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E-Book, Deutsch, 100 Seiten

Emrich / Schneider / Zedler Welche Farbe hat der Montag?

Synästhesie: das Leben mit verknüpften Sinnen

E-Book, Deutsch, 100 Seiten

ISBN: 978-3-7776-3139-4
Verlag: S. Hirzel
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Blauer Wein oder Buchstaben, zu denen bestimmte Farben gehören, farbige Himmelsrichtungen oder Musik, die hörend auch in Formen und Strukturen erlebt wird. Wer solche Wahrnehmungen hat, gehört zu den Synästhetikern. Lange wurde dieses Phänomen von der Wissenschaft wenig beachtet. Das ist heute anders, auch dank Psychiatern wie Hinderk Emrich. Dieses Buch präsentiert nicht nur den Standpunkt der modernen Neurowissenschaft zum Rätsel Synästhesie; es wagt sich auch in philosophische Randgebiete. Wie sieht das Leben eines Synästhetikers aus und wie funktioniert eigentlich unsere Wahrnehmung überhaupt?
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Vom Reiz zur Wahrnehmung Das menschliche Gehirn verarbeitet bewusst und unbewusst Informationen, die von außen oder auch aus dem zentralen Nervensystem selbst kommen. Zu seinen Tätigkeiten gehören Wahrnehmen, Erkennen, Vorstellen, Denken, Abspeichern, Planen von Handlungen, Kommunikation usw. Hier soll die Funktion des Gehirns nur kurz dargestellt werden; ausführlicher nachlesen kann man dies z. B. in Carter (2019). Die Sprache der Nervenzellen Reize aus der Umwelt können nicht direkt auf das zentrale Nervensystem einwirken, gleichgültig, worum es sich handelt. Zunächst muss jeder Sinnesreiz in die neuroelektrisch-neurochemische »Einheitssprache« des Nervensystems umgewandelt werden. Dies bezeichnet man auch als »sensorische Transduktion«. Um zu verstehen, wie Informationen verarbeitet und weitergeleitet werden, muss man zunächst wissen, wie eine einzelne Nervenzelle (Neuron) funktioniert. Für die Informationsverarbeitung ist sie die entscheidende Einheit. Eine solche Nervenzelle besteht aus einem Zellkörper, den Dendriten (baumartig aussehende Zellfortsätze der Nervenzelle) und einem schlauchartigen Nervenzellfortsatz (Nervenfaser oder Axon). Elektrische Signale werden über die Dendriten empfangen und über die Nervenfaser (Axon) an andere, unter Umständen sehr weit entfernt liegende Nervenzellen weitergegeben. In einem dunklen, nicht eigentlich schwarzen Raum erstrahlt »süß« als ein gläsern schillerndes, gelbes Objekt mit einer feinen roten Umrandung (oben). Form und Farben stammen vom geschriebenen Wort »süß«; das grelle Gelb des ü überstrahlt das Rot von s und ß (unten). Aquarelle von Insa Schulz Gymnopedie Nr. 1 von Erik Satie. Der obere orangefarbene Strich stellt die Melodiestimme, die untere Figur die Begleitstimme des Klaviers dar. Ausschnitt aus einer Computeranimation von Matthias Waldeck Beim Hören einer romantischen Musik kurz vor dem Einschlafen. Aquarell von Karin Heller-Engel Schostakowitsch. Dreidimensionale Darstellung eines 30 Sekunden langen Ausschnitts seines ersten Klavierkonzerts, zweiter Satz. Objekt von Matthias Waldeck Die Informationsweiterleitung in den Nervenzellen erfolgt an der Außenhülle, der Zellmembran. Im Ruhezustand ist diese außen positiv und innen negativ geladen. Der Spannungsunterschied zwischen außen und innen beträgt ca. 70 mV. Er wird dadurch aufrechterhalten, dass die Zelle bestimmte Konzentrationen verschiedener Ionen (positiv oder negativ geladene Teilchen) aufbaut. Bei einer Erregung, also beim Eintreffen eines Signals, strömen Kalium-Ionen