Eterovic / Eterovic | Die leise Macht | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 384 Seiten

Eterovic / Eterovic Die leise Macht

Die Diplomatie des Heiligen Stuhls
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-451-83413-4
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Die Diplomatie des Heiligen Stuhls

E-Book, Deutsch, 384 Seiten

ISBN: 978-3-451-83413-4
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ein Top-Diplomat des Vatikan lässt hinter die Kulissen des Heiligen Stuhls als weltpolitischem Akteuer blicken. Eterovi? beschreibt das oberste Leitungsorgan der katholischen Kirche, schildert Zusammenhänge und internationale Beziehungen sowie die Bedeutung für die geschichtliche Entwicklung Europas.

Nikola Eterovi?, geb 1951, Dr. theol., Kurienerzbischof und Diplomat des Heiligen Stuhls, seit 2013 apostolischen Nuntius in Deutschland.
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Zweiter Teil

Der Heilige Stuhl im Kontext der Internationalen Gemeinschaft


Der Heilige Stuhl als Völkerrechtssubjekt


Der Heilige Stuhl, das oberste Führungsorgan der Katholischen Kirche, ist ein Rechtssubjekt im Völkerrecht. Er ist originäres Völkerrechtssubjekt, da er »eine geistliche und universelle Autorität, ein einzigartiges Zentrum der Gemeinschaft ist: ein souveränes Subjekt des Völkerrechts von religiöser und moralischer Natur«.1 Die frühesten Belege dafür finden sich seit dem Ende des Römischen Reiches im Jahre 476.2 Damit hat die katholische Kirche eine Sonderstellung gegenüber anderen Kirchen und Religionsgemeinschaften.

Der Heilige Stuhl genoss diesen Status als Völkerrechtssubjekt auch zu Zeiten, in denen er nicht über ein eigenes Territorium verfügte, so zum Beispiel im Zuge der Einigung Italiens (1870–1929). Auch in dieser Periode entsandten einige Staaten diplomatische Vertreter zum Heiligen Vater und empfingen gleichzeitig Apostolische Nuntien, die Vertreter des römischen Papstes. Während der Heilige Stuhl über kein eigenes Territorium verfügte, stieg die Zahl der Staaten mit diplomatischen Beziehungen zu ihm sogar von 16 auf 27. Nach den Lateranverträgen zwischen der italienischen Regierung und dem Vatikan am 11. Februar 1929 entstand der Staat der Vatikanstadt, der kleinste Staat der Welt, der als Völkerrechtssubjekt anerkannt ist. Umgesetzt wurde diese Tatsache in Artikel 14 und 16 des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen vom 18. April 1961, mit dem eine lange Debatte über die als Völkerrechtssubjekte anzuerkennenden Einrichtungen abgeschlossen wurde. Daraus geht hervor, dass »der Heilige Stuhl ein Subjekt ist, das in der Lage ist, das ius legationis auszuüben, was notwendigerweise das Eigentum am ius contrahendi voraussetzt. Er ist also als Vertragspartner gemäß der Konvention zu betrachten.«3

