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E-Book

E-Book, Deutsch, Band 4, 288 Seiten

Reihe: Oberbayern Krimi

Förg Nachtpfade


1. Auflage 2011
ISBN: 978-3-86358-036-0
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, Band 4, 288 Seiten

Reihe: Oberbayern Krimi

ISBN: 978-3-86358-036-0
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Als Leiche am Ufer des idyllischen Soiener Sees zu enden war wohl kaum jene bessere Zukunft, die sich die junge Frau erträumt hatte, als sie zusammen mit ihrer Mutter 1992 aus der Uckermark ins Allgäu gekommen war. Kommissar Gerhard Weinzirl, ein Mann mit Faible für Weißbier und Schweinsbrat'n und einem Hang zu den falschen Frauen, sowie seine clevere und bildhübsche Kollegin Evi Straßgütl stöbern im Leben der Toten: Sie wechselte ihre Jobs auffallend häufig und besaß eine Marotte - sie ging nächtelang spazieren. Musste sie sterben, weil "es sich einfach nicht gehört", dass man die Nacht zum Tag macht? Hatte sie etwas gesehen, was sie besser nicht gesehen hätte? Gerhard und Evi geraten in ein Netz aus Andeutungen und Halbwahrheiten. Verstockte Dorfbewohner, gar nicht waidgerechte Jäger und bauernschlaue Waldbesitzer führen den Beweis: Auf der Alm gibt's eben doch a Sünd und jede Menge böse Buben.

