E-Book, Deutsch, 132 Seiten
Firatli / Kölsch / Marhan Schwarzmarktperlen
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-7693-5923-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 132 Seiten
ISBN: 978-3-7693-5923-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Verfluchte Spieluhren, magische Artefakte, blutige Reliquien oder teuren Whisky. Auf dem Schwarzmarkt kann man alles finden, was das Herz begehrt. Doch die Dinge haben ihren Preis und wer nicht aufpasst, muss teuer für sie bezahlen. Vier junge Autor:innen. Vier faszinierende Protagonisten. Vier außergewöhnliche Schauplätze.
Turan Firatli arbeitete in der Werbebranche, bevor er sich für das Lehramtsstudium an der Uni Mainz entschied. In seiner Freizeit schreibt und zeichnet er, verbringt zu viel Zeit im Internet und gruselt sich mit seinen Katzen.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Turan Firatli Die Spieluhr
I
Ein toter Falter trieb auf dem dunklen Wasser. Seine Flügel waren weiß und von feinen Linien durchzogen, fast wie Putz, bevor er von der Wand springt. Wenn Willi genau hinsah, erkannte er die Muster, die vom unscheinbaren Torso bis in die Flügelspitzen hinausstrahlten. Spinnen kauern sich zusammen, wenn sie sterben, dachte er, aber nicht Schmetterlinge oder Motten. Die breiten ihre Flügel sogar noch aus. Jemand griff in den Brunnen und störte die Ruhe. Wellen schwappten an den Rand der steinernen Schale. Auch der Falter wurde erfasst und verschwand unter der Oberfläche. Der Mann zog seine Hand wieder hinaus und wischte sich damit über Stirn und Nacken. Er musterte Willi mit einem säuerlichen Blick. „Kommst du vom roten Unger?“ Willi nickte. „Er sagte, Sie könnten Hilfe brauchen.“ Der breite Mund des Fremden spannte sich zu einem kalten Lächeln. „Lass mich eins klarstellen. Brauchen tu ich niemanden. Du wirst mir das Leben leichter machen. Sonst bist du direkt wieder weg.“ Nicht viele nahmen Willi gegenüber so einen Ton an. Er war einen halben Kopf größer als die anderen Jungs, mit denen er seine Arbeitspflicht verrichtete. Die Zeit, die er damit zugebracht hatte, den Mörtel von Backsteinen zu klopfen, hatten ihm zudem sehnige Arme und ein breites Kreuz beschert. Der Kerl mit den wulstigen Lippen war dagegen nur ein schmächtiges Figürchen. Darüber täuschten auch die gepolsterten Schultern seiner Bomberjacke nicht hinweg. Trotzdem wirkte er wie die Selbstsicherheit in Person. Wahrscheinlich sah er den Hunger in Willis Augen, sah dass er bereit war, ein bisschen Scheiße zu schlucken. „Es ist mehr drin als beim Scherbensammeln?“, hakte Willi nach. Für drei oder vier Sekunden hing die Frage in der Luft, dann schlich echte Freude in die Froschgrimasse. „Darauf kannst du Gift nehmen. Wenn du dich gescheit anstellst, gibt’s deutlich mehr als 70 Pfenning und paar Rationsmarken.“ Der Mann wandte sich ab und bedeutete Willi ihm durch ein nahes Metallgatter zu folgen. Das handgemalte Schild mit der Aufschrift ‚Vorsicht! Einsturzgefahr!? ignorierte er. Der Weg führte in den Innenhof einer verlassenen Wohnanlage; früher wahrscheinlich Apartments für besserstehende Junggesellen. Erstaunlicherweise erschien das Gebäude weitestgehend intakt, nur die rechte Front war weggestürzt. Dort hatte man freie Sicht auf das Innenleben der Residenz. Willi konnte sogar erkennen, welche Funktionen die einzelnen Räume einmal erfüllt hatten. Lose, klaffende Rohre und blaue Fliesen an der Wand wiesen das Badezimmer aus, verstaubte Arbeitsflächen und Geschirrharken bezeugten eine Küche. Die offengelegte Wohneinheit erinnerte ihn an die teuren Spielzeug-häuser, die man in der Mitte senkrecht aufklappen konnte. Lediglich der im Hof gesammelte Schutt störte diesen Eindruck. Der Fremde räusperte sich. Vor ihnen stand die Ware, säuberlich in aufgeschlagenen Lederkoffern sortiert: Blechkonserven, Porzellangeschirr, Chesterfields, ein paar Schallplatten. Neben der Auslage wartete auch eine fahrbare Garderobenstange, an der ein buntes Sortiment Kleidung hing. Zwischen den Strickjacken und Trenchcoats baumelte sogar ein Nerzmantel. „Jetzt wo Sommer ist, werde ich den bestimmt nicht los“, urteilte der Schieber, Willis Blick folgend, „aber das – das geht immer.“ Er hob eine rechteckige Flasche Bourbon aus einem der Koffer. Das Sonnenlicht fing sich in der goldbraunen Flüssigkeit. „Davon hab‘ ich eine ganze Kiste reinbekommen. Die schützt du dann mit deinem Leben.“ Er wiegte die Flasche wie ein Neugeborenes. Dann schob er sie wieder säuberlich in den Koffer, so dass sie sich passgenau zwischen Pressfleisch und Heringsbüchsen einordnete. „Ach ja – es wird nichts verköstet! Von wegen ich hätte die mit Fusel gestreckt. Wenn jemand damit kommt, schmeißt du ihn raus.“ Willi nickte. Als Antwort wieder jener säuerliche Blick. Wahrscheinlich wog der Kröterich ab, ob er ihn warnen musste, selbst die Finger von dem Zeug zu lassen. Aber das hakte er dann wohl als selbstverständlich ab und wechselte das Thema. „Kannst du fahren?“ „Einigermaßen.“ „Gut. Nachher machen wir einen kleinen Ausflug aufs Land. Da zeige ich dir dann, wie man Strumpfhosen in säckeweise Kar-toffeln verwandelt.“ Willi hatte den Eindruck, dass ihm das imponieren sollte, also hob er die Augenbrauen und nickte anerkennend. Das schien dem Mann zu gefallen. Er rieb sich das stoppelige Kinn. „Hast du einen Namen?“ „Willhelm oder einfach Willi.“ Ein Nachname interessierte so einen sicher nicht. „Gut“, sagte der Schieber und musterte Willi noch einmal gründlich, „du kannst mich Zobel nennen… Herr Zobel.“ - Als Willi zurückkam, tat ihm der Rücken weh. Hoffentlich musste er nicht immer so viel rumschleppen, wenn der Schieber Arbeit hatte. Davon bekam er auf den Trümmerbergen am Liebfrauenplatz schon reichlich. Trotzdem hatte er gute Laune, als er die Nissenhütte erreichte. Die Notunterkunft war eng und unansehnlich – eine algengrüne Wellblechbarracke, unter deren halbrundem Dach ganze 63 Leute leben mussten. Zu Beginn hatte Willi noch die Hoffnung gehegt, in den eigenen Keller ziehen zu können. Aber allein die Außentreppe des Hauses freizuräumen hätte Wochen gedauert, wenn nicht sogar Monate. Und dann dachte er daran, was unter den Trümmern wartete. Nein, es war besser so. Wenigstens waren in der Nissenhütte nur Lokale einquartiert – keine Flüchtlinge von Gott weiß woher. Man kannte sich, es gab selten Streit und keiner hatte Läuse. Und da er von morgens bis abends arbeitete, schonte es seine Nerven, wenn es Leute in der Nähe gab, die ein Auge auf Christina hatten. Leute wie die Kremenski, die vorm Eingang Socken stopfte. Ihre Anwesenheit täuschte fast darüber hinweg, dass das Behelfsheim keinerlei Vorbau besaß. Denn so gelassen, wie die Alte dahockte, könnte man meinen, es wäre ihre Veranda und die karge Erde ringsum der dazugehörige Vorgarten. Selbst die lärmenden Bälger, die man ihr aufs Auge gedrückt hatte, taten ihrem Gleichmut keinen Abbruch. In der Unterkunft selbst herrschte eine andere Art Ruhe – eine, die von Verbrauchtheit und Erschöpfung kam. Hier erholten sich die Erwachsenen von der Arbeit. Einige lagen bereits in ihren Betten, andere hockten beisammen und unterhielten sich säuselnd über das jüngste Geschehen. War mal wieder jemand verschüttet worden? Mussten Räumarbeiten wegen eines Blindgängers unterbrochen werden? Willi nickte den Jungs im Vorbeigehen zu. Unger hob vielsagend die Augenbrauen, kehrte dann aber wieder zum Diskurs über die Zonenmeisterschaft zurück, um zu erklären, wie seine Bananenflanke dem FSV endlich zum Pokal verhelfen würde. Als nächstes musste er an den ausgehangenen Stoffdecken vorbei, die den engen Raum mehr schlecht als recht in separate Bereiche teilte. Während er die vergilbten Laken beiseiteschob, dachte er unweigerlich an die Umrisse, die sich manchmal auf ihnen abzeichneten, wenn die Fräuleins sich dahinter umzogen. Dann stießen sich die jungen Männer gegenseitig in die Seite und reckten stumm die Hälse. Das Schattenspiel von Thekla, wie sie ihre Kniestrümpfe über die prallen Schenkel rollte, hatte Willi schon die eine oder andere unruhige Nacht beschert. Noch ein Argument für die Nissenhütte. Bisweilen beschlich ihn aber das ungute Gefühl, dass es auch solche gab, die Christina begafften, wenn sie sich bettfertig machte. Diesen Gedanken verdrängte er schnell wieder. In der hintersten Ecke, am Rückfenster wartete nämlich sein Schwesterchen schon. Wenn sie so dasaß und vor sich hindöste, sah Christina aus wie eine Porzellanpuppe. Der Eindruck entstand nicht bloß, weil ihre Haut ein wenig blasser war als die seine. Im Gegensatz zu ihm war sie auch klein für ihr Alter. Der etwas überproportionierte Kopf wurde von hellbraunen Locken gerahmt, die geröteten Wangen wirkten wie aufgemalt. Jedes andere Mädchen, dass sie so vorfand, hätte sie wohl am liebsten in ein Rüschenkleid gesteckt und ihr Schleifen ins Haar gebunden. Ihr Kopf nickte zur Seite weg. Willi klatschte in die Hände, bevor sie sich noch den Overall einsabberte. Christina fuhr so heftig hoch, dass ihr Stuhl beinahe nach hinten wegkippte. Der Schreck verwandelte sich sofort in Wut, als sie sein breites Grinsen sah. „Bastard!“ Willi gluckste: „Wenn ich ein Bastard bin. Was bist dann du?“ Sie blies die Backen auf. „Eine Frau von Welt.“ Selbst als sie ganz undamenhaft aufstampfte, um ihren Worten nochmal Nachdruck zu geben, ging das Püppchenhafte nicht verloren. Das machte Willi nur noch mehr Lust sie zu necken. „Weil dich der Zirkus hier vergessen hat, als er abgereist ist!“ „Ach? Und warum schau ich dann gerade dem dummen August ins Gesicht.“ Willi bleckte die Zähne....