E-Book, Deutsch, Band 9, 352 Seiten
Reihe: Alpen-Krimis
Förg Rabenschwarze Beute
18001. Auflage 2018
ISBN: 978-3-492-99011-0
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Alpen-Krimi
E-Book, Deutsch, Band 9, 352 Seiten
Reihe: Alpen-Krimis
ISBN: 978-3-492-99011-0
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
2
Natürlich war Andrea schon da, als Irmi um kurz nach neun im Büro eintraf, und selbstredend hatte sie schon einiges zusammengetragen über Markus Göldner. Seine Vita war auf der Homepage seines Architekturbüros zu finden, das ganz schlicht Göldner&Caviezel hieß. Irmi fand das sympathisch, denn es gab aus ihrer Sicht kaum etwas Exaltierteres als jene, die besonders kreativ sein wollten. Da nannten sich Architekten »Raumskulpteur«, Journalisten hatten ein Büro namens »Wortreich«, die PR-Agentur hieß »Gedankenspiel«, Friseurläden wurden »Haarscharf« getauft, bloß Sanitärnotdienste nannten sich selten »Scheißhaus«.
Göldners Kompagnon war ein gewisser Jürg Caviezel, ein gebürtiger Schweizer, der in Zürich studiert hatte und bei den ganz Großen der Szene gearbeitet hatte: bei Herzog & de Meuron, bei Botta und Zumthor. Markus Göldner selbst stammte aus Velbert, wo immer das war. Er hatte in Bochum studiert, war im Ruhrgebiet und dann in der Schweiz tätig gewesen und anschließend mit Caviezel nach Kempten gegangen.
Irmi fand solche Hochglanz-Homepages immer sehr beeindruckend. Was diese Leute alles für großartige Lebensstationen durchlaufen und Preise eingeheimst hatten. Was würde wohl bei ihr stehen? Geboren in Garmisch, Abitur am St. Irmengard, Ausbildung bei der bayerischen Polizei, Hauptkommissarin in Garmisch. Keine Preise, keine Zusatzqualifikationen. Auch bei den Sprachen sah es nicht sonderlich eindrucksvoll aus. Deutsch und Bayerisch fließend. Englisch grad so. Brockenhaft Ungarisch und Italienisch.
Irmi sah Andrea an. »Die Herren klingen mir beide nicht so, als bauten die Reihenhäuschen.«
»Nein, die bauen eher Gebäude der öffentlichen Hand, ähm ja, Schulen, Heime und so, und scheinen auch Umbauten von historischen Gebäuden zu übernehmen. Das haben die jedenfalls im Portfolio stehen.«
Irmi betrachtete die Porträtfotos der beiden Männer, die beide Mitte fünfzig waren. Caviezel sah aus wie ein Künstler: Bart, grau meliertes längeres Haar, ein sehr intensiver Blick aus stahlgrauen Augen. Göldners Haar war millimeterkurz geschoren, er sah gut aus, ohne ein Beau zu sein. Nur in seinen braunen Augen lag ein leicht spöttischer Blick, der Irmi nicht so recht gefiel.
Bisher hatte sie viel mit Juristen und Lehrern zu tun gehabt, mit Bankern auch – doch Architekten kannte sie keine, das war eine Berufsgruppe, zu der sie gar keine Meinung hatte. Vielleicht war das ja auch ganz gut.
»Also«, sagte Andrea. »Ich hab ihn weiter gegoogelt, und er ist … ähm … mir kommt da eines sehr komisch vor … ähm …«
»Andrea?«
»Na ja, ich kann es eben schlecht ausdrücken. Du kennst mich ja.«
Das war entwaffnend. Irmi lächelte aufmunternd.
»Er war beim LBV sehr aktiv«, fuhr Andrea fort.
