E-Book, Deutsch, Band 107, 64 Seiten
Reihe: Lore-Roman
Fischer Lore-Roman 107
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7517-1318-4
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
In der Wiege vertauscht
E-Book, Deutsch, Band 107, 64 Seiten
Reihe: Lore-Roman
ISBN: 978-3-7517-1318-4
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Es ist Zufall, dass die beiden jungen Frauen am gleichen Tag, zur gleichen Stunde in die Klinik eingeliefert werden. Sabine Gräfin Grietenholm liegt im besten Zimmer des Hauses, während Christa Limberg wesentlich bescheidener untergebracht ist. Im Kinderzimmer stehen die beiden Körbe nebeneinander. Zwei Jungen liegen in ihnen, beide fast gleich schwer, beide fast zur gleichen Zeit geboren, und doch werden sie ein ganz verschiedenes Schicksal haben.
Die Hebamme blickt auf die Säuglinge hinab. Sie ist die Mutter von Christa. Sie weiß, dass ihre Tochter die Wahrheit nicht verkraften kann, denn erst kürzlich hat sie ihren Mann verloren. Christa braucht jetzt ein gesundes Kind, um seinen Verlust ertragen zu können.
Aber das Schicksal ist nicht gerecht. Die Grietenholms sind reich, denkt die Hebamme. Sie können das kranke Kind in ein Heim geben. Christa kann es nie. Und die Grietenholms sind gesund, sie werden noch viele Kinder bekommen können, gesunde Kinder.
Die beiden Körbchen stehen nebeneinander, und wenn man nun dem Schicksal ein wenig nachhilft, wenn man es korrigiert ...
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In der Wiege vertauscht Ein dramatischer Schicksals- und Liebesroman Von Ursula Fischer Es ist Zufall, dass die beiden jungen Frauen am gleichen Tag, zur gleichen Stunde in die Klinik eingeliefert werden. Sabine Gräfin Grietenholm liegt im besten Zimmer des Hauses, während Christa Limberg wesentlich bescheidener untergebracht ist. Im Kinderzimmer stehen die beiden Körbe nebeneinander. Zwei Jungen liegen in ihnen, beide fast gleich schwer, beide fast zur gleichen Zeit geboren, und doch werden sie ein ganz verschiedenes Schicksal haben. Die Hebamme blickt auf die Säuglinge hinab. Sie ist die Mutter von Christa. Sie weiß, dass ihre Tochter die Wahrheit nicht verkraften kann, denn erst kürzlich hat sie ihren Mann verloren. Christa braucht jetzt ein gesundes Kind, um seinen Verlust ertragen zu können. Aber das Schicksal ist nicht gerecht. Die Grietenholms sind reich, denkt die Hebamme. Sie können das kranke Kind in ein Heim geben. Christa kann es nie. Und die Grietenholms sind gesund, sie werden noch viele Kinder bekommen können, gesunde Kinder. Die beiden Körbchen stehen nebeneinander, und wenn man nun dem Schicksal ein wenig nachhilft, es korrigiert ... »Nehmen Sie gefälligst mehr rote Rosen, ist schließlich ein Brautbukett«, schimpfte die Chefin, als Christa den Strauß fertig gesteckt hatte. »Bei denen ist das nicht wie bei armen Leuten«, keifte sie weiter. »Als Sie geheiratet haben, da genügten wohl ein paar Nelken, aber für die Gräfin Grietenholm ist das Beste gerade gut genug.« Christa Limberg schluckte tapfer ihren Zorn hinunter. Manchmal musste sie die Zähne zusammenbeißen, um ihrer Chefin nicht unverblümt die Meinung zu sagen. Aber sie brauchte das Geld, das sie hier verdiente. Wenn es auch wenig genug war. Ralf musste sich als Vertreter erst einen festen Kundenstamm schaffen, und bis dahin würde sie mitarbeiten. »Binden Sie den Strauß neu!«, befahl Frau Krumbiegel, bevor sie hinausging. Christa atmete auf, als sie allein war. Sie nahm den Brautstrauß, den sie so geschmackvoll zusammengestellt hatte, in den Arm und trat vor den kleinen, halbblinden Spiegel. Sie sah sich selbst in ihrem Brautkleid. Sie hatte damals nur Nelken gehabt, aber darauf kam es nicht an. Ein halbes Jahr lag ihre Hochzeit zurück, und noch immer hielt sie jenen Tag für den glücklichsten ihres Lebens. Ralf war so nett und zärtlich. Sie hätte keinen besseren Mann bekommen können, auch wenn er noch nicht viel verdiente. Sollte sie tatsächlich noch mehr Rosen in den Strauß binden? Etwas von der Wirkung der Farben, die sie zusammengefügt hatte, würde dadurch verlorengehen. Ein Räuspern ließ sie herumfahren. Ein fremder Herr stand in der Binderei. »Wirklich wunderschön«, sagte er überwältigt. »Ich bewundere Ihren Geschmack, Frau Krumbiegel. Da wird meine Braut sich freuen.« Das ist Graf Grietenholm, schoss es Christa durch den Kopf. Sie musterte ihn verstohlen und fand, dass er eigentlich aussah wie alle netten Männer. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir diesen entzückenden Strauß morgen pünktlich um zehn Uhr zu schicken?«, fragte er. »Es wird mir eine Ehre sein«, versicherte die Krumbiegel kriecherisch. »Ich werde das Mädchen schicken.« Graf Grietenholms Blick glitt flüchtig über die junge Frau. Er drückte Christa einen Schein in die Hand und nickte ihr freundlich zu, bevor er sich abwandte. »Lassen Sie ihn also so!«, knurrte die Krumbiegel, als sie zurückkam. »Hab Ihnen ja gleich gesagt, dass er so richtig ist, aber Sie wissen ja immer alles besser. Zu viel rote Rosen sind geschmacklos. Doch davon verstehen Sie nichts.« Es fiel Christa schwer, ihr Lachen zu unterdrücken. Sie wusste, dass ihre Chefin in vollem Ernst gesprochen hatte. Sie nahm einen Kranz und begann, weiße Chrysanthemen hineinzuflechten. Ihre Gedanken kreisten um den Grafen. Man wunderte sich allgemein, dass seine Wahl ausgerechnet auf ein Mädchen aus armer Familie gefallen war. Christa kannte Fräulein von Welsingen nur von einem Zeitungsfoto. Aber sicherlich ist sie sehr schön, dachte die junge Frau. Sonst hätte er sie nicht gewählt. Aber glücklicher als ich kann sie auch nicht sein. Ob Ralf heute mehr Erfolg hatte als sonst? Christas Finger blieben keinen Moment müßig, während ihre Gedanken um den geliebten Mann kreisten. Plötzlich glaubte sie, seine Stimme zu hören. Sie warf die Blumen schnell in den Eimer zurück und stürzte hinaus. Frau Krumbiegel wirkte noch mürrischer als sonst. »Meine Angestellten haben zu arbeiten und keine Privatgespräche zu führen, mein Herr!« Ralf achtete nicht auf sie, als er seine kleine Frau zu Gesicht bekam. Unbekümmert um Frau Krumbiegels missbilligenden Blick zog er sie in den Arm und gab ihr einen Kuss auf den Mund. »Ich habe den Abschluss mit Kohlmeier & Co in der Tasche«, strahlte er. »Dein Daumendrücken hat genützt, mein Herz!« Frau Krumbiegel stieß ihm ihren Zeigefinger in den Rücken. »Sie, hier wird nicht geküsst!« »Ist schon gut«, strahlte Ralf sie an. Vor seinem Lächeln schmolzen sonst die härtesten Herzen, aber Frau Krumbiegel erwies sich wieder einmal als Ausnahme. Sie behielt ihre grimmige Miene bei. »Sind Sie mit Ihrer Arbeit schon fertig?«, fragte sie Christa gehässig. »Ich bezahle Sie nicht für das Herumknutschen, merken Sie sich das gefälligst.« »Es war doch nur eine Minute, liebe Frau. Ich habe einen großartigen Abschluss getätigt ...« Solange er aus diesem Anlass keine Blumen bei ihr kaufte, war es Frau Krumbiegel egal. »Wir haben noch sehr viel zu tun«, warf sie Ralf Limberg hin und drehte ihm den Rücken zu. Christa blieb nichts anderes übrig, als wieder in den hinteren Raum zurückzugehen. Aber sie war froh, dass Ralf endlich einen größeren Erfolg gehabt hatte. »Sie, Frau Limberg, das sagen Sie Ihrem Mann, so etwas wie heute, das gefällt mir ganz und gar nicht«, knurrte Frau Krumbiegel. »Und den Brautstrauß für den Herrn Grafen, den hätten Sie ruhig schon ins Wasser stecken können. Vertrocknete Blumen kommen für den nicht infrage. Ich will ja schließlich Ehre mit meinem Geschäft einlegen. Bei Ihnen muss man immer dahinterstehen, sonst machen Sie alles falsch.« Christa überhörte ihren ungerechtfertigten Tadel. Ralf war ja auf dem besten Wege, ein erfolgreicher Mann zu werden. Wie konnten die kleinen Gehässigkeiten dieser vom Leben verbitterten Frau sie da kränken? *** Ralf Limberg liebte seine kleine, entzückende Frau so sehr, dass er ihr sogar die Haltung ihrer Mutter verzieh. Leni Schröder mochte ihn nicht, und sie machte aus ihrer Abneigung keinen Hehl. Er verdiente nicht genug, das war der Hauptgrund, und dann war sie der Meinung, dass überhaupt kein Mann der Welt für ihre Christa gut genug war. Es gefiel ihr ganz und gar nicht, wie sehr die jungen Leute sich am Anfang ihrer Ehe einschränken mussten. Nicht einmal eine Wohnung konnten sie sich richtig möblieren. Die wenigen Sachen, die in den beiden Räumen standen, stammten größtenteils vom Trödler. Sicher, Ralf hatte die Schränke und den Tisch neu gestrichen, aber nach Meinung der Hebamme Leni Schröder hatte ihre einzige Tochter Anspruch auf etwas Besseres. Dreimal in der Woche besuchte sie abends ihre Tochter. Sie machte sich nicht klar, wie sehr sie die junge Ehe störte, denn sie meinte es schließlich nur gut. Sie kam kurz nach dem Abendessen, pflegte sich in den einzigen Sessel zu setzen und fragte Ralf dann aus. Was hatte er heute verdient? Warum war es ihm nicht gelungen, größere Abschlüsse zu erzielen? Andere schafften es doch! Es war nicht gerade die Art der Unterhaltung, nach der Ralf sich sehnte, aber Christa zuliebe machte er gute Miene zum bösen Spiel. *** Am nächsten Morgen zog Christa ihr schönstes Kleid an. Sie musste den Brautstrauß für den Grafen abliefern. Die Hochzeit wurde im Palais des Grafen gefeiert. Auf der untersten Stufe der Freitreppe zögerte Christa. Durch die breite, geöffnete Glastür konnte sie die livrierten Diener sehen. Alles wirkte sehr vornehm, und unwillkürlich schlug ihr Herz höher. Nicht umsonst schrieben die Zeitungen von einer Märchenhochzeit. »Was wollen Sie?«, fragte ein Diener und hielt sie am Arm fest. »Der Eingang für das Personal ist hinten. Geben Sie Ihr Gemüse in der Küche ab, es sind keine Vasen mehr frei.« »Das ist – ich bringe – die muss ich persönlich abgeben«, stammelte sie verschüchtert mit hochrotem Kopf. Es war geradezu eine Erlösung, als Graf Grietenholm in diesem Augenblick die Halle betrat. Er trug einen gutsitzenden Frack. Bewundernd starrte Christa ihn an. Einen Moment vergaß sie ganz den Grund ihres Kommens, so faszinierte sie dieser Mann. Seine Augen waren zwingend. Ein Lächeln lag um seinen gutgeschnittenen, festen Mund. »Ach, da sind Sie ja, kleines Fräulein.« Graf Grietenholm...