E-Book, Deutsch, 240 Seiten
Endres Kriminaloberkommissar Kasimir – Ein brillanter Geist in der unwürdigen Hülle eines Nagetiers
16001. Auflage 2016
ISBN: 978-3-522-61062-9
Verlag: Thienemann in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 240 Seiten
ISBN: 978-3-522-61062-9
Verlag: Thienemann in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH
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Brigitte Endres, in Würzburg geboren, studierte Geschichte und Germanistik. Ihr Talent zum Fabulieren entdeckte die ausgebildete Lehrerin, als sie begann, für ihre Schüler zu schreiben. Bald darauf wurde ihr erstes Kinderbuch publiziert. Es folgten zahlreiche Veröffentlichungen bei verschiedenen Verlagen sowie im Bayerischen Rundfunk. Heute ist Brigitte Endres hauptberuflich als Autorin tätig.
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1. KAPITEL
Seit dem Tag, an dem Kriminaloberkommissar Kilian Kasimir in mein Leben getreten ist, frage ich mich bei jedem Toten, der in unserem Keller liegt, ob er auf natürliche Weise gestorben ist.
Ich muss vorausschicken, dass Herr Kasimir ermordet worden ist. Allerdings überlebte er den Mordanschlag auf wirklich absurde Weise. Sein Geist wurde nämlich durch einen Stromschlag in den Körper meines Meerschweinchens Bully gebeamt. Das heißt, hier neben mir sitzt ein Kriminaloberkommissar in einem Meeri-Body. Total abgefahren! Deshalb erzähle ich das auch nicht überall rum, zumal Herr Kasimir zwar hervorragend mit mir kommuniziert – aber leider halt auch ausschließlich mit mir. Nicht mal meine Eltern wissen davon. Das Meerschweinchen, das ich überall mit mir herumschleppe, ist für sie nach wie vor mein kleiner Bully. Ich hab einmal versucht, die Sache meinem eigentlich cleveren Bruder zu verklickern. Seither hält mich Felix wahrscheinlich für völlig durchgeknallt.
Meine Zweifel an den Todesumständen unserer Kundschaft haben sich leider erschreckend schnell bestätigt. Die Ereignisse der letzten zwei Wochen waren so haarsträubend, dass ich sie gleich wieder mit meinem Smartphone aufzeichne, ehe ich die unheilvollen Einzelheiten vergesse.
Da es schon den ganzen Tag in Strömen regnet, sitze ich diesmal nicht auf Herrn Kasimirs schwarzer Grabplatte. Heute hab ich mich ins Sarglager verzogen. Ich hab definitiv keine Lust, Mum zu erklären, warum ich stundenlang Selbstgespräche führe.
Als Tochter eines Bestatters fand ich nie was Besonderes daran, unter einem Dach mit Verstorbenen zu leben. Leichen sag ich nicht gern, das hört sich irgendwie abwertend an, find ich. Aber seit das mit Herrn Kasimir passiert ist, weiß ich, dass Jahr für Jahr unzählige Leute begraben werden, die umgebracht worden sind. Leute, bei denen ein dussliger, schlampiger oder gestresster Arzt einfach auf dem Todesschein Natürlicher Tod angekreuzt hat. Es ist kein gutes Gefühl, ein Mordopfer unter die Erde zu bringen, dem niemals Gerechtigkeit widerfährt, weil es nicht mehr reden kann. Ich hab Dad mal gefragt, ob er jemals wissentlich einen Ermordeten beerdigt hat. Angeblich ist das in all den Jahrzehnten nicht ein einziges Mal vorgekommen. Dad meinte, das liege vor allem daran, dass wir in unserer Kleinstadt kein rechtsmedizinisches Institut hätten. Das ist nämlich so: Bei Mordverdacht wird immer obduziert. Der Tote wird also weggebracht und später von einer Firma bestattet, die das Institut beauftragt. – Obwohl Dad sich da sicher ist, sprechen die Zahlen dafür, dass es hundertpro irgendwann auch bei uns passiert sein muss.