»LBV ist was? Irgendwas mit Vögeln, oder?«
»Landesbund für Vogelschutz. Und der Göldner hat sich da stark engagiert. Und zwar sehr stark, also …«
»Ja, Andrea?«
»Na ja, er schreibt Artikel gegen, ja, eben gegen andere Architekten, also …«
»Wie?«, fragte Irmi, die noch immer nicht verstanden hatte, was Andrea meinte.
»Es ist doch komisch. Also, der Beruf auf der einen Seite. Wo es doch um Ästhetik geht und so. Er will aber alles so bauen, dass der Vogelschutz gewährleistet ist, das geht aber nicht immer … Schau mal hier!«
Irmi drehte den Bildschirm zu sich. Andrea hatte einen Artikel über das Hochhaus Uptown Munich am Georg-Brauchle-Ring gefunden mit der Überschrift: »Ein Architekt klagt an«. Das Aufmacherbild zeigte ein schickes Gebäude mit viel Glas, davor stand ein Mann, der zwei tote Vögel in Händen hielt. Bei dem Mann handelte es sich um Markus Göldner. Irmi überflog den Artikel:
VOGELTOD WEGEN BAUÄSTHETIK
Die bayerische Hauptstadt will zeigen, dass sie kein Millionendorf ist. Glasturm und Glaswände am Georg-Brauchle-Ring sind zweifellos schick. Glas als Baumaterial ist auf dem Vormarsch, sei es für klimagerechtes Bauen oder sei es aus rein ästhetischen Erwägungen, um große Flächen leicht und luftig wirken zu lassen. So weit stimmt auch der bekannte Architekt Markus Göldner zu, aber er ist eben nicht nur Architekt, sondern auch ein aktiver Vogelschützer. »Am Uptown Munich ließen allein in den Monaten September und Oktober über 50Vögel an den 14Meter hohen Glasscheiben ihr Leben. Keine schönen Bilder für die Patienten des Instituts für Präventive und Rehabilitative Sportmedizin der TU München. Sie müssen auf Krücken an Vogelleichen vorbei, Mitarbeiter zucken zusammen, wenn’s wieder knallt und tote Vögel vor die Fenster fallen. Zu allem Übel kommen dann noch die Krähen und fressen die Kadaver – völlig normal für die Umweltpolizei an der Vogelfront, unschön anzusehen für die Mitarbeiter«, ereifert sich Göldner.
Die Mitarbeiter wandten sich an den Landesbund für Vogelschutz. Hier kam Markus Göldner ins Spiel. »Es gibt keinen triftigen Grund, warum beispielsweise Lärmschutzwände voll transparent sein müssen. Im Gegenteil, sichtbare Markierungen schützen nicht nur vor unnötigem Vogeltod, sie können einen Bau auch optisch aufwerten«, erklärt er. »Es wäre wünschenswert, dass Architekten und Bauherren schon in der Planungsphase Rat beim LBV suchten. Die Kollegen müssen endlich begreifen, dass Bauen nicht im luftleeren Raum stattfindet! Bauen greift in die Lebensräume derer ein, die die menschliche Sichtweise nicht verstehen! Leider sind die Kollegen oft beratungsresistent. Natürlich kosten nachträgliche Veränderungen Geld, und natürlich pochen Architekten auf ihre gestalterische Freiheit. Aber man könnte im Vorfeld schon eben vieles richtig machen, anstatt den Massentod an Glasscheiben billigend in Kauf zu nehmen«, meint Göldner.
