E-Book, Deutsch, 332 Seiten
Eschstruth Von Gottes Gnaden - Band I
1. Auflage 2017
ISBN: 978-87-11-46997-2
Verlag: SAGA Egmont
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 332 Seiten
ISBN: 978-87-11-46997-2
Verlag: SAGA Egmont
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ellerndörp ist ein kleines, beschauliches Dorf, wo jeder jeden kennt und nicht viele Worte gemacht werden. Doch nun ist ein neuer Gutsbesitzer nach Ellerndörp gezogen, Oberst Koltitz, und er bringt seine Frau Henriette und Tochter Erika mit in das vergessene Dorf am Ende der Welt. Mit der hübschen Erika kommt Leben in das verschlafene Örtchen. 'Deiwel ja! Dat is 'n smucket Göhr!', nickt der Schulze voll Anerkennung, als er Erikas Fotografie sieht. Während sich die Mutter sorgt, dass 'das arme Wurm noch zu jung für diese klosterhafte Einsamkeit' sei, beginnt sich Wigand, der 'Goldjunge' aus dem Dorf, für sie zu interessieren. Doch sie hat nur Augen für Wigands Freund und Cousin Joel, den 'gottbegnadeten' jungen Musiker vom Konservatorium, der zudem auch besonders schön ist; auch wenn er ein wenig zu Selbstüberschätzung und Leichtlebigkeit neigt. Als ihn sein Vater, der von Joels Genie wenig überzeugt ist, als Volontär nach Ellerndörp schickt, entbrennt Erika in heftiger Liebe zu ihm. Spürt sie doch auch eine künstlerische Ader in sich selbst ...-
Nataly (Natalie) Auguste Karline Amalie Hermine von Eschstruth (1860-1939; (Ehename: Nataly von Knobelsdorff-Brenkenhoff) war eine deutsche Schriftstellerin und eine der beliebtesten Erzählerinnen des Wilhelminischen Zeitalters. Sie schildert in ihren Unterhaltungsromanen in eingängiger Form vor allem das Leben der höfischen Gesellschaft, wie sie es aus eigener Anschauung kannte. Sie entstammte einer hessischen Familie und war die Tochter des königlich preußischen Majors Hermann von Eschstruth (1829-1900) und der Amalie Freiin Schenck zu Schweinsberg (1836-1914). 1875 durchlief sie eine Ausbildung in einem Mädchenpensionat in Neuchâtel in der Schweiz und bereiste später die wichtigsten europäischen Hauptstädte. Von Eschstruth schrieb Frauenromane, die in der Schicht der wilhelminischen Adelsgesellschaft oder bei hohen Hofbeamten spielen und erzählt dort fiktiv-biographische Geschichten. Das Umfeld der Romane ihrer Hauptschaffensperiode in den 1880er und 1890er Jahren vermittelt heute einen Eindruck von alltäglichen und historischen Details; vom Unterhaltungswert haben von Eschstruths Bücher nichts eingebüßt.
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I.
Es bildet ein Talent sich in der Stille ... Still, friedlich, einsam im Sonnenglanze liegt das Flachland. Der Himmel ruht wie eine mächtige, hochgewölbte Kuppel von Saphir über der Welt, die Sonne ist die strahlende Münsterrose tausend jubelnde Vöglein sind der Domchor, welcher Gottes Lieb’ und Lob dem weiten All verkündet. Ja, es ist Sonntag, — so feierlich und festlich geschmückt wie heute hat die Heide lange nicht ausgeschaut. Die Erika blüht wie ein zartroter Schleier liegt’s duftig über dem braunen Land; die Ginsterbüsche schwanken graziös im Lufthauche, wie zarte Reiherbüsche auf schönem Frauenhaupt, und sobald sich die Halme regen, funkeln Milliarden von Tautropfen, gleich köstlichstem Geschmeide, soweit das Auge blickt! Die Gegend ist weder interessant, noch schön oder wechselreich, — verwöhnte Menschen finden sie sogar trostlos und begreifen es nicht, wie man hier Jahr aus, Jahr ein leben kann. Die aber, welche hier geboren sind oder welche sich aus der lauten, leichtsinnigen Welt voll Undank, Falsch und Treulosigkeit geflüchtet haben, um hier zu vergessen, dass sie im neunzehnten Jahrhundert leben, sie schütteln die Köpfe über jene Blinden, deren Hasten und Treiben viel zu nervös und überreizt ist, um die Schönheit des Friedens noch begreifen und würdigen zu können! Die Sonntagsruhe, welche draussen in dem Jahrmarktsgewühl der Städte, alle acht Tage einmal, scheu und zaghaft anklopft, welche nur in verhängten