E-Book, Deutsch, 160 Seiten
Franck Der neue Koch
1. Auflage 2010
ISBN: 978-3-10-400821-9
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 160 Seiten
ISBN: 978-3-10-400821-9
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Julia Franck wurde 1970 in Berlin geboren. Sie studierte Altamerikanistik, Philosophie und Neuere Deutsche Literatur an der FU Berlin. 1997 erschien ihr Debüt »Der neue Koch«, danach »Liebediener« (1999), »Bauchlandung. Geschichten zum Anfassen« (2000) und »Lagerfeuer« (2003). Sie verbrachte das Jahr 2005 in der Villa Massimo in Rom. Für ihren Roman »Die Mittagsfrau« erhielt Julia Franck den Deutschen Buchpreis 2007. Der Roman wurde in 40 Sprachen übersetzt und fürs Kino verfilmt (2023, Regie: Barbara Albert). Nach »Rücken an Rücken« (2011) erschien zuletzt »Welten auseinander« (Platz 1 der SWR-Bestenliste). Für ihr Werk wurde sie 2022 mit dem Schiller-Gedächtnis-Preis ausgezeichnet. Literaturpreise: 1995 Siegerin beim Open Mike-Wettbewerb 1998 Alfred-Döblin-Stipendium der Akademie der Künste 1999 Stipendium der Stiftung Niedersachsen 2000 3sat-Preis in Klagenfurt 2004 Marie Luise Kaschnitz Preis 2005 'Roswitha Preis' der Stadt Bad Gandersheim 2007 Deutscher Buchpreis 2010 war die englische Ausgabe der ?Mittagsfrau? auf der Shortlist des Independent Foreign Fiction Prize und auf der Shortlist des ?Jewish Quaterly? sowie für den internationalen IMPAC nominiert. 2022 Schiller-Gedächtnis-Preis
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Zweiter Tag
Berta hilft mir beim Frühstück, der Koch hat heute morgen frei, es ist Donnerstag. Berta kennt meine Küche schon länger als ich. In meiner Gegenwart zeigt sie sich keinen Augenblick untätig, zeigt sich immer bemüht. Sie ist achtzehn Stunden am Tag bei mir, dann geht sie, sie hat eine kleine Wohnung, soviel ich weiß, hier ganz in der Nähe. Dort geht sie hin und schläft vermutlich. Am nächsten Morgen, wenn ich aufstehe, ist sie wieder da. Sie hat ihr Leben hier verbracht, nur wenige Stunden ohne mich. Einmal wollte sie verreisen, aber ich brauchte sie derzeit, so daß sie einen späteren Termin nehmen sollte. Sie hatte mir gesagt, sie wolle aber nicht später fahren, das sei nicht das gleiche. Wir haben lange hin und her geredet, denn ich wollte auf sie nicht verzichten und es gab nichts, das ich mir hätte vorstellen können, was ihr genau zu diesem Zeitpunkt wichtiger sein könnte. Sie sagte, ich müsse mich damit abfinden, daß ich es nicht verstehe, sie verstünde auch nicht alles, und immerhin solle ich mir klar machen, daß es nur so aussehe, als würde ich ihr ihr Leben bezahlen. Das war ihr letztes Wort, sie ließ nicht über sich bestimmen. Auch damals hatte ich schon so hilflose Ideen, wie ich sie heute mit dem Koch habe, und dachte, dieser eigene Wille, den Berta da vor sich her trug, müsse mir ein Zeichen sein, daß ich Strenge anwenden und ihr kündigen sollte. Sobald sie weg war, versuchte ich es mit einer neuen, dachte mir insgeheim, mal sehen, die wird es vielleicht für immer sein, die könnte mir doch meine Putze machen. Die Putze machte sie mir auch, aber recht widerwillig, sie dachte, sie sei etwas Besseres und zu Besserem geschaffen. Ich hatte keine Lust, mich auf sie einzustellen, sie zierte sich, wo sie konnte. Berta schien mir besser und ich mir zu bequem. Berta kam zurück, und ich sagte: Wie schön, daß Sie wieder da sind. Ich habe Sie vermißt. Da stiegen Berta vor Rührung die Tränen in die Augen, denn ich hatte ihr so etwas noch nie gesagt. Ich gab ihr, nun selbst von meinen Worten ganz ergriffen, die Hand, sie drückte sie lange mit beiden Händen und wischte sich wieder und wieder die Tränen aus ihrem runzligen Gesicht. Später fragte sie, wie alles