E-Book, Deutsch, 802 Seiten
Eyth Der Schneider von Ulm (Historischer Roman)
1. Auflage 2016
ISBN: 978-80-268-5338-1
Verlag: e-artnow
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Geschichte des deutschen Flugpioniers, Erfinder des Hängegleiters
E-Book, Deutsch, 802 Seiten
ISBN: 978-80-268-5338-1
Verlag: e-artnow
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dieses eBook: 'Der Schneider von Ulm (Historischer Roman)' ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Albrecht Ludwig Berblinger (auch bekannt als der Schneider von Ulm; 1770 - 1829) war ein deutscher Schneider, Erfinder und Flugpionier. Seine bekannteste Erfindung ist ein Hängegleiter, der ihm den Gleitflug ermöglichen sollte. Jahrelang baute und verbesserte Albrecht Berblinger seinen Flugapparat und beobachtete den Flug von Eulen. Die Leute spotteten über ihn. Man drohte damit, ihn aus der Zunft zu werfen und ließ ihn eine hohe Strafe zahlen für sein Werken außerhalb der Zunft. Trotzdem baute er, unter Einsatz seiner gesamten Einnahmen, weiterhin an seinem Fluggerät. Seine Flugversuche führte er heimlich in den Weinbergen am Michelsberg von Ulm durch. Aus heutiger Sicht bietet die Südlage des Hanges sehr günstige Voraussetzungen für thermische Aufwinde. Auch die dort befindlichen Weinbergmauern und Weinberghäuschen boten ideale Möglichkeiten als Startrampen. Friedrich I. zeigte Interesse und spendete zwanzig Louis d'or. Im Mai 1811 besuchten der König, seine Söhne und der bayerische Kronprinz Ulm. Nun sollte Berblinger die Flugtauglichkeit seines Gerätes beweisen... Max von Eyth (1836-1906) war ein deutscher Ingenieur und Schriftsteller.
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1. Wolken und Vögel
Hinter dem Schulhaus zu Ochsenwang auf der Rauhen Alb, das früher eine Scheuer des herzoglich württembergischen Kammerschreibereiamtes Neidlingen gewesen war, hatte der Schulmeister Berblinger in einem Bretterschuppen, der noch vor wenigen Jahren als Holzstall gedient hatte, sein Allerheiligstes eingerichtet. Das Holz lag jetzt sorgfältig aufgebeugt unter dem vorstehenden Strohdach der nicht unfreundlichen, wenn auch halb zerfallenen Wohnung, welche in dem Hauptraum der Scheuer die etwas düstere Schulstube barg. Schule und Schulmeister auf der Rauhen Alb hausten in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts nicht in Palästen, und die pausbackigen, strohköpfigen Buben und Mädchen, die dem Jahrhundert der Aufklärung ihr Dasein und ihr Wissen verdankten, hatten sich mit einer Kubikmenge Luft zu begnügen, in der ein Fisch unserer Tage aus Sauerstoffmangel eingegangen wäre. Sie hielten's aus; aber ein Wunder war es nicht, daß sich Berblinger in seinen Schuppen flüchtete, sobald die Schulstunden vorüber waren, um dort in einer anderen Luft und in einer anderen Welt weiterzuleben.
Selbst für eine solche sah es hier wunderlich genug aus. Luft drang allerdings genügend durch die Spalten der halbverfaulten Bretterwände, und die Nachmittagssonne eines milden Frühlings schien warm genug durch zwei Fensteröffnungen, welche die fehlenden Glasscheiben kaum vermissen ließen. Aber an Raum war auch hier kein Überfluß. In der Mitte des Gemaches stand eine alte, übel zugerichtete Hobelbank, in einer Ecke eine halbfertige Drehbank, die sichtlich der Schulmeister selbst zu bauen versucht hatte. An den Wänden waren in Tischhöhe schmale ungehobelte Bretter angebracht, auf welchen ein erschreckendes Gewirr von Werkzeugen, Nägeln, Stanzen und Brettchen lag, zwischen denen sich Papierrollen und drei oder vier Bücher umhertrieben. Eines war aufgeschlagen: ein lateinischer Aufsatz von Leibniz in einem Band der fast hundert Jahre alten Zeitschrift der Acta eruditorum. Neben demselben stand ein kleines, aufgespanntes Reißbrett, das die ziemlich rohe und völlig unverständliche Zeichnung einer Maschine zeigte, vor der, den Kopf in beiden Händen, das spärliche, wirre Haar von Zeit zu Zeit nach oben streichend, der Schulmeister auf einem Kistchen saß. In der entgegengesetzten Ecke hantierte ein kleiner, dem Aussehen nach sechsjähriger blondlockiger Junge in Hemdsärmeln und Lederhöschen vor einem wohlzerhackten Holzblock und war eifrig und zielbewußt beschäftigt, mit der einen Hand ein altes Brettstück in Späne zu verwandeln, mit der anderen ein großes Stück mit Butter und Honig bestrichenes Schwarzbrot ins Mäulchen zu stecken. Butter und Honig hatten ihre Bedeutung. Es war heute Brechtles achter Geburtstag.