»Vögel leben auf unserem Planeten seit 150Millionen Jahren, Menschen gibt es erst seit 160000Jahren. Der Mensch hat die Welt dramatisch umgestaltet, Tier- und Vogelarten haben versucht, sich anzupassen. Sie wurden zu Kulturfolgern. Wir Menschen haben die Verpflichtung, den Schutz von Wildtieren auch in der Stadt umzusetzen«, betont der Architekt. »Denn es geht ja nicht nur um Lärmschutzwände, sondern auch um Wintergärten, gläserne Bushäuschen, Fahrradunterstände und verglaste Tiefgaragenabfahrten. Vögel können Glasflächen nicht rechtzeitig als Hindernis erkennen. Meist spiegeln sich Himmel, Bäume oder Sträucher im Glas, das dadurch zur tödlichen Vogelfalle wird. Mit der zunehmenden Verwendung von Glas in der modernen Architektur erhöht sich die Gefahr für die Tiere stetig. Schätzungen gehen europaweit von 240000 Vogelopfern pro Tag (!) aus. Meist werden die Opfer rasch von Krähen, Füchsen, Mardern oder Katzen entfernt. Praktisch für den Menschen, der wegsieht!«
Irmi sah ihre Kollegin an. »Jetzt verstehe ich, was du meinst, Andrea. Da geht er seine Zunft ja ganz schön massiv an. Ein echter Nestbeschmutzer.« Sie lächelte kurz. Für einen Vogelfreund war das ein wirklich passender Ausdruck.
»Bestimmt hat er sich viele Feinde gemacht. Grad bei den Kollegen, also …«, meinte Andrea.
»Damit hätten wir schon wieder einen Querulanten am Hals, der sich mit Gott und der Welt anlegt, sodass es einen ganzen Haufen von Verdächtigen gibt. Dabei wäre mir der Rieser als Täter ganz recht. Der gehört eh weggesperrt!«, behauptete Irmi mit Inbrunst.
Andrea lachte. »Irmi, und das von dir. Wo du doch so, so, ähm …«
»Wo ich doch so korrekt bin oder was?«
»Ja, bis zur Langeweile korrekt!«, kam es von der Tür. Kathi war hereingekommen. »Ich hab den Sepp getroffen. Er hat mir von gestern Nacht erzählt. Wieso habt ihr mich nicht angerufen?«
»Um deine Party nicht zu stören! Außerdem wärst du doch eh nicht ans Handy gegangen!«
»Ich hab mit Mama, dem Soferl und den Nachbarn Raclette gegessen. Nix Party.« Sie gähnte. »Hat dieser Rieser echt Fotze zu dir gesagt?«
»Hmm, und einiges andere auch. Wir warten mal auf die Auswertungen, was den Schusswinkel und so weiter betrifft. Lange werden wir den nicht festhalten können.«
»Und was macht ihr jetzt gerade?«
»Wühlen in Göldners Leben, Kathi! Lies mal den Artikel da«, sagte Irmi und wies auf den PC.
Kathi las mit gerunzelter Stirn. »Der hat sich sicher bei den Kollegen wenig Freunde gemacht«, bemerkte sie nach der Lektüre. »Diplomatie scheint ja nicht sein zweiter Vorname zu sein.«
»Dann würd er ja gut zu dir passen«, kam es von Andrea.
Irmi und Kathi starrten ihre Kollegin an. Andrea mochte vielleicht so etwas denken, aber nie aussprechen. Sie selbst schien angesichts ihres Vorstoßes ganz überrascht zu sein.
Erstaunlicherweise grinste Kathi nur. »Ist nicht mein Typ, rein optisch, mein ich. Viel zu alt. Und ich mag keine Glatzen.«
Offenbar gab es noch Zeichen und Wunder. Vielleicht wurde Kathi ja doch noch milde, dachte Irmi.
Andrea hatte einen weiteren Artikel hochgeladen. Es war ein Interview mit Markus Göldner in der Onlineausgabe eines Nachrichtenmagazins. Göldner stand nachts vor einem bunt beleuchteten Gebäude, wieder hatte er einen toten Vogel in der Hand.
LICHTVERSCHMUTZUNG IRRITIERT TIERE
Seit 2002 steht der 162,5Meter hohe und bis zu 80Meter breite Post Tower in Bonn, wo die Hauptverwaltung der Deutschen Post AG residiert. Abends und nachts wird das Renommiergebäude von innen in wechselnden Farben...