Feimer | Der afghanische Koch | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

Feimer Der afghanische Koch


1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-903061-11-8
Verlag: Septime Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

ISBN: 978-3-903061-11-8
Verlag: Septime Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Eine Liebe im Wien der Gegenwart.

Er, im Afghanistan - sie, im Österreich der 80er Jahre groß geworden, seine Kindheit und Jugend geprägt durch militärische und religiöse Konflikte, ihre durch den behüteten Hintergrund eines durchschnittlichen westeuropäischen Bildungsbürgertums.

Kriegsschauplätze und Fluchtszenarien, Gewalt und Tod bestimmen sein Bewusstsein. Innerlich zerrissen, geplagt von Erinnerungen, Heimweh und Träumen, ist er getrieben von der Sehnsucht, seinem Leben eine Richtung zu geben. Durch den Mangel an ähnlichen Erlebnissen fast von Schuldgefühlen erfüllt, versucht sie, in seine Welt einzutauchen, indem sie seine Geschichte aufschreibt.
Blitzlichtartige Reflexionen über ihren Großvater, der als traumatisierter Kriegsveteran aus Stalingrad heimkehrte, spannen den Bogen zwischen den unterschiedlichen Erfahrungswelten. Behutsam und zärtlich nimmt sie sich seiner Erinnerungen an, fügt die Versatzstücke ihrer beider Leben in einem Mosaik zusammen in der Hoffnung, daraus ein gemeinsames großes Ganzes schaffen zu können.
Ist Liebe ausreichend, wenn die Grenzen zwischen Nähe und Distanz, zwischen Haltgeben und Aneinanderklammern fließend sind? Gibt es eine gemeinsame Zukunft?

