E-Book, Deutsch
Fessel Bis ich sie finde
1. Auflage 2002
ISBN: 978-3-89656-544-0
Verlag: Querverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Roman
E-Book, Deutsch
ISBN: 978-3-89656-544-0
Verlag: Querverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Als Uma die blonden Haare und markanten Züge der Schwedin Jane zum ersten Mal erblickt, weiß sie, daß diese Frau etwas in ihr berührt, was sie ihr ganzes Leben lang beschäftigen wird. Jane ist kühl und unnahbar, und sie erschüttert Uma, den Frauenschwarm, in ihren Grundfesten. Uma will etwas, vielleicht alles von Jane, aber Jane weist Uma unmißverständlich zurück. Jane ist anders, besonders. Jane war früher ein Mann. Uma geht zurück nach Berlin, arbeitet als Schuhmacherin beim städtischen Theater und steht im Mittelpunkt von Freunden, Künstlern und Lebenskünstlern. Und sie lebt zusammen mit ihrer Freundin Marianne und ihren beiden Kindern Lucie und Hugo. Aber da ist Jane, die Uma nicht vergessen kann. Wie der rote Wüstenstaub und die eisigen Schneekörner, die auf ihrer Haut brennen, so die Erinnerungen an eine Liebe, die aller Vernunft trotzt. Uma kann nicht anders, auch wenn der Schmerz sie schier zerreißt: Sie sucht Jane, die ihren eigenen Weg geht, und findet eine Antwort. Bis ich sie finde ist die Geschichte einer scheinbar unmöglichen großen Liebe, einer Liebe, die zehn Jahre und 50.000 Kilometer überbrücken und der Hitze des australischen Outbacks wie der Kälte des lappländischen Winters standhalten muß.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Alice Springs, August 1992 Woran ich mich am besten erinnere, das ist der Staub. Roter Staub, überall, in der Luft, sirrend und schwebend. Roter Staub, der das Atmen schwermachte, der sich in dichten Schwaden über die Kühlerhaube legte, zur Windschutzscheibe hinaufkroch und hinter uns aufstob, in einer Wolke aus gebrochenem, rötlich funkelndem Licht, das die gleißende Sonne verdeckte. Staub und Sand, nichts als Staub und Sand um uns herum. Und das Pfeifen des Windes, das unablässige Pfeifen des Windes auf unserem Weg durch die Wüste. Kate fuhr. Eva saß auf der anderen Seite, und ich in der Mitte, eingeklemmt zwischen Kates knochiger Hüfte und Evas fleischigem Schenkel. Wir waren seit eineinhalb Stunden unterwegs, zuerst auf einer gut ausgebauten Asphaltstraße, dann auf einer holprigen Schotterpiste. Vor einer Weile hatten wir Berge gesehen, eine langgestreckte Bergkette, die sich weit entfernt parallel zur Sandpiste entlangzog, bis sie sich gen Boden senkte und schließlich darin verschwand. Seitdem war nur noch Wüste um uns herum, endlose Wüste. Und Staub, der die Frontscheibe hochkroch und die Sicht versperrte. „Shit!“ sagte Kate und schaltete die Scheibenwischer ein. Träge kratzten die rissigen Gummis über die Scheibe und hinterließen halbkreisförmige Streifen, die der Fahrtwind im nächsten Moment davonblies. Zufrieden beugte Kate sich nach vorn. Ihre ausladenden Brüste in der engangliegenden Bluse streiften das Lenkrad. Für einen Moment sah ich die winzige Schweißspur in ihrem Dekolleté aufglänzen, und dann Kates katzenähnliche Augen, die mich von der Seite musterten. „Nicht schlecht, was?“ sagte sie in ihrem kehligen Englisch. Ich mußte lächeln. Kates Augen verengten sich. „Wann immer du willst, Cowboy. Du mußt nur zugreifen“, raunte sie. Der Wagen donnerte über ein Schlagloch, und die Schwerkraft zog uns für einen Moment aus unseren Sitzen und drückte uns dann wieder zurück. Eva an meiner anderen Seite schrie erschrocken auf. „Keine Angst, honey.