E-Book, Deutsch, Band 95, 101 Seiten
Fink-Lamotte / Exner Ekelbezogene Störungen
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-8444-3175-9
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 95, 101 Seiten
Reihe: Fortschritte der Psychotherapie
ISBN: 978-3-8444-3175-9
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ekel gehört neben Ärger und Angst zu den negativen Basisemotionen und ist durch intensive unangenehme Gefühle und Körperempfindungen geprägt. Schon die einmalige Konfrontation mit einer stark ekelauslösenden Situation kann lebenslange Abneigung und Vermeidung auslösen. Ekel ist eine bisher im therapeutischen Kontext vernachlässigte und oft übersehene Emotion. Das Erleben von Ekel spielt insbesondere bei Essstörungen, posttraumatischen Belastungsstörungen, spezifischen Phobien und Zwangsstörungen eine entscheidende Rolle. Wird die Emotion Ekel bei der Behandlung dieser Störungen nicht oder nur mangelhaft berücksichtigt, kann dies negative Auswirkungen auf den Therapieverlauf haben.
Der Band nimmt die Emotion Ekel aus grundlagen- und anwendungsorientierter Perspektive in den Blick. Er vermittelt grundlegendes Wissen über die kognitiven, verhaltensbezogenen, physiologischen und neuronalen Erlebensqualitäten dieser Emotion sowie ihrer Funktionen für Erleben und Verhalten. Weiterhin werden diagnostische Instrumente und Strategien zur Erfassung von Ekel und assoziierten Kontaminationsgefühlen vorgestellt. Anhand von Fallbeispielen werden für verschiedene psychische Störungen kognitiv-verhaltenstherapeutische Strategien bei starkem Ekelerleben beschrieben. So können unter anderem verhaltensnahe Techniken, beispielsweise Expositionsübungen zu Ekel, kognitive Techniken, wie z.B. kognitives Umstrukturieren, sowie imaginative Techniken, wie z.B. imaginatives Umschreiben, eingesetzt werden, um pathologisches Ekelerleben zu verändern. Abschließend wird die wissenschaftliche Evidenz für die vorgestellten emotionsspezifischen Behandlungsansätze zusammengefasst.
Zielgruppe
Ärztliche und Psychologische Psychotherapeut*innen, Fachärzt*innen für Psychiatrie und Psychotherapie sowie für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Klinische Psycholog*innen, Studierende und Lehrende in der psychotherapeutischen Aus-, Fort- und Weiterbildung.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
Weitere Infos & Material
|22|2 Ekelbezogene Störungen
2.1 Ekel als Mechanismus von Psychopathologien
Es stellt sich natürlich grundsätzlich die Frage, inwiefern Ekel tatsächlich einen Mechanismus darstellt, der zur Entstehung von psychischen Störungen beiträgt oder ob Ekel eher ein Epiphänomen der Störungsbilder darstellt. Davey (2011) hat vier mutmaßliche Mechanismen herausgearbeitet, die den Zusammenhang zwischen Ekel und Psychopathologie erklären können. Diese sind: (1) reaktionsbezogene Effekte, (2) auf das Selbst gerichteter Ekel (Selbstekel), (3) Verstöße gegen moralische oder soziale Normen (moralischer Ekel) und (4) stimulusgesteuerte und informationsverarbeitende Verzerrungen. Der reaktionsbezogene Effekt (nach Kontakt- oder mentaler Kontamination) ist der direkteste Mechanismus zwischen Ekel und Psychopathologie. Aus starken Ekelgefühlen (beispielsweise gegenüber Objekten oder Personen) können demnach direkt psychische Auffälligkeiten entstehen, da das Ekelerleben dazu führt, dass die Betroffenen starke Vermeidungs-, Rückzugs- und Ablehnungsreaktionen