Feimer Der afghanische Koch jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Heute wartet der alte Mann, etwas, weiß er, Ungewöhnliches wird passieren, er spürt es, wie den Phantomschmerz in seinen Beinen, und ist froh, dass sich die Großmutter in ihr Reich der Nachmittags-Talkshows und Seifenopern zurückgezogen hat, er weiß, er muss sich noch ein wenig gedulden, noch ein Zug und ein weiterer, und geduldig wartet er.   Es sperrt an der Wohnungstür, und ich schlage das Notizbuch zu, ich weiß nicht, wie spät ist es?, der Film ist glücklich zu Ende getanzt, jetzt eine Reportage, Verkehrssünder, Autobahnpolizei, bevor er zu mir ins Wohnzimmer kommt, schalte ich den Fernseher aus, und er, ein Lächeln auf dem Gesicht und ein Strahlen in den Augen, sein Blick ist klar, er beugt sich zu mir, küsst mich auf die Stirn, dann auf den Mund, dann setzt er sich auf mich, drückt mich mit seinen Küssen zurück aufs Sofa, küsst mich auf den Hals, aufs Dekolleté, es kitzelt, sage ich und lache, was ist passiert?, frage ich, vielleicht, sagt er und küsst mich auf den Mund, habe ich, sagt er und küsst mich unterhalb des rechten Ohrs, einen neuen, sagt er und beißt mich zart ins Ohrläppchen, Job, und ich schlinge meine Beine um ihn und lege meine Hände an seine Wangen, das ist toll, sage ich, was?, frage ich, wo?, ein Freund, sagt er, ist auch Koch, und vielleicht kann ich nächste Woche anfangen, er ruft mich, sagt er, morgen oder übermorgen an, muss noch mit seinem Chef reden, aber der kennt mich, und er setzt sich auf, und ich sage, siehst du, es wird, und er, weißt du, ich kann nicht ohne Arbeit, ich kann nur nicht, sagt er, mit all den Ausbeutern, und dein Mitbewohner?, frage ich, der, sagt er und zuckt mit den Schultern, hat kein Geld, aber ich kann ihm nicht helfen, der, sagt er, lernt nicht Deutsch, der bekommt einen Deutschkurs nach dem anderen, aber er geht nicht hin, sagt er, er ist einsam, entgegne ich, das war ich auch, sagt er, du lernst schnell, erwidere ich, wenn der so weitermacht, sagt er, fliegt er aus der Wohnung, und ich mit ihm, für mich ist es egal, sagt er, ich finde immer eine Bleibe, aber um ihn mache ich mir Sorgen, du kannst nicht allen helfen, wende ich ein, und er sieht mich streng an, warum nicht?, fragt er, warum kann ich das nicht?, tut mir leid, sage ich, so meine ich das nicht, du weißt nicht, wie das ist, sagt er, als Fremder, du wirst nicht schlecht behandelt, du hast ein Studium, hast Bildung, hast Familie, was habe ich?, du weißt nicht, wie es ist, wenn dich Skinheads und Halbstarke verprügeln wollen, einfach so, und ich versuche, mich aufzusetzen, aber ich komme nicht hoch, er bleibt auf mir sitzen, ich weiß, sage ich leise, wie es ist, anders zu sein, und er erzählt, ich habe ihn damals von der Straße geholt, nahm ihn mit zu mir, verschaffte ihm einen Job, weißt du, nachts schlief er in der Kirche, und wenn das nicht ging, in einem Park, und er steht auf, geht ins Schlafzimmer und setzt sich aufs Bett, ich folge ihm, setze mich neben ihn, ich will nicht streiten, sage ich, er sieht mich an, sagt, wir streiten nicht, ich greife nach seiner Hand und lächle.   * * *   Früher Abend, wir gehen zum Bus, der uns zu Masud und seiner Freundin Mia bringt, sitzen einander gegenüber, wir schweigen, er sieht aus dem Fenster, ich sehe ihn an und frage mich, was er denkt, Masud kenne ich, Mia nicht, ich weiß nur, auch sie ein Kriegskind, aus Jugoslawien geflüchtet, sie ist nett, sagt er, du wirst sehen, dann sieht er wieder aus dem Fenster, Masud, sagt er, hat drei Wohnungen, diese kenne ich nicht, drei Wohnungen, wiederholt er, und drei Autos, immer kauft er gebrauchte Autos, richtet sie her und verkauft sie wieder, manchmal, sagt er, helfe ich ihm dabei, dass Masud auch drei Freundinnen hat, von denen eine, nicht Mia, schwanger ist, wird er mir erst später erzählen. Masud und er kennen sich seit der gemeinsamen Zeit im Flüchtlingslager, Macondo, sagt er, das waren gute Zeiten, Masud kommt aus dem Süden Afghanistans, ein Paschtune, sagt er, und jetzt arbeitet er bei Hilfsorganisationen und betreut andere Flüchtlinge, und er studiert Politikwissenschaft, zumindest hat er das für zwei Semester, von Mia erzählt er nicht viel, nur dass sie Schuhverkäuferin ist oder war, er ist sich nicht sicher. Der Bus wird langsamer und bremst sich neben der Haltestelle ein, komm, sagt er, wir steigen hier aus, an der nächsten Ecke bleibt er stehen und sieht sich um, da lang, sagt er zögerlich, oder dort?, seine Hand zeigt in Richtung beider Straßen, nicht immer ist es gut, sage ich, Möglichkeiten zu haben, er sieht mich an, schüttelt den Kopf, sagt, ich versteh dich nicht, schon gut, sage ich und dann, morgen sind wir eingeladen, eingeladen?, fragt er nach, wo?, mein Vater, sage ich, lädt zum Grillen, Grillen, sagt er, das mag ich, und ich sage, ruf Masud an, noch nicht, sagt er, ich kenne den Weg, fünfzehn Minuten später gehen wir immer noch, wie es den Anschein hat, im Kreis, fragen Passanten, die mit ihren Hunden unterwegs sind, nach der Adresse, sagen, es muss hier in der Nähe sein, fragen in zwei Lokalen, aber jeder schickt uns in eine andere Richtung, ich hab so Hunger, sagt er, ich auch, sage ich, Hunger, sagt er, macht mich