“ Kate bleckte die Zähne. Der Wagen schlitterte schräg über die Schotterpiste. Mit einem häßlichen Knirschen spritzten Kieselsteine hoch und knallten gegen die Karosserie. Dann griffen die Räder wieder. „Four-wheel drive, hon. Da passiert so schnell nichts.“ „Four-wheel drive?“ Evas Stimme zitterte leicht. „Allradantrieb“, erklärte ich. „Natürlich“, sagte Eva gehässig. „Du weißt mal wieder bestens Bescheid.“ Kate sah kurz zu ihr hinüber, dann gab sie Vollgas. Der Wagen schoß vorwärts, direkt auf ein kleines, sandfarbenes Tier zu, das gerade über die Piste setzte. Lässig ließ Kate das Lenkrad nach rechts und wieder zurück gleiten, und das Tier huschte dicht vorm linken Kotflügel vorbei und zwischen zwei verdorrten, kniehohen Sträuchern davon. „Ups! Das war knapp!“ Kate lachte vergnügt und zwinkerte mir zu. Eva atmete hörbar aus. „Warte nur, bis wir auf die Sandpiste kommen, Schätzchen“, sagte Kate gleichmütig und schaltete einen Gang herunter. „Dann wird es erst richtig lustig.“ Eva preßte die Lippen zusammen und starrte angestrengt in die endlose Weite. Sie und Kate waren wie Katz und Hund. Das war vom ersten Moment an so gewesen, von dem Moment an, als Kate sich im Doppio’s über den Tresen gebeugt und grinsend einen ihrer langen Finger in Evas fleischigen Arm gebohrt hatte. „Soso, und du kommst aus Deutschland und willst der armen alten Sue auf die Nerven gehen, ja? Hast dir über tausend Ecken ihre Adresse besorgt und gedacht, in Alice Springs ist ja sowieso nichts los, die freuen sich, wenn ich da ankomm, ja? Bring ich gleich noch ’ne Freundin mit, die Aussies sind doch so gastfreundlich, stimmt’s?“ Dann hatte sie ihr toupiertes Blondhaar in den Nacken geworfen und schallend gelacht, in diesem rauhen, schrill und zugleich dröhnenden Timbre, und Eva hatte stumm und verbiestert Kates auf und ab hüpfenden Adamsapfel betrachtet. Eva verstand nicht viel Spaß, und sie verstand erst recht keinen Spaß, wenn er mit der Wahrheit jonglierte. Und genau das war Kates Spezialität. Vor uns verengte sich die Fahrbahn, und Kate trat auf die Bremse. Die Schotterpiste ging in einen unbefestigten Sandweg über, der sich vor uns in der Ferne verlor. Langsam zockelten wir über ein Schlagloch und gleich darauf ein weiteres, und Kate lehnte sich lässig nach hinten und schob einen Arm hinter mir auf die Rücklehne. „There you go!“ sagte sie befriedigt und gab wieder Gas. Das Lenkrad vibrierte zwischen ihren langen Fingern. „Reise nach Santa Teresa, Teil drei.“ Bei der Erwähnung unseres Reiseziels vergaß Eva ihre Ressentiments. „Hach, ist das spannend! Ein Aborigines-Reservat zu besuchen, zu dem Weiße eigentlich keinen Zutritt haben!“ „Eine Community“, korrigierte Kate. „Nicht Reservat, sondern Community. Ein selbstverwaltetes Gebiet.“ Eva winkte unwirsch ab. „Jaja. Und wir sind wirklich die einzigen Weißen da?“ fragte sie aufgeregt. „Nein. Liesl ist auch da“, erwiderte Kate trocken. „Und Jane.“ „Jane?“ Seit Eva und ich nach Alice Springs gekommen waren, war von vielen Frauen die Rede gewesen. Aber diesen Namen hatte ich noch nicht gehört. Kate warf mir einen kurzen Blick zu. „Ganz genau. Jane“, sagte sie und hob die Brauen. Das Sonnenlicht warf glitzernde Reflexe auf ihr blondiertes Haar. „Wer ist Jane?“ „Jane ist Jane. Jane ist special.“ Eva, ungeduldig wie immer, lenkte uns ab. „Aber sonst dürfen da nur Weiße hin, die mit den Aborigines arbeiten, oder? So Leute wie Liesl?