Schaufenstern ihr mattes Bild spiegelt und schnell verjagt wird von dem wüsten Lärm der Schenken und Vergnügungslokale, — — hier wohnt sie ständig! Hier hat sie ihren Tempel errichtet, hier wogt ihr Odem segnend durch die klare Luft, welche noch keine qualmende Fabrikesse mit den Bacillen des Zeitgeistes verseuchte. — Der ganze Charakter der Landschaft ist Ruhe. Die Heide beherrscht sie, — kein Acker, kein Feld gräbt die Furchen des Fleisses durch sie hin, nur die Biene allein arbeitet in rastloser Emsigkeit, sammelt goldene Schätze aus den Kelchen der Heideblümlein und trägt sie zu Hauf in die Körbe des Imkers. Wer bemerkt es und wen stört es? — Leise, ganz leise surrt und summt es in der schwülen Sommerluft, nur die Blumenstengel nicken und wiegen sich, wenn die kleine Sammlerin trunken an der Dolde hängt, nur wie Goldfunken stiebt es durch den Sonnenschein, wenn die tausend Flügel sich regen. — Alles andere Leben der Heide pflegt behaglich der Sonntagsruhe. — Regungslos sonnt sich die harmlose Natter im Sande, Eidechsen huschen hervor und lassen es sich im warmen Lichte wohl sein und die Kaninchen blinzeln schlaftrunken durch Halm und Rispe. Der dunkle Strich am Horizont ist Nadelwald. Der Himmel hinter ihm trägt schwefelgelbe Färbung, so leuchtend und grell, dass es aussieht, als habe man die schwarzen Kiefernspitzen auf Goldpapier geklebt. — Dort wirbeln auch feine, zartblaue Dampfwölkchen in die Höhe, und tief herabhängende Strohdächer heben sich wie grosse Ameisenhügel von der Erde ab. — Ein Dorf am Saum der Heide, — der Übergang der Einsamkeit zu Welt und Leben. Dort regen sich Menschenhände, dort beginnt der Kampf ums Dasein, dort ringt die Genügsamkeit dem ärmlichen Boden das tägliche Brot ab. — Nur wenige Häuser sind’s. Wie ein Schwarm scheuer Küchlein drängen sie sich um die Glucke, die plumpe, schmucklose Kirche inmitten des Friedhofs. Sie trägt keinen Turm, dazu braust der Sturm allzu verderblich von der See herüber; die Mauern sind stumpf und sonder Zierde aufgeführt wie ein Steinwürfel, in welchen man Bogenfenster eingelassen, hoch und schmal, vom Erdboden bis unter das Dach. Ein niedriger Glockenstuhl trägt das Kreuz, und rechts und links von der Thür stützen Säulen ein Dach, welches den schlichten Steinfiguren der Apostel ein Schutz gegen die Unbill des Wetters sein soll. — Der Kirchhof ist so schlicht und prunklos, wie der Sinn derer es gewesen, die auf ihm ihr letztes Kämmerlein bezogen. — Erlen und Holderbüsche, ein paar verkümmerte Syringensträucher und wilde Rosen fristen ein kärgliches Dasein im Sande. — Schwarze Kreuze wachen über den Grashügeln und nur dicht an der Kirchmauer leuchtet ein weisses Marmormonument in sauber gepflegtem Gärtchen. Dort ist das Familiengrab der Gutsherrschaft, und unter dem segnenden Christus schläft als Erster, der darein gebettet, der alte Oberst, welcher seinerzeit den „Heidehof“ ausbauen liess. — Der Heidehof ist ein bescheidenes Gutshaus, aber die Bauern sind nicht wenig stolz darauf und nennen es „das Schloss.“ — Für ihre Begriffe ist es freilich ein gar prachtvolles Anwesen, es ist aus massiven Steinmauern gefügt, trägt ein Schindeldach und grosse, helle Fenster, hinter welchen schneeweisse Mullgardinen so festlich leuchten, als feiere man alle Tage Hochzeit und Kindtaufe dahinter! Gegen die armseligen Lehmhütten, deren Strohdächer beinahe bis auf die Erde niederhängen, sticht es freilich sehr schmuck ab. Die Heidebauern haben sich auch beinahe die Augen aus dem Kopf geguckt, als es dermalen erbaut wurde, und Vater Claasen hat recht prophezeit, als er nach langem Schweigen endlich die Thonpfeife aus dem linken Mundwinkel in den rechten schob, und sprach: „Dat möt ’n närschen Mann sin, der dat Hus opricht. — Riek möt ’r sin, denn so’n Kram talt he nich mit Musdreck, — un’ rechtsaffen möt he sin, denn he geiht nich op Lug un Schien rut, un hät sik sin lüttes Hus onner der Ird ok glieksen bi de Kirch torecht butteln laten, aber’n Quaskopp möt he doch sin, — worüm will’n rieker Mann sik alleen un verlaten hier onner de Imker setten?