Da mein Bruder Engel und Sohn ohnehin nicht übernehmen will, steht inzwischen mein Entschluss fest, das Geschäft später selbst weiterzuführen. Engel ist unser Nachname. – Felix studiert übrigens Medizin. Er will seinen Facharzt ausgerechnet in Pathologie und Rechtsmedizin machen. Das Gewerbe seiner Eltern hat ihn offenbar doch mehr geprägt, als er zugeben will. – Ich hab es mir jedenfalls zum Ziel gesetzt, später ein Bestattungsinstitut zu führen, in dem jedem unklaren Todesfall nachgegangen wird. – Der Sohn im Namen muss dann natürlich gestrichen werden.
Ich hoffe, bis dahin noch viel von Kriminaloberkommissar Kasimir zu lernen. Er hat bis zu seiner Pensionierung vom Polizeidienst immerhin fünfundneunzig Mordfälle aufgeklärt, logisch, dass er unheimlich viel kriminalistische Erfahrung hat. Nach den letzten Geschehnissen hab ich das ungute Gefühl, dass wir gemeinsam noch die Hundert vollmachen werden.
»Was sagen Sie, Herr Kasimir?«
…
»Okay, ich will’s versuchen!«
Herr Kasimir sagte eben, ich soll endlich zur Sache kommen, weil wir sonst morgen noch hier sitzen.
Also, es war Freitagabend. Herr Kasimir und ich saßen auf meinem Bett, aßen Nüsschen und guckten fern. Marlowe lag auf dem Bettvorleger und schnarchte leise. – Marlowe ist eigentlich Herrn Kasimirs Hund, ein ehemaliger Polizeihund. Er ist zwar nicht schön – Bluthunde sind nun mal nicht schön. Aber er ist treu, gut erzogen und er hat eine untrügliche Nase. Nach vielem Hin und Her konnte ich meine Eltern zum Glück doch noch überreden, den verwaisten Hund zu adoptieren.
Freitag ist unser Krimi-Abend, auf den ist Herr Kasimir immer ganz scharf. Er nörgelt zwar die ganze Zeit rum, dass die Filmleute keine Ahnung von echter Polizeiarbeit hätten, und dass der Kommissar genauso ein Stümper sei wie Flatter.
Hauptkommissar Siegmund Flatter, muss man dazu wissen, war zuletzt Herrn Kasimirs Chef, und er ist tatsächlich ein ziemlicher Idiot, ich hab ihn kennengelernt.
Jedenfalls hatten sie den Toten im Film gerade aus dem Fluss gefischt, als Dad an meine Tür klopfte und auch schon im Zimmer stand. »Oh, du schaust fern!«
Ich drehte den Ton leiser.
Dad hüstelte. »Äh, ich wollte fragen, ob du heute mal mitkommen willst. Wir haben einen späten Kunden, und Olaf und Herr Hahn sind schon im Wochenende. Felix hab ich angerufen, er springt ein. Das ist eine gute Gelegenheit für dich, mal bei einer Hausabholung dabei zu sein. Du zeigst ja in letzter Zeit immer mehr Interesse fürs Geschäft. – Oder?« Er lächelte unsicher. Ich weiß, es freut ihn riesig, dass ich den Laden später übernehmen will. Andererseits will er mich auch zu nichts drängen, darum schob er auch gleich nach: »Aber wenn du lieber den Krimi guckst …«
Ich überlegte kurz. Mit ›guter Gelegenheit‹ meinte Dad, dass wir unter uns waren, also Familie. Dad holt selten Kundschaft ab, das machen meistens unsere beiden Angestellten, Olaf und Herr Hahn. Deshalb nickte ich. »In fünf Minuten bin ich unten.«
»Zieh den Schwarzen an«, sagte Dad. »Du weißt ja …«
Ich nickte und sprang aus dem Bett.
Herr Kasimir sah mir unwillig zu, als ich den schwarzen Hosenanzug aus dem Schrank holte. »Ausgerechnet an unserem Krimi-Abend«, hörte ich ihn vor sich hin brummen.
