E-Book, Deutsch, 505 Seiten
Etzkorn Tlingit Moon
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-948878-01-6
Verlag: TraumFänger Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Von Buschpiloten, Frühaufstehern und anderen Katastrophen
E-Book, Deutsch, 505 Seiten
ISBN: 978-3-948878-01-6
Verlag: TraumFänger Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Katja Etzkorn, geboren 1968, lebt mit ihrer Familie in Nordfriesland. Viele Jahre war sie als medizinisch-technische Assistentin im Hafenkrankenhaus tätig. Als echtes Nordlicht und Spross einer Familie von Seeleuten, fühlt sie sich der Seefahrt und dem hohen Norden sehr verbunden. Schlechtes Wetter gibt es nicht, nur unpassende Kleidung. Ein Teil ihrer Familie lebt in den USA entlang der Ostküste und im mittleren Westen. Durch einen Vortrag der Lakota-Horsemenship angeregt, entstand ihr erstes Buch 'Pine Ridge statt Pina Colada' - eine spritzig geschriebene Liebesgeschichte, die von den Lebensumständen im Reservat erzählt. Da bereits viel über die Prärie-Indianer geschrieben wurde, wendet sie sich nun einer ganz anderen Kultur der amerikanischen Ureinwohner zu. Die Tlingit von der Pazifikküste Alaskas sind kaum bekannt, obwohl sicher schon viele ihre monumentale Kunst gesehen haben. Die gigantischen Totempfähle - fälschlicherweise oft als 'Marterpfähle' tituliert, sind heilig und erzählen die Geschichte der Tlingit.
Zielgruppe
Leser, die sich für Umweltschutz, Alaska, die Tlingit und eine spannende Liebesgeschichte interessieren
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Die große, weite Welt
Es war zwei Uhr nachmittags. Gooch saß auf dem Pilotensitz seiner de Havilland Beaver, ging die Checkliste durch und ließ sich die aktuellen Wetterdaten durchgeben. Neben und hinter ihm saß eine Familie, die bei ihm einen Rundflug über die Insel und die Glacier Bay gebucht hatte.
Wolkenfetzen hingen hartnäckig in den Zedern und Tannen, die an den Hängen von Hoonah wuchsen, und es nieselte leicht. Nicht unbedingt das beste Wetter für einen Rundflug, aber wenn er tief genug fliegen würde, kämen die Gäste trotzdem auf ihre Kosten. Gutes Wetter war selbst während der Sommermonate Mangelware in Alaska. Die Südost-Küste war eines der regenreichsten Gebiete der USA. Wer hier Urlaub machte, hatte besser eine Regenjacke im Gepäck.
Die Maschine rollte auf die Startbahn, beschleunigte und hob ab. Die Landschaft unter ihnen wurde kleiner, und erst jetzt, oberhalb der waldreichen Hänge des White Alice Mountain, hatte man einen atemberaubenden Ausblick. Bis zum Gletscherfeld reichte die Sichtweite allerdings nicht.
Hoonah war ein Fischerdorf im Norden von Chichagof Island, die Huna Tlingit lebten schon seit Jahrhunderten in dieser Region. Ursprünglich hieß der Ort Gaawt‘ak.aan, was so viel bedeutete wie ‚Dorf an der Klippe‘. Später änderte man den Namen in Xu.naa, ausgesprochen Hoonah – ‚Wo der Nordwind nicht weht‘. Die Insel lag in der Inside Passage an der Südost-Küste Alaskas. Hier lebten hauptsächlich Alaskas Ureinwohne: Tlingit und auch Haida, die weiter aus dem Süden stammten. Etwa fünfzig Kilometer westlich auf dem Festland klebte Juneau, die Hauptstadt Alaskas, an den Felswänden der Coast Mountains. Die einzige Hauptstadt, die nicht per Auto erreichbar war. Wollte man hierher, ging das nur per Schiff oder Flugzeug. Gleiches galt, wenn man weg wollte.
Das war der einzige Grund, warum Gooch immer noch auf der Insel lebte. Als Teenager hatte er immer davon geträumt, diesen isolierten Flecken am Ende der Welt zu verlassen, aber ohne Geld war das unmöglich. Sich an eine Straße stellen und trampen, führte buchstäblich in eine Sackgasse. Willkommen in Alaska!
