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Fang | Blume Vollmond | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 176 Seiten

Fang Blume Vollmond

Roman
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-455-01958-2
Verlag: Hoffmann und Campe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 176 Seiten

ISBN: 978-3-455-01958-2
Verlag: Hoffmann und Campe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



»Dass Erinnerungen lebensgefährlich sein können, davon handelt Fang Fangs Literatur. Dafür wird Fang Fang in ihrer Heimat drangsaliert. Trotzdem hört sie nicht auf, diesen Erinnerungen einen poetischen Raum zu geben.«  Sandra Kegel, Frankfurter Allgemeine Zeitung Dies ist die faszinierende Geschichte einer leidenschaftlichen Mah-Jongg-Spielerin: Besessen vom Spiel blendet Hua Manyue (Blume Vollmond) die Ereignisse um sich herum so radikal aus, dass sie im aufflammenden chinesischen Bürgerkrieg die Flucht verpasst. Die Folgen sind dramatisch: Während ihre Familie sich nach Taiwan rettet, wird Hua über Nacht mittellos. Trotz des nun offiziellen Spielverbots hält Hua am Mah-Jongg fest - aber wird es sie durch die Zeiten tragen können? Eindrücklich und bewegend erzählt Fang Fang in diesem weltweit zuerst auf Deutsch erscheinenden Roman von der Wirkung gesellschaftlicher Umbrüche auf den einzelnen Menschen - und zugleich von deren begrenzter Macht über individuelle Leidenschaften.

Fang Fang ist eine der bekanntesten Schriftstellerinnen Chinas. Sie wurde 1955 geboren und lebt seit ihrem zweiten Lebensjahr in Wuhan. Ihr 2020 auf Deutsch erschienenes Wuhan Diary stand wochenlang auf der Spiegel-Bestsellerliste. Zuletzt erschienen von ihr bei Hoffmann und Campe der vielfach gefeierte Roman Glänzende Aussicht (2024) sowie Blume Vollmond (2025).
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Weitere Infos & Material


Cover
Titelseite
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Ängste und Leidenschaften – ein Nachwort
Fußnoten
Über Fang Fang
Impressum


Kapitel 1


Es dunkelte. An allen Ecken und Enden sah man herumjagende Soldaten, von überall war chaotisches Schießen zu hören. Die auf den Straßen panisch umherirrenden Passanten wussten nicht, was vor sich ging.

Seine Rikscha hinter sich herziehend, rannte Wang Vier aus Leibeskräften die Straße entlang. Inmitten des Durcheinanders drang eine Stimme kaum vernehmbar an sein Ohr: »Wang Vier! Wang Vier!« Er besaß kein ungewöhnlich gutes Gehör, aber sie war ihm allzu vertraut. Er sah sich um. Nein, er hatte sich nicht getäuscht, es war die Stimme von A Gui, dem Koch.

A Gui stand auf der gegenüberliegenden Straßenseite, in der Hand einen Bambuskorb, darin eine Flasche mit Chili und ein paar Päckchen fermentierte Sojabohnen. »Was rennst du hier auf der Straße herum?«, fragte er.

»Befehl vom Patron: Ich soll das gnädige Fräulein suchen und auf der Stelle nach Hause zurückholen«, antwortete Wang Vier.

»Was gibt es da zu suchen? Die sitzt zu hundert Prozent im Spielsalon der Familie Huang. Sie geht doch nirgends anders hin.«

»Weiß ich«, antwortete Wang Vier.

Er hatte während des kurzen Wortwechsels nicht angehalten. Ärgerlich rief A Gui dem Verschwindenden hinterher: »Wenn du nach Schweiß stinkend bei ihr ankommst, wird dich das gnädige Fräulein zur Sau machen!«

Wang Vier hörte es, reagierte jedoch nicht.

Der Spielsalon der Familie Huang befand sich ein Stück vom Stadtzentrum entfernt in einer südlichen Ecke der Stadt, direkt neben dem Garten der Familie Huang. Ringsherum gab es kaum Häuser und nur wenige Geschäfte. Der damalige Herr des Hauses Huang hatte erklärt, für ihn sei Ruhe am wichtigsten; wer hierherkommen wolle, den schrecke die Entfernung nicht ab. Der alte Huang war ein Warlord1 gewesen, der nach einer Niederlage im Nordfeldzug mit einem stattlichen Vermögen in seine Heimat zurückgekehrt war. Er nutzte das Geld, um einen Garten anzulegen, an dessen Rand er einen Spielsalon errichtete. Er gab sich keine Mühe, einen elegant klingenden Namen zu wählen, sondern nannte ihn schlicht »Spielsalon der Familie Huang«. Nach der Fertigstellung hatte der alte Warlord unter dem Schild des Spielhauses stehend geseufzt: »Um Erfolg zu haben, muss man sich ein ganzes Leben abmühen, aber essen, trinken und seine Tage genießen erfordert auch ein ganzes Leben.« Tatsächlich verschwendete er für den Rest seiner Lebenszeit keinen Gedanken mehr ans Vaterland oder an die Zukunft, sondern lebte bis zu seinem Ende nur noch für den Genuss. Womöglich hatten das im Krieg vergossene Blut und die vielen Toten ihn traumatisiert. Weder sprach er je von seinen Erlebnissen noch über die Herkunft seines Geldes. Die Ansichten des alten Warlords hatten das gegenwärtige Familienoberhaupt, seinen ältesten Sohn, tief geprägt. Er führte ein sorgloses Leben als Lebemann. Essen, Trinken, Glücksspiel und Frauen – nichts ließ er aus. Selbst den Betrieb des Spielsalons überließ er seiner Hauptfrau, während er sich ausschließlich dem Vergnügen widmete. Sie hieß Chen, stammte aus einer Kaufmannsfamilie und besaß von Natur aus Geschäftssinn. Sie führte den Spielsalon äußerst erfolgreich und war allgemein als die »ehrwürdige Dame Chen« bekannt.

