Flanell | Stuntman unter Wasser | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 152 Seiten

Flanell Stuntman unter Wasser

Erzählungen
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-943412-64-2
Verlag: Edition Subkultur
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Erzählungen

E-Book, Deutsch, 152 Seiten

ISBN: 978-3-943412-64-2
Verlag: Edition Subkultur
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Ein Stuntman braucht dringend eine Zigarette, der letzte Arbeitslose Deutschlands wird mit ganz neuen Strategien des Jobcenters konfrontiert, die kleine Spinne Pup trinkt mit Darth Vader eine Limo auf dem Todesstern, ein schwarzer Anzug passt nicht, das Berliner Großstadtleben zeigt seine Tücken und irgendwo ist ein Ufo gelandet. Oft klingen die kurzen Geschichten, als hätte das Leben selbst sie geschrieben. Hat das Leben aber so nicht gemacht. Also musste Gary Flanell ran. Der Autor, Musiker und Fanzine-Herausgeber liebt die gepflegte Anarchie. Als bekennender Haferschleimkonvertit drehte er an den Vernunft-Schräubchen der zuweilen etwas öden Realität, bis Unmöglichkeiten ganz plausibel erscheinen. Ein Buch voller Revolveroptimismus, schöner Geräusche, und - gibt's denn sowas? - mit einem Backstein-Mobile.

