E-Book, Deutsch, 376 Seiten
Frank ... damit zusammenwächst, was zusammengehört
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-384-01066-7
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Teil 2
E-Book, Deutsch, 376 Seiten
ISBN: 978-3-384-01066-7
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Im 2022 erschienenen 1. Teil habe ich mich mit der deutschen Vereinigung, dem Demokratieverständnis vieler Menschen und der Entstehung von Rechtsextremismus auseinandergesetzt und dabei belegt, dass viele Mythen in der deutschen Gesellschaft zu Politik- und Demokratieverdrossenheit führen, was wiederum rechtsextreme Einstellungen fördert. Im vorliegenden 2. Teil baue ich auf diese Erkenntnisse auf und weise nach, dass viele 'Errungenschaften' der DDR nicht existierten oder mit dem von den DDR-Bürger*innen gewählten Beitritt zur Bundesrepublik hinfällig wurden. Ich befasse mich ausführlich mit der Idee des Sozialismus, der insbesondere in Ostdeutschland noch immer viele Anhänger hat, obwohl Millionen Menschen in Unfreiheit leben mussten oder ihr Leben verloren haben. Insbesondere die Rolle der SED in der DDR und wird ausführlich dargestellt, ebenso die Transformation der Partei zur PDS und die Rolle der wichtigsten Akteure in diesem Prozess. Anschließend untersuche ich Gemeinsamkeiten und Differenzen der 'Fluchtwellen' aus der DDR von 1989/90 und dem Nahen Osten der Jahre 2015/16 und erläutere die politischen Entwicklungen und Stimmungen in Deutschland infolge dieser Zuwanderungsprozesse. Im letzten Kapitel des Buches beschreibe ich Chancen und Risiken für die künftige gesellschaftliche Entwicklung Deutschlands und verdeutliche, dass nur gegenseitiger Respekt und Toleranz dazu führen können, dass Deutschland zusammenwächst und die Spaltung der Gesellschaft nicht weiter fortschreitet.
Ich wurde 1959 in Frankenberg/Sa. geboren. Nach Schule und Berufsausbildung mit Abitur studierte ich Maschinenbau im heutigen Chemnitz. Das angestrebte Pädagogikstudium wurde mir aus politischen Gründen verwehrt. Nach der Vereinigung Deutschlands zog ich nach Oberbayern, wo ich überwiegend im Sport- und Fitnessbereich gearbeitet habe. 1997 begann ich ein Studium Soziale Arbeit an der Fachhochschule Erfurt und schloss es 2002 mit der Diplomarbeit zu den Ursachen des Rechtsextremismus in Ostdeutschland ab. In den folgenden Jahren arbeitete ich u.a. mit Opfern rechtsextremer Gewalt und als freiberuflicher Referent in der politischen Jugend- und Erwachsenenbildung. Auch als Lehrbeauftragter an der FH Erfurt vermittelte ich meine Erkenntnisse an Studierende. 2007 zog ich ins Weserbergland, wo ich zunächst ein Freiwilligenzentrum leitete. Seit 2011 arbeite ich im Jugendamt des Landkreises Holzminden. Außerdem bin ich seit 2008 als Lehrbeauftragtragter an der dortigen Fachhochschule tätig.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Kapitel 1: „Die DDR hatte mehr gute als schlechte Seiten“ Die heilende Wirkung des Vergessens Der Aussage, wonach die DDR mehr gute Seiten hatte, widerspricht zwar der überwiegende Teil der Westdeutschen, eine deutliche Mehrheit der Ostdeutschen unterstützt sie jedoch! In einer 2013 durchgeführten Emnid-Umfrage gaben 57% der Ostdeutschen an, dass die DDR mehr gute als schlechte Seiten hatte und 49% waren der Meinung, dass man mit den „paar Problemen“ dort gut leben konnte (FOCUS, 2013).2 Diese Aussagen stehen in einem eklatanten Widerspruch zu den Einschätzungen der DDR-Bürgerinnen über ihr Leben im Arbeiter-und Bauernstaat im Jahr der deutschen Vereinigung: Laut einer Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach gaben 1990 immerhin 72% der DDR-Bürgerinnen an, dass ihre Lebenssituation unter der SEDDiktatur „unerträglich“ gewesen sei! Noch 1992 stimmten auch 70% der Aussage zu: „Die SED hat uns