E-Book, Deutsch, Band 19, 768 Seiten
Reihe: Das Spiel der Götter
Erikson Das Spiel der Götter 19
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-641-20275-0
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der verkrüppelte Gott
E-Book, Deutsch, Band 19, 768 Seiten
Reihe: Das Spiel der Götter
ISBN: 978-3-641-20275-0
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Er ist ein Gott, und doch riss ihn eine unbekannte Macht aus seinem Gefilde und schmetterte ihn auf die Erde. Körperlich verkrüppelt, vor Schmerz, Hass und Wut fast wahnsinnig, verfolgt er nur ein Ziel: Rache! Die Welt soll nicht nur brennen, er will die ganze Schöpfung auslöschen. Und endlich ist es so weit. Der verkrüppelte Gott hat sein Ziel fast erreicht. Götter und Sterbliche kämpfen für seine Sache. Doch auch seine Gegner haben ein mächtiges Bündnis geschmiedet. Die letzte Schlacht beginnt!
Mit dieser komplexen epischen Fantasy-Saga wurde Steven Erikson zu einem der bedeutendsten Vertreter der modernen Fantasy.
Steven Erikson, in Kanada geboren, lebt heute in Cornwall. Der Anthropologe und Archäologe feierte 1999 mit dem ersten Band seines Zyklus Das Spiel der Götter nach einer sechsjährigen akribischen Vorbereitungsphase seinen weltweit beachteten Einstieg in die Liga der großen Fantasy-Autoren.
Weitere Infos & Material
Kapitel zwei
Unten am Strand, wo Meer und Land sich schäumend treffen
Wo Fischer in die Knie gezwungen werden von Wunden, die nicht heilen wollen
Und das Wasser am Ende des Tages unter Tränen fleht
Im Spiegel fort ihr geht
Unter den roten Bäume und den langen, toten Blättern
kann der Wanderer mit seiner Axt sich nicht erinnern
Und die Erde in Tränen zerfließt und verweht
Im Spiegel fort ihr geht
In der stillen Jahreszeit, hoch auf des Hügels Feste
Im brennenden Regen und der Seele dunklem Mal
Wo Kinder sich niederließen und nun ihre Bettstatt steht
Im Spiegel fort ihr geht
Ein langer Schatten leise fällt auf seiner Schritte Spur
Herunter vom Altar gezerrt, die Geschicke unerfüllt
Erzählen von einem anderen Gott, einst jung, nun obsolet
Im Spiegel fort ihr geht
Wenn auf den grauen Feldern die Nöte ruhen
Eines weiteren Soldaten Sache stirbt für etwas, das nie war
Weht ein Traum vorbei, der seinen Weg verfehlt
Im Spiegel fort ihr geht
Das Heiligtum beschmutzt, das Denkmal liegt zerbrochen
Die Statue befleckt und das Entzücken gar vergällt
Schönheit lebt, doch nichts Lebendes besteht
Im Spiegel fort ihr geht
Götter geben und nehmen, was ihr erfleht
So euer Glaube schmeckt nach Blut
Drum trinket kräftig beim Gebet
Schönheit lebt, doch nichts Lebendes besteht
Und wenn erst alles dann vergeht
In der rettungslosen Flut
Im Spiegel fort ihr geht
Im Spiegel fort ihr geht
Lied des Letzten Gebets
(im Zeitalter des Schiedsurteils)
Sevul von Kolanse
Er spürte den Stoß und stellte sich vor, er wäre im Laderaum eines Schiffs, das in schwerem Seegang rollte. Als ein zweiter Stoß kam, meinte er, in einer durchzechten Nacht unterm Tisch zu liegen und irgendjemandes Stiefeltritte abzubekommen. Beim dritten Stoß – diesmal heftiger und voller Wut und Ungeduld – grummelte er einen Fluch. Aber etwas hatte seine Lippen versiegelt, sodass nur ein Stöhnen herauskam.
Er beschloss, dass es Zeit war, die Augen zu öffnen.