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Stuntman unter Wasser
(Mit einem Rad in der Erde)
Mein Name ist Paul. Ich bin Stuntman. Das heißt, ich war einer, denn heute ist wahrscheinlich mein letzter Arbeitstag. Den Job mache ich jetzt seit 15 Jahren. Hab für jeden Scheiß meine Knochen hingehalten. Bin aus brennenden Autos gekrabbelt, mit Motorrädern über Raddampfer gesprungen. Habe mich mit Kollegen bis aufs Blut geprügelt, bin mit einem Fallschirm von Hochhäusern gesegelt. Konnte dabei das kleine Zelt sehen, in dem die Schauspieler, die ich gedoubelt habe, saßen und ihren Kaffee getrunken haben, während sie mich in Aktion auf dem Monitor verfolgt haben. Kaffee gab’s für mich immer erst abends, wenn die Verbände angelegt waren. Es war eigentlich keine Absicht, dass das heute mein letzter Arbeitstag sein würde. Meine Frau weiß auch nichts davon. Das heißt, ich denke, jetzt weiß sie es schon, irgendwer da oben wird ihr bestimmt davon erzählt haben. „Es ist aber nichts Ernstes, Frau Dweezilstein“, wird ihr irgendeiner vom Team am Telefon erzählt haben, vielleicht sogar Barney, unser Produzent, selber. Vielleicht wird er dabei sogar einmal seine Zigarre aus dem breiten sabbernden Mund genommen haben. Das wünsche ich mir. Dass Barney Schuller, dieser feiste Produzent in seinen ewig durchgeschwitzten Hawaiihemden nur einmal, wenn er meiner Frau erzählen muss, dass diesmal was schiefgegangen ist, seinen beschissenen Zigarrenstummel aus seiner heuchlerischen Fresse nimmt, um einmal im Leben die unverdrehte Wahrheit zu sagen. Zu meiner Frau. Dass er ohne seine berüchtigten Umschweife und Euphemismen einfach sagt, dass die Situation da draußen im Augenblick einfach beschissen ist. Ich schwitze. Mehr als gewöhnlich. Liegt wohl an der Luft in der Taucherglocke. Die reicht eventuell, wenn ich richtig gerechnet habe, noch für eine Stunde. Aber ich kann im Augenblick nicht mehr besonders gut rechnen. Meine Augen brennen und um weniger Luft zu verbrauchen, atme ich nur noch ganz flach. Dadurch habe ich jetzt auch noch Seitenstechen. Zwei Wochen war ich gebucht, eine davon ist jetzt rum. Eigentlich hatte ich keine besondere Lust, wieder mit Barney an einem seiner Schwachsinnsprojekte zu arbeiten. Barney dreht eine Menge Filme, hat bis zu fünf große Drehs im Jahr laufen, dazu unzählige kleine Experimentalfilme, die vielleicht kein Geld bringen, aber seinen Namen immer im Gespräch halten. Und ihm dazu freien Eintritt auf diversen Filmfestivals auf der ganzen Welt garantieren. Ein Platz in der Jury ist dabei sicher auch mal drin. Früher haben alle seine Filme gehasst, weil sie so beschissen sind. Im Laufe der Zeit hat aber eine Gruppe von Total-Nerds sie in ihren hippen Zirkeln zum Hit erklärt und so wird Barney seit einiger Zeit als Trash-Ikone verehrt. Leider war ich genau in diesem Augenblick auf Barneys Angebot angewiesen, denn wie ich gemerkt hatte, werden auch für einen älter werdenden Stuntman die Jobs nicht zahlreicher. Und Barney lockte mich mit glänzenden Aussichten. Wieder mal. Die Story für seinen Horrorfilm war wie immer grauenhaft, aber die Kohle, die in zwei Wochen auf den Bahamas zur besten Jahreszeit reinkam (und das muss man Barney lassen, in Gelddingen war er immer verlässlich), würde mich das nächste halbe Jahr über Wasser halten. Und danach käme entweder ein neuer Barneyfilm oder irgendetwas anderes. Es ist jedes Mal dasselbe. Die Dreharbeiten der ersten Woche waren sehr gemächlich, jedenfalls was meine Arbeit anging. Es gab ein paar Explosionen im Labor eines nachgebauten Kernkraftwerkes, bei denen ich als sterbender Reaktormitarbeiter wild durch die Gegend springen musste. Danach einige Unterwasseraufnahmen, in denen ich im Taucheranzug von einem überdimensionierten Plastikhai gefressen wurde. Nichts, was ich nicht vorher schon mal getan hätte. Heute stand der aufwendigste Drehtag an, die Sache mit der Taucherglocke. Erst als ich am Drehort angekommen war, hatte mir Barney eine zerknickte Kopie des Drehbuchs in die Hand gedrückt, es ging irgendwie um einen riesigen Koi-Karpfen, der durch einen Unfall in einem Atomkraftwerk vor der Ostküste zu einem Monster mutiert war und nun den Atlantik in Angst und Schrecken versetzte. Der Koi hatte durch den ständigen Kontakt mit radioaktivem Wasser übernatürliche Fähigkeiten bekommen. Er hatte eine Intelligenz entwickelt, die der der Menschen ebenbürtig war, dazu ein dementsprechendes Selbstbewusstsein und einen Anspruch auf die Weltherrschaft, den er den Menschen, (erst einigen besoffenen Fischern, dann diversen Nuklearwissenschaftlern, schließlich dem US-Militär) per Telepathie übermittelte. Sollten die Menschen seinen Forderungen nach uneingeschränkter Herrschaft über sämtliche Weltmeere nicht nachkommen und sich fortan für alle Zeiten aufs Land zurückziehen, würde er dank seiner neu erworbenen