E-Book, Deutsch, 216 Seiten
Ferstl Fischsitter
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-903184-39-8
Verlag: MILENA
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 216 Seiten
ISBN: 978-3-903184-39-8
Verlag: MILENA
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Alexander Keller ist Fischkenner und betreut Aquarien. Seine neue Freundin Mary nimmt ihn mit zu ihrer Familie – der 90. Geburtstag ihres berühmten Großvaters steht an. Die Feierlichkeiten werden vorbereitet, und Keller befreundet sich mit dem harten, alten Mann. Aber die Katastrophe ist unausweichlich. Ein hochintelligenter, wichtiger Roman über Familie, Kunst und uns.
Alexander Keller hat ein Händchen für Fische und setzt dieses äußerst lukrativ um – in Fischzucht, Aquariumsbetreuung und Gastronomie. Keller liebt Fische – lebendig, roh, gebraten. Diese Ambivalenz zwischen Fürsorge und Verschlingen zieht sich durch sein ganzes Leben. Kellers Freundin Mary, Enkelin des berühmten Künstlers und Gartenarchitekten Akira Benshi, stellt Keller kurz vor dem 90. Geburtstag ihres Großvaters ihrer Familie vor. Und es wird familiär kompliziert: Die Eltern definieren sich ausschließlich über Benshis Kunst, Benshi selbst schweigt, seit er seine Familie beim Atombombenabwurf über Nagasaki verloren hat. Doch als er Keller Fisch essen sieht, bricht er sein Schweigen, macht Keller zu seinem Helfershelfer bei der Neugestaltung seines berühmten Gartens – und verursacht lediglich dessen Verwüstung. Mary selbst wird wieder in längst vergangen geglaubte Familienstrukturen hineingezogen – und mittendrin Keller, der als Benshis "neuer bester Freund" weit über den Rand seiner vermeintlichen Toleranz und seines Gleichmuts gebracht wird.
Ein Roman mit geschliffenem Stil, klug, fließend – aber dann!
Autoren/Hrsg.
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Der Pollack hatte sich gefangen. Das wunderte Keller nicht, der Pollack fing sich immer leicht, das war die Grundlage seines Erfolgs und seines Glücks. Keller wusste nicht, ob er sich selbst leicht fing, denn er verlor nur höchst selten die Fassung. Das war die Grundlage seines Erfolgs und seines Glücks. Es war auch einer der vielen Gründe, warum er den Pollack ein wenig verachtete, und einer der wenigen Gründe, warum ihm der Pollack auch sehr sympathisch war: Er sah auf ihn herab, weil sich der andere so leicht aufregte, aber er respektierte ihn, weil dieser es nicht aus Selbstzweck tat, sondern um mit bloßem Aufschäumen Veränderung zu erzwingen. War man nicht in einem subtilen Gewerbe tätig, funktionierte das ganz gut. Der Pollack hatte eine Baufirma, die auf Mauertrockenlegung spezialisiert war. Der Pollack hielt das Wasser draußen. Und natürlich, dachte sich Keller, natürlich stellt der sich dann 12.000 Liter Wasser in einem durchsichtigen Behälter in sein Wohnzimmer. Keller lachte, und der Pollack sah ihn fragend an. »Es gefällt mir, wenn was weitergeht«, sagte Keller. Der Pollack lächelte. »Das gefällt mir auch.