Frank / Gehring / Griem | Städte unterscheiden lernen | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, Band 19, 470 Seiten

Reihe: Interdisziplinäre Stadtforschung

Frank / Gehring / Griem Städte unterscheiden lernen

Zur Analyse interurbaner Kontraste: Birmingham, Dortmund, Frankfurt, Glasgow

E-Book, Deutsch, Band 19, 470 Seiten

Reihe: Interdisziplinäre Stadtforschung

ISBN: 978-3-593-42508-5
Verlag: Campus
Format: PDF
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Das Buch präsentiert Forschungsergebnisse eines interdisziplinär angelegten Städtevergleichs, der sich auf Differenzen und Eigenheiten städtischer Wahrnehmungs- und Handlungsmuster richtet. Analysiert werden Friseursalons, Stadtkrimis, Mediendiskurse und Stadtmarketingmaßnahmen in den vier Städten Birmingham, Dortmund, Glasgow und Frankfurt am Main. Dabei wird deutlich, wie unterschiedlich die genannten Städte sind: Sie »ticken« verschieden, und zwar aus sich heraus.
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Weitere Infos & Material


Inhalt

Städte unterscheiden lernen
Sybille Frank, Petra Gehring, Julika Griem, Michael Haus 7

I. Zeitlichkeit

Zur Einleitung
Nina Baur, Petra Gehring, Andreas Großmann 35

Wendungen der Dringlichkeit
Andreas Großmann 43

Rhythmik in Bildern: Kompaktimpressionen
Johannes Marent, Christoph Rosenbusch 69

Tradition, Zukunft und Tempo im Friseursalon
Nina Baur, Linda Hering, Martina Löw, Anna-Laura Raschke 97

II. Differenzen

Zur Einleitung
Julika Griem, Janneke Rauscher 127

Orte und Differenzen
Janneke Rauscher, Ralph Richter 135

Konstellation städtischer Gruppen
Sybille Münch 173

Leitvorstellungen politischer Handlungsträgerschaft
Marlon Barbehön 206

Differenzierung inszenieren: Der Fall Stadtmarketing
Ralph Richter 246

Beim Friseur in Glasgow
Lars Meier, Julika Griem 282

III. Selbstbezüge

Zur Einleitung
Michael Haus, Petra Gehring 301

Namen nennen
Petra Gehring, Julika Griem 312

Städte als Sozialfiguren
Helmut Berking, Sybille Frank, Johannes Marent, Ralph Richter 335

Anders als die anderen? Selbstbezug als Städtevergleich
Marlon Barbehön, Sybille Münch 361

Zur Analyse interurbaner Kontraste
Sybille Frank, Petra Gehring, Julika Griem, Michael Haus 392

Zitierte Literatur 409
Gesamtverzeichnis der erhobenen Quellen 435
Autorinnen und Autoren 466