Fähigkeiten den Golfstrom außer Kraft setzen. Keine Ahnung, was Barney seinem Drehbuchschreiber gespritzt hatte, aber er hatte schon weit Schlimmeres zusammengestückelt, das weiß ich. Auch wenn eine detaillierte Kritik am Leben und Werk des Filmschaffenden Barney Schuller in meiner jetzigen Situation eigentlich mehr als überflüssig ist. Ich sollte einfach meine Kräfte sparen. Mir ist immer noch heiß, eigentlich sogar noch heißer als vorhin. Der Schweiß läuft mir in Bächen den Hals hinunter. Würde jetzt gern eine rauchen, habe auch noch welche von diesen billigen mexikanischen Zigaretten in der Jackentasche. Musste die Dinger auf die Schnelle am Flughafen kaufen. Normalerweise dreht mir Mabel immer welche. Am Vorabend, bevor ich zu einem Job fahre, rollt sie sorgfältig eine ganze Batterie Zigaretten. Keine macht das so gut wie sie. Ich habe vielen Frauen zugesehen, wie sie ihre Zigaretten drehen, aber keine hat das so gut im Griff wie Mabel. Ihre Finger sind dabei so geschickt und flink, dass man gar nicht glaubt, dass sie da eine Zigarette nach der anderen dreht. Am Anfang habe ich ihr immer gesagt: „Babe, ich hab dich nicht geheiratet, damit du mir abends die Kippen für die Arbeit drehst.“ Ich weiß noch, wie sie damals lachte und sich gerade die, die sie noch gedreht hat, nicht in das kleine silberne Etui gelegt, sondern selber angesteckt hat. „Schatz“, flüsterte sie und blies mir den Rauch ins Gesicht. „Denk doch einfach, ich könnte dir wie andere Frauen die Stullen für die Arbeit schmieren und ich wüsste, dass du sie sowieso nicht essen würdest. Also mach ich dir lieber deine Kippen fertig, bevor du dein Geld für irgendeinen miesen Scheiß von irgendeinem Eckensteher ausgibst.“ Ich kann mich noch an ihre roten Fingernägel erinnern, die so glatt lackiert waren, dass sich das Aufblitzen des Feuerzeugs in ihnen wie ein Gewitterblitz spiegelte. Danach hat sie einfach weitergemacht, hat eine Zigarette nach der anderen gedreht, den Tabak sorgfältig ins Papier gelegt, als würde sie ein Baby ins Schaukelbett bringen. An unserem letzten gemeinsamen Abend hatte Mabel keine Zeit, Zigaretten zu drehen. Wir hatten wenig miteinander gesprochen, ich musste schon nachts am Flughafen sein, sie hatte am frühen Morgen diese Untersuchung beim Arzt. Irgendwie waren wir beide nervös gewesen, hätten streiten können, grundlos, sagten aber kein Wort, jeder verharrte in seiner Ecke im Wohnzimmer und glotzte auf irgendeine beschissene Sportübertragung im Fernsehen. Ich könnte jetzt wirklich eine rauchen. Mach ich aber nicht, denn dann ist der Sauerstoff noch schneller verbraucht. Vor einer Weile hat es im Funkgerät entsetzlich laut geknarzt, dann hat das Scheißding Funken gesprüht, seitdem ist Stille. Davor habe ich viele verschiedene Stimmen von oben aus dem Boot gehört, die alle sehr aufgeregt klangen und alle durcheinander quatschten. Da war die Stimme von Barney und auch die vom Kameramann. Den harten Akzent von Tom, unserem norwegischen Regisseur, konnte ich noch erkennen, danach kam nichts mehr. Als ich dann nach draußen geschaut habe, sah ich wie das Seil der Außenkamera riss und das Ding ab in die Tiefe rauschte. Kurz danach kam der erste Ruck und dann fühlte auch ich diese fast schwerelose Abwärtsbewegung. Ich merkte, wie meine Tauchkapsel langsam nach unten sank und sah, wie es draußen immer dunkler wurde. Vor einigen Minuten ist noch einmal ein dumpfer Ruck durch die Glocke gegangen. Ich glaube, ich bin irgendwo auf Grund gesunken. Endlich. Es sieht aus, als wäre ich gar nicht mehr im Golf von Mexiko. Da draußen sieht es eher aus wie in Alaska, mitten in einer finsteren, schneebedeckten, windstillen Winternacht. Da sind Milliarden von Schwebteilchen, die an meiner abgestürzten Taucherglocke vorbeiwabern. Seltsam, dass der ganze Dreck und ich nur durch ein paar Zentimeter Stahl und ein paar Nieten voneinander getrennt sind. Wenn ich durchs Bullauge schaue, glaube ich, so was wie Schlick zu erkennen. Wie tief mag ich gesunken sein? Und wen interessiert das hier unten eigentlich? Diese Hitze, ich halt’s kaum aus. Hatte gestern Morgen noch mit einem alten Fischer von den Inseln gesprochen. Meinte, wir hätten die beste Stelle für die Unterwasseraufnahmen erwischt, und in 20 Metern wäre das Licht noch perfekt für Filmaufnahmen und passieren könnte sowieso nichts, wenn man so gutes Equipment hätte wie wir. Und selbst wenn was passieren würde, wäre das alles nicht so wild, das Meer würde hier eh nur bis zu 400 Meter tief sein. Sieht so aus, als wäre der Lichtakku langsam am Ende. Die Notbeleuchtung flackert jetzt nur noch schwach. Wenn ich nach draußen sehe, ist es so finster, wie man es sich in 400 Metern Tiefe ungefähr vorstellt. Der Tiefenmesser ist ganz nach rechts ausgeschlagen, seine Scheibe ist gesprungen. ...



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