Ewers | Der Zauberlehrling | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 373 Seiten

Ewers Der Zauberlehrling


1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-8496-4275-4
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 373 Seiten

ISBN: 978-3-8496-4275-4
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Dr. Frank Braun, ein Schriftsteller, findet in einem kleinen Dorf in Tirol eine Sekte vor, die sich mit dem Teufel und Austreibungen desselben befasst. Bald verstrickt er sich immer tiefer in den Wahnsinn und eine erste Flucht misslingt. Die Sekte bestraft Braun aufs Strengste und er entschließt sich, die Flucht nochmals zu wagen ...

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Verirrte Seele
Von Golgatha,
Satan ist gütig;
Heloise ist da!

G. Carducci, Hymne an den Satan.

Teresa kniete auf der kleinen Beichtbank; ihre Stirne lag auf den gefalteten Händen. Ihre Augen waren fest geschlossen, sie sah den alten Pfarrer nicht, der in seinem Lehnstuhl vor ihr sass.

Sie erzählte.

Ihre Worte kamen ohne Pause, klanglos, still, in stetem, ruhigem Flusse. Geduldig, ohne sie zu unterbrechen, horchte der Greis. Seine Augen suchten herum an den Wänden seines Zimmers, hafteten schliesslich an einem kleinen, goldgerahmten Bild, das farbenfroh und unbeholfen genug das heimatliche Val di Scodra darstellte. Er sah den runden See tief unten im Kessel, sah die braunen Dächer, die wie rostige Moosflecke auf dem Grün des Abhanges klebten.

Er seufzte. Wie lange war es doch her, seit er dort herumstieg mit seiner gelben Ziege! Und dort sass nun dieser Deutsche –

Dieser Deutsche, den er selbst dahin geschickt. Und der nun sein armes Beichtkind –

Teresa schwieg. Langsam hob sie den Kopf, blickte ihn an – ratlos, tief fragend.

Der alte Mann sah ihre Augen unter den Wimpern leuchten, gross und blau. – War sie denn nicht auch eine Deutsche?

Er dachte an ihre Mutter. Eines Lehrers Kind – eines von siebzehn. So mochte sie froh genug sein, als Raimondi um sie freite, ein Feldwebel der Kaiserjäger. Aber dann, gleich nach der Heirat, starben seine Eltern; er nahm seinen Abschied und zog mit der jungen Frau nach Val di Scodra. War es nicht ein Grab, in das er sie brachte? Sie war allein, hatte nicht einen Menschen, mit dem sie ein Wort nur sprechen konnte, nicht einen. Aber nicht die Sprache war es, die sie trennte von den Leuten des Tales, die lernte sie schnell genug. Nur das kleine bisschen Bildung trennte sie, wie gering es auch war, dennoch weit von diesen Tieren der Berge, liess sie als eine Fremde erscheinen, als einen Eindringling, den man hassen musste.

Nur ihr Töchterlein blieb ihr, Teresa. Und vierzehn Jahre lang lebte sie für diese; still, demütig, in ewiger wehmütiger Sehnsucht, die keine Hoffnung mehr kannte. Sie verblühte schnell und verblich, und was endlich starb nach manchen Jahren, war nur ein kläglicher Schatten der schönen Maria von Brixen.

Minuten verrannen. Er antwortete seinem Beichtkinde nicht – wusste nicht, was er ihm sagen sollte. – – Wo war denn die Sünde des Mädchens?

Wohl – o gewiss – es war eine Sünde. Aber welche? Wo begann sie? Und wie sollte er sie fassen?

Wieder bewegten sich ihre Lippen. Unendlich leise kamen die Worte; er hörte sie kaum, las sie mehr ab von ihrem Munde: »Hochwürden – ist es wahr? – – Sandte ihn die Madonna?«

Er erschrak, ein leichter Schweiss trat ihm auf die Stirne. Und er grübelte wieder: »Wo ist ihre Sünde?«

Dann, schnell, unvermittelt, stellte er eine Frage. – »Geht er oft zu dem Amerikaner?«

»Nein.« sagte das Mädchen.

Der Priester wunderte sich. »Nein?« wiederholte er. »War er nie da?«

»Doch.« antwortete sie.

»Erzähl mir alles, was du davon weisst,« forderte er.

Sie sagte gelehrig: »Er war einmal da, abends; gerade um sieben Uhr trat er in den Saal. Ich weiss es genau, ich sah ihn eintreten, da ich zufällig am Fenster stand und hinausblickte.« Sie wurde rot, unterbrach sich. »Nein, Hochwürden, nein – verzeiht mir – das war nicht zufällig. Wenn er ausgeht, treibt es mich in mein Zimmer und ans Fenster. Ich stehe da und schaue ihm nach. Sehe zu, wohin er geht, wie er bald hier ist im Tale und bald da. – Ich will es nicht tun und ich muss doch.« Sie senkte den Kopf, ihre Augen blieben trocken, aber ihre Stimme weinte.

»Weiter!« drängte der Pfarrer.

