Eyth | Die Brücke über die Ennobucht | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 146 Seiten

Eyth Die Brücke über die Ennobucht


1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-8496-1212-2
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 146 Seiten

ISBN: 978-3-8496-1212-2
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Der deutsche Ingenieur und Schriftsteller Max Eyth verarbeitete das Brückenunglück am schottischen Fluß Tay, bei dem 1879 75 Personen ums Leben kamen, in seiner 1899 erschienenen Erzählung Die Brücke über die Ennobucht.

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3 Die Brücke



Zunächst hatte die Begegnung mit meinem alten Freunde die Wirkung, daß ich mich plötzlich für Brücken interessierte wie nie zuvor. Früher waren mir diese starren, toten Machwerke ziemlich gleichgültig gewesen. Höchstens als Zugabe zu einer Landschaft ließ ich sie gelten, und dann waren sie mir um so willkommener, je gefährlicher und zerfallener sie aussahen. Ich war zu sehr Maschinenbauer geworden. Was meine technische Teilnahme fesseln sollte, mußte Umdrehungen machen, sich mindestens bewegen. Mit einer Brücke ließ sich nichts anfangen, wenn sie nicht umfiel; man konnte sie höchstens anstreichen. Dies wurde nun anders. Alles wenigstens, was über den Fortschritt der Ennobrücke in Zeitungen und technischen Journalen zu finden war, suchte ich liebevoll zusammen. Ein freundschaftlicher Briefwechsel mit Stoß kam in Bewegung, bei dem nach guter Freunde Art sich allerdings keiner überstürzte. Wir teilten uns gelegentlich unsre Hoffnungen und Sorgen wieder mit, wobei ich ein etwas bunteres Bild darbieten, er in satteren Farben malen konnte. Ein Riesenwerk wie die Ennobrücke nimmt, für gut oder übel, den ganzen Menschen gefangen.

Seine Briefe, die ich sorgfältig aufbewahrte, wurden später durch ein halbes Dutzend andrer an seine Frau ergänzt. Wie diese in meine Hände kamen, wird sich in geeigneterer Weise später zeigen lassen. Ein kleiner Auszug aus beiden Paketen erspart mir die Schilderung der Hauptvorgänge während des gewaltigen Baus, der acht Jahre lang in weiten Kreisen mit reger Aufmerksamkeit verfolgt wurde. – Die ersten zwei Schreiben stammen aus der Zeit, die unserm Zusammentreffen auf dem Kahlenberg voranging. Trotzdem mögen sie der Vollständigkeit halber hier eine Stelle finden.

*

Ennobucht, den 25. Juni 1871

Meine liebe Ellen!

Dein Papa behauptet, ich sei in den nächsten drei Wochen hier im Norden nützlicher als in London und Richmond. Ich fürchte, wir müssen es glauben. Ehre Vater und Mutter, auf daß dir's wohl gehe. Die Folge aber ist, daß ich Dir den Festbericht von gestern nicht mit den üblichen Küssen mündlich abstatten kann. Und das schlimmste scheint mir: meiner kurzen Verbannung in diese Wildnis werden wohl andre, längere folgen, bis wir in fünf bis acht Jahren trockenen Fußes und Arm in Arm über das Stückchen See wandeln können, das sich vor meinen Augen breitmacht. Ich habe mir deshalb heute vormittag in Lavalettes Arbeitsschuppen ein Stübchen zurechtgemacht, von dem aus ich die herrliche Wasserfläche übersehen und an Dich denken kann. Es werden vorläufig manche gezwungene Pausen in unsrer »fieberhaften Tätigkeit« eintreten, wie meine alten Wiener Landsleute zu sagen lieben, wenn sie sich gemächlich an die Arbeit machen. Aus diesen mögen Briefe werden, die den Dokumenten Deiner Brautzeit nichts nachgeben sollen. Du siehst, ich bin seit gestern zu allen guten Vorsätzen fähig. Auch verspreche ich Dir, daß Du selbst vor Ablauf von acht Jahren an dieser Stelle ein zweites Fest mitfeiern sollst, das die kleine Tragikomödie von gestern auslöschen und vernichten wird. Die kommende Eröffnungsfeier der Brücke will ich selbst in die Hand nehmen.

Grundsteinlegen können nämlich Deine wackeren Landsleute, die sonst so vieles können, nicht! Eure Freunde über dem Kanal hätten sich den Tag anders eingerichtet, trotz ihres augenblicklichen Elends. Da wären ein Regiment Kürassiere, ein Bischof und ein Altar, die Bürgermeister der halben Republik, fünfzig weißgekleidete Jungfrauen, fünfundzwanzig Komiteemitglieder in Nationalfarben, Vertreter gelehrter und ungelehrter Zünfte, Blechmusik an beiden Ufern, die vorläufig eine Brücke aus Tönen hergestellt hätte, Böllerschüsse und Feuerwerk angerückt gekommen, um den Segen von Himmel und Erde auf das große Werk herabzurufen. Hier standen wir, fünfzehn aufgespannte Regenschirme, sang- und klanglos um ein wassergefülltes Loch herum, als ob wir einen viereckigen Selbstmörder begrüben. Nur die Eingeweihtesten konnten zur Not ahnen, daß dies ein feierliches Freudenfest war und der erste Stein der großen Ennobrücke versenkt wurde.