Heute unterhält der Heilige Stuhl diplomatische Beziehungen mit 186 Staaten, inklusive der Europäischen Union und dem Souveränen Malteserorden.4 Während des zwanzigsten Jahrhunderts, besonders in dessen letzten Jahrzehnten, wuchs die Zahl der Nuntiaturen in der Welt beträchtlich. 1870, als Italien Rom besetzte, waren 14 Botschafter beim Heiligen Stuhl akkreditiert. 1901, am Ende des Pontifikats von Leo XIII., waren es schon 21. 1950 gab es etwa 50 Apostolische Nuntiaturen, heute existieren 110. Dazu kommen sechs Ständige Vertretungen bei Internationalen Organisationen. Derzeit sind 113 Apostolische Nuntien im Dienst. Da der Heilige Stuhl diplomatische Beziehungen zu 186 Staaten unterhält, wird damit deutlich, dass ein Nuntius oft in mehreren Ländern gleichzeitig akkreditiert ist. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil wurden vermehrt diplomatische Beziehungen zu einzelnen Ländern aufgenommen, während des Pontifikates von Paul VI. (1963–1978) mit 39 Ländern und während des Pontifikates von Johannes Paul II. (1978–2005) mit 83 Ländern. Die diplomatischen Beziehungen wurden in der Zeit des Pontifikates Johannes Pauls II. erheblich erweitert. Zu Beginn seiner Amtszeit 1978 unterhielt der Heilige Stuhl diplomatische Beziehungen mit 84 Staaten, während es 2004 schon 174 waren. Während des Pontifikates von Benedikt XVI. traten sechs Staaten in diplomatische Beziehungen zum Heiligen Stuhl ein.5 Während des Pontifikates von Papst Franziskus kamen Mauretanien (2016), Myanmar (2017) und das Sultanat Oman dazu. Der Heilige Stuhl hat einen nicht residierenden Nuntius für Vietnam. In fünf Ländern hat der Heilige Stuhl keinen Repräsentanten.6

Interessant ist auch die gestiegene Anzahl der Nuntiaturen in Europa. Vor dem Fall der Berliner Mauer 1989 gab es hier 23 Apostolische Nuntiaturen. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus kamen 26 päpstliche Vertretungen dazu. Derzeit gibt es daher in Europa 49 Apostolische Nuntiaturen, 15 davon in ehemaligen Staaten der Sowjetunion.

Der Heilige Stuhl ist auch bei verschiedenen Institutionen und Internationalen Organisationen aktiv. Um die Beziehungen mit den Staaten und den Internationalen Organisationen aufrechtzuerhalten, hat sich der Heilige Stuhl schon in der Vergangenheit Abgesandter bedient, die zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Bezeichnungen hatten. Heute wird in der Regel der Begriff des Apostolischen Nuntius genutzt. Nuntius kommt aus dem Lateinischen und bedeutet Bote. Bis 1993 wurde in den Ländern, in denen der Nuntius nicht Dekan des Diplomatischen Corps war, der Begriff Pronuntius für den Vertreter des Heiligen Stuhles verwendet. Heute tragen alle Botschafter des Heiligen Stuhles den Titel Nuntius, wenn volle diplomatische Beziehungen mit dem Land bestehen, in das er entsandt wurde. Es gibt jedoch auch andere Formen der diplomatischen Beziehungen. 1990 bis 2009, bevor volle diplomatische Beziehungen vereinbart wurden, war der Heilige Stuhl in Moskau durch den Abgesandten des Heiligen Stuhles bei der Russischen Föderation vertreten. Seinerseits hatte auch der Botschafter der Russischen Föderation den Titel des Repräsentanten der Russischen Föderation am Heiligen Stuhl. Beide Repräsentanten hatten Diplomatenstatus, aber der Heilige Stuhl und die Russische Föderation unterhielten noch keine vollen diplomatischen Beziehungen. Der Heilige Stuhl nominiert darüber hinaus Apostolische Delegaten7 der katholischen Kirche in den Ländern, mit denen noch keine diplomatischen Beziehungen bestehen.

In der Geschichte der Apostolischen Nuntiaturen wie auch der diplomatischen Vertretungen allgemein im modernen Sinn nimmt der Wiener Kongress eine besondere Rolle ein. Hier wurde 1815 die Bedeutung des diplomatischen Dienstes unterstrichen. Der Kongress bestätigte unter anderem die damals schon bestehende Praxis, in Ländern mit einer katholischen Bevölkerungsmehrheit den Vertreter des Heiligen Vaters zum Dekan (Doyen) des Diplomatischen Corps zu ernennen. Damit sollte der Respekt für die moralischen und ethischen Prinzipien des Heiligen Stuhles, vertreten durch die Apostolischen Nuntien, ausgedrückt werden. Dieses Prinzip wurde im Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen vom 18. April 1961 festgeschrieben, das am 24. April 1994 in Kraft trat.8