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Kapitel 1 »O hätt ich doch nie gehandelt! Um wie manche Hoffnung wär ich reicher!« Hölderlin, Hyperion Nein, sie joggte nicht, und sie stöckelte schon gar nicht mit diesen Nordic-Walking-Dingern herum. Sie sah dem Mann nach, der zu so früher Stunde an ihr vorbeirannte. Sie fand es widerwärtig, in irgendwelche Chemiefasern zu schweißeln, die angeblich alle Körpersäfte sofort nach außen transportierten. Und diese Am-Stock-Geher sahen immer so als, als schleiften sie Ballast mit und würden sich die Schultern auskugeln. Sie würde einfach weiter spazieren gehen, und dank Plinius’ hohem Alter und seinen kurzen Beinen war das eher ein Schlendern. Die Sonne hatte zu klettern begonnen, die Wolken der Nacht begannen sich aufzulösen. Erste Sonnenstrahlen spielten mit See und Schilf. Der See lag spiegelglatt da, kein Laut war zu hören. Ihre Schritte auf dem Steg waren fast unangenehm laut. Das Wasserrad stand. Im Schilf saßen ein paar Enten und schienen wohl gerade aufzuwachen. Einige hatten den Kopf noch unter den Daunen, ein, zwei begannen ihr Gefieder zu putzen. Früher hätte Plinius sie gejagt, heute war ihm das definitiv zu anstrengend. Er war zudem ziemlich taub und halb blind. Sie schritten über die taufeuchte Wiese des Badestrands, wo ein verlassenes Handtuch und ein ganz scheußlicher Badeanzug lagen, an der Seitenwand des Kiosks lehnte ein knatschgrünes Badetier und sah unglücklich aus – auch dieses Dino-Drachen-Gemisch war wohl vergessen worden. Sie fühlte sich auf einmal schwer und reduzierte ihr Tempo noch ein wenig. Es war ein behäbiges Gehen am See entlang, und sie überlegte gerade, ob sie sich auf eine der grünen Bänke da auf der kleinen Schilfhalbinsel setzen sollte. Da rannte Plinius los, quer durch die Binsen. Und er bellte so richtig wie ein Hund, was er sehr selten tat. Dann war er verschwunden, und sein Bellen wurde schwächer. »Plinius!«, rief sie und wusste, dass das völlig sinnlos war. Hatte den Rehpinscher auf seine alten Tage noch der Jagdinstinkt gepackt? Sie musste lächeln. Und nahm keineswegs mehr Tempo auf. Plinius würde sich nicht in Luft auflösen, und zudem konnte man nicht verhindern, was nicht zu verhindern war. Davon war sie zutiefst überzeugt. Das traf ihres Wissens für alle Lebenslagen zu. Sie umrundete weiter den See, fast bis zur Brücke am ostseitigen Auslauf. Wo war der Hund bloß? Vom See her kam ein Winseln. Das klang merkwürdig in ihren Ohren, denn Plinius war eigentlich nur zu hochfrequentem ohrenbeleidigendem Kleinhunde-Bellen in der Lage. Sie rief ihn nochmals, ohne Ergebnis, und machte sich dann eben doch auf ans Ufer. Der Boden gab nach, er schwang mit, alle Weichheit dieser Filzlandschaft, alle Nachgiebigkeit einer sanften Natur lag unter ihren Füßen. Als sie den Hund erreicht hatte, saß der neben einer Frau. Sie war jung. Hübsch und sehr blass. Unter ihrer dünnen weißen Bluse zeichnete sich ein BH ab, ihr weißer gestufter Rock hatte eine Spitzenbordüre am Saum, und darunter waren ihre schmalen, langen Beine zu sehen. Das erste Licht des Herbsttages gab der Szene etwas Weiches, Anmutiges. Wieso ging ein junges Mädchen in voller Montur zum Baden?, dachte Kassandra und sah in die braunen Augen, in denen so was wie Erstaunen lag. Plötzlich gab Plinius ein schauerliches Heulen von sich, wie ein Wolf, hätte man vielleicht gesagt, wäre die Assoziation im Zusammenhang mit einem Rehpinscher nicht einfach zu albern. Sie erschauderte, der Morgen war eben noch sehr kühl, herbstkühl. Sie sank langsam auf die Knie und fühlte die Halsschlagader des Mädchens. Dessen Haut war kalt und samten. Sie kam langsam wieder hoch und sah das Mädchen genau an. Es kam ihr bekannt vor. Es war so schön in diesem ersten Sonnenlicht, schön wie eine Braut. Manchmal wäre ein Handy eben doch von Vorteil. Ein aufgeladenes Handy, eins, das man dabeihatte, anstatt es auf dem Küchentisch liegen zu lassen. Sie trat zwei Schritte zurück. »Plinius, hierher!« Sie sagte das leise, und seltsamerweise hörte Plinius sie und machte Sitz direkt neben ihren Füßen. »Guter Hund!« Sie flüsterte, als wolle sie das junge Ding nicht wecken. Doch das Mädchen mit den wächsernen Wangen würde nun lange ruhen, sehr lange. Unverwandt betrachtete sie das Mädchen, ein Bild wie aus einem Musikvideo. Hatte es da nicht mal so was mit Kylie Minogue gegeben und im »Jeanny«-Video von Falco? Als Plinius wieder wüst zu bellen begann, fuhr sie herum. Der Jogger von vorhin stand hinter ihr und starrte auf die junge Frau. »Haben Sie ein Handy?«, flüsterte sie. Der Mann sah so aus, als würde ihm übel. Dabei hatte die Szene so gar nichts Bedrohliches. Mit zitternden Händen reichte er ihr das Mobiltelefon. Es klingelte mehrmals, bis Gerhard dranging. »Gerhard, ich glaube, du solltest aufstehen und zur Ostseite des Sees kommen, gleich bei der Holzbrücke. Da liegt Jeanny.« Gerhard war nach einer unruhigen Nacht gerade erst in eine Tiefschlafphase geglitten und hatte einige Mühe, zu sich zu kommen. »Wer liegt wo?