durch seine Forschung eine Wende zu einem nachhaltigen Umgang mit der Erde im Anthropozän anzustoßen.


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