zeigen und dass Gewöhnungsprozesse gehemmt werden. Ein Beispiel hierfür ist der „Waschzwang“, der unmittelbar nach dem Kontakt mit einer Türklinke aufgrund des Gefühls von Ekel entsteht. Das Vermeidungsverhalten führt dann im Sinne von Rückkopplungsprozessen (negativer Verstärkung) zu einer Verstetigung dysfunktionaler Erlebens- und Verhaltensweisen. Stimulusgesteuerte und informationsverarbeitende Verzerrungen, die durch Ekel ausgelöst werden, können ebenfalls psychische Auffälligkeiten auslösen und aufrechterhalten. Bei Ekel besonders hervorzuheben sind dabei aufmerksamkeits-, interpretations- und gedächtnisbezogene Verzerrungen (siehe Kapitel 1.4.3). Im Rahmen der Kombinierten kognitiven Verzerrungshypothese (combined cognitive bias hypothesis) wird angenommen, dass das Zusammenspiel verschiedener ekelassoziierter Verzerrungen einen wesentlichen Beitrag zur Entstehung von Psychopathologie liefern könnte. Hierzu fehlt aber mit Bezug auf Ekel noch weitestgehend der wissenschaftliche Nachweis. Der auf das Selbst gerichtete Ekel (Selbstekel) ist deutlich schwieriger als direkter Mechanismus identifizierbar. Grundsätzlich aber kann Ekel im Sinne von Selbstbestrafung oder Selbstabwertung Attribute des Selbst mit einem negativen Affekt versehen. Zudem kann extern, durch andere Objekte oder Personen hervorgerufener Ekel mit dem Selbst assoziiert werden. Diese konditionierten Attributionen können beeinflussen, wie die Person die Welt und |23|das Selbst längerfristig wahrnimmt, und dadurch zu einem Mechanismus von Psychopathologien werden. Verstöße gegen moralische oder soziale Normen können zu teilweise starkem Ekelerleben (moralischer Ekel) führen. Ein auslösender oder aufrechterhaltender Mechanismus kann moralischer Ekel dann werden, wenn eine übermäßige Beschäftigung mit (vermeintlichen) normativen Verstößen erfolgt. Ein Beispiel sind religiöse oder sexuelle Zwangsgedanken im Rahmen einer Zwangsstörung, wobei viel Anstrengung darauf verwendet wird, verwerfliche Gedanken zu unterdrücken sowie den Kontakt mit „unreinen“ Personen, Objekten oder „gefährlichen“ Orten zu vermeiden. Abstoßende Affekte wie Ekel sind hierbei „hilfreich“, um eine möglichst große Distanz zu den Gedanken, Personen oder Orten zu halten. Auch wenn die Evidenz wächst, schreibt Davey (2011), dass es noch mehr prospektive Studien braucht, die den Beitrag der vorgeschlagenen (und weiterer) ekelbezogenen Mechanismen zur Entstehung und Aufrechterhaltung psychischer Störungen beschreiben können. Nachfolgend werden Störungsbilder und deren Beziehung zu Ekel vorgestellt und relevante ekelassoziierte Mechanismen und therapeutische Ansatzpunkte herausgearbeitet. 2.2 Ekel und Zwangsstörungen
Die umfangreichste Forschung zum pathologischen Ekelerleben gibt es bisher zu kontaminationsbezogenen Zwangsstörungen (Waschzwängen). Bei Waschzwängen leiden die Betroffenen unter aufdringlichen, ich-dystonen, übertriebenen kontaminationsbezogenen Befürchtungen (Angst, durch Keimkontakt in der Öffentlichkeit schwer zu erkranken oder andere anzustecken). Um diese Befürchtungen zu reduzieren, werden exzessive Desinfektions-, Reinigungs- und Waschrituale durchgeführt. Ekel ist – evolutionär gesehen – eine Krankheitsvermeidungsemotion (disease-avoidance emotion), entsprechend verwundert es nicht, dass gerade Kontaminationsängste und -zwänge eng mit pathologischem Ekelerleben verknüpft scheinen: Wie bereits angedeutet kann