Die tiefeingeschnittene Gedankenfalte auf der Stirn des Schulmeisters und die etwas abgehärmten Züge seines noch jugendlichen Gesichtes wollten nicht recht zu der Umgebung stimmen, auf der trotz aller Ärmlichkeit der Sonnenschein des Sonntagnachmittags und der tiefe Friede eines weltverlorenen Dörfchens lag. In dem Gärtchen zwischen Haus und Schuppen blühten, wohl etwas später als anderwärts, in niedlichen, geradlinig ausgelegten Beeten Blumen, die auf der Alb anderwärts kaum zu finden waren. Der bunte Fleck bildete einen auffallenden Gegensatz zu der Einförmigkeit des ärmlichen Dörfchens, das in der öden Mulde der Hochebene versteckt lag. Zwischen den Blumen stand eine noch junge, halb städtisch gekleidete Frau, richtete dort eine Knospe in die Höhe, brach hier ein welkes Blatt von einem überhängenden Zweig. Unter den fast noch kahlen Obstbäumen hinter dem Gärtchen prangte ein Grasteppich in frischem Grün. Von jenseits der kleinen Wiese hörte man das Summen der Bienen, die in geschäftiger Erregung zwei Strohkörbe unter einem rohgezimmerten Holzdach umschwärmten. Hinter der dichten Hecke, die das kleine Anwesen abschloß, ragte das Dach eines kleinen Bauernhofes hervor. Von dorther schallte das unablässige, triumphierende Gackern einer Henne, das einzige laute Geräusch, das mit Brechtles kindlichen Beilschlägen wetteiferte.
»Vater, ich baue ein Schiff«, sagte der Kleine, dem die Stille zu lange gedauert hatte, denn er war gewohnt, seinem Vater ›zu helfen‹, wie er es nannte, und ihn dabei über alles in Himmel und Erde auszufragen. Es war der einzige Unterricht, den er zur Zeit erhielt. Des Schulehaltens war der müde Mann satt, wenn die Dorfkinder davongestürmt waren. Dabei lernte Brechtle manches, das die wilde Schar ihr Leben lang nicht erfuhr.
»Vater, ich baue ein Donauschiff«, begann er wieder. »Ein Ordinarischiff für den Onkel Schwarzmann. Damit kann ich nach Wien fahren und weiter, weiter in die weite Welt. Über den Hohenstaufen hinaus, wo alles blau ist, wie der Himmel. Aber ich nehm' euch mit. Alle, dich und die Mutter und den Aßor. Nur die toten Schwesterlein müssen wir hier lassen. Aber des Stadelbauers Fritzle kann mitfahren. Der wird Augen machen, wenn wir nach Wien kommen. Und auf den Ulmer Münsterturm steigen wir auch.«
Dabei schlug Brechtle in seinem Eifer dermaßen auf das Brett los, daß es in zwei Stücke sprang. Etwas erschreckt über die unerwartete Wirkung seiner Tätigkeit sah er sich nach dem Vater um, faßte sich aber rasch und meinte: »Jetzt gibt es zwei Schiffe. Dafür zeigt mir Onkel Schwarzmann, wie man steuert, denn« – er näherte sich hierbei mit wichtiger Miene seinem Vater – »das kannst du mir nicht zeigen. Wir haben kein Wasser. Im Randecker Maar ist nur Dreck.«
In diesem Augenblick wurde die Tür des Schuppens aufgerissen. Die Schulmeisterin, sichtlich erregt, streckte ihren blonden Kopf herein und rief hastig: »Franz! Franz! Ich glaube, der Pfarrer von Neidlingen kommt. Er ist am Pfarrhaus vorbei, ohne hinaufzusehen. Und wir haben schon Kaffee getrunken!«
Der Mann raffte sich auf. Man sah an der Art, wie er aufstand, daß er aus einer andern Welt zurückkam.