Es gibt Staaten, in denen die Katholiken nicht die Mehrheit in der Bevölkerung darstellen und der Apostolische Nuntius trotzdem der Dekan des Diplomatischen Corps ist. Das ist der Fall zum Beispiel in Rumänien, wo die Bevölkerungsmehrheit der orthodoxen Kirche angehört, oder in der Elfenbeinküste, wo große Teile der Bevölkerung Anhänger von traditionellen Religionen oder in letzter Zeit auch Muslime sind.

Werden Konkordate oder konkordatäre Abkommen verhandelt, nehmen die Apostolischen Nuntien in den Staaten, in denen sie akkreditiert sind, an diesen Vorgängen teil. Im zwanzigsten Jahrhundert gab es viele konkordatäre Aktivitäten des Heiligen Stuhles. In dieser Zeit wurden 209 Konkordate oder entsprechende Abkommen getroffen. Unter Pius XII. wurden 14 und unter Johannes XXIII. vier Konkordate unterzeichnet.9 Während des Pontifikates von Johannes Paul II. waren es 83 Konkordate und Abkommen.

Bemerkenswert ist die verstärkte Konkordatstätigkeit im letzten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts und zu Beginn des neuen, dritten Jahrtausends des Christentums. Nach dem Fall der Berliner Mauer 1989 und der Errichtung demokratischer Systeme in den Ländern Zentral- und Osteuropas hat der Heilige Stuhl Konkordate und ähnliche Abkommen mit folgenden Ländern geschlossen: Kroatien, Polen, Ungarn, Estland, Kasachstan, Lettland, Litauen, Slowakei, Slowenien, Montenegro, Bosnien und Herzegowina, Albanien und fünf der Bundesländer Deutschlands, die Teil der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) gewesen waren.

Die Prioritäten des Heiligen Stuhles


Jeder Staat verteidigt im Rahmen seiner vielfältigen Teilnahme an der internationalen Völkergemeinschaft seine eigenen Interessen, nicht nur die wirtschaftlichen, sondern auch allgemeine. In der Regel geht es dabei um nationale strategische Interessen. Jeder einzelne Staat trägt gleichzeitig mit den Werten seiner eigenen Kultur und seinem schöpferischen Handeln zur Förderung der geistigen und materiellen Güter der Völker und der gesamten Menschheit bei.

Auch der Heilige Stuhl hat seine Interessen, die er in den Begegnungen mit den Vertretern anderer Staaten und allgemein im Leben der internationalen Gemeinschaft vertritt. Mir scheint interessant, diese Interessen aufzuzeigen, besonders jene, denen der Heilige Stuhl Priorität in seinen bilateralen und multilateralen Beziehungen einräumt. Dadurch wird die Haltung des Heiligen Stuhles zu Problemen der heutigen Welt deutlich. Es liegt auf der Hand, dass der Heilige Stuhl nicht wirtschaftliche Interessen verfolgt. Seine Sorge um die Menschen hat Ursprung, Inspiration und Sinn in ethischen und moralischen Grundsätzen. Man könnte daher von »einer Diplomatie der Werte und nicht einer instrumentellen Diplomatie«10 sprechen. Diese gründet in der besonderen Natur der Katholischen Kirche und des Heiligen Stuhls, ihres Völkerrechtssubjektes.

Diese Prioritäten wurden von Johannes Paul II. im Apostolischen Schreiben Novo millennio...


Eterovic, Erzbischof Nikola
Nikola Eterovic, geb 1951, Dr. theol., Kurienerzbischof und Diplomat des Heiligen Stuhls, seit 2013 apostolischen Nuntius in Deutschland.

Nikola Eterovic, geb 1951, Dr. theol., Kurienerzbischof und Diplomat des Heiligen Stuhls, seit 2013 apostolischen Nuntius in Deutschland.



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