« Dann drehte er sich um und lief davon. Der Pollack lief die ganze Zeit, das war seine Art. Er bereitete seinen Businesstrip in die Slowakei vor und packte gleichzeitig für den Familienurlaub. Christine war davongefahren, um Judith zur Tagesmutter zu bringen. Sie hatte Keller nur mit einem Kopfnicken begrüßt und in die Küche zu seinem Lehrling geschickt, der dort über einem reichhaltigen Frühstück saß. Als der Lehrling Keller sah, putzte er sich hastig den Mund ab und lief nach draußen, um weiter auszuladen. Christine hatte verkatert ausgesehen. Keller war nicht verkatert. Seit seinem sechzehnten Lebensjahr schlief er nur fünf Stunden pro Nacht und war selten müde. Christine hatte sich trotzdem zusammengerissen: Rote Zwiebeln, Krabbenpaste und Anchovis standen auf dem Tisch. Der Pollack bezeichnete ihn im Vorbeistürzen mit angeekelter Grimasse als Spinner. Keller ließ sich nicht stören. Es war nicht nötig, den Miro des Frühstücks wegen zur Seite zu nehmen. Der Lehrling war kurz nach sechs Uhr früh hier gewesen und hatte das eindrucksvoll große Ersatzbecken bereits sachkundig aufgebaut. Der Miro war neunzehn Jahre alt und seit etwas über einem Jahr bei Keller. Der Miro hatte nie etwas gelernt außer Bierzapfen und Autofahren, und seine Mutter hatte vor Freude tagelang geweint, als ihr Keller angeboten hatte, den Buben als Lehrling aufzunehmen. Danach brachte sie immer wieder dampfende Sarma ins Geschäft, bis sie – aufmerksame Frau! – von den Krautrouladen auf Fischpiroggen umschwenkte und so erst recht zu einem angenehmen Arbeitsklima beitrug. Ihr Engagement war aber keineswegs nötig, Keller wusste schon selber, was er an Miro hatte. Der Miro war faul und liederlich – so hieß es zumindest. Der Miro hatte sich bereits das Geld für gleich zwei Abtreibungen zusammenschnorren müssen, womit er seiner Mutter in jedem Einzelfall doppelt das Herz gebrochen hatte. Aber der Miro war nur halb dumm – dumm genug, gleich zweimal in Situationen zu geraten, in denen nur eine Abtreibung eine Lösung bringen konnte –, aber immerhin schlau genug, sich dafür Frauen auszusuchen, die zwar ihrerseits dumm genug waren, ohne Not in so eine Situation zu geraten – und dann doch schlau genug waren einzusehen, dass der gute Miro faul und liederlich war und damit nicht die beste Bank; so lautete zumindest die Zusammenfassung der Geschichten, wie sie Miros Vater vornahm. Der gute Miro hatte selbst im Lokal seines Vaters Hausverbot. Und der gute Miro hing jeden Tag stundenlang im Jonas herum und starrte in die Meerwasseraquarien. Selber hatte er nur genug Geld für einen kleinen Süßwassertank mit Guppys. Den Veigl, Kellers anderen Angestellten, hatte er damit natürlich noch tiefer in den Wahnsinn getrieben. Der Veigl hatte es nicht und nicht eingesehen, dass Keller den Miro anheuerte. Aber der Veigl war ja auch scheuklappenblind und völlig ideenlos, weshalb er schließlich im Bankrott gelandet war. Keller hatte vor drei Jahren Veigls Aquariengeschäft aufgekauft und den Veigl dann als Mitarbeiter eingestellt – für Buchhaltung, servil-kompetente Betreuung von Laufkundschaft und andere langweilige Tätigkeiten. Das waren Veigls Stärken, wie auch das Herummaulen. Er maulte gerne. Wenn er zu viel maulte, sah Keller den Veigl einfach an, und der hörte damit auf. Veigl verdiente als Angestellter nun mehr, als er jemals als Einzelunternehmer verdient hatte. Er maulte nur des Stolzes wegen, aber sein Stolz war recht billig zu haben. Was der Miro dem Unternehmen bringen sollte, hatte er natürlich nicht verstanden. Für Keller war das aber völlig klar gewesen – und der Miro hatte sich gefangen, nun, da er etwas zu tun hatte, das ihn wirklich interessierte. Der Miro trank jetzt nur noch Fernet-Cola und hatte einen gebrauchten 3er BMW gekauft. Er war jemand. Keller hatte ihm vor Kurzem zum ersten vollen Arbeitsjahr einen winzigen Barrakuda samt Aquarium geschenkt. Das war eine Loyalitätsinvestition fürs Leben. Der Miro war sein grober Mann fürs Feine und alle Barrakudas wert. Um die Ecke ließ der Miro