Städte unterscheiden lernen
Sybille Frank, Petra Gehring, Julika Griem, Michael Haus
Qui est inquit iste tandem urbanitatis color?
Nescio, inquam, tantum esse quondam scio.
Idee des Buches - Zum Stichwort "Eigenlogik" von Städten - Theoriebezüge und Interdisziplinarität - Vergleich als Methode ? Zur Städteauswahl ? Wirtschaftspraktiken, Problemdiskurse, Kriminalliteratur, Stadtmarketing: Vier Projekte und ihre Vorgehensweise ? Materialmix ? Zu den drei Teilen des Buchs sowie den Kapiteleinleitungen ? Disclaimer ? Ausblick, Dank
Dieses Buch stellt vergleichend vier Städte - Birmingham, Dortmund, Frankfurt am Main und Glasgow ? vor. Zugleich wirft es, vierfach, eine Frage auf, welche in der Stadtsoziologie, in den Planungswissenschaften und in der lokalen Politikforschung über Jahrzehnte kaum gestellt worden ist: Besitzen Städte, besitzt jeweils diese Stadt individuelle Züge? Zeichnen sich die alltäglichen Wirklichkeiten von Städten, neben all dem Vielen, was anderswo ähnlich funktioniert, durch gewisse Eigenarten aus? Ticken Städte jeweils verschieden?
Um diese Fragen zu beantworten, bedarf es neuer Methoden. Denn die Problemstellung ist nur vermeintlich harmlos. Es beginnt schon beim Untersuchungsobjekt. Weder ist "die" Stadt ein leicht greifbarer Gegenstand, denn paradoxerweise besitzt die empirische Forschung lediglich Behelfskonzepte für das, was wir "Stadt" nennen. Eine fachübergreifend anerkannte Definition "der" Stadt gibt es nicht. Bisher existieren auch noch keine etablierten Suchmodelle, nämlich Verfahren, die darauf angelegt sind, singuläre Merkmale von Städten zu ermitteln.
Jenseits dessen, was generalisierende Annahmen über Städte erfassen können, beginnen für die empirischen Wissenschaften prinzipielle Probleme. Eigenschaften, die nicht vorweg bereits wieder die Gestalt von allgemeinen Parametern annehmen (Einwohnerzahl, Arbeitslosenquote, Wohnungsleerstand, Freizeitwert etc.) - das sind erstens Eigenschaften, deren Kontur man überhaupt erst suchen muss. Sie zu ermitteln oder auch das Fehlen solcher Eigenheiten festzustellen, erfordert ein zwar kontrolliertes, aber doch auch ergebnisoffenes Vorgehen. Zweitens lassen sich die singulären Züge eines Untersuchungsgegenstandes nur im Kontrast ermitteln, das heißt durch vergleichende Analyse. Dass hier etwas qualitativ anders funktioniert als dort, bemerke ich nur, wenn ich beides im Vergleich betrachte, wobei gerade explorative Vergleiche gut daran tun, nicht vorschnell ein tertium comparationis, ein allgemeines Maß anzulegen, sondern von den vorgefundenen Differenzen auszugehen. Drittens wird man, wo es um die Alltagswelten und Praxisräume ganzer Städte geht, eine Art breite Rasterfahrung vorsehen müssen, das heißt - vor der Folie grundsätzlich bekannter Sozialdaten - auch auf qualitative, und also weiche, gelebte Wirklichkeiten möglichst intensiv beschreibende Verfahren zurückgreifen müssen. "Methodenmix" lautet hier das forschungspragmatische Stichwort. Wozu dann viertens auch das Zusammenwirken verschiedener Disziplinen gehört: Sowohl bei der Recherche als auch bei der Auswertung von Spuren dessen, was man aus der Gemengelage städtischen Alltagslebens als die spezifischen Eigenheiten dieser Stadt herausdestillieren mag, kann es keine Meisterdisziplinen geben, sondern verzahntes Arbeiten und wechselseitige Gegenkorrekturen sind erforderlich. Ergebnisse, die auf diese Weise erarbeitet wurden, haben, fünftens, einen in der Materialdichte deutlichen, aber doch auch feinen und fragilen Charakter. Was Städte als Sozial- und Sinngebilde unterscheidet, das sind nicht einfach Kenngrößen, so wie ein Naturstoff oder ein überschaubares physikalisch-technisches Artefakt messbare Eigenschaften hat. Man hat es vielmehr mit Qualitäten, mit Sinnphänomenen, mit Ordnungsmustern, räumlichen Verflechtungen und mit unscharfen Texturen zu tun. Eine im Vollzug kaum merkliche lokale Typik alltäglicher Praxismuster, spezifische Orientierungen, Maße eines nur-so-und-nicht-anders als vertraut Erlebbaren, womöglich sogar Momente eines städtischen spirit (vgl. Bell und de-Shalit 2011) - das sind sozial hoch aggregierte und, wenn man so will, hartnäckig abstrakte Phänomene. Wie die "Diskurse" im Reich der Sprache, die "Systeme", "Politikfelder" oder auch "Rationalitäten" in der Gesellschaft, die "Epochen" in der Geschichte (oder die Wetterlagen in der Klimaforschung) sind auch die städtischen Wirklichkeiten in ihrer sozialräumlichen und kommunikativen Dichte eine Sache von Schwellenwerten und Relationen, wenn es um die Herausbildung einer in der Abweichung erkennbaren Typik geht. Man bewegt sich im Komplexen. Als Ganzes sind städtische Verhältnisse niemals überschaubar. Weswegen man sechstens die Forschungsmethoden darauf ein-stellen muss, möglichst geschickt verteilte, in ihren Ergebnissen zu verknüpfende Suchscheinwerfer aufzustellen, um von den ausschnitthaften Belichtungen auf das Ganze, um pars pro toto auf durchgehende Muster, auf eine bestimmte Grammatik städtischer Verhältnisse zu schließen.