Da war Dein Papa, feierlich und freudig erregt, wie es sich geziemte. Am Morgen hatte er die Nachricht erhalten, daß der Regierung Ihrer Majestät ein Licht aufgegangen und der verdienstvollste Mann des Königreichs geadelt worden sei. »Sir Bruce« stand am Schluß der fünfzehn Jahre langen Vorarbeiten seines gewaltigen Unternehmens, Arbeiten, die einen Elefanten hätten umbringen können. Hinter ihm standen vier Direktoren der Nord-Flintshire-Eisenbahn – einundzwanzig hatten sich entschuldigt; ihm gegenüber der Bürgermeister, ein Magistratsmitglied von Pebbleton und drei Kollegen aus der Nachbarschaft. Die Bürgerschaft des Königreichs repräsentierte der Wirt zum »Goldenen Kreuz«, ebenfalls aus Pebbleton, bei dem das Festessen bestellt war und der die kleine Versammlung mit der Miene tiefster Besorgnis musterte. Er hatte auf dreimal so viel Gedecke gerechnet. Das Ingenieurwesen vertrat nächst Deinem Vater der alte Lavalette, der die Ausführung der Brücke übernommen hat, in einem den Witterungsverhältnissen angepaßten Frack und sehr schmutzigen Stiefeln, Jenkins, der wie eine auf einer Ferienreise begriffene Nachteule dreinsah, ich und die jungen Leute von Lavalette. Die etlichen hundert Erdarbeiter, Maurer und Zimmerleute, die bereits hier sind, standen verschüchtert, wenn auch neugierig, in einiger Entfernung und wollten sich nicht heranwinken lassen, als ob sie das Losgehen einer Sprengpatrone erwarteten. Es war aber zunächst nur Dein Vater, der einige passende Worte sprach, die man wegen des Windes leider nicht verstehen konnte. Ihm folgte der erste Bürgermeister von Pebbleton, welcher in längerer Rede auf die blühende Jutefabrikation seiner Stadt hinzuweisen begann, zum Glück aber nicht weit kam, weil ein Windstoß seinen Regenschirm umdrehte und die Arbeiter dies als das verabredete Zeichen ansahen, in ein kräftiges Hurra auszubrechen, womit die feierliche Handlung schloß. Etwas zu spät, aber sehr rasch versank der Stein in seinem feuchten Grab und bespritzte zum Dank die Nächststehenden mit großen gelben Lehmklumpen, die sie bis zum Schluß des Tages zur Schau trugen. Dann fuhren wir in einem bereitliegenden Dampfer nach Pebbleton hinüber und saßen eine Stunde später bei einem vortrefflichen Mahl. Ganz unerwartet und hocherfreulich war es, daß sich hierzu sämtliche Direktoren der Bahn, sämtliche Stadtverordnete von Pebbleton und eine überraschende Zahl enthusiastischer Bürger eingefunden hatten. Ende gut, alles gut. Gegen elf Uhr nachts hatte man die Brücke nahezu vergessen, obgleich sie in wenigstens zehn Toasten in all ihren Beziehungen zu dieser und jener Welt gefeiert worden war. Die Festlichkeit artete in eine allgemeine Verbrüderung von Nord und Süd, von alt und jung, von Landwirtschaft und Industrie, von Gott und Welt aus, gegen die sich vom ethischen Standpunkte aus gewiß nichts einwenden läßt. Für uns, die eigentlichen Brückenbauer, war es ein halbverlorener Tag. Doch muß man billig sein: in acht Jahren stellt ein halber Tag keinen fühlbaren Verlust dar.

Um so flotter muß es jetzt vorwärtsgehen. Lavalette ist ein netter Herr, guter, solider Engländer trotz seines französelnden Namens, den eine alte Hugenottenfamilie herübergebracht hat, wie ich höre. Man spürt noch etwas von dem ernsten Enthusiasmus seiner Vorfahren, den wir bei Franzosen nicht erwarten, wenn er seine Leute kommandiert oder Pläne für die nächste Zukunft bespricht. Der Mann gefällt mir außerordentlich. Er hat das niederste Gebot für die Brücke gemacht: 215 000 Pfund; und ich fürchtete ernstlich, ehe ich ihn kannte, es werde zu niedrig sein. Das ist bei einem so großen Unternehmen für alle Teile ein Unglück. Aber eine Energie und eine Geschäftsgewandtheit wie die seine sind imstande, 50 000 Pfund zu ersetzen. Jedenfalls erwarte ich, gut mit ihm auszukommen, solange er mit dem Gelde auskommt. Er ist, wie jedermann um mich her, in die Brücke verliebt, seitdem er, vor fünf Jahren, im Auftrag Deines Papas die Sondierungen für die Pfeilerfundamente vornahm. Daher erklärt sich auch sein billiges Angebot. Und außerordentlich beruhigend ist es, daß nun derselbe Mann, der diese wichtigen Untersuchungen in Händen hatte, auf denselben auch weiterbauen muß. Du weißt nicht, Schatz, wie unnötig viele Sorgen einem durch den Kopf gehen, wenn man den glatten Wasserspiegel vor sich sieht, der heute, so unschuldig wie ein Kind, das Blau des Himmels zurückstrahlt. Wer kann wissen, was unter dieser glänzenden Oberfläche liegt und liegen wird, ehe wir lustig drüber wegfahren!

Am Strande wenigstens fängt es an lebendig zu werden. Schuppen, Magazine, Geschäftszimmer, Arbeiterwohnungen wachsen aus dem Boden. Am Ufer – man weiß wahrhaftig heute noch nicht, soll man hier von Strand oder Ufer, von Meer oder Fluß sprechen; die Ennobucht bleibt ein geheimnisvoller Hermaphrodit – am Ufer also ist ein langer hölzerner Landungsstaden fertig. Zwei gewaltige Plattformen sind im Bau begriffen. Auf der einen sollen die Gitterbalken zusammengenietet, auf der andern die Senkkasten und das Belastungsmauerwerk für dieselben gebaut werden, auf welche die künftigen Pfeiler zu stehen kommen. In einigen Wochen wird das alles in vollem Gang sein. Was die Sache so interessant und...



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