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Feichtinger Ankünfte

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ISBN: 978-3-99057-899-5
Verlag: Morawa Lesezirkel
Format: EPUB
Kopierschutz: PC/MAC/eReader/Tablet/DL/kein Kopierschutz



'ANKÜNFTE' ist eine Sammlung von vierzehn Geschichten, die auf realen Begebenheiten beruhen. Der Autor führt seine Leser nach Ozeanien, Alaska und Sibirien. Bemerkenswerte Menschen begegnen ihm bei seinen Fahrten und Wanderungen, deren außergewöhnliche Lebenslinien geschildert werden. Er durchwandert Urwälder, besteigt einsame Berge und besucht abgelegene Inseln. In Kamtschatka erlebt er zehn Plagen der wilden Halbinsel. Neben beeindruckenden Landschaften sind es vor allem die Schicksale von Menschen, die den Erzähler interessieren. Und deren Zueinander, das durch äußere Ereignisse wie Krankheit und Tod beeinflusst wird. Thema des Bandes ist die Dynamik des Lebens, die Abfolge von Aufbrüchen und Ankünften. Letztlich kommt jeder irgendwo an.
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DER AUSWANDERER
Der Sohn kam zu seinem Vater. Nur einen Tag vor seinem Tod war der Mann noch von seinem Sohn im Pflegeheim besucht worden. Er war gekommen, um sich beim diensthabenden Arzt nach dem Zustand seines Vaters zu erkundigen. „Nicht gut, der Patient will nichts essen und – was schlimmer ist – auch nichts trinken”, erklärte der Doktor. „Wir müssen die Dehydrierung in den Griff bekommen, sonst wird die Situation kritisch. Bestehen sie darauf, dass er seinen Tee trinkt.” Nach einigen vergeblichen Versuchen gelang es dem Sohn, seinem Vater ein paar Schlucke lauwarmen Tees einzuflößen. Das Unternehmen, den Mann mit Müsli zu füttern, scheiterte, da dieser den Mund nicht öffnete. Erst als er seinem Vater einige Fragen stellte und dieser daraufhin den Mund zur Antwort öffnete, gelang es ihm, einige Löffel in seinem Mund unterzubringen. Bevor der Mann den Brei wieder ausspuckte, schmierte ihm sein Sohn mit dem Fingern die Masse auf den Gaumen, sodass der Vater gezwungen war, das Müsli zu schlucken. Mit Ausnahme zweier Weisheitszähne besaß der Vater trotz seiner vierundneunzig Jahre ein vollständiges, gut erhaltenes Gebiss. Die Schwester hatte es ihm zur Nachtruhe herausnehmen wollen und war verblüfft, dass die Zähne alle echt waren. Als der Mann die Fütterung für beendet erklärte, hatte der Sohn Zeit ihn genauer zu betrachten. Sein Vater, der immer kräftig war, später sogar korpulent geworden war, hatte in den letzten Monaten stark abgenommen. Was dem Sohn mehr Sorgen bereitete, war dessen gehetzter Blick. Diesen ängstlichen Ausdruck hatte er damals bei seinem Großvater mütterlicherseits gesehen, der dann kurz danach an Lungenkrebs gestorben war. Aber sein Vater hatte keinen Krebs, er litt ‚nur‘ an Divertikeln im Darm und an allgemeiner Schwäche. * Als der Sohn das am Stadtrand liegende Heim verließ, flirrte die Hitze über der Ebene. Die Sonne brannte gnadenlos auf die bereits abgeernteten Getreidefelder. Auf der Rückfahrt in die Hauptstadt dachte er an das lange Leben des Vaters zurück, welches in zwei ungewöhnlich verschiedenen Hälften verlief. Der Vater wurde kurz vor der Jahrhundertwende im südöstlichen Niederösterreich geboren, und hatte nach Besuch der Bürgerschule eine Tischlerlehre begonnen. Die Gärtnerei hatte ihn schon damals mehr interessiert, aber der Großvater entschied anders. Mit siebzehn Jahren meldete er sich freiwillig zum Militär und lernte zunächst die Ostfront in Galizien kennen. Im Stellungskrieg in den Karnischen Alpen erlitt er dann einen Lungensteckschuss. Er erzählte oft, dass er erst nach zwei Wochen in einem Hospital in der Nähe von Prag wieder das Bewusstsein erlangt hatte. Das Projektil konnte nicht entfernt werden und blieb bis an sein Lebensende am Röntgenschirm sichtbar. Zwar erholte er sich allmählich von der schweren Verwundung, aber er verlor drastisch an Gewicht und wurde lungenkrank. Der Arzt im Bezirkskrankenhaus gab dem Patienten nur noch ein paar Monate und schlug einen Ortswechsel als einzigen Ausweg vor. Ihm seien weltweit nur zwei Regionen bekannt, in denen sich eine derart angegriffene Lunge erholen könne. Es bedurfte eines trockenen Wüstenklimas in Kombination mit salziger Luft, am besten in etwa eintausend Metern Seehöhe. Die eine Gegend sei die algerisch/tunesische Wüste mit ihren Salzseen. Die andere befände sich im Nordwesten von Argentinien, in den Salinas der Provinzen Salta und Jujuy. So entschloss sich der Vater auszuwandern. Neben dem medizinischen Zwang spielte dabei wohl auch ein gerütteltes Maß an Abenteuerlust eine Rolle. Dies schien ihm im Blut zu liegen, und wurde durch die Lektüre einschlägiger Literatur noch gefördert. Buffalo-Bill, Karl May, Jules Verne, Friedrich Gerstäcker – all das hatte Vater schon als Kind und dann als Jugendlicher verschlungen. Und wenn es schon in die Fremde gehen sollte, dann gleich