Teresa sagte: »Er war kaum eine Stunde dort. Dann kam er zurück zum Abendessen. Da erzählte er dem Vater, wo er gewesen sei. Und er sagte, dass sie alle Dummköpfe seien, die Teufelsjäger, und dass der Vater und Angelo, unser Knecht, die einzigen Vernünftigen seien im Dorfe, weil sie den Unfug nicht mitmachen. – Das ist alles.«

Der Alte schöpfte tief Atem. Es war, als sei eine schwere Last von ihm genommen, er fühlte sich befreit von einer grossen Angst. Er wusste nicht, was er fürchtete, aber dieser dumpfe Druck quälte ihn nun schon Wochen lang. Und nun schien er fort. Es deuchte ihn, als ob das Uebel, das noch da war, nur ein geringes sei, zu dem andern, unbekannten, dem er entronnen.

Aber immer noch wusste er nicht, was er dem Mädchen sagen sollte. So suchend begann er wieder zu fragen, forschte sie aus nach allem was der Fremde treibe.

Sie gab ihm geduldig Antwort. »Er arbeitet tagsüber, und oft tief in die Nacht. Dann geht er spazieren. Zuweilen auch rudert er auf dem See.«

Der Alte fragte: »Fischt er?«

Da sagte sie: »Nein, er fischt nicht. Er ist gut zu allen Tieren. – Aber er quält die Menschen –«

Sie stockte, aber der Pfarrer winkte ihr fortzufahren. »Wenn er eine Raupe auf dem Wege sieht, nimmt er sie auf und trägt sie ins Gras, dass sie niemand zertreten möge. Er schalt mich, weil ich ein Spinnweb wegnahm von seinem Fenster, und er füttert mit seinem Brote die Hühner und Tauben. Alle unsere Tiere laufen ihm nach, die grosse Ziege klettert die Treppen hinauf und kommt zu ihm ins Zimmer, zusammen mit unserm Kater.«

Der Alte lächelte. Er sah das Gesicht des blonden Deutschen, so jung, so froh und lachend. »Er ist doch ein grosses Kind,« dachte er.

Das Mädchen sagte: »Aber die Menschen schlägt er. Einmal, als der Knecht das Maultier schirrte, sah er, dass die Gurten zu eng waren und dass das Leder dem Tiere die wunde Haut scheuerte. Da fasste ihn ein Zorn, er riss die Riemen herunter und schlug sie dem Knechte ins Gesicht.«

»Er hat recht getan.« sagte der Pfarrer.

Das Mädchen hob die Augen; diese kleine Zustimmung richtete sie auf, füllte sie mit froher und stiller Gewissheit. Dann, wieder zweifelnd, senkte sie den Kopf.

»Auch mich schlug er.« murmelte sie.

»Auch dich?« fragte der Pfarrer rasch.

»Ja.« sagte sie tonlos. »Sonst bekümmert er sich nie um mich, sieht mich kaum, weiss oft nicht einmal, dass ich da bin. Aber eines Morgens, als er frühstückte, kam ich ins Gastzimmer. Ich hatte in der Falle eine Maus gefangen, nahm sie heraus und warf sie dem Kater hin. Da sprang er auf und schlug mich ins Gesicht. Dann jagte er dem Kater die Maus ab und liess sie laufen.«

Der Alte fragte: »Und was tatest du?«

Verwundert sah sie ihn an. »Ich? – Nichts. Er schrie und schalt mich aus. Er sagte, wenn Mäuse da wären, so möge der Kater sich selbst so viele fangen wie er wolle, das sei seine Sache. Und wenn ich in der Falle welche finge, so möge ich sie ersäufen, oder sie totschlagen. Aber ich solle Tiere nicht unnütz quälen. – Er fragte mich, ob ich das verstehe? Und da ich keine Antwort gab, griff er meine Hände und presste sie zusammen, dass ich glaubte, die Knochen brächen. Ich schrie nicht, aus Trotz, aber ich sank vor ihm in die Knie. Er aber gab nicht nach, bis ich ihm versprach, nie wieder dem Kater eine Maus zu geben.«

»Und hast du das gehalten?« fragte der Alte.

»Ja.« sagte das Mädchen rasch. »Ich musste es ihm geloben bei der Madonna.« Sie stockte wieder, suchte nach Worten. Nach einer Weile fuhr sie fort: »Dann liess er mich los und ich ging hinaus. Aber ich hörte, wie er noch vor sich hinsprach – das tut er oft. Hochwürden. Und jetzt sagte er etwas Merkwürdiges, das ich nicht verstand. Er sagte es wie zu mir, obwohl ich gar nicht mehr da war. Er sagte leise: ›Du darfst ja quälen. Aber doch nicht unnütz. Quälen ist gut. Es ist eine Kunst – und vielleicht die grösste. Aber die Menschen sind dumme Tiere: sie quälen, ohne es zu wissen.‹ – So sagte er.«

Sie schwieg, ihre Augen suchten eine...



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