»Sie bleiben sowieso hier«, sagte ich. »Ich lass den Fernseher laufen, dann können Sie sich den Film zu Ende ansehen. – Und jetzt drehen Sie sich gefälligst um!«
Herrn Kasimirs Meeri-Schnauze wandte sich mit einem beleidigten Schnauben Richtung Fernseher. Ein Gentleman ist er, das muss man ihm lassen. Ich zwängte mich also in die Pietätsklamotten und steckte mit einer Klammer meine Putzwolle-Haare hoch. In unserer Branche gibt es einen strengen Dresscode. Bei einem Trauerfall kann man definitiv nicht im Girlie-Outfit oder Freizeitdress aufkreuzen. Ich warf einen letzten Blick in den Spiegel und ging zur Tür.
Marlowe hob den schweren Kopf und sah mich erwartungsvoll an. »Ne, Marlowe. Du bleibst auch hier.«
Schon auf der Treppe verfluchte ich den Hosenanzug. Das Ding klemmte wirklich überall. Verdammt, Mama hatte recht, ich hatte zugelegt.
Dad wartete schon auf mich. Er sah mich überrascht an.
Ich bannte eine trotzige Locke nach hinten. »Stimmt was nicht?«
»Ganz im Gegenteil, mein Schatz«, sagte er. »Du siehst nur so erwachsen aus. Dass du gerade vierzehn geworden bist, glaubt man fast nicht.«
Ehrlich, sein Lob machte mich richtig stolz. Ich ließ mich in den breiten Beifahrersitz fallen. »Wen holen wir eigentlich ab?«
»Einen Herrn Knappmann, muss ein überraschender Tod gewesen sein«, sagte Dad. »Die Witwe hat ihn tot auf dem Sofa gefunden.«
»Schrecklich«, sagte ich.
Dad ließ den Wagen an. »Solche Todesfälle sind immer ein Schock für die Familie. Wenn einer lange krank ist, kann man sich wenigstens auf den Abschied einstellen, aber so was …«
Ich nickte. »Was macht man eigentlich, wenn ein Angehöriger total verzweifelt ist?«
Dad zuckte mit den Schultern. »Da gibt es kein Rezept. Man muss erspüren, ob Trost erwünscht ist. Ein guter Bestatter sollte auch ein guter Psychologe sein.«
Unvermittelt brach ein Platzregen los, die Scheibenwischer flogen fast weg. Seit Tagen hatten wir typisches Aprilwetter. Wasserfluten rauschten über den Asphalt. Ich starrte aus dem Fenster. Mir war plötzlich unbehaglich. Erwartete mich jetzt gleich ein Platzregen von Tränen? Mit Trauer und Verzweiflung hatte ich bisher nicht viel zu tun gehabt. Wenn die Leute zu uns ins Geschäft kommen, sind sie meistens schon sehr gefasst.
Aber ich hatte nicht viel Zeit, darüber nachzugrübeln, denn da hielt Dad an, und Felix rannte, die Jacke über den Kopf gezogen, auf den Wagen zu. Er riss die Tür auf und quetschte sich hastig neben mich – eigentlich saß er fast auf mir. Leider ist der Firmenwagen ein Zweisitzer, früher hatten wir mal einen mit durchgehender Bank, aber so was gibt es heute nicht mehr. Okay, es ist nicht ganz nach Vorschrift, aber zur Not passt man auch mal zu zweit auf einen Sitz.
»Autsch!« Mit einem vorwurfsvollen Blick machte ich mich so schmal ich konnte.
Felix streifte sich die Nässe von den Ärmeln und grinste unverschämt. »Sorry, Schwesterchen, aber du hast ja genug Knautschzone.«
»Idiot!«, zischte ich.
Ich weiß selbst, dass ich ein bisschen zu viel auf den Rippen hab. Aber irgendwie ist es mir auch wieder egal. Nur mag ich es nicht, wenn andere darauf herumhacken.
Dad warf uns einen Blick zu, der das Geplänkel unterbrach.
Zum Glück hörte der Regen ebenso plötzlich auf, wie er begonnen hatte. Als wir vor einem Mehrfamilienhaus aus dem Wagen stiegen, tröpfelte es nur noch.
Dad klingelte. »Dritter Stock. Hoffentlich ist das Treppenhaus nicht so eng.«
Während ich...