Ettl | Insel der tanzenden Berge | Buch | 978-3-937037-86-8 | www.sack.de

Buch, Deutsch, 328 Seiten, Format (B × H): 150 mm x 210 mm, Gewicht: 370 g

Ettl

Insel der tanzenden Berge

Roman
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-937037-86-8
Verlag: Silver Horse Edition

Roman

Buch, Deutsch, 328 Seiten, Format (B × H): 150 mm x 210 mm, Gewicht: 370 g

ISBN: 978-3-937037-86-8
Verlag: Silver Horse Edition


Island in gut 65 Jahren. Was sich wie eine Zukunftsvision liest, ist der
Rückblick eines alten Mannes auf seine Kindheit, Jugend und die Tragik eines
ganzen Lebens.
Die Insel hat sich gewaltig verändert, ist zu einem nordischen Disneyland geworden.
Die Demokratie ist abgeschafft, der Überwachungsstaat hat fast schon kriminelle
Formen angenommen, die Kommunikation der Insulaner wird staatlich gesteuert und
aufgezeichnet.
Jón – bekannt aus dem Vorgängerroman »Lavalicht«, resümiert nun als alter Mann
Gewinn und Verlust seines Lebens. Er blickt auf zahlreiche Tote zurück, aber auch
auf schönere Erlebnisse in seiner Jugend. Umgeben von einem Berg aus Büchern -
Relikten aus einer anderen Zeit - zieht er sich aus der fremdgewordenen Heimat
Stück für Stück zurück. Es ist ein bitterer Abschied aus einer Welt,
die ihm nichts mehr sagt..

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Zielgruppe


Island-Fans, Roman-Fans, Liebhaber moderner Literatur

Weitere Infos & Material


I

öllig ungewollt war ich nun gar nicht so stolzer Besitzer von to- ten Menschen auf verschiedenen Friedhöfen, die ich betreu-
en musste oder durfte. Sara in Eskifjörður, meinen Vater in Berunes, meine Mutter irgendwo im fernen Brasilien. Später Einar und Karla in Isafjörður, aber dazwischen sollten noch einige Jahre liegen. Meine Großeltern in Australien. Bjarni in Unbekannt. Gunder und seine Frau in Dänemark. Dann Saras Eltern. Es war, als hätte jemand meine ge- liebten Toten mit einem Salzstreuer über die Welt gesprenkelt. Die un- sagbar tiefe Trauer war blankem Zynismus und Sarkasmus gewichen. Ich erfand wieder dumme Sprüche wie zu meiner besten Zeit, ärgerte Saras Eltern damit, zerstörte Freundschaften. Nur Karla hielt zu mir, beschwichtigte, erklärte, stellte klar. Dann fuhr sie mit Einar zurück und ich schloss mich in der kleinen Wohnung ein, verdunkelte die Fenster und ließ niemanden mehr an mich ran. Ich las nicht, ich hörte keine Musik, sah nicht fern. Ich lag einfach auf dem Bett und starrte die Decke an.
Saras Vater, Guðmundur, ein religiöser Mensch, versuchte es mit
Kirchenmitteln. Er schickte mir den Dorfpastor, aber ich ließ ihn nicht rein. Dann schickte er Hildur vor, und es tat mir im Herzen weh, sie abzuweisen. Meine Tür war verschlossen und ich hatte den Schlüssel in das Weltall geschossen. Doch er kam zurück, ein verirrter Komet. Und so kam es, dass ich plötzlich in der Küche von Hildur stand, ihr wortlos beim Aufräumen half, mich an den Tisch setzte, die Tasse Kaf- fee dankbar annahm, die mir vorgesetzt wurde. Ich wollte Hildur mein Verhalten erklären und öffnete schon den Mund, als mein Blick auf das Portraitfoto von Sara fiel, das an der Küchenwand hing und mit einem schwarzen Trauerflor versehen war. Ich stieß den Kaffee um,