Ekel aber auch bei moralischen Zwangsgedanken (sexuellen oder religiösen Gedanken) eine wichtige Rolle spielen. Eine erhöhte Ekelneigung und eine erhöhte Ekelsensitivität scheinen dabei Risikofaktoren für kontaminationsbezogene Befürchtungen zu sein. Dies legt nahe, dass als zugrunde liegende Mechanismen der Pathologie reizbezogene Effekte dominieren. Daneben wird aber auch diskutiert, dass einige ekelbezogene, kognitive Verzerrungen, die die Aufmerksamkeit und das Gedächtnis betreffen, aufrechterhaltende Faktoren der Kontaminationsängste sind. Hierzu gehören auch die bereits vorgestellten sympathetischen magischen Überzeugungen (Tolin et al., 2004; siehe Kapitel 1.4.3) und die damit verbundenen rigiden |24|Kontaminationsüberzeugungen (Gesetz der Ansteckung). Da die (Un-)Reinheit einen zentralen Aspekt der Psychopathologie darstellt, sollte auch moralischer Ekel als Mechanismus mitgedacht werden. Dies gilt insbesondere für die moralischen Zwangsgedanken. Fallbeispiel: Frau K. (Waschzwang, Ekel vor Krankenhauskeimen) Frau K., Ärztin in einem städtischen Krankenhaus, leidet seit langem unter starken Waschzwängen. Ursächlich für den Zwang sei ihr Ekel vor Krankenhauskeimen und ihre Angst, ihre Wohnung damit zu verschmutzen. Wenn sie von der Arbeit im Krankenhaus nach Hause kommt, zieht sie sich komplett aus, wirft die Kleidung in die Waschmaschine, wobei sie darauf achtet, dass die Kleidung nicht mit der Tür der Maschine in Berührung kommt. Hiernach duscht sie etwa 20 Minuten, dabei wäscht sie jedes Körperteil ritualisiert fünfmal mit Seife. Nach dem Abtrocknen desinfiziert sie ihren gesamten Körper. Das Handtuch wird direkt in die Waschmaschine geworfen und die Waschmaschine angestellt. Danach zieht sie sich frische Kleidung an. In der Klinik selbst ist das Arbeiten für sie nur unter größten Anstrengungen möglich. Hierbei desinfiziert sie ständig ihre Hände und erlebt durchgängig starke Ekelgefühle. Immer häufiger muss sie sich krankschreiben lassen, weil alleine die Vorstellung, zur Arbeit zu fahren, für sie mit Gefühlen von starker Kontaminationsangst und Ekel assoziiert ist. Fallbeispiel: Herr L. (Waschzwang, Ekel vor eigenem Schweiß) Herr L. berichtet über starken Ekel vor dem eigenen Schweiß. Der Ekel kam schleichend und war dann „einfach da“. Er verbringe nun mehrere Stunden in der Badewanne mit viel Badezusatz, um sich „abzuwaschen“. Händewaschen und Duschen laufe aber dann normal. Der hohe Zeitbedarf für seine Wannenbäder würde seine Beziehung immer stärker belasten, weswegen er die therapeutische Behandlung aufgesucht hat. 2.3 Ekel und Zwangsspektrumsstörungen
Bei der Skin Picking Krankheit (SPK, Dermatillomanie) steht das wiederholte exzessive Berühren, Quetschen und Aufkratzen der Haut im Vordergrund. Dies kann zu schwerwiegenden Konsequenzen, bis hin zu Gewebeschäden und Infektionen, führen. Die Krankheit geht mit starkem Leidensdruck, Ekelneigung und Selbstekel einher, gerade da Wunden und Narben das äußere Erscheinungsbild bestimmen. Bei der Trichotillomanie (siehe auch Bohne, 2009) reißen sich die Betroffenen die eigenen Haare aus, was zu starkem Haarverlust führen kann. Auch |25|wenn es bisher keine Studien zu Ekelerleben bei Trichotillomanie gibt, kann davon ausgegangen werden, dass die teilweise körperliche Entstellung, die mit dem Haareausreißen zusammenhängt, auch zu vermehrtem Selbstekel beitragen kann. Die Körperdysmorphe Störung (siehe auch...