nach Amerika. Bevor wir uns auf die Spuren des Auswanderers nach Südamerika heften, seien zwei Ereignisse erwähnt, über die der Vater häufig erzählt hatte. Als er nämlich aus dem Krieg mit einer Tapferkeitsmedaille zurückgekehrt war, hängte er diese dem Dackel um. Er, der freiwillig eingerückt war, hatte mehr als genug vom Kampf und Blutvergießen. Als der Großvater – nach wie vor den Habsburgern in Treue verbunden – dies bemerkte, habe er diesen das einzige Mal weinen sehen, so enttäuscht war er von seinem Sohn. Und dann war noch die Sache mit der Gendarmerie. Aufgrund seines Lungendefekts war eine Rückkehr in den Tischlerberuf ausgeschlossen. Der Staub, den die damals aufkommenden Maschinen verursachten, wäre tödlich für ihn gewesen. So meldete er sich zur Gendarmerie. Als aber im Zusammenhang mit der Angliederung west-ungarischer Gebiete an Österreich Unruhen ausbrachen und er mit dem Maschinengewehr Freischärler bekämpfen sollte, schoss er über deren Köpfe hinweg. Da dem Offizier dies nicht verborgen blieb, war er bereits am nächsten Tag entlassen. * Trotz der Unterstützung durch seinen Vater und jene des Bezirksarztes dauerte es einige Zeit, bis alle Papiere beisammen waren, die zur Auswanderung benötigt wurden. Im Herbst des Jahres 1920 reiste er zuerst mit der Bahn nach Bremen und schiffte sich dort auf der «Guyaba» ein. Brasilien hatte sich im ersten Weltkrieg relativ spät auf die Seite der Entente geschlagen und danach das Schiff «Kronprinzessin Cecilie» als Reparationsleistung seitens Deutschlands erhalten. Umgetauft in Guyaba diente sie als erstes Auswandererschiff. Die brasilianische Regierung hatte Auswanderungswillige freie Passagen angeboten, um sie in ihr Land zu locken. Die Verhältnisse auf dem Schiff müssen entsetzlich gewesen sein. Schlafsäle mit hunderten Betten auf engem Raum, katastrophale sanitäre Verhältnisse, sowie unzureichende Nahrung machten die Fahrt zum Höllentrip. Jeden Tag gab es eine dünne Suppe mit eingepökeltem Hering, schimmeliges Brot, aber keinerlei Gemüse. So war es kein Wunder, dass nahezu jeden Tag Passagiere starben, die ersten schon während der Fahrt durch den Kanal zwischen England und Frankreich. Hätte der Vater in Madeira nicht einen großen Vorrat an Orangen und Bananen erworben – er hätte die Reise wohl nicht überlebt. Andererseits war die Fahrt interessant und keineswegs langweilig. Schon im wegen seines Wetters berüchtigten Golf von Biscaya erwischte sie der erste Sturm. Der Auswanderer sah alte Seeleute kotzen – er selbst erwies sich hingegen als seefest. Als die Berge Madeiras auftauchten, später dann die Kapverden, da verdichteten sich all diese Eindrücke zu einem besonderen Erlebnis. Die gesamte Reise dauerte mehr als zwei Monate! Der Dampfer hatte noch in Holland und Frankreich eine Reihe von Häfen abgeklappert, wo das Zusteigen neuer Auswanderer Zeit beanspruchte. Im offenen Atlantik wurde Maschinenschaden gemeldet, sodass die Guyaba mehrere Tage ohne Fahrt zu machen herumschaukelte. Zum Glück war da das Wetter ruhig; Manövrierunfähigkeit bei hohem Seegang hätte auch schlecht ausgehen können. Nach gezählten neunundsechzig Tagen (und Nächten im Elendsquartier) tauchte schließlich die wundersame Silhouette von Rio de Janeiro auf: Zuckerhut, Corcovado, Copacabana und dann die Guanabara-Bucht, groß genug, um allen Schiffen der Welt Platz zu bieten. Bei ihrer Entdeckung durch die Portugiesen Anfang des 16. Jahrhunderts, hatte man die Bay für eine Flussmündung gehalten – deshalb der Name, Fluss des Jänners. Die Kontrollen der brasilianischen Einwanderungsbehörden erwiesen sich als streng und penibel. Passagiere, die nicht den Gesundheitsvorschriften entsprachen, wurden gleich wieder mit der Guyaba zurückgeschickt, die bald zur Abholung des nächsten Emigrantenschubes aufbrach. Dem Auswanderer aus Niederösterreich, der durch die mangelhafte Ernährung stark abgemagert war, wurde Lungenkrankheit attestiert. Er wurde auf die Quarantänestation der ‚Ilha dos Flores1‘, inmitten der Guanabara Bay geschickt, wo er ein paar Wochen bleiben sollte, ständig bedroht vom Damoklesschwert der Ausweisung. Doch auf der Blumeninsel wendete sich dann das Schicksal endlich zum Besseren. Eine lange Phase ‚saturnischer Hemmung‘ und ‚uranidischen Unglücks‘ machte einer günstigeren Bestrahlung Platz. So hatte es Aurelia, die ältere Schwester des Auswanderers formuliert, die in ihrem Beruf als Hebamme auf Horoskope spezialisiert war. Der Auswanderer war immer schon ein ausgezeichneter Schwimmer gewesen. Da er auf der Quarantänestation nichts zu tun hatte – außer Portugiesisch zu büffeln – schwamm er ans Festland. Dort lernte er einen Portugiesen kennen, der ihm Arbeit verschaffte. Bei der Vorbereitung der Weltausstellung in Rio wurden tüchtige Handwerker gesucht, auch Zimmerleute. Und als die Arbeitserlaubnis vorlag, wurde auch die...


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