« »Jeanny, ich glaube, ich habe sie schon mal irgendwo gesehen, und sie sieht sehr schön aus«, flüsterte Kassandra. Gerhard rappelte sich hoch und schwang die Beine zur Seite. »Red bitte lauter, ich versteh dich kaum. Wer bitte ist Jeanny?« Sein Blick glitt zur Uhr: Es war kurz nach sechs. Himmel, war dieses Weib noch zu retten? »Hallo, Kassandra, ist jemand zu Hause in deinem Hirn? Weißt du, wie spät es ist?« »Nein, aber Jeanny ist tot, sie liegt halb im Wasser, und ich glaube, du solltest kommen. Am Auslauf. Ich muss auflegen, der Mann, der mir sein Handy geliehen hat, ist umgefallen. Ist ganz blass.« Gerhard hörte ein Klick. Kassandra! Ja, das war Kassandra, wie sie nun eben war. Nicht aus der Ruhe zu bringen, mit einem Blickwinkel auf die Dinge, der anderen verstellt blieb. Weil sie offen war – und freundlich. Er zweifelte keine Sekunde, dass Kassandra eine Tote gefunden hatte. Schließlich hatte sie mal Medizin studiert. Und er war sich auch sicher, dass die bezaubernde Jeanny keiner Flasche entstiegen, sondern Realität war. Er schlüpfte in seine Jeans, stieß sich zum zigsten Male den Kopf am Türrahmen zur Tenne an, kletterte dann die steile Stiege hinab, wo es martialisch schnarchte. Er hatte nicht gewusst, dass Pferde schnarchten, ja ganze Wälder zusammensägten. Nein, das wusste er erst, seit er in der Pippi-Langstrumpf-WG von Jo und Kassandra aus und ein ging. Vier Pferde, sieben Stammkatzen inklusive unzähliger wilder Kostgänger, zwei Karnickel und ein flatulenter Rehpinscher. Zwei Frauen, eine davon war eine Freundin aus Jugendtagen, zudem seine Ex – irgendwie zumindest, seine beste und schlechteste Freundin zugleich. Die andere Frau war seine aktuelle Gespielin – oder so. Wie konnte das Schicksal nur einen solch eigentümlichen Humor haben und ausgerechnet diese beiden zusammenführen? Sie hatten sich letztes Jahr bei den Ritterspielen in Kaltenberg kennengelernt, Kassandra, die dort einen Verkaufsstand betreute, und Jo, die sich um die Pressearbeit gekümmert hatte. Jo hatte ein bisschen in der Luft gehangen, als eine Stelle beim Tourismusverband der Ammergauer Alpen vakant wurde. Sie hatte zugegriffen, hatte gleich noch ein windschiefes Haus gefunden, das ihrem ehemaligen im Allgäu sehr ähnelte. Sie hatte eine Mitbewohnerin gesucht und in Kassandra gefunden, die sich mit allerlei esoterischem Brimborium, das sie selbst gar nicht ernst nahm, über Wasser hielt. Eine tolle Kombination: Kassandra, die stoische Pragmatikerin, und Jo, die emotionale Dramatikerin, und beide waren mit diesem schrecklichen Tiersammler-Gen gesegnet! Und das Schlimmste war, dass er den zahlreichen Katzen in Kassandras Bett dankbar für die Störung war, denn er konnte einfach nicht, wenn er Jo im Nebenzimmer wusste. Aber das wiederum wollte er Kassandra nicht sagen, denn dann hätte sie doch annehmen müssen, er würde noch etwas für Jo empfinden. So viel, dass er eben nicht, na eben nicht konnte. Drum schlief er auch seit Wochen schlecht und vermied es, soweit es ging, bei den beiden zu übernachten. Es war der blanke Horror, und seine Kollegin Evi hatte ihn auch noch herzhaft ausgelacht. Und Baier, sein ehemaliger Kollege, der alte Depp, hatte was vom Traum eines jeden Polygamen gemurmelt. Gerhard versuchte, Jos Mountainbike aus einigen müffelnden Pferdedecken zu extrahieren, schwang sich drauf, und während des Radelns zog er sein Handy raus, um seine Kollegin Evi Straßgütl auch aus dem Bett zu stauben. Evis Stimme klang überraschend frisch. Wahrscheinlich war sie schon beim Joggen gewesen. »Gerhard, was willst du zu so früher Stunde? Bist du aus dem Bett gefallen?« »Gefallen worden, sozusagen. Kassandra hat eine Tote entdeckt am Bayersoiener See. Kannst du bitte kommen samt Notarzt, Spusi und allem Erforderlichen?« »Ist das sicher, bevor ich alle in Gang setze?« »Evi, nicht irgendwer, Kassandra hat eine Tote entdeckt.« »Ja, klar, wir sind schon unterwegs.« Aus dem Stall des Nachbarn kamen gewohnte Morgengeräusche, vor der Kapelle in Gschwend rauften zwei junge Kater um den Revieranspruch. Vor Edis Radl-Laden türmten sich Kartons, in denen sich edle Räder befunden hatten. Gerhard fand das jedes Mal höchst seltsam, dass hier in der Einöde ein Radladen war, dessen Besitzer nicht nur mit so einigem schacherte und, was Frauen betraf, den ultimativen Röntgenblick hatte, sondern auch noch ein Held der Transalp war. Aber in diesem Dorf wurde sowieso dauernd gebikt, allen voran der alerte Bürgermeister, den Gerhard jüngst mal in Tracht gesehen hatte. Ein Kollege hatte ihm schmunzelnd erklärt, dass die Stulpen, die die Waden des bayerischen Brauchtumsmannes generell...


Nicola Förg, Jahrgang 1962, arbeitet als freie Reisejournalistin für namhafte Tageszeitungen, Publikumsmagazine und Fachmagazine - vor allem für solche, die Bergtourismus, Skispass und Reiterreisen zum Thema haben. Sie hat zudem ein Dutzend Reiseführer und Bildbände verfasst. Sie lebt im Ammertal in Bad Bayersoien.



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