»Der Fischer!« sagte er dann, sich besinnend. »Ungeschickt, aber – um so besser. Es wird mir guttun. So mach noch einmal Kaffee. Du brauchst dich nicht zu schämen, Rosel. Sie wissen in Neidlingen auch, was Eichelkaffee ist.«
»Das will ich meinen!« lachte es hinter dem Rücken der Schulmeisterin. Der Pfarrer von Neidlingen mußte auf den Zehen stehen, um über die Schultern der stattlichen Frau hinweg seinen Freund begrüßen zu können. Er war ein kleines rotwangiges Männchen, dem man's ansah, daß er mit Gott und der Welt auf dem besten Fuß stand, auf so gutem Fuß, daß er sogar beim Predigen seine Witzchen nicht lassen konnte. Schon zweimal hatte er sich deshalb eine ernstliche Rüge eines hohen Consistorii zugezogen, eine dritte, ernsthaftere wegen übereilten Kopulierens eines nicht mit den gesetzlich vorgeschriebenen Papieren versehenen, überdies nicht zuständigen Brautpaares, obgleich bei besagtem Brautpaar eine dringende Notwendigkeit, in den heiligen Stand der Ehe zu treten, nicht nachweislich gewesen. Diese drei Dokumente bewahrte er in einer Mappe mit der Überschrift: ›Anerkennungen, ehrenvolle Erwähnungen, Ehrenzeichen respektive -gaben‹, die im übrigen leer war.
Mit einem Jubelschrei warf Brechtle sein Beil weg.
»Der Döte! Hurra, der Döte!« rief er und schlang beide Ärmchen leidenschaftlich um den linken Oberschenkel seines ›besten Freundes‹. In dem kleinen Gesichtchen aber tauchte eine stürmische Frage auf, die er trotz des strafenden Blicks der Mutter nicht zu unterdrücken vermochte. »Was hast du mir mitgebracht? Heute ist mein Geburtstag, Döte!«
»Schon wieder!« sagte dieser lachend. »Büble! Büble! pressier nicht so!« Dabei zog er eine Pfeife aus der Rocktasche, die er auf dem Weg von Neidlingen nach Ochsenwang aus einer Weidengerte fabriziert und aufs Geratewohl mit zwei Löchern versehen hatte, so daß sie neben dem Grundton eine entsetzlich falsche Terze und Quinte von sich gab. Hochbeglückt und laut musizierend zog Brechtle in den Garten hinaus.
Den Kaffee lehnte der Pfarrer ab. Er habe ihn schon bei seinem Kollegen in Schopfloch getrunken, dem er einen Taufschein habe bringen müssen, da noch immer kein Postbote nach Schopfloch gehe. Das sei ja auch eines der unbilligen Verlangen dieser umstürzlerischen, aufgeregten Neuzeit. Bei dem herrlichen Frühlingsabend sei ihm der kleine Umweg in die Füße gefahren; auch habe er schon längst nach seinen lieben Gevattersleuten in Ochsenwang sehen wollen. Das könne er in keiner besseren Weise tun, als wenn er eine Zeitlang auf der Hobelbank Platz nehme. Ein bequemeres Sofa nach einem guten Marsch habe er sich nie gewünscht.
Damit setzte er sich, ließ das linke Bein in der Luft baumeln, schraubte das rechte zur Probe zwischen die Backen der Bank fest und sah seinem Freund vergnügt lachend ins Gesicht.
Nachdem die Frau Schulmeisterin sich angelegentlich nach den sechs Kindern des Pfarrers und nach dem Keuchhusten des Kleinsten erkundigt, dann trotz aller Abwehr einen Krug Apfelmost, Butter und Brot und einen Teller mit Nüssen herbeigebracht hatte, ließ sie die Männer allein. »Aufs Wohl aller Ulmerinnen!« rief ihr der Pfarrer nach und tat einen kräftigen Zug aus seinem Glas. Dann wandte er sich an den Schulmeister.
»Na, wie steht's, alter Freund? An einem solchen Nachmittag solltest du nicht in deiner Bude sitzen! Dein Breitenstein und die ganze Welt liegt dir vor der Nase. Ich wollte, ich wohnte hier oben. Du siehst bleich aus.«
»Ich bin's auch!« versetzte der andere, indem er sich dem Pfarrer gegenüber auf den Tisch setzte.
»Ich bin's auch und kein Wunder. Es geht noch immer nicht.«
Er wies mit dem Daumen...