gewesen sei, sie mußte das Reinigungmittel für das Silber suchen, und auch die Asche hatte man nicht aufgehoben, wie sie es zu tun pflegte, um damit angebrannte Töpfe zu reinigen. Ich sagte ihr, ich hätte jemanden gefunden, der mir die drei Wochen ausgeholfen hätte, ich sagte auch, die andere sei ein liderliches, faules Ding gewesen, ich dachte, es würde Berta freuen, das zu hören. Aber sie war zu höflich und zu vornehm, derartige Lästereien zu belohnen oder mein schlechtes Gewissen zu bemerken. Sie hätte niemals in Betracht gezogen, daß ich eine andere ihr vorziehen könnte. Sie hörte meine Gehässigkeiten nicht, sie bügelte die Tischdecken und wickelte anschließend die Schnur wieder so um das Bügeleisen, wie sie es zu tun pflegte. Sie hatte sich eingerichtet, in meinem Hotel, sie sagte später, daß sie ungern verreise, weil sie dann hinterher immer noch wochenlang die Folgen ihrer Abwesenheit beseitigen und berichtigen müsse, dazu lächelte sie und entschuldigte sich. Sie hatte das so gesagt, als sei sie schon häufiger fort gewesen, dabei war es gerade das erste Mal. Abgesehen davon habe ich nicht den Eindruck gewinnen können, sie hätte wirklich viel nachzuholen, zu beseitigen oder zu berichtigen gehabt. Das mag an ihrer stetig geschäftigen Art liegen. Ich habe ihr nicht gesagt, daß ich versucht hatte, sie hinterrücks auszutauschen. Auch habe ich sie nicht gefragt, wohin sie gefahren ist, und sie hat es von sich aus nie erzählt. Wir reden beide wenig von uns und verstehen uns darin. Seither ist sie nicht mehr verreist.
Berta hilft mir beim Frühstück, sie legt die kleinen Brote in den Ofen, sie macht Eier mit Speck und Eier mit Lauch. Ich koche Kaffee und Tee. Sie sagt, daß der Zucker dem Ende zuginge. Ich antworte ihr, daß der Zucker nie dem Ende zugehen dürfe, ich müßte es dem Koch sagen. Beim Frühstück sind es immer nur wenige, denn die meisten würden den Gong über den Lautsprecher besonders wenig mögen. Der Dichter gibt uns die Ehre, ich weiß, daß er nicht schlafen kann, das geht schon seit Jahren so, er sitzt dann ab halb sieben im Eßzimmer und wartet, bis wir mit den Dingen kommen und die Rolläden am großen Fenster und der Tür aufziehen. Manchmal macht er nicht mal das Licht an. Er reibt sich die Augen und will, daß Berta ihn fragt, ob er gut geschlafen habe. Berta vergißt das nie. Sie sagt: Haben Sie gut geschlafen, Herr Jonas?
Und er sagt: Ach Berta, es ist doch immer dasselbe, da liegt er im Bett und kann kein Auge zutun, die ganze Nacht liegt er und denkt.
Das ist aber nicht schön, sagt Berta und fragt höflich: Was denkt er denn?
Sehen Sie, das ist soviel, daß er am nächsten Morgen die Hälfte vergessen hat. Aber wie beneide ich euch Menschen, die ihr nachts feste schlummert, wie satte – satte, ja, Menschen.
Ich kann mir denken, warum Anton Jonas nach einem Vergleich mit irgendeinem Tier gesucht hat, er mag es, Menschen mit Tieren zu vergleichen. Hier fiel ihm offenbar nichts Passenderes ein. Berta lächelt freundlich dabei und drückt ihre Augen beide gleichzeitig zu, sie ist gütig. Ich weiß nicht, ob Berta gut schläft. Satt gewiß nicht, denn seit ich sie kenne, ißt sie nur winzige trockene Knäckebrote und trinkt ungesüßten Tee, manchmal ißt sie ein Müsli oder einen Apfel. Über ihren Knochen hat sie etwas weiche Haut, sonst nichts. Sie entschuldigt sich, wenn sie Herrn Jonas den Kaffee einschenkt, und auch dafür, daß sie selbst keinen trinkt. Früher dachte ich immer, sie sei von ständiger Angst verfolgt, etwas falsch zu machen, das dachte ich wohl, weil es mir so erging. Derweil vermute ich, daß sie von Schuldgefühlen aufgrund einer tiefen inneren Teilnahmslosigkeit geplagt ist. Es ist ihr gleichgültig, wofür die Menschen sie nehmen.
