E-Book, Deutsch, Band 8, 372 Seiten
Reihe: Globalgeschichte
Elsemann Umkämpfte Erinnerungen
1. Auflage 2011
ISBN: 978-3-593-41240-5
Verlag: Campus
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Die Bedeutung lateinamerikanischer Erfahrungen für die spanische Geschichtspolitik nach Franco
E-Book, Deutsch, Band 8, 372 Seiten
Reihe: Globalgeschichte
ISBN: 978-3-593-41240-5
Verlag: Campus
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Spanien galt lange als Modell für einen friedlichen Übergang von der Diktatur zur Demokratie. Doch erst die Ermittlungen der spanischen Justiz gegen das 'Verschwindenlassen' in Argentinien und Chile führten zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit. Im Mittelpunkt standen dabei die 'Verschwundenen' des Bürgerkriegs und der franquistischen Repression. Nina Elsemann stellt dar, welche geschichtspolitischen Diskurse und Erfahrungen in Spanien insbesondere aus Argentinien übernommen wurden. Damit präsentiert sie den Wandel des öffentlichen Umgangs mit der Vergangenheit als Folge globaler Dynamiken und Verflechtungen.
Ausgezeichnet mit dem Ernst-Reuter-Preis der FU Berlin 2011 und dem Friedrich-Meinecke-Preis 2011.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1;Inhalt;6
2;Vorwort;8
3;1 Einleitung;10
4;2 Das Verschwindenlassen und die Konstruktion der desaparecidos im Kontext globaler Transfers;36
4.1;2.1 Die »Erfindung« des Verschwindenlassens im 20. Jahrhundert;37
4.2;2.2 Die Politik des Verschwindenlassens in Lateinamerika;47
4.3;2.3 Der diskursive Kampf um die desaparecidos: Von Lateinamerika zur internationalen Menschenrechtsnorm;66
5;3 Transnationale Aufarbeitung der Vergangenheit: Globale Normen und lokale Wirkung;90
5.1;3.1 Neue Wege der Aufarbeitung;91
5.2;3.2 Der »Fall Pinochet«;108
5.3;3.3 Die Debatte über Pinochet in Spanien: Diskursive Transfers und historische Parallelen;121
5.4;3.4 Der »Pinochet-Effekt«;141
6;4 Spanien nach dem »Fall Pinochet«: Der Wandel im öffentlichen Umgang mit der Vergangenheit (1975–2000);145
6.1;4.1 Das Modell der spanischen transición: »Niemals wieder« Bürgerkrieg;146
6.2;4.2 Die Rückkehr der Vergangenheit: Erste Risse im Erinnerungskonsens der transición;168
6.3;4.3 Das Ende des Schweigens: Die Wiederentdeckung der spanischen desaparecidos;184
7;5 Argentinien als Modell: Die spanische Erinnerungspraxis und ihre zentralen Akteure;200
7.1;5.1 Die spanischen desaparecidos und die Wirkungsmacht internationaler Menschenrechtsnormen;201
7.2;5.2 Das Ausgraben der Geschichte: Lokale Erinnerungen und transnationale Erinnerungspraxis;225
8;6 Die Neuverhandlung der Vergangenheit in Spanien (2000–2008);251
8.1;6.1 Die Gegenwart der Vergangenheit: Kontroverse Begriffe und Geschichtsdeutungen;251
8.2;6.2 Politik mit der Vergangenheit: Zwischen Blockade und Institutionalisierung der Erinnerung;286
9;7 Schlussbetrachtung: »Argentinisierung« der Aufarbeitung?;318
10;Abkürzungsverzeichnis;332
11;Quellen;335
12;Literatur;339
13;Personenregister;371
(S. 250-251)
Die von den Erinnerungsaktivisten um Emilio Silva initiierte Debatte über die spanischen desaparecidos und die Ausgrabung der Bürgerkriegsgräber haben in den zurückliegenden Jahren das Thema der franquistischen Repression auf die politische Agenda gesetzt und eine grundlegende Neuverhandlung der Vergangenheit ausgelöst.
Während die Transition die Vergangenheit noch sinnbildlich begraben wollte, wird dieser Prozess seit 2000 umgekehrt und die verdrängte Geschichte der franquistischen Repression buchstäblich ausgegraben. Wie die vergangenen Jahre verdeutlicht haben, ist es der Erinnerungsbewegung dank der emotionalen Kraft und massenmedialen Wirkung der Ausgrabungen gelungen, eine öffentliche Debatte über die Bürgerkriegs- und Diktaturvergangenheit sowie die transición zu initiieren.
Diese Debatte hat in den letzten Jahren zu einer Pluralisierung der historischen Narrative geführt und wird zusammen mit der sich daraus ergebenden Sensibilisierung der spanischen Gesellschaft für die Problematik der Bürgerkriegsgräber und die Versäumnisse im Umgang mit der Vergangenheit von Silva zu Recht als entscheidender Erfolg der ARMH betrachtet.1
6.1 Die Gegenwart der Vergangenheit: Kontroverse Begriffe und Geschichtsdeutungen
Die in den letzten Jahren erfolgte öffentliche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit in den spanischen Medien unterscheidet sich in mehreren Aspekten deutlich von früheren Debatten. Neben der neuen Qualität und Quantität seit dem Jahr 2000 lassen vor allem neue Akteure diesen Unterschied erkennbar werden: Die Debatte, die in den neunziger Jahren noch in erster Linie in der Wissenschaft und der Politik geführt wurde, entwickelte sich seit 2000 immer mehr zu einem gesellschaftlichen Anliegen.
Dies führte dazu, dass in den Meinungsartikeln im Unterschied zur vorherigen Debatte, bei der es in erster Linie um die Geschichte und ihre politische Instrumentalisierung gegangen war, nun verstärkt der Begriff der Erinnerung formuliert wurde.2 Im Folgenden wird dieser Wandel in der öffentlichen Debatte, der sich auch anhand neuer Begriffe und Vergangenheitsdeutungen ausdrückte, veranschaulicht. Als Antwort auf die Revision der Vergangenheit durch die Erinnerungsbewegung und neuere geschichtswissenschaftliche Untersuchungen kam es in den letzten Jahren zugleich zu einem neuen Revisionismus, der bis heute versucht, die alten franquistischen Geschichtsmythen wiederaufleben zu lassen.
Angesichts der Konjunktur der runden Jahrestage zwischen 2000 und 2006 wird ein besonderes Augenmerk auf die symbolträchtigen Jahres- und Gedenktage gelegt, da diese die Dynamisierung der Debatte über die Vergangenheit und die Deutungskämpfe um bestimmte Daten und ihre Interpretation überzeugend aufzeigen.