von außerhalb der Zellmembran nach innen und sorgen so dafür, dass sich die Ladungen umkehren. Diese Umkehr setzt sich dann sukzessive über die gesamte Nervenzelle fort. Ein elektrisches Signal kann allerdings nicht ohne weiteres von einer Zelle zur nächsten gelangen. Damit Zellen untereinander Informationen austauschen können, brauchen sie besondere Strukturen: kleine Auftreibungen an den Enden der Nervenfasern, die so genannten Synapsen. Über sie nimmt die Nervenzelle Verbindung mit den Dendriten anderer Nervenzellen auf und gibt Informationen weiter – allerdings nicht über elektrische Potenziale, sondern in erster Linie neurochemisch. Die Kommunikation erfolgt über bestimmte chemische Substanzen, so genannte Transmitter. In den synaptischen Endknöpfchen werden verschiedene Neurotransmitter in Vesikeln (Bläschen) gespeichert und freigesetzt, sobald sich das Membranpotenzial ändert. Sie gelangen dann durch den synaptischen Spalt zur Empfängerzelle und gehen dort eine Verbindung mit der so genannten postsynaptischen Membran dieser Zelle ein. Wenn sich das Neurotransmitter-Molekül mit einem Rezeptor (Empfänger) auf der Membran verbunden hat, öffnen sich Ionenkanäle, durch die Ionen in die Zelle einströmen. Dabei ändern sich die elektrischen Ladungen innerhalb und außerhalb der Membran und ein neues Aktionspotenzial kann ausgelöst werden. Es wird wiederum neuroelektrisch über die Nervenzelle weitergeleitet. Grundaufbau einer Nervenzelle und Übertragung von Signalen in einer Synapse Signale können sich in den Nervenzellen und zwischen den Zellen grundsätzlich nur in eine Richtung bewegen. Die Verschaltung der Neuronen bestimmt den Weg, den die Signale nehmen. Informationen aus den Sinnesorganen gelangen ins Gehirn immer an die Bereiche, die auf die Verarbeitung der jeweiligen Daten spezialisiert sind. Das Gehirn und seine Teile Das menschliche Gehirn umfasst ca. 86 Milliarden Nervenzellen. Die Nervenzellen sind über die sogenannten Synapsen miteinander verbunden. Die Anzahl der synaptischen Verbindungen wird auf ca. 100 Billionen geschätzt. Dabei ist die Anzahl der Nervenzellen für die Funktionen des Gehirns weniger bedeutsam als das Muster der synaptischen Verknüpfungen. Daneben enthält das menschliche Gehirn noch ca. 900 Milliarden weitere Zellen, die z. B. die Nervenzellen schützen, stützen und versorgen. Insgesamt umfasst das Gehirn des Menschen also ca. 1 Billion Zellen. Diese sind sehr komplex organisiert. Das Denken und Erkennen findet nach unserem heutigen Verständnis in den Nervenzellen statt; sie stellen in ihrer Struktur, Funktion und synaptischen Verknüpfungen das Substrat unserer kognitiven (erkenntnismäßigen) Leistungsfähigkeit dar. Alle Denk- und Erkenntnisprozesse sind also an die Neuronen und ihre Verknüpfung gebunden. Der spanische Nobelpreisträger Santiago Ramön y Cajal, der 1911 ein grundlegendes Werk zur Histologie des Nervensystems veröffentlichte, bezeichnete sie als »Schmetterlinge der Seele, deren Flügelschläge eines Tages womöglich das Geheimnis geistigen Lebens enthüllen würden«. Er beschrieb die Nervenzellen unter anatomischen Gesichtspunkten bereits relativ exakt. Mittlerweile weiß man, dass das Gehirn zahlreiche verschiedene Typen von Nervenzellen enthält. Durch neuroanatomische Färbemethoden können viele Formen von Zellkörpern und Dendriten-Bäumen unterschieden werden. Beim Hören einer Musik. Die silbernen Schnüre waren in Bewegung. Aquarell von Karin Heller-Engel Auf molekularer Ebene ist die Vielfalt