Eine so umrissene Perspektive, die auf den Vergleich als im phänomenologischen Sinne "individualisierendes" Suchverfahren setzt , ist in der Städteforschung nicht ohne Weiteres vorgesehen (vgl. die Kritik von Ward (2010) und Robinson (2011) an den die bisherige Stadtforschung dominierenden universalisierenden Vergleichsdesigns). Entsprechend muss eine neue Heuristik gefunden werden, welche die in der Städteforschung etablierten, vorzugsweise quantitativ angelegten Vergleichsdesigns der Sozialwissen-schaften durch qualitativ-kulturwissenschaftliche Explorationsverfahren ergänzt. Wege zu einer solchen Heuristik werden mit dem vorliegenden Buch erprobt - erstmals in dieser Gründlichkeit, auf breiter Mate-rialbasis und mit den Werkzeugen verschiedener Fächer
Unsere Untersuchungen zu Birmingham, Dortmund, Frankfurt am Main und Glasgow knüpfen an ein in einer lebendigen interdisziplinären Forschungsgruppe an der TU Darmstadt entwickeltes Programm zur Er-forschung städtischer Wirklichkeiten an (Berking/Löw 2005 und 2008, Löw 2010), das unter dem Stichwort "Eigenlogik der Städte" in der deutschen Stadtsoziologie für Aufregung sorgte (vgl. zusammenfassend Frank u.a. 2013), aber auch in der Politikwissenschaft aufgegriffen und aktiv weiterentwickelt worden ist (vgl. Zimmermann u.a. 2014). Mit dem Fokus, anstelle generell "städtische" oder einer "lokalen" Ebene zugeord-nete Phänomene zu betrachten, tatsächlich den je spezifischen Kontext der Städte selbst zu untersuchen - und hierbei eben jeweils auf die Züge dieser Stadt zu achten, also Auskünfte ernst zu nehmen, die auf vom Erwartbaren und Generalisierbaren Abweichendes hindeuten ? rückt in der Perspektive der "Eigenlogik" die sozialräumliche, praktische und auch diskursive Singularität von Städten in den Vordergrund. Der Begriff ist paradox und soll anzeigen, dass es sich um ein Behelfswort handelt (Gehring 2008): Benannt wird nicht die verborgene Ratio einer Stadt, sondern das Faktum, dass, neben vielen anderen, auch eigene ? und zwar in sozialräumlicher, praktischer, diskursiver Hinsicht: stadteigene ? Sinn- und Geltungsmuster vor Ort wirksam sind. Man kann dies raumsoziologisch weiterdenken und mittels einer Theorie der europäischen Stadt als "raumstrukturelle Form" unterlegen (Berking 2008). Man muss dies jedoch nicht tun, sondern kann sich auf die methodologische Pointe der "Eigenlogik"-These beschränken. Die Aufmerksamkeit richtet sich dann auf die Exploration von für diese Stadt im Unterschied zu anderen Städten signifikanten Sinnzusammenhän-gen.
In diesem durchaus offenen, disziplinär nicht zwingend ganz identisch ausbuchstabierten Sinne werden die theoretischen Grundannahmen und das phänomenologische Herangehen des Eigenlogik-Ansatzes hier aufge-griffen und verfeinert. Forschungsmethodisch haben wir sie so einerseits einer Art Praxistest unterzogen; begrifflich und auch was Theoriekontexte angeht, haben sich andererseits Weiterentwicklungen ergeben. Die breite Materialerhebung gab dazu die Chance und vor allem der mehrdimensionale (aber abgestimmte) Zugriff.
Das vorliegende Buch versteht sich insofern als Beitrag zur Debatte, als es abseits von Auseinandersetzungen um Programme erprobt und zeigt, wie konkrete Forschungen in der Sache aussehen können und welchen Typ von Ergebnissen sie erbringen. "Eigenlogik" ist in diesem Zusammenhang kein Dogma - als Überschrift hat der Terminus mithin nur den Charakter eines Fingerzeigs. Er bezeichnet eine Suchrichtung, eine Optik und vielleicht das Angebot eines "Paradigmenwechsels" (Gehring 2008; Ward 2010; Robinson 2011) für die Forschung. Städte "haben" aber nicht eine solche Logik, und so kann es auch kein sinnvolles Ziel sein, die "Existenz" stadttypischer Eigenlogiken zu demonstrieren oder zu beweisen. Interessant ist vielmehr, ob sich - mittels geeigneter Zugangsweisen - jenseits dessen, was wir über Städte bereits wissen, signifikante Eigenarten und Züge einer Stadt herausarbeiten lassen, die so und nicht anders speziell in dieser Stadt vorfindlich sind. Und die im lokalen Alltagshandeln wie auch in lokalen Foren oder Arenen (etwa in der Stadtpolitik) auf sachte Weise auch wirksam werden: nicht kausal, wie ja in komplexen sozialen Realitäten nichts nur einfach kausal wirkt, sondern Effekte sinnförmig konditioniert sind ? in der Art von auf der Ebene der Vermittlungen mitspielenden Bedingungen. Bedingungen, um die zu wissen sich lohnt.
Genau hierfