KAPITEL 1
Die Büchse der Pandora – Gestörtes Gleichgewicht
Bei manchen Dingen wäre es besser, man hätte einfach mal die Finger davon gelassen. Der globale Kohlenstoff-Kreislauf gehört definitiv dazu!
Kohlenstoff ist eines der häufigsten Elemente in unserem Universum. Wir alle bestehen (unter anderem) aus Kohlenstoff, alle unsere Verwandten, Freunde, Haustiere und Zimmerpflanzen bestehen aus Kohlenstoff, unser Zuhause ist aus Kohlenstoff, wir essen jeden Tag Kohlenstoff, unsere Mobilität und Wirtschaft basieren auf Kohlenstoff. Wir brauchen Kohlenstoff also immer, überall und dringend. In Form von Kohlendioxid, also CO2, funktioniert Kohlenstoff in der Atmosphäre allerdings auch als Treibhausgas, das Einfluss auf die globale Temperatur der Erde hat und dessen ansteigende Konzentration die Erderwärmung vorantreibt.
Entscheidend für das Leben aller Organismen auf der Erde ist, wo, wie viel und in welcher Form Kohlenstoff vorhanden ist. Um das besser zu verstehen, verschaffen wir uns erstmal einen Überblick über den globalen Kohlenstoffkreislauf.
Etwa 1,85 Milliarden Gigatonnen Kohlenstoff gibt es auf der Erde – eine Gigatonne (Gt) entspricht einer Milliarde Tonnen. Etwa 99,9 Prozent davon ist in Gesteinen und tiefen Erdschichten gebunden. Das meiste davon spielt weder für den Klimawandel noch für uns oder andere Organismen auf dem Planeten eine Rolle. Dieser Kohlenstoff ist schlicht nicht erreichbar oder jeglicher Nutzung durch seine chemische Verbindung entzogen. Der Rest verteilt sich in unterschiedlichen chemischen Verbindungen auf die Atmosphäre, Ozeane, Böden, Organismen und auf fossile Brennstoffe.
Den Austausch zwischen diesen verschiedenen »Kohlenstofflagern« bezeichnet man als globalen Kohlenstoffkreislauf. Kohlenstoff kann in diesem Kreislauf von einem Reservoir in ein anderes verschoben werden und dabei Bestandteil ganz unterschiedlicher Verbindungen werden – von Rohöl bis zu Rosen. Dabei gibt es Wege, auf denen das Verschieben schnell geht, während andere sehr langsam sind.
König der Elemente: Kohlenstoff | |
Kohlenstoff (im Deutschen manchmal auch nach dem englischen Wort »Carbon« genannt) kann lange Ketten, geometrische Formen und mit anderen Elementen komplexe Moleküle bilden. Von allen chemischen Elementen weist Kohlenstoff die größte Vielfalt an möglichen chemischen Verbindungen auf. Diese Eigenschaft macht Kohlenstoff zum König der Elemente.
Bei den auf der Erde vorherrschenden Temperaturen kann Kohlenstoff sich mit anderen Elementen zu längeren Ketten oder Netzen zusammensetzen, sogenannten Polymeren. Natürliche Polymere sind zum Beispiel Proteine, Zucker oder die DNA. Kohlenstoff ist in Polymeren Bestandteil aller lebenden Organismen und macht etwa 18,5 Prozent des Körpergewichts eines Menschen aus. Damit bildet er nach Sauerstoff (der in Wasser enthalten ist) den zweitgrößten Masseanteil in unserem Körper.
Reine Kohlenstoffverbindungen können schwarz und weich sein (etwa Graphit) oder durchsichtig und superhart (zum Beispiel in Form von Diamanten).
Im langsamen Kreislauf erfolgt die Verschiebung zwischen Gesteinen, Böden, Weltmeeren und Atmosphäre einerseits über chemische Verwitterung und über tektonische Prozesse, andererseits über Ablagerung und Einbettung in Sedimenten. Diese Prozesse laufen über Zeiträume von 100 bis 200 Millionen Jahren ab. Einige 100 Millionen Tonnen Kohlenstoff werden in diesem Teil des Kreislaufs jedes Jahr bewegt. Der langsame Kohlenstoffkreislauf umfasst auch den Kohlenstoff, der durch Ablagerung in Sedimenten über Jahrmillionen zu Öl, Gas und Kohle geworden ist, sowie den Kohlenstoff, der im ewigen Eis gebunden ist.
Von Kohlenstoff zu Kohlendioxid | |
Vorsicht: Jetzt wir‘s nüchtern. Alle, die sich nicht für Kohlenstoff-Mathematik interessieren, machen jetzt einfach die Augen zu …
Eine besonders interessante Verbindung, die Kohlenstoff eingehen kann, ist die Verbindung mit zwei Sauerstoffatomen zu Kohlendioxid (CO2) – einem Treibhausgas. Wenn man wissen möchte, wie viel der Kohlenstoff in einem Molekül (oder auch einer Tonne) CO2 wiegt, muss man ein bisschen rechnen, und zwar so: Kohlendioxid hat eine molare Masse von 44 Gramm pro Mol (ein Mol sind definitionsgemäß 602 Trilliarden Teilchen eines Stoffes), die Masse von Kohlenstoff beträgt 12 Gramm pro Mol, die von Sauerstoff 16 Gramm pro Mol. Das Massenverhältnis von CO2 (bestehend aus einem Kohlenstoff und zwei Sauerstoffatomen) zu Kohlenstoff ist also 44:12 = 3,67. Damit enthält eine Tonne CO2 etwa 272,5 Kilogramm Kohlenstoff (1.000 kg geteilt durch 3,67). Verbrennt man eine Tonne Kohlenstoff vollständig, entstehen 3,67 Tonnen CO2.
Der schnelle Kohlenstoffkreislauf dagegen umfasst alle Zeiträume, die innerhalb der Lebensspanne eines Menschen liegen. Hier erfolgt der Austausch zwischen den einzelnen Reservoirs also wesentlich schneller. In diesem Teil des Kohlenstoffkreislaufs werden jährlich mehrere Gigatonnen, also mehrere Milliarden Tonnen, Kohlenstoff bewegt.
Seit Beginn des Holozäns vor mehr als 11.000 Jahren bis zum Jahr 1750 war der globale Kohlenstoffkreislauf in etwa ausgeglichen: Ungefähr genauso viel Kohlenstoff, wie durch die Atmung von Pflanzen und das Absterben und Verrotten von Vegetation an Land in die Atmosphäre entlassen wurde, wurde durch die Photosynthese von Pflanzen an Land auch wieder gebunden. Was Mensch und Tier während ihres Wachstums im Körper banden, wurde nach ihrem Tod wieder freigesetzt. Das Gleiche galt für den Kohlenstoff, der aus den oberen Meeresschichten emittiert und durch die Photosynthese von Vegetation im Meer in der gleichen Größenordnung wieder gebunden wurde. Der Rest des Kohlenstoffs steckte sicher aufbewahrt in terrestrischen Speichern, also den Böden und fossilen Lagerstätten, in denen anorganischer Kohlenstoff zum Beispiel in Kalkstein oder in Form fossiler Energieträger wie Öl vorkam, oder in den Ozeanen, in den tieferen Meeresschichten und in Sedimenten am Meeresboden.
Der globale Kohlenstoffkreislauf. In der Abbildung sind alle Masseangaben in Gigatonnen Kohlenstoff aufgeführt, obwohl beim Austausch von Gasen über dem Meer, der Atmung, der Photosynthese und in der Atmosphäre als CO2 vorliegt. Die Darstellung als Kohlenstoff erleichtert das Verständnis der Grafik – und wie man umrechnet, haben wir im Kasten auf der vorherigen Seite ja gesehen. Die absoluten Zahlen weichen durch diese Darstellung von den zum Teil vertrauteren Zahlen der öffentlichen Klimadebatte ab.
Dieser stabilen Kohlenstoffkonzentration verdanken wir die außergewöhnlich ruhige Klimaphase des Holozäns, die ja den raschen Aufschwung menschlicher Gesellschaften an ganz unterschiedlichen Orten der Erde begründete. Dann aber begann der Mensch, die Büchse der Pandora zu öffnen …
Der Mensch mischt sich ein
Das Jahr 1750 markiert den Beginn der Industriellen Revolution und mit ihr der Einmischung des Menschen in die Kohlenstoffkreisläufe der Erde. Mit der Verbrennung von Kohle und später Öl und Gas begannen wir Menschen, den in fossilen Energieträgern tief in der Erde gebundenen Kohlenstoff aus dem langsamen Kreislauf in den schnellen Kreislauf zu bugsieren. Im Laufe von nur etwa 200 Jahren haben wir durch diese Verbrennung gigantische Mengen Kohlenstoff als CO2 freigesetzt, die über Millionen von Jahren »sicher weggeschlossen« waren. Alleine im Jahr 2021 waren das 36,3 Gigatonnen CO2 – der höchste jemals gemessene Wert.
1 Treibhausgase – mehr als nur heiße Luft | |
Neben Wasserdampf sind die auch natürlicherweise vorkommenden Verbindungen Kohlendioxid (CO2), Methan (CH4), Lachgas (N2O) und die ausschließlich menschengemachten Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKWs) bedeutende Treibhausgase. Sie alle lassen die energiereiche kurzwellige Strahlung der Sonne relativ leicht passieren, reflektieren die langwellige (Wärme-)Strahlung der erhitzten Erdoberfläche dann aber nicht nur in den Weltraum, sondern in alle Richtungen, also auch wieder zurück zur Erdoberfläche.
Der natürliche Treibhausgaseffekt (durch die von intakten Ökosystemen ausgestoßenen Klimagase) machte unser Leben auf der Erde übrigens überhaupt erst möglich. Ohne ihn betrüge die mittlere Temperatur auf der Erde nämlich eisige minus 18 °C statt der jetzt im Mittel gemessenen 15 °C.
Im Vergleich zu CO2 hat Wasserdampf ein 2- bis 3-faches Treibhauspotenzial, Methan ein 28-faches, Lachgas ein 298-faches und Fluorchlorkohlenwasserstoffe sogar ein 5.200-faches. Andere Gase sind also relativ gesehen noch gefährlicher, aber wegen der gigantischen Ausstoßmenge geht der Großteil der Erderwärmung dennoch auf die Emissionen von CO2 zurück.
Wir haben aber nicht nur Kohlenstoff aus dem langsamen Kreislauf freigesetzt, auch in den schnellen Kreislauf greifen wir vermehrt ein. Menschliche Aktivität war zwar schon immer Teil dieses schnellen Kreislaufs, weil Waldstücke gerodet, Feuchtgebiete trockengelegt und Holz und Torf verbrannt wurden und dadurch gespeicherter Kohlenstoff mit Sauerstoff in Kontakt kam und zu CO2 wurde. Unsere Unterschiede zum Neandertaler oder Wikinger sind allerdings sowohl unsere Anzahl als auch unsere technische Ausrüstung, durch die wir heute viel schneller, auf viel größeren Flächen einen viel größeren Abdruck hinterlassen. Wälder und Moore sind dabei die wichtigsten Ökosysteme, die wir...