alle betrogen“ und 57% fühlten sich in der DDR „unfrei und gefangen“ (Deutscher Bundestag, 2008). Obwohl auch ich mich in der DDR unfrei, gefangen und von der SED betrogen gefühlt habe und die alltägliche Bevormundung und Gängelei tatsächlich unerträglich fand, hätte ich meine gesamte Lebenssituation in der DDR niemals als „unerträglich“ eingeschätzt! Ich kann jedoch auch den heutigen Einschätzungen meiner ostdeutschen Landsleute nicht zustimmen, wonach die DDR mehr gute als schlechte Seiten gehabt haben soll. Zweifellos hatte auch für mich das Leben in der DDR angenehme Seiten und an vieles erinnere ich mich gern zurück. Denn im Gegensatz zu vielen anderen Menschen auf der Welt musste ich in der DDR nicht hungern, ich konnte zur Schule gehen und einen Beruf erlernen - wenn auch nicht den, den ich erlernen wollte. Natürlich war es schön, für ein Brötchen fünf, ein Bier im Restaurant 48 und eine Straßenbahnfahrkarte nur 20 Pfennige bezahlen zu müssen. Für meine erste eigene Wohnung fielen nicht einmal 30 Mark Miete im Monat an, für ein Rezept vom Arzt oder der Ärztin musste ich nichts zuzahlen. Meine Eltern sind niemals arbeitslos gewesen, für 17 Tage Aufenthalt im Kinderferienlager haben sie für mich und meine Geschwister jeweils 14 Mark bezahlt. Ich habe auch meine Schulzeit in überwiegend positiver Erinnerung, denn die Mehrheit der Lehrerinnen war engagiert und hat mir viel beigebracht, von dem ich noch heute profitiere. Insbesondere die Erlebnisse im und mit dem Sportverein sind mir in guter Erinnerung geblieben, haben mich geprägt und haben Freundschaften entstehen lassen, die noch heute bestehen. Wahrscheinlich könnte ich mehrere Seiten über positive Erlebnisse und Erinnerungen, über großartige Menschen und ein überwiegend glückliches Leben in der DDR schreiben. Zweifellos hatte auch für mich die DDR viele gute Seiten! Aber überwogen wirklich die guten Seiten? Und wenn ja, lag das an der DDR, am Sozialismus oder der SED? Hätte ich nicht auch in der kapitalistischen Bundesrepublik gute Lehrerinnen haben können, die mir viel beigebracht und mich gut auf das Leben und meine berufliche Karriere vorbereitet hätten? Hätte ich nicht auch in der BRD im Verein Sport treiben und Freundschaften schließen können, die bis heute halten? Ja, vieles wäre für mich oder meine Eltern teurer gewesen, aber dafür hätten ich bzw. meine Eltern ja auch mehr verdient. Was sind also die „guten Seiten“ der DDR, die im Bewusstsein der Mehrheit ihrer Bewohnerinnen das Leben in der DDR so schön erscheinen lassen, und wieso hat sich das Bild der DDR in den Augen ihrer früheren Bewohnerinnen in den vergangenen 30 Jahren so massiv verändert? Dass die ehemaligen DDR-Bürgerinnen überwiegend positiv auf ihr untergegangenes Land zurückblicken und die Gründe für die Proteste gegen die SED - die sie im Herbst/Winter 1989/90 zu Hunderttausenden auf die Straßen der DDR trieb - verdrängt oder vergessen haben, zeichnete sich schon wenige Jahre nach dem politischen Umbruch ab. Zwar wünschten sich laut einer Emnid-Umfrage schon 1995 nur 15% der Ostdeutschen die DDR zurück, aber in sieben von neun Kategorien attestierten sie der DDR eine Überlegenheit im Vergleich zur BRD: • im Schutz vor Verbrechen • in der Gleichberechtigung der Frau • der sozialen Sicherheit • der Schulbildung • der Berufsausbildung • dem Gesundheitswesen • der Versorgung mit Wohnungen. Lediglich in den Kategorien Lebensstandard sowie Wissenschaft und Technik war die DDR der Bundesrepublik nach Überzeugung der Mehrheit der Ostdeutschen unterlegen (DER SPIEGEL, 1995, S. 40-52). Zu ähnlichen Ergebnissen kommen die Wissenschaftlerinnen der Universität Jena in ihrem Thüringen-Monitor des Jahres 2015: Das Bildungswesen, der gesellschaftliche Zusammenhalt, die Gesundheitsversorgung und die