Auch das stellte sich als mühsam heraus, denn seine Lider klebten wie aufeinander und brannten ekelhaft, als er sie endlich auseinandergeblinzelt hatte. Dunkelheit, verschwommene Umrisse, etwas wie ein Gesicht vor ihm. Es roch nach Verfall. In seinem Mund der Geschmack von altem, altem Blut. Und etwas anderes. Bitter. Es war, so kam er mit sich selbst überein, der Geschmack von Versagen.
»Steh auf.«
Eine andere Gestalt kniete neben ihm. Eine weiche Hand drückte ihm seitlich gegen das Gesicht – doch sein Bart war ganz starr und knisterte unter dem Druck der Hand, und sie rutschte ab. Doch kehrte sie wieder, so kräftig, dass sein Kopf wackelte.
Und eine Frau sagte: »Dafür haben wir keine Zeit. Das Tor steht offen. Die Leute hier haben ein Gespür dafür.«
Der Erste sagte: »Das Gift hat seine Wirkung längst verloren. Aber er hat sich lange nicht mehr bewegt.«
»Der Wächter hätte …«
»Der spaziert durch die Gewirre, vermute ich. Unser Glück.«
»Hilf ihm auf die Beine, ja?«
Hände unter seinen Armen, ein Grunzen, und er spürte, dass er sich von dem Steinboden löste. Bis auf seine Fersen. Plötzlich stechende Schmerzen im Rücken und den Beinen, als er sie belasten wollte. Er konnte sich nicht daran erinnern, jemals so schwer gewesen zu sein – war er jemals so schwer gewesen?
»Steh auf, verdammt – ich kann dich nicht lange halten.«
»Was glaubst du, wie ich mich gefühlt habe?«, fragte die Frau neben ihm. »Bei dem haben meine Knochen geächzt.«
Er fluchte angesichts der Schmerzen, die aus seinen Beinen durch seinen Körper schossen. Taumelte …
»Da, einen Schritt zurück – lehne dich gegen die Wand. Gut, genau so. Jetzt schau mich an, Idiot. Schau mich so an, als würdest du mich erkennen.«
Er war dunkel, aber jetzt konnte er das Gesicht des Mannes sehen. Musterte die Augen, die ihn fixiert hatten, und runzelte die Stirn.
»Wie heiße ich?«, wollte der Mann wissen.
Er mühte sich ab, bis er ein wenig Speichel im Mund hatte, drückte mit der Zunge, um die Lippen auseinanderzupressen. »Ich kenne dich«, brachte er hervor. »Du heißt … Klecks.«
»Klecks?« Der Mann drehte den Kopf zu der Frau. »Er meint, ich würde Klecks heißen.«
»Soll ich ihn noch einmal ohrfeigen?«
»Fleck«, sagte er dann und blinzelte der Frau zu. »Klecks und Fleck. Jetzt erinnere ich mich. Ihr habt mich abgefüllt. Habt mich übertölpelt. Wahrscheinlich sollte ich euch beide töten. Wo ist meine Hose?«
Er lehnte immer noch an der Wand, hielt sich an ihr aufrecht und sah den Mann und die Frau finster an. Die beiden wichen einen Schritt zurück. Sie befanden sich in einem Gang, und rechts von ihm war eine massive Holztür, die offen stand und den Blick auf einen Hof voller Gerümpel freigab. Ein kühler Luftzug blies herein, der nach brackigem Wasser und Abfall roch.