sprang auf, rannte Hildur fast über den Haufen. Raus, ich musste hier sofort raus, wo war die Tür, wo war bloß die v e r d a m m t e T ü r??? Hildur sammelte mich vom Boden auf, als ich gegen eine Wand ge- prallt war und mir dieses sinnlose Hirn fast eingeschlagen hatte. Sie zerrte mich mit aller Kraft wieder an den Tisch, goss mir einen frischen Kaffee ein, gab mir ein Stück Apfelkuchen dazu. Dann ging sie seelen- ruhig zur Wand, hängte das Foto ab und legte es auf eine Kommode. Sie nahm meine Hand, hielt sie an ihre Wange. Ich weiß nicht warum, aber ich nahm das kleine Schmuckkästchen aus der Hosentasche, das ich seit Saras Tod immer bei mir trug, öffnete es und legte die beiden Ringe auf den Küchentisch, nebeneinander, richtete sie haargenau so aus, dass sie parallel lagen. Ich starrte auf die goldenen Kreise, die eine Zukunft bedeutet hätten. Nun war die Vergangenheit zurückgekom- men und hatte alles geschluckt, auch die Gegenwart. Ich fing wieder an, in Träumen zu leben, mir Geschichten einzureden. So saß ich am Tisch, betrachtete die Ringe, hielt Hildurs Hand. Der Kaffee wurde kalt, der Kuchen blieb unangerührt. Guðmundur kam herein, er hatte et- was im Dorf zu erledigen gehabt. Er schaute auf den Tisch, die Ringe, dann auf das umgedrehte Foto auf der Kommode, dann sah er uns beide an, schüttelte den Kopf und ging. Hildur ließ mich allein, ging
ihm nach. Sie redeten im Wohnzimmer, aber ich hörte nicht zu.
Irgendwann steckte ich die beide Ringe wieder in die Schatulle, stand auf und verließ das Haus. Ich weiß nicht, warum ich zur Pagodenkirche ging, eintrat, mich umsah, fast schon auf einer Bank Platz nahm, dann aber wieder den Raum verließ. Ich wollte auch nicht in unser kleines Appartement, dorthin konnte ich unter keinen Umständen mehr, es hätte mich umgebracht, das gemeinsame Bett zu sehen, in dem wir unsere Liebe wiedergefunden hatten, ihre Sachen im Bad, unsere Fo- tos an den Wänden. Einar musste später kommen, alles leerräumen und die Wohnung kündigen.
Ich ging die paar Hundert Meter zum Fjord, schnappte mir das Pad- del eines kleinen Bootes, das hier an Land lag, schubste den Kahn in

den Fjord, sprang hinein und ließ mich ins dunkle Wasser gleiten. Ich wusste nicht, was ich tat, ich fühlte nichts mehr. Als Wellen anrollten, vermutlich hatte eines der kleinen Schiffe sie erzeugt, schaukelte ich in der Nussschale hin und her und sah in den Himmel. Wolken. Was sonst. Dann fiel mein Blick auf die Berge. Ich wischte mir über die Au- gen, denn ich konnte nicht glauben, was ich sah: Sie bewegten sich: Auf und ab, auf und ab. Und als ich ihnen länger zusah, sprachlos, vollkommen außerhalb der Welt lebend, sah ich, dass in ihren Bewe- gungen ein gewisser Rhythmus war. Ich schloss die Augen und blickte in die Dunkelheit meiner Seele. Als ich die Augen wieder aufmachte, wusste ich es: Es war ein Rhythmus. Ich fühlte eine ferne Melodie und sah den steinernen Riesen zu, wie sie hin- und herschwankten, auf und ab. Die Berge tanzten.
Aber die Melodie war in Wirklichkeit der Ruf eines Fischers, der mir zubrüllte, ich solle sofort sein Boot verlassen und wieder anlegen. Wie schnell man nüchtern werden kann! Ich glaube, ich habe mich sogar noch entschuldigt und einen Blick zurück auf die Berggipfel geworden. Natürlich standen sie stramm und festgestampft in dieser Erde, die keine Tanzschritte für steinerne Riesen zulässt.
Ich weiß nicht, ob der Kerl meine Entschuldigungen akzeptiert hat – und ich weiß nicht, wie und wann ich wieder zu Hause war. Ich setzte mich vor der Haustür auf den Boden und starrte auf den Fjord. Aus- gelöscht. When the music’s over... – diese Textstelle von den Doors fiel mir plötzlich ein. Mein Vater war ein großer Fan der Band gewesen und hatte alle Platten von ihnen – ...turn out the lights. Ja. Und wenn du das Licht nicht ausmachst, dann machen es andere. Irgendwann werden alle Lichter ausgehen. Für immer. Und ich schloss wieder die Augen und sah die tanzenden Berge und hörte die Musik. Selten diese Momente, wo man in anderen Sphären gelandet ist und Dinge hört und sieht, die einem sagen, dass alles ein Wunder ist. Selbst dieses scheiß Leben, dieses dreckige Schicksal. Dieses... dieses wunderbar bescheuerte Glück der Verzweiflung...



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