soziale Sicherheit in der DDR wurden von mehr als 90% der Thüringerinnen positiv bewertet, die bis 1975 geboren wurden, also zur „Erlebnisgeneration“ zählen. Immerhin 68% bewerteten den allgemeinen Lebensstandard in der DDR positiv, 86% sogar den persönlichen Lebensstandard (Best, Niehoff, Salheiser, & Salomo, 2015, S. 42). Von den sieben Kategorien, in denen die DDR der BRD laut der Emnid-Umfrage von 1995 überlegen gewesen sein soll, sind die meisten auf die in meinem ersten Buch beschriebenen Kennzeichen einer altruistischen Gesellschaft zurückzuführen, in der es keine Unterschiede zwischen Klassen gibt und in der die Grundbedürfnisse aller Menschen befriedigt werden. Die Autorinnen des Thüringen-Monitors von 2015 fassen zusammen: „Auffällig ist die überwiegend positive Bewertung der Aspekte, die die sozialen, materiellen und egalitären Seiten der DDR repräsentieren (ebd.3). Diese sozialen, materiellen und egalitären Aspekte sind - so wurde es den Menschen in der DDR vermittelt - auf den Sozialismus zurückzuführen, dessen Ziel eine große Egalität der Gesellschaft ist. Obwohl sicherlich die Mehrheit der DDR-Bürgerinnen von den täglichen „Rotlichtbestrahlungen“4 in der Schule, dem Studium, in der Arbeit und in den Medien genervt waren, hat sich die Idee des Sozialismus offensichtlich in das kollektive Gedächtnis vieler Ostdeutscher „eingebrannt“. Denn nur sechs Jahre nach dem selbst erlebten Zusammenbruch des Sozialismus in der DDR glaubten noch 79% von ihnen, dass der Sozialismus eine gute Idee ist, die Politikerinnen jedoch unfähig waren, diese Idee zu verwirklichen (DER SPIEGEL, 1995, S. 40-52). Auffällig ist auch, dass fast alle Kategorien, die zur „Überlegenheit“ der DDR gegenüber der Bundesrepublik führen, einen ökonomischen Hintergrund haben und fast ausschließlich auf die Subventionspolitik der DDR zurückzuführen sind. Es sind Dinge, die das Leben angenehm und bequem machten, die es ermöglichten, Geld zu sparen oder mehr Geld zu verdienen. Diese Annehmlichkeiten waren der „Ausgleich“ für die zahlreichen Einschränkungen der Freiheit und der Menschenrechte, die damit überdeckt werden sollten. Die SED „kaufte“ sich also das Wohlwollen ihrer Bürgerinnen und diese akzeptierten den Deal „Sicherheit gegen Freiheit“ über vier Jahrzehnte überwiegend - wenn auch nicht ganz freiwillig. Ab ca. 1985 wuchsen jedoch die strukturellen Probleme der DDR und der Deal zwischen SED und Volk verlor an Akzeptanz: Für die sogenannte „zweite Lohntüte“ - die Subventionen für Waren des Grundbedarfs, für Mieten und soziale Leistungen - musste sich die DDR immer mehr verschulden. Auf 21% der Staatsausgaben wuchs dieser Posten, und der Lebensstandard der DDR-Bürgerinnen hing somit immer weniger von der eigenen Leistung (Dietrich, 2019), sondern von der Alimentierung durch den Staat ab. Die immensen Subventionen für Lebensmittel, Mieten, das Gesundheitssystem, das Bildungs- und Betreuungssystem usw., führten jedoch - wie ebenfalls im ersten Teil beschrieben - zum wirtschaftlichen Zusammenbruch der DDR. Jahrelang hatte die DDR „über die eigenen Verhältnisse gelebt (Martens, 2020), hatte für die „guten Seiten“ mehr Geld ausgegeben, als sie erwirtschaften konnte. Mit dieser Politik wollte die alleinherrschende SED neben dem „Ausgleich“ für beraubte Freiheiten, den eigenen Bürgerinnen und dem „Klassenfeind“ in der Bundesrepublik beweisen, dass der Sozialismus die überlegene Gesellschaftsordnung ist. Zumindest bei der Mehrheit der eigenen Bürgerinnen ging diese Taktik auf - wenn man von der kurzen Zeit des politischen Umbruchs absieht. Um sich die teuren Subventionen leisten zu können, musste die SED jedoch an vielen anderen Stellen Geld sparen: im Straßen- und Schienennetz, beim Telefonnetz, beim Umweltschutz und an den Investitionen für die...