Der Mann sprach langsam, als hätte er es mit einem Kind zu tun. »Du hast deine Hose an.«
»Natürlich. Glaubst du etwa, ich könnte mich nicht selber anziehen? Wo sind meine Messer?«
Die Frau fluchte leise und sagte: »Der Trottel hat den Verstand verloren. Ist auch kein Kunststück, da er sowieso nicht viel davon hatte. Aber jetzt ist der Rest auch noch dahin. Er nützt uns nichts – Cotillion hat gelogen. Wollte mich nur loswerden, deshalb hat er mich auf diesen Hexenritt geschickt – für nichts und wieder nichts!«
»Ich würde deiner Einschätzung beipflichten«, sagte der Mann und verschränkte die Arme. »Bis auf eins.«
»Was?«
»Klecks und Fleck? Der Scheißer verarscht uns, Minala. Und er findet es auch noch lustig. Siehst du diesen Blick? Als hätten sich alle Meeresunwetter auf seiner Stirn versammelt. Aber Kalam schaut nicht finster drein. Runzelt fast nie die Stirn. Kalam hat das Gesicht eines Assassinen.«
Kalam grinste. »Ich verarsche Euch, was? Ich sag’s dir, Zauberer, ich verarsche Euch genauso, wie du mich verarscht hast, als ich diese Eichel aufgeknackt habe, du aber nie erschienen bist? Während mich ungefähr hundert Klauen bedrängt haben?«
»Nicht meine Schuld. Und schau dich doch an. Du hast es überstanden und stehst aufrecht …«
»Er kriecht«, verbesserte ihn Minala. »Ich meine, wenn man Schattenthron glaubt. Der schmächtige Wicht musste Kalam bis zu der Tür hier schleppen. Es ist ein Wunder, dass er es überhaupt geschafft hat.«
Der Schnelle Ben schnaubte. »Dann bist du nicht annähernd so gut, wie du glaubst. Schockierend. Schau nur mal deine Kleider und deine Rüstung an – du wurdest in Stücke gehackt. O mächtiger Assassine. Eine Handvoll von Laseens Wieseln hat dich kleingekriegt, und du besitzt die Frechheit, mir die Schuld zuzuschieben.«
»Und wo ist sie?«, wollte Kalam wissen.
»Wer?«
»Laseen. Ich habe noch ein Hühnchen mit ihr zu rupfen. Sie hat Tavore freigelassen. Sie meinte, die Wickaner müssten geopfert werden – und Korbolo Dom. Ich will, dass der Kopf dieses Schweinehunds auf jeder Stufe von Mocks Feste aufdotzt, wenn er in die Kanalisation kullert – wo sind meine Scheißmesser?«
Minala zog einen Gürtel hervor und warf ihn ihm vor die Füße. »Ich eile durch tausend Gewirre zu dir, werde fast vom Blitz erschlagen, und du hast nicht ein Wort für deine Frau übrig, beim Vermummten noch eins?«
»Du hast mich rausgeschmissen, falls du’s vergessen hast.«
»Vergessen? Ich habe nicht vergessen, warum, daran erinnere ich mich. Das alles ist Cotillions Schuld.«
Der Schnelle Ben sagte: »Sie will es nicht aussprechen, aber sie vermisst dich …«
Sie trat vor ihn hin. »Du hältst dich da raus.«
»Würde ich nur zu gerne, aber wir haben keine Zeit. Schau, Kalam, sie meint es ernst – sie hat dir sogar ein Pferd aufgetrieben …«
»Wozu brauche ich ein Pferd? Wir sind in Malaz! Wenn Laseen davongelaufen ist, dann brauche ich kein Pferd – ich brauche ein Schiff.«
»Kalam, hör mir zu. Schattenthron hat dich ins Totenhaus gebracht. Du lagst im Sterben. Gift. Und dann hat man dich, äh, einfach hiergelassen. Hier auf dem Boden. Eine Weile – na ja, ganz schön lange.«
»Und, habt ihr Laseen getötet? Habt ihr mich gerächt? Und du besitzt die Dreistigkeit, dich mein Freund zu nennen – du hast sie nicht getötet, oder? Hast du?«
»Nein, habe ich nicht – halt einfach mal kurz die Klappe und hör mir ausnahmsweise zu. Vergiss das malazanische Imperium. Vergiss den Regenten oder Protektoren oder welchen Titel Mallick Rel sich ausgedacht hat. Vielleicht wurde Laseen ermordet, wie man behauptet, vielleicht...