der Nervenzellen noch größer. Sie enthalten zwar wie alle Zellen eines Organismus prinzipiell das gleiche genetische Material, aber davon wird immer nur ein bestimmter Teil ausgelesen (exprimiert). Je nach Zellart und Funktion können das bei den einzelnen Zelltypen ganz verschiedene Teile sein. Somit ist es möglich, dass zwei Zellen, die von der äußeren Betrachtung her identisch aussehen, völlig verschiedene Funktionen erfüllen, je nachdem, welche Gene gerade aktiviert sind. Beispielsweise erscheinen die Motoneuronen des Rückenmarks (zuständig für Bewegungen), die so genannten Amakrinen-zellen der Netzhaut und die Purkinjezellen des Kleinhirns äußerlich ähnlich, haben jedoch sehr verschiedene Aufgaben. In seinem Grundaufbau entspricht unser Gehirn, dem anderer Wirbeltiere. Es besteht aus fünf Teilen: Großhirn (auch Endhirn genannt), Zwischenhirn (mit Thalamus und Hypothalamus), Mittelhirn, Hinterhirn (mit Kleinhirn) und dem Nachhirn, das ins Rückenmark übergeht. Der größte Bereich des Großhirns ist die Großhirnrinde (Kortex), der höchstentwickelte Teil des menschlichen Gehirns. Sie bedeckt gewissermaßen die übrigen Gehirnteile und liegt außen, dem Schädelknochen am nächsten. Ihre Oberfläche ist stark gefurcht, eine Gehirnwindung bezeichnet man als »Gyrus«. Die Dicke der Großhirnrinde beträgt ca. 2mm, ihre Oberfläche misst rund 1,5 m2. Anatomisch unterschiedene Teile des Gehirns Nach anatomischen und funktionellen Gesichtspunkten lässt sich die Großhirnrinde in mehrere Felder untergliedern, die besondere Aufgaben übernehmen; so können sie der Wahrnehmung und Verarbeitung von Sinneseindrücken oder auch der Kontrolle von Bewegungen dienen. Neben diesen scharf umrissenen Feldern gibt es so genannte assoziative Rindenfelder, deren Funktion darin besteht, verschiedene Signale aus anderen Gehirnbereichen zu neuer Information zu verknüpfen. »Kerne« sind räumliche und funktionale Einheiten, in denen eine größere Anzahl von Nervenzellen zusammengeschlossen ist. Jede Großhirnhälfte wird in vier so genannte Lappen unterteilt: Stirnlappen (Lobus frontalis), Scheitellappen (Lobus parietalis), Hinterhauptslappen (Lobus occipitalis) und Schläfenlappen (Lobus temporalis). Die Rinde des Schläfenlappens erfüllt in erster Linie Gedächtnisfunktionen; außerdem liegt in ihr die Basis für sensorisch-kognitive Funktionen, also das Erkennen von Informationen, die über die Sinnesorgane wahrgenommen wurden. Die Großhirnrinde im Bereich des Stirnlappens steuert vor allem Verhaltensweisen; sie trifft Entscheidungen und veranlasst Bewegungen. Diese drei Bereiche gelten als die eigentlichen Integrationszentren der Wahrnehmung – dort entscheidet unser Gehirn, was wir letztlich sehen, hören, riechen usw. Allerdings können diese Leistungen nur im Zusammenspiel mit tiefer gelegenen Hirnarealen und Strukturen wie dem limbischen System (s. Abb. Teile des limbischen Systems), den Basalganglien und verschiedenen anderen Kerngebieten erbracht werden. Häufig haben die entsprechenden Großhirnteile der rechten und der linken...


Emrich, Hinderk M.
Professor Dr. Dr. Hinderk M. Emrich leitete bis 2008 die Abteilung Klinische Psychiatrie und Psychotherapie der Medizinischen Hochschule Hannover. Ein besonderer Schwerpunkt seiner Arbeit ist philosophische Psychologie. Er interessiert sich seit vielen Jahren für Synästhesie, hat zahlreiche Artikel darüber in Fachzeitschriften veröffentlicht und Vorträge darüber gehalten.


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