Die »ehrwürdige Dame Chen« hatte ihre eigene Geschäftsphilosophie, der sie folgte: »Jede reiche Familie bringt ein paar verzogene Sprösslinge hervor«, erklärte sie. »Und selbst wenn alle männlichen Vertreter der Sippe fähige Leute wären, müssen doch ihre gelangweilten Frauen, Nebenfrauen und Töchter irgendwo ihre Zeit verbringen. Ich liefere ihnen den perfekten Ort dafür. Mah-Jongg spielen schließlich alle gern!«

Sie behielt recht. Im Spielsalon der Familie Huang wurde ausschließlich Mah-Jongg gespielt, er wurde zum Treffpunkt aller leidenschaftlichen Mah-Jongg-Spieler im Bezirk. Was den Ort ringsumher jedoch einzigartig machte, war die Tatsache, dass man dort auch Tee und Speisen bereitstellte. Zwar wurde der gesamte Süden des Landes immer wieder von Kriegswirren erschüttert, aber in diesem abseits gelegenen Städtchen gab es noch immer hinreichend viele Damen und Herren der besseren Gesellschaft, die über genügend Geld und Muße verfügten, um sich auf den Weg in den Spielsalon der Familie Huang zu machen.

In diesem Moment saß Hua Manyue2, die Tochter der Familie Hua, am Spieltisch. Ihr Gesicht war hochrot; euphorisch ins Spiel vertieft, hatte sie alles um sich herum vergessen. Das knallende Niedersetzen der Spielsteine auf dem Tisch und das klappernde Geräusch beim Mischen klangen in ihren Ohren wie das Knistern und Knacken brennenden Feuerholzes, das ihre innere Glut immer weiter entfachte.

Plötzlich glaubte sie eine Stimme zu hören. Sie stach wie ein Dorn in ihr Trommelfell und irritierte sie. Verärgert wedelte sie mit den Armen. »Stör mich nicht! Verschwinde!« Damit widmete sie sich wieder ihrer Partie.

Doch die Stimme wurde lauter, für sie geradezu ohrenbetäubend und zerrte an ihren Nerven. Wütend darüber, dass jemand es wagte, sie zu stören, drehte sie sich mit drohendem Blick um und erblickte Wang Vier, den Rikschakuli der Familie. Ohne zu zögern, schrie sie ihn an: »Bist du lebensmüde?«

»Der Herr und die gnädige Frau Mutter haben mich geschickt, Sie zu holen«, murmelte Wang Vier. »Ich warte schon lange hier. Wahrscheinlich sind sie jetzt alle bereits losgefahren. Der Herr hat gesagt, wenn Sie zu spät kommen, sollen Sie direkt zum Hafen gehen – am Nachmittag fährt noch ein Schiff in die Provinzhauptstadt.«

Ohne auf seine Worte zu achten, drehte sich Hua Manyue wieder weg und rief: »Es war ausgemacht, dass ich hundert Runden spielen darf! Wir sind noch nicht mal bei der Hälfte!«

Verzweifelt und ratlos stampfte Wang Vier mit dem Fuß auf. Schließlich fand er kein anderes Mittel, als sie leicht am Ärmel zu zupfen.

Das machte sie rasend vor Wut. Ohne sich umzudrehen, schlug sie ihm ins Gesicht und kreischte: »Wie kannst du es wagen, mich anzufassen? Bist du lebensmüde?«

Wang Vier hielt sich die schmerzende Backe und sagte: »Der Herr ist wütend geworden. Er hat gesagt, wenn ich Sie nicht zurückbringe, darf ich das Haus nie wieder betreten. Die Familie ist bestimmt schon fort, und wenn sie das Schiff verpasst, wird der Herr mich schimpfen.«

»Ob du ins Haus darfst oder nicht, geht mich nichts an. Wenn sie gehen wollen, dann sollen sie gehen. Ich jedenfalls gehe nicht«, antwortete Hua Manyue kalt.

Wang Vier sah sie ratlos an. Er stampfte erneut verzweifelt seufzend auf, doch Hua Manyue war vollkommen auf ihr Spiel konzentriert und schenkte ihm keinerlei Beachtung mehr. Resigniert schluckte Wang Vier ein paarmal, dann zog er sich einige Schritte zurück und kauerte sich in eine Ecke des Raums.