“ — Die andern nickten und schwiegen, sie sprachen niemals viel und Vater Claasens Rede war die längste gewesen, die man nächst denen des Herrn Pfarrers in Ellerndörp gehört. Anfänglich sah man nicht viel von dem neuen Gutsherrn. Er kam von Zeit zu Zeit mit der Post herausgefahren, um den Bau des Hauses zu besichtigen, und die einzigen Dorfbewohner, welche ihm alsdann im Verkehr näher traten, war Peter Hagen, welchen er als Gärtner gemietet und dessen Frau, Modder Dörten, welche späterhin im Hause die Stelle der Wirtschafterin bekleiden sollte. Mit ihnen schritt der Oberst durch die neuen Gartenanlagen, in seiner kurzen, etwas militärisch rauhen Weise anordnend und befehlend, ohne jedes überflüssige Wort, — auf den ersten Blick als Sonderling zu erkennen. Er war ein grosser Herr, hager und verschrumpft, mit zahllosen Falten und Fältchen in dem lederfarbenen Gesicht. Ein grauer Schnurrbart sträubte sich über der Oberlippe, die Nase war scharf gebogen, die Augen blitzten ein Gemisch von Ingrimm und Erbitterung, und wenn der alte Herr seiner Gewohnheit gemäss mit der Hand nervös durch die spärlichen Haare fuhr, hob sich ein Krakehlschopf über der hohen Stirn, welcher ihm vollends ein kampfliches und drohendes Ansehen gab. — Oberst Koltitz war allem Anschein nach ein menschenscheuer und menschenfeindlicher Mann, Krankheit und Nervosität standen ihm im Gesicht geschrieben, und als er mit hastigen Schritten, den Kopf vorgeschoben, die Hände auf dem Rücken, die ersten Male die Dorfstrasse entlang schritt, ohne rechts und links zu blicken, da nickten die Heidebauern bedenklich vor sich hin und flüsterten einander zu: „De Kierl is all dösig in Koppe!! De hätt ne Ul’ sitten!!“ — Als aber die Mauern des neuen Hauses höher und höher wuchsen und der Oberst öfters aus der gelben Postchaise stieg, ward’s besser. Er fing an, auf der Strasse um sich zu blicken und langsamer zu gehen. Er musterte die einzelnen Kaden und Häuser, allerdings noch immer mit einem Gesicht, als ob er beissen möchte, klappte mit dem falschen Gebiss, als wolle er das friedliche Heidedorf unter die Zähne nehmen wie ein Fuchs den Hasen, und griff schon ein paarmal ungeduldig nach dem Hut, als etliche Weiber schüchtern ihr „Gooden Dag ok“ boten. Je öfter er kam, desto versöhnlicher schaute er drein. Modder Dörten kam atemlos an den Brunnen und berichtete: „Hüt snakt he ganz manirlich! He was ok taufridden mit’n Gaarden un hätt’ vor sich hinsmunzelt wie’n Kader in Sünnschin!“ — Das war eine gute Mär. Sie kam sogar noch besser. Nachmittags war der Oberst an des Dorfschulzen Gartenzaun stehen geblieben und hatte lütt Hanning gefragt; „Du! is wahr, dass dein Vater noch Kartoffeln zu verkaufen hat?“ — Hanning hatte zeitlebens noch kein hochdeutsches Wort gehört. Tödlich erschrocken steckte sie vier Finger ihres braungrauen Händchens gleichzeitig in den Mund und lutschte sie aus Verlegenheit schneeweiss. Da wetterleuchtete es allerdings wie zornige Ungeduld in den schartigen Zügen des alten Herrn. Aber nur einen Augenblick, dann strich er wie in jähem Verstehen mit der Hand über die Stirn. „Lütt Döskopp! Hät din Vadder noch Tüfften in’ Keller?“ Hanning machte eine Schwenkung nach rechts und lutschte verschämt zur Abwechslung an der linken Hand, — aber sie nickte dabei. „Verköpt he ok ’n Deel?“ — Das ging über des Flachskopfs Horizont. — Die blauen Augen starrten so durchaus verständnislos zu dem Frager auf, dass Koltitz das Verfehlte seines Unternehmens einsah. Er klappte ein paarmal mit dem Gebiss und stiefelte mit Riesenschritten weiter. Aber das nächste Mal klopfte er an die Thür des Schulzen und trat ein. Er nahm sogar Platz, obwohl Jochen Weese teils aus freudiger Überraschung, teils aus Hochachtung, gar nicht dazu aufgefordert hatte. Heute sprach der Oberst von vornherein ein gutes und deutliches Platt, ward verstanden und erhielt jede gewünschte Zustimmung....