krank, was ist schon dabei, frage ich, wenn du anrufst?, aber er antwortet nicht, an der nächsten Kreuzung holt er sein Telefon aus der Hosentasche. Vierter Stock, kein Aufzug. Masud macht die Wohnungstür auf, er hat die Haare kürzer, und seinem Gesicht sieht man die Sonne an, und er riecht auffällig nach Rasierwasser. Auf seinem schwarzen langärmeligen T-Shirt steht I AM STERDAM in roten Buchstaben, passend, denke ich, während er mich mit Wangenküsschen begrüßt. Mia reicht mir die Hand, lächelt und führt mich in die Küche, Masud und er folgen uns. Der Tisch ist gedeckt, ein Wasserkrug, Gläser, eine Weinflasche, Besteck, Servietten und ein Aschenbecher aus Holz. Er und ich setzen uns auf die gepolsterte Sitzbank, Mia uns gegenüber. Das Essen, sagt sie und schenkt Wein und Wasser in die Gläser, dauert noch, und Masud stellt sich an den Herd, schneidet Gemüse über der Spüle. Er kocht so gut, sagt Mia, es gibt Lamm mit Reis und Okraschoten. Aber es dauert noch, sagt Masud, der zu uns an den Tisch kommt, um mit uns anzustoßen. Auf euch, sagt er und erhebt sein Glas, und ich bedanke mich. Ich habe letzte Woche gekündigt, beginnt Mia eine Konversation, jetzt habe ich Urlaub, nach acht Jahren, sagt sie, im selben Geschäft, da willst du nicht mehr, da willst du mal was Neues. Er nickt, versteh ich, sagt er, ich bin auch weg, nach sieben Jahren. Masud sieht ihn an, spricht nun Persisch, und er antwortet. Ich verstehe nicht, höre nur die Namen des Chefs und dessen Freundin, und höre den Ärger in seiner Stimme. Spricht er Dari, ist seine Stimme tiefer, jedes Wort eingebettet in der Sicherheit der Muttersprache. Kannst du Persisch?, frage ich Mia. Ich lerne, sagt sie, aber es ist schwer. Zeit, sagt Masud, dass du dort wegkommst, und er nickt. Du kannst sie verklagen, sagt Masud, wieder nickt er. Ich an deiner Stelle, sagt Masud, würde es tun, und wenn du Hilfe brauchst. Ich zünde mir eine Zigarette an, und Mia schiebt den Holzaschenbecher ein wenig in meine Richtung. Danke, sage ich und lächle. Und du schreibst?, fragt Mia, seine Geschichte, sagt sie, habe ich gehört. Ich nicke, sage, ich versuche es. Schmeckt der Wein?, fragt sie. Gut, sage ich, ich mag Weißwein. Hoffentlich auch Lamm?, fragt Masud. Ich mag kein Lamm, sage aber nichts, bedanke mich stattdessen für die Einladung. Wurde Zeit, sagt Mia, dass ihr uns besucht, wie lange, fragt sie, seid ihr zusammen? Und er legt den Arm um meine Schulter, sagt, drei Monate, und ich nicke und sage mit einem Lächeln, fühlt sich länger an. Masud serviert eine Vorspeise, Weißbrot mit einem Stück Lammfleisch und je einer gekochten Okraschote, greift zu, sagt Mia, und ich nehme mir das Brot mit dem kleinsten Stück Fleisch. Das Lamm ist zäh, und Fleischfasern bleiben mir zwischen den Zähnen stecken, und scharf ist es, sodass ich Wein trinken muss, danach noch ein halbes Glas Wasser, aber die Okra, es ist mein erstes Mal, dass ich davon koste, zergeht auf der Zunge und schmeckt nach Fernweh, und ich sehe zu ihm hinüber. Als er von der Okraschote kostet, schließt er die Augen. Mia stellt einen Salat auf den Tisch, Tomaten und Kräuter, ähnlich dem, den er zum Fisch bereitet hat, dann Teller, dann eine große Schale Reis, in dem das Lammfleisch sich bettet, während Masud uns Wein nachschenkt. Mia, Masud und er essen mit den Fingern, ich mit Besteck und ich überlege, das Besteck zurück auf die Serviette zu legen, aber ich kann nicht, kann mich nicht anpassen, wie es Mia anscheinend getan hat, und Masud sieht mich an, sieht mir, wie ich mir einrede, auf die Finger. Und dein Job?, fragt er. Ich schlucke ein zähes Stück Lammfleisch hinunter und sage, ich habe gekündigt. Und jetzt?, fragt er. Ich weiß noch nicht, sage ich, nach dieser Woche sehe ich weiter. Vielleicht kann ich dir helfen, sagt er, wir suchen immer nach Betreuern, kannst du Englisch? Das könnte sie gut, sagt mein Freund, hebt sein Glas in meine Richtung, und ich sage danke. Könnte ich das?, überlege ich, all diese Schicksale in meinen Kopf lassen, in mein Herz? Mia räumt den Tisch ab. Masud und er reden über den Mitbewohner. Ich verstehe seinen Namen und einzelne Wörter, khona heißt zu Hause, nach Hause, bad heißt schlecht, mardom heißt Mensch, auch die Gesten zielen unmissverständlich auf seine Wohnsituation. Während des Gesprächs deutet Masud mehrmals auf mich, ohne mich anzusehen, und er nickt, vale, vale. Mia setzt sich zu uns an den Tisch, und Masud fragt, ob wir etwas rauchen wollen, und ohne...


Isabella Feimer, geboren 1976, lebt in Wien. Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaften an der Universität Wien und Engagements als freie Theater-Regisseurin in Wien und Niederösterreich.
Im Rahmen der 36. Tage der deutschsprachigen Literatur 2012 erhielt Isabella Feimer eine Nominierung für den Ingeborg-Bachmann-Preis, im selben Jahr erreichte sie beim Literaturwettbewerb der Akademie Graz mit einem Ausschnitt aus "Der afghanische Koch" den 2. Platz.
Im Herbst 2013 ist sie mit dem Roman auf der Shortlist des Alpha-Preis.
2014 erschien ihr zweiter Roman: "Zeit etwas Sonderbares"
Ihre Texte bestechen durch ihren melodisch-rhythmischen Sprachstil und die Dichte an Emotionen.



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.