gerade das Becken ein. Keller würde erst später hinzutreten, um die Wassermischung zu überprüfen, die Pumpe anzuwerfen, die Temperatur sicherzustellen, und dann gemeinsam mit dem Miro die Korallen zu übersiedeln. Keller ging den Pollack suchen. Er fand ihn im Zubau, dessen gute sechzig Quadratmeter als Abstellraum dienten. Pollack hatte die Vorbereitungen für die Slowakei offensichtlich abgeschlossen. Er hatte eines seiner Patente an eine Firma dort verkauft und verscheuerte nur noch Materialien und Geräte dorthin, aber von Zeit zu Zeit fuhr er noch zu Einschulungszwecken hinaus. Nun stand er vor groben Holzregalen, um die Tauchausrüstung für die ganze Familie herauszusuchen. Pressluftflaschen, Neoprenanzüge, Bleigürtel, Harpunen, Seile, und so weiter – Keller besah das fein geordnete Aufgebot mit wenig Interesse. Die ganze Familie ging in Pollacks Hobby unter – wenigstens war er der Einzige, der sich dem Wahnsinn des Apnoetauchens verschrieben hatte; eine seltsame Beschäftigung für jemanden, der sein Geld mit kalkuliertem Risiko verdiente, aber auf genau dieses Kalkül redete sich der Pollack natürlich auch in seiner sportlichen Beschäftigung hinaus. Keller wich den Blicken des anderen aus, der offensichtlich gerne ein Gespräch über seine wundervolle Sportausrüstung beginnen wollte, aber Keller war ein gebranntes Kind; er hatte einmal in einer besonders unglücklichen Situation stundenlang mitanhören müssen, wie sich der Pollack über den Film »Im Rausch der Tiefe« verbreitet hatte. »Und du«, fragte der Pollack plötzlich, »gehst du auch gerne tauchen?« »Nein«, sagte Keller kurz, der ob der unerwarteten persönlichen Frage etwas verwundert war. »Warum nicht?« »Ich gehe gar nicht ins Wasser.« »Du kannst nicht schwimmen?«, fragte der Pollack entsetzt. »Ich kann schon schwimmen. Ich gehe nur nicht schwimmen. Zumindest nicht in natürlichen Gewässern. Manchmal bin ich im Freibad. Aber nicht gern. Hallenbad, hin und wieder. Wenn meine Freundin will.« »Und das bei deinem Beruf!« »Na ja, das widerspricht sich eigentlich gar nicht … du schwimmst ja auch nicht in Fischteichen oder Aquarien herum.« Keller wollte es dabei belassen, der Pollack hatte aber alles abgestellt und sah ihn mit in die Seiten gestützten Händen an. »Schau, ich mag freie Gewässer. Natürlich. Wer denn nicht. Und ich muss auch vieles darüber wissen, wie es funktioniert, Strömungen und so weiter, auch klar. Aber ich mag nicht hineingehen. Also schwimmen. Beim Angeln hineinwaten … gut, wenn’s sein muss. Aber schwimmen … ist natürlich sehr neurotisch. Wasser, wo man nicht auf den Grund sehen kann, wo man nicht genau weiß, was sich darin befindet. Wenn du’s laienpsychologisch haben möchtest – also ich meine, ich sage es lieber, bevor du dir selber so was denkst –, dann liegt es wahrscheinlich daran, dass ich zu früh in meinem Leben den ›Weißen Hai‹ gesehen habe. Hat sich mir für immer eingeprägt. Wenn ich in undurchsichtiges Wasser gehe, ohne Kontrolle – und die gibt es ja nie –, dann gerate ich in Panik.« Keller grinste den Pollack an, der das alles gar nicht lustig fand. »Du bist ein komischer Vogel«, sagte der. Keller begann das Gespräch mit einem Mal zu genießen. »Weißt du, ich glaube, dass ich nur deshalb als Kind mit der ganzen Fischzucht angefangen habe. Fischtank, Aquarium … schön übersichtlich, man weiß genau, was drin ist, und man kann es kontrollieren, züchten, hegen, pflegen. Sehr schön.« Der Pollack schüttelte den Kopf, wandte sich ab und beschäftigte sich wieder mit seinen...