Feist Die Midkemia-Chronik 1
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-641-18581-7
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Gefährten des Blutes
E-Book, Deutsch, Band 1
Reihe: Die Midkemia-Chronik
ISBN: 978-3-641-18581-7
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Raymond Feist wurde 1945 in Los Angeles geboren und lebt in San Diego im Süden Kaliforniens. Viele Jahre lang hat er Rollenspiele und Computerspiele entwickelt. Aus dieser Tätigkeit entstand auch die fantastische Welt seiner Romane: Midkemia. Die in den 80er-Jahren begonnene Saga ist ein Klassiker des Fantasy-Genres, und Feist gilt als einer der wichtigsten Vertreter der Fantasy in der Tradition Tolkiens.
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Anschlag
Der Junge schrie.
Borric und Erland sahen von den Fenstern der Gemächer ihrer Eltern aus zu, wie Schwertmeister Sheldon seine Attacke gegen Nicholas startete. Der Junge schrie noch einmal aufgeregt auf, begegnete dem Angriff mit einer Parade und ging dann zum Gegenangriff über. Der Schwertmeister wich zurück.
Borric kratzte sich an der Wange, während er das Schauspiel beobachtete. »Der Junge kann ganz schön herumhüpfen, ohne Frage.« Die Prellungen, die von der Übungsstunde heute Morgen herrührten, wurden immer dunkler.
Erland stimmte zu. »Er hat Vaters Fertigkeiten mit der Klinge geerbt. Und er kommt trotz seines schlimmen Beins damit zurecht.«
Beide drehten sich um, als die Tür hinter ihnen geöffnet wurde und ihre Mutter hereintrat. Anita bedeutete ihren Hofdamen, sie sollten in der gegenüberliegenden Ecke warten, wo sie sich weiter über den neuesten Klatsch unterhielten, der in Krondor die Runde machte. Die Prinzessin von Krondor stellte sich neben ihre Söhne und spähte durch das Fenster hinaus, wo Nicholas freudig einen zu weiten Ausfallschritt machte und sich plötzlich entwaffnet sah.
»Nein, Nicky! Das hast du doch kommen sehen müssen«, schrie Erland, obwohl sein kleinerer Bruder das durch die Glasscheiben wohl kaum hörten konnte.
Anita lachte: »Er gibt sich solche Mühe.«
Borric zuckte mit den Schultern, und sie wandten sich vom Fenster ab. »Für einen Jungen ist er nicht schlecht. Nicht schlechter jedenfalls, als wir in seinem Alter waren.«
Erland stimmte zu. »Der Affe.«
Plötzlich fuhr seine Mutter zu ihm herum und schlug ihm fest ins Gesicht. Sofort verstummte das Geflüster in der anderen Ecke des Zimmers, und die Frauen starrten mit aufgerissenen Augen staunend die Prinzessin an. Borric sah seinen Zwillingsbruder an, und der wirkte genauso verblüfft wie er selbst. In den ganzen neunzehn Jahren ihres Lebens hatte ihre Mutter nicht ein einziges Mal die Hand gegen einen der Jungen erhoben. Erland war mehr über die Tatsache an sich erstaunt, als dass ihm die Wange weh tat. An Anitas grünen Augen konnte man eine Mischung aus Wut und Entschuldigung ablesen. »Redet nie wieder so über euren Bruder.« Ihr Tonfall ließ keinen Widerspruch zu. »Ihr habt ihn immer nur verspottet und ihm so mehr weh getan als das ganze unhöfliche Geraune der Adligen zusammen. Er ist ein guter Junge, und er liebt euch, und ihr macht euch ständig nur über ihn lustig und quält ihn. Ihr seid erst einen Tag wieder im Palast, und er hat euch nur fünf Minuten gesehen, und schon stehen ihm wieder die Tränen in den Augen.
Arutha hat recht. Ich habe euch viel zu lange euer flegelhaftes Benehmen ungestraft durchgehen lassen.« Sie kehrte ihnen den Rücken zu, als wollte sie fortgehen.