Am Spieltisch erhoben sich unterdessen Stimmen, die Hua Manyues Haltung lobten. Sie habe den Mut und die Entschlossenheit einer Heldin – Eigenschaften, die im Spiel unerlässlich seien. Selbst die ehrwürdige Dame Chen erklärte: »Der Spieltisch ist wie ein Schlachtfeld. Kein Wunder, dass Fräulein Hua immer gewinnt.«

Manyue strahlte. Zu Hause war ihr das Mah-Jongg-Spielen inzwischen verboten worden, und sie hatte mehrere Tage unter Hausarrest gestanden. Mit Geschrei, Schwüren bis hin zu der Drohung, sich das Leben zu nehmen, hatte sie schließlich dank der Unterstützung ihres jüngeren Bruders Hua Mantian erreicht, dass man sie freiließ. Die Bedingung ihrer Eltern hatte gelautet: Sie dürfe noch fünfzig Runden spielen, müsse aber danach für immer die Finger vom Mah-Jongg lassen.

Manyue fand diesen Handel äußerst unfair. Fünfzig Runden für ein ganzes Leben ohne Mah-Jongg? Der Preis war zu hoch. Sie protestierte weiter lautstark. Ihr Bruder Mantian half ihr erneut, und so wurde die Anzahl auf hundert Runden erhöht. Ihre Eltern stimmten zu, stellten jedoch eine noch härtere Bedingung: Sollte sie nach diesen hundert Runden nicht aufhören, würde die Familienstrafe vollzogen – man werde sie vor die Wahl stellen, ihr entweder die Hände abzuhacken oder sie aus der Familie zu verstoßen. Manyue war zu Tode erschrocken, doch um endlich wieder das Haus verlassen zu dürfen, gab sie nach. Sie schwor sogar unter Tränen, dass sie bereit sei, auf der Stelle zu sterben, anstatt auf diese Weise bestraft zu werden.

Der Gedanke, dass sie nach diesem Besuch des Spielsalons nie wieder dorthin zurückkehren würde, erfüllte sie mit Trauer und Wut. »Ich könnte es mir nie verzeihen, wenn ich die hundert Runden nicht voll ausnutze!«, dachte sie.

So saß sie den ganzen Tag und die ganze Nacht am Spieltisch und spielte ohne Unterbrechung. Sie war derart ins Spiel vertieft, dass sie nicht wusste, wie viel Zeit vergangen war oder ob jemand in der Zwischenzeit nach ihr gesucht hatte.

Plötzlich drang von draußen ohrenbetäubender Lärm ins Innere des Spielsalons. Zornentbrannt sprang Hua Manyue auf, schlug mit der Hand auf den Tisch und begann lauthals zu schimpfen. Sie hatte gerade eine besonders gute Hand.

Doch als sie schimpfend zur Eingangstür sah, bemerkte sie, dass etwas nicht stimmte. Hereingestürmt kam eine Gruppe von Männern, alle bewaffnet mit Gewehren und mit finster entschlossenem Gesichtsausdruck. Die Wucht, mit der sie auftraten, ließ alle im Raum vor Angst erstarren. Jemand sagte, es seien Soldaten der Befreiungsarmee. Hua Manyue war völlig verwirrt, sie hatte keine Ahnung, wer oder was die Befreiungsarmee war.

Auch ihre Mitspieler sprangen vor Schreck auf und brachten kein Wort hervor. Ihr Gegenüber am Spieltisch kroch sogar unter den Tisch.

Plötzlich schoss Manyue etwas durch den Kopf, und sie schrie: »Ich habe noch nicht zu Ende gespielt.«

Das stimmte, es fehlten...


Fang, Fang
Fang Fang ist eine der bekanntesten Schriftstellerinnen Chinas. Sie wurde 1955 geboren und lebt seit ihrem zweiten Lebensjahr in Wuhan. Ihr 2020 auf Deutsch erschienenes Wuhan Diary stand wochenlang auf der Spiegel-Bestsellerliste. Zuletzt erschienen von ihr bei Hoffmann und Campe der vielfach gefeierte Roman Glänzende Aussicht (2024) sowie Blume Vollmond (2025).

Kahn-Ackermann, Michael
Michael Kahn-Ackermann ist Sinologe und Gründungsdirektor des Goethe-Instituts Peking. Er übersetzt seit vielen Jahren aus dem Chinesischen, u.a. die Werke Fang Fangs.

Fang Fang ist eine der bekanntesten Schriftstellerinnen Chinas. Sie wurde 1955 geboren und lebt seit ihrem zweiten Lebensjahr in Wuhan. Ihr 2020 auf Deutsch erschienenes Wuhan Diary stand wochenlang auf der Spiegel-Bestsellerliste. Zuletzt erschienen von ihr bei Hoffmann und Campe der vielfach gefeierte Roman Glänzende Aussicht (2024) sowie Blume Vollmond (2025).



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