Beim Frühstück schlägt Anton Jonas gerne sexuelle Themen an. Wir sind dann in einem so kleinen Kreise, daß er sich nahezu gezwungen fühlt, verbal intim zu werden. Noch sind wir zu dritt, ich hole die warmen Brote, Berta setzt sich zu ihm.
Da gab es gestern im Fernsehen so eine Frau, Sie werden lachen, die hat bei so einem Glücksspiel mitgemacht, die sah sehr hübsch aus, sie hatte sehr zierliche Hand- und Fußgelenke und trotzdem einen ganz weichen großen runden – Körper, auch Busen, meine ich, also ganz weiblich und dazu diese anmutigen, filigranen, zarten, zerbrechlichen – Gelenke! Ganz wie meine Tänzerin, die Gelenke natürlich nur, die haben mich an sie erinnert. Ach, und alleinstehend war die junge Frau auch, kann man nicht glauben, was? Sagt einfach, sie hätte den Mann fürs Leben noch nicht gefunden.
Berta nickt, ich lege die warmen Brote in die Körbchen und decke sie mit den Tüchern zu. Das ist doch gar nicht so gut für eine Tänzerin, wenn sie so dünne Gelenke hat, oder? frage ich.
Anton Jonas spricht weiter zu Berta. Die Frauen heutzutage lassen sich ganz schön alt werden, bis sie den Richtigen finden, und manche finden ihn dann nie. Also, ehrlich Berta, mir tat die Kleine schon etwas leid, ich dachte mir, ich rufe da doch mal an, beim Fernsehen, und biete ihr an, daß man sich treffen könnte.
Berta richtet sich plötzlich auf und schaut ihn an, sie zieht ängstlich und fragend die Augenbrauen hoch. Nein, er schließt kurz die Augen und deutet ein Schütteln des Hauptes an, dabei tätschelt er ihre Hand, die klein und knöchern unter seiner verschwindet. Diesmal noch nicht, Berta, aber ich dachte mir, warum eigentlich nicht? Sie ist allein, ich bin allein.
Berta drückt sich einen Krumen ihres Knäckebrots zwischen die schmalen Lippen und mahlt ihn dort klein, sie schluckt.
Sie wissen ja, meine Tänzerin hat keinen Busen, also Sie haben sie ja leider noch nicht gesehen, aber Sie wissen, ich habe Ihnen ja schon erzählt. Meine Tänzerin ist von ganz anderer Klasse, sie ist schön, sie ist schmal wie ein Kind, ach, was sage ich da, wie eine Gazelle natürlich, wunderschön. Anton Jonas hebt seine Kaffeetasse mit Andacht und bleibt eine kurze Weile mit erhobener Kaffeetasse vor sich hin sinnend sitzen. Wenn Anton Jonas von der Tänzerin erzählt, die er vor vier Jahren in Salzburg kennengelernt hat, bekommt er feuchte Augen. Er hat es schwer mit den wahren Frauen im wahren Leben, und das Schlimme ist, keiner weiß das so gut wie er selbst. Es gibt Frauen, die ihn in seiner Genialität durchaus und von vornherein akzeptieren, aber die findet er leicht einfältig, nicht etwa, weil er an seiner Genialität zweifelt, sondern weil es ihm unvorstellbar ist, daß ein junges weibliches Geschöpf wissen kann, mit wem sie es zu tun hat. Er denkt, er müßte sich den Frauen erst einmal beibringen, bevor sie in Staunen und Liebestaumel verfallen sollten. Er belehrt sie lange und eindringlich, was gerade den jungen schnell überspannt und langweilend erscheint. Im Gegensatz zu Anton Jonas sind seine Verehrten, derer er schon einige vor meinen Augen versuchte, zu Verehrerinnen zu machen, zu einer schnellen, sinnlichen und heißen Liebe entschlossen. Sie mögen den Auftrieb, der ihnen ein Abenteuer mit einem Mann wie Anton Jonas verspricht, nicht aber die langwierigen Einleitungen, in denen er sich oft vergißt und wiederholt. Letztes Jahr sagte eine Frau meines Alters zu mir, sie verstünde nicht, wie jemand in der Lage sei, immer wieder die gleichen Dinge zu sagen. Die einzigen Veränderungen würden die Gegenstände durch ihre anderen Namen erhalten, bei denen er sie nennt, in ihrem besonderen Fall, um die Einzigartigkeit der Begegnung zu umschreiben. Ich antwortete der Frau, er sei eben ein Dichter, und sie lachte schallend, wischte sich gar Tropfen der Freude mit...