Borric, der sich und seinen Bruder aus der peinlichen Situation befreien wollte, sagte: »Ach, Mutter. Du hast uns rufen lassen? Wolltest du vielleicht etwas mit uns besprechen?«
Anita sagte: »Ich habe euch nicht rufen lassen.«
»Ich war das.«
Die Jungen drehten sich um und entdeckten ihren Vater, der in der kleinen Tür stand, die sein Arbeitszimmer mit dem Wohnzimmer der Familie verband, wie Anita diesen Teil der fürstlichen Wohnung nannte. Die beiden Brüder sahen sich an und wussten, ihr Vater würde lange genug zugeschaut und die ganze Auseinandersetzung zwischen ihnen und ihrer Mutter beobachtet haben.
Nachdem er eine Weile lang schweigend dagestanden hatte, sagte Arutha: »Wenn du uns bitte entschuldigen würdest, ich hätte mit meinen Söhnen gern etwas unter vier Augen besprochen.«
Anita nickte und bedeutete ihren Hofdamen, sie sollten ihr folgen. Rasch leerte sich das Zimmer, und Arutha blieb mit seinen Söhnen allein zurück. Als die Tür zugefallen war, fragte Arutha: »Und wie geht es euch?«
Erland antwortete: »Nun, Vater, wenn man von der ›Übungsstunde‹ heute Morgen einmal absieht, den Umständen entsprechend gut.« Er deutete auf seine verletzte Seite, die recht gut verheilte.
Arutha runzelte die Stirn und schüttelte sachte den Kopf. »James sollte mir nicht sagen, was er sich für euch ausgedacht hatte.« Er lächelte schief. »Ich habe ihn nur gebeten, er solle euch irgendwie sehr eindrücklich beibringen, welche Folgen es hat, wenn ihr nicht das tut, was von euch verlangt wird.«
Erland nickte. Borric sagte: »Nun, das kam nicht so ganz unerwartet. Du hast angeordnet, wir sollten auf schnellstem Wege nach Hause kommen, und wir haben uns ein bisschen herumgetrieben, bevor wir uns zum Palast aufgemacht haben.«
»Herumgetrieben ...«, meinte Arutha und sah seinem Ältesten in die Augen, »… nun, ich fürchte, in Zukunft werdet ihr wenig Zeit haben, euch herumzutreiben.«
Er winkte die Jungen näher zu sich heran, und sie kamen zu ihm. Er ging wieder in sein Arbeitszimmer, und die beiden folgten ihm. Arutha setzte sich an seinen riesigen Schreibtisch. Hinter dem Schreibtisch gab es eine kleine versteckte Nische, die von einem Stein verborgen wurde, den er jetzt entfernte. Er holte ein Pergament mit dem Wappen der königlichen Familie hervor und reichte es Borric. »Lies den dritten Absatz.«
Borric las, und seine Augen wurden immer größer. »Das ist wirklich eine traurige Nachricht.«
Erland fragte: »Was ist es denn?«
»Eine Botschaft von Lyam«, erwiderte Arutha.
Borric gab das Pergament an seinen Bruder weiter. »Die königlichen Leibärzte und Priester sind überzeugt, dass die Königin keine weiteren Kinder mehr bekommen wird. Und somit wird es in Rillanon keinen Erben für den Königsthron geben.«
Arutha ging zu einer Tür im Hintergrund des Arbeitszimmers und sagte: »Kommt mit!«
Er öffnete die Tür und betrat ein Treppenhaus. Seine Söhne folgten ihm rasch, und bald standen sie auf der Spitze eines alten Turms, der sich fast in der Mitte des Palastes befand und über die Stadt Krondor erhob. Arutha begann zu sprechen, ohne sich zu vergewissern, ob seine Söhne ihm gefolgt waren.