“ Liesl, Sues Mitbewohnerin, arbeitete als Kunsttherapeutin in einem Art-Center für Aborigine-Frauen in Santa Teresa und hatte uns auf einen kurzen Besuch dorthin eingeladen – eine seltene Ehre. Eva hatte sich kaum mehr eingekriegt vor Begeisterung; mir dagegen war Santa Teresa lange nicht so wichtig wie die Aussicht, einen Ausflug mit Kate zu unternehmen, die angeboten hatte, uns hinzufahren. „Leute, die sich der armen Eingeborenen annehmen, richtig“, sagte Kate und trat wieder energisch aufs Gas. „Die sollten mal lieber mich studieren. Ich bin schließlich auch ein besonders seltenes Exemplar, oder, Cowboy?“ Eva, unempfänglich für Kates Spitzfindigkeiten, sah nachdenklich vor sich hin. „Hoffentlich wirken wir nicht zu touristisch“, sinnierte sie. „Ach?“ fragte Kate und umkurvte gekonnt ein riesiges Schlagloch. „Und du meinst, du bist keine Touristin? Klar bist du eine. Du bist doch genauso wie all die anderen. Nur daß du nicht mit Schlapphut, rotem Gesicht und ohne Wasserflasche Uluru raufkletterst.“ „Ula was?“ „Uluru. Ayers Rock. Dieser dicke, rote Haufen, den irgendein Supergott vor Millionen von Jahren mitten in die Wüste geschissen hat.“ Kate verdrehte die Augen, und ich unterdrückte mühsam ein Grinsen. „Also wirklich, Kate, das ist ja geschmacklos“, sagte Eva schockiert und sah konsterniert aus dem Seitenfenster. Ihre rundlichen Wangen erzitterten, als der Wagen holpernd über ein paar kleine Gesteinsbrocken setzte. „Du bist vielleicht anders angezogen“, nahm Kate das ursprüngliche Thema wieder auf und gab ruckartig Vollgas, und Eva klammerte sich an den Türgriff, als der Wagen kurzzeitig auf der höckerigen Fahrbahn ins Schleudern geriet. „Und du hast keine Dauerwelle wie die anderen Touristinnen hier, aber an sich bist du genauso. Du bist ja sogar hetero.“ Sie zog das Wort in die Länge, und vor meinem inneren Auge sah ich die Silben sich dehnen und dann wieder zusammenschnellen, als Kate den letzten Vokal ausspie. Eva sah jetzt stur geradeaus, ihr Mund ein weißer Strich. Kate warf ihr einen lauernden Blick zu. „Ui!“ sagte sie, so laut, daß Eva erschrocken zusammenzuckte. „Hab ich dich etwa verletzt, hon? Das tuuuut mir aber leid!“ „Ich kann ja auch nichts dafür, daß ich hetero bin“, sagte Eva wütend. „Ich komme mir ja schon völlig …“ Sie suchte krampfhaft nach dem richtigen Wort. „Völlig unnormal vor.“ Kate warf mir ein verschmitztes Grinsen zu. „Verkehrte Welt, was, darling?“ sagte sie zu Eva und wich erneut elegant einem Schlagloch aus. „Müßte doch eigentlich andersrum sein, oder?“ Sie legte den Kopf in den Nacken und lachte vergnügt. Dann trat sie aufs Gas. „Hey-yoh! Santa Teresa, wir kommen!“ Eva kniff wieder die Lippen zusammen. Den Rest der Fahrt schwieg sie verbissen. Alice Springs war die Endstation von Evas und meiner gemeinsamen Reise, und ich hatte den Verdacht, daß es auch die Endstation unserer ohnehin nicht sonderlich intensiven Freundschaft sein würde. Über Sydney und Canberra waren wir nach Alice Springs gekommen und von Sue, deren Adresse sich Eva bereits in Berlin auf Umwegen besorgt hatte, mit offenen Armen empfangen worden. Sue entpuppte sich als quirlige Anthropologin, und, was mir sehr gelegen kam, als zentrales Bindeglied einer schier unüberschaubaren Gruppe von zumeist lesbischen Frauen aller Nationalitäten, die Alice Springs aus den unterschiedlichsten Gründen bevölkerten. Die meisten von ihnen waren in der Tat gastfreundlich und sehr interessiert an neuen Bekanntschaften, und binnen weniger Tage wurden Eva und ich von Einladungen zu Partys, Essen und Ausflügen überhäuft. Eva hatte sich irritiert an Liesl gehängt, eine der wenigen...