Seinen Traum, Pilot großer Verkehrsmaschinen zu werden und die Welt kennenzulernen, hatte er schon früh begraben müssen. Diese Ausbildung kostete ein Vermögen. Seine Mutter hatte ihn allein großgezogen und kam damals gerade so über die Runden. Stattdessen hatte er auf dem kleinen Flughafen in Hoonah gejobbt und sich das Geld für Flugstunden mit einmotorigen Maschinen verdient. Inzwischen war er siebenundzwanzig und besaß seine eigene de Havilland Beaver amphibian mit Schwimmern und ausfahrbarem Fahrwerk, was eine Landung auf dem Wasser und auf dem Land ermöglichte – in Alaska einfach unerlässlich. Das Innere einer großen Verkehrsmaschine hatte er noch nie zu sehen bekommen, aber es wurmte ihn nicht mehr, denn die große, weite Welt kam mittlerweile zu ihm. Die ganze Sommersaison hindurch legten große Kreuzfahrtschiffe aus Seattle und Vancouver am Icy Strait Point an und brachten Touristen und damit Geld auf die Insel. Sie brachten auch noch etwas anderes – Goochs bevorzugte Jagdbeute: junge Frauen.
Nein, er war kein Serienkiller – nur ein Schürzenjäger. Gooch bedeutete in der Sprache seines Volkes, der Tlingit, Wolf und dieser Name passte ausgesprochen gut zu ihm: immer auf der Jagd. Er war ein Alphamännchen wie aus dem Bilderbuch – eitel und sehr von sich überzeugt. Um seine Beute möglichst schnell zu ködern, legte er viel Wert auf sein Äußeres. Er stemmte in jeder freien Minute Gewichte, trug einen gepflegten Zwei-Tage-Bart, hatte seine Arme vom Handgelenk bis zur Schulter mit Tattoos verzieren lassen, und sein langes, schwarzes Haar verlieh ihm den eisgekühlten exotischen Touch. Mutter Natur hatte es in dieser Hinsicht mehr als gut mit ihm gemeint. Neben dem ebenmäßigen Gesicht mit den hohen, kantigen Wangenknochen und den leicht schrägstehenden schwarzen Augen hatte sie ihm auch Charisma mit auf den Weg gegeben.
Gewöhnlich reichte das völlig, um Gooch die Mädchenherzen zufliegen zu lassen. Falls es mal nicht reichte, half er mit Charme und Witz etwas nach, aber letztendlich bekam er immer, was er wollte. Der Vorteil seiner Jagdstrategie war, dass die jungen Damen nicht anfangen konnten zu klammern, denn für gewöhnlich legten die Schiffe nach zwei Tagen wieder ab. Der Nachteil dabei war, dass er nur im Sommer auf seine Kosten kam. Im Winter herrschte Saure-Gurken-Zeit: keine Schiffe – keine Mädchen. Trotzdem kam eine feste Beziehung für Gooch nicht in Frage. Zu stressig, fand er. Vor einiger Zeit hatte er es mal versucht, doch es scheiterte an den alltäglichen Nichtigkeiten.
Fliegen konnte er dagegen das ganze Jahr hindurch. Er bot nicht nur Rundflüge für Touristen an, sondern arbeitete in erster Linie für eine Forschungsstation im Glacier Bay National Park and Preserve. Die Station war ganzjährig besetzt, um unter anderem auch die Klimaerwärmung und ihre Folgen zu erforschen. Den Job hatte er seinem Cousin zu verdanken, der die Ranger Station des Parks leitete und auch für die Koordination der wissenschaftlichen Exkursionen der Forscher verantwortlich war. Der Job sicherte Gooch ganzjährig ein regelmäßiges Einkommen, und in der freien Zeit verdiente er sich mit den Touristen noch ein fettes Zubrot. Genau genommen ließ die Klimaerwärmung seine Kasse klingeln. Die Touristen kamen, um die Gletscher in der Glacier Bay kalben zu sehen, und die Forscher versuchten die Ursachen und Auswirkungen näher zu ergründen. Traurig, aber wahr. Gooch versorgte die Station mit Vorräten, Equipment und neuen Doktoranden, die meist für ein paar Wochen bis zu einem Jahr auf der Station blieben. Er begleitete auch die einzelnen Gruppen in die Wildnis zur Feldforschung und zu Messungen auf dem Gletscherfeld und in der Bucht – sicherheitshalber mit dem Gewehr im Anschlag, denn hier gab es mehr Bären als Menschen.
Gooch schwenkte nach links ab, vorbei an der Glacier Bay mit Blick auf das riesige Brady-Gletscherfeld, das sich durch die Fairweather Range schob.
Nach dem Rundflug setzte er die kleine Touristengruppe wieder am Schiff ab und aß im Restaurant seiner Mutter zu Abend. Goochs Mutter, Leah McKenzie, war eine sehr resolute Frau. Sein Erzeuger hatte sich damals, angesichts der zu erwartenden Vaterfreuden, schleunigst aus dem Staub gemacht und nie wieder gemeldet. Unterhalt hatte er erst recht nicht gezahlt.
Sie war ganz auf sich allein gestellt gewesen, und hatte sich und ihren Sohn mit schlecht bezahlten Jobs über Wasser gehalten. Harte Arbeit war sie gewöhnt. Gooch hatte ihr schon als Kind, so gut es eben ging geholfen, und Leah war stolz auf ihn. Nur die Tatsache, dass er so gar keine Anstalten machte, sich fest zu binden und eine Familie zu gründen, sondern eher nach seinem Vater kam, erfüllte sie mit Besorgnis. Die Eröffnung des Icy Strait Point, des privaten Kreuzfahrthafens, bot ihr die Chance auf ein besseres Leben. Der Hafen war das Zentrum einer ehemaligen Lachskonservenfabrik, die jahrzehntelang stillgelegt, schließlich von der Huna-Totem-Corporation gekauft und saniert worden war. Nach dem Umbau bot sie nun Platz für verschiedene Geschäfte mit Kunst und Kunsthandwerk, ein Museum, Souvenirläden und Boutiquen sowie ein Restaurant. Leah hatte die Gunst der Stunde genutzt, einen Kredit aufgenommen und das Restaurant eröffnet.
Seitdem ging es aufwärts. Die Kreuzfahrtschiffe brachten unablässig neue Kundschaft, und auch viele Gäste der örtlichen Hotels sorgten für Umsatz. Sie hatte drei Angestellte – alles junge Frauen, die ein ähnliches Schicksal zu bewältigen hatten wie sie selbst damals.
Hoonah hatte viel zu bieten. Die höchste und längste Zip Line der USA, Schulen von Buckel- und Schwertwalen zogen in der Icy Strait und im Port Frederick direkt an der Stadt vorbei und lockten zahlreiche Beobachter ans Wasser. Die diversen Wasserwege, die die Insel durchzogen, boten Kajakfahrern einen abenteuerlichen Trip durch die Wildnis.
Goochs Büro war neben dem Restaurant untergebracht, und so stolperten die Gäste automatisch über sein Dienstleistungsangebot. Nach dem Essen sah er noch die Termine für den nächsten Tag durch, wünschte seiner Mutter eine gute Nacht und fuhr nach Hause. Mit Hilfe einiger Freunde hatte er sich etwas abseits von Hoonah ein Blockhaus gebaut, umgeben von Wald, mit Blick aufs Meer und in der Nähe des kleinen Flughafens. So entging er dem touristischen Trubel in der Hauptsaison und hatte seine Ruhe. Außerdem war es weit genug vom Haus seiner Mutter entfernt. Er liebte sie, keine Frage, aber er schätzte auch seine Privatsphäre. Dafür nahm er gern in Kauf, dass sein Haus nicht an die örtliche Wasserversorgung angeschlossen war. Stattdessen hatte er ein kleines Bassin in den Fels geschlagen und einen Bach umgeleitet, der nun stetig plätschernd das Bassin mit Frischwasser füllte und anschließend über einen Überlauf wieder ins sein ursprüngliches Bett floss. Das reichte für seine Bedürfnisse, ebenso wie das...