»Als ich in eurem Alter war, habe ich in der Burg meines Vaters oft an der Brustwehr des Außenwerks gestanden. Ich habe hinunter auf die Stadt geschaut, Crydee, und auf den Hafen dahinter. Es ist ein kleiner Ort, doch in meinen Erinnerungen ist er sehr groß.«
Er sah Borric und Erland an. »Euer Großvater hat das Gleiche getan, als er ein Junge war, das hat mir unser alter Schwertmeister Fannon einmal erzählt.« Einen Moment lang hing Arutha seinen Erinnerungen nach. »Ich war ungefähr in eurem Alter, als man mir den Befehl über die Garnison übertrug.« Beide Söhne hatten schon häufig Geschichten über den Spaltkrieg und die Rolle ihres Vaters darin gehört, doch diese Geschichte war anders als die, die ihr Vater, Laurie oder Admiral Trask beim Abendessen zu erzählen pflegten.
Arutha drehte sich um und setzte sich in eine der Zinnenlücken. »Ich wollte nie Prinz von Krondor werden, Borric.« Erland setzte sich in die nächste Mauerzinne; offensichtlich waren die Worte mehr für seinen älteren Bruder als für ihn bestimmt. Sie hatten es beide oft genug gehört. Ihr Vater hatte eigentlich nie den Wunsch gehegt, regieren zu müssen. »Als ich ein Junge war«, fuhr Arutha fort, »hatte ich keinen größeren Wunsch, als Soldat zu werden, vielleicht sogar bei den Grenzbaronen.
Erst als ich den alten Baron von Hohe Burg traf, wurde mir klar, wie sehr mich die Kindheitsträume auch als Erwachsener immer noch verfolgten. Man wird sie einfach nicht so leicht los, und trotzdem muss man, wenn man die Dinge so sehen will, wie sie sind, den Standpunkt eines Kindes aufgeben.«
Sein Blick schweifte zum Horizont. Ihr Vater war stets ein offener Mann gewesen, der die Dinge aussprach, wie sie waren, und nie Schwierigkeiten damit gehabt hatte, seine Gefühle auszudrücken. Doch nun hatte er offenbar Schwierigkeiten mit dem, was er auf dem Herzen hatte. »Borric, als du noch klein warst, wie, hast du geglaubt, würde dein Leben heute aussehen?«
Borric sah hinüber zu Erland und dann wieder zu seinem Vater. Ein leichter Wind erhob sich und wehte ihm die dichte, schlechtgeschnittene rötlichbraune Mähne ins Gesicht. »Ich habe eigentlich nie so richtig darüber nachgedacht, Vater.«
Arutha seufzte. »Ich glaube, bei eurer Erziehung haben wir einige schwere Fehler gemacht. Als ihr beide noch kleine Jungen wart, habt ihr euch oft sehr bösartig benommen, und bei einer Gelegenheit habe ich mich sehr aufgeregt. Es war eine kleine Sache, ihr hattet ein Tintenfass umgestoßen, allerdings dabei eine Urkunde besudelt und das Tagewerk eines Schreibers zerstört. Ich gab dir ein paar auf den Hosenboden, Borric.« Der ältere Bruder grinste bei der Erinnerung daran. Arutha erwiderte das Grinsen nicht. »Anita nahm mir noch am selben Tag das Versprechen ab, ich sollte euch nie wieder anfassen, wenn ich zornig auf euch wäre. Aber dadurch habe ich euch nur verhätschelt und euch nicht richtig auf euer späteres Leben vorbereitet.«
Erland fühlte sich peinlich berührt. Sie waren oft genug gescholten, doch selten ernsthaft bestraft worden, und – vor heute morgen – niemals körperlich.
Arutha nickte. »Ihr und ich, wir sind auf ganz verschiedene Weise erzogen worden. Euer Onkel, der König, hat den Gürtel bei mehr als einer Gelegenheit zu spüren bekommen. Ich habe nur ein einziges Mal Prügel bezogen. Eins habe ich daraufhin schnell begriffen: Wenn Vater etwas befahl, dann hatte man zu gehorchen, und zwar ohne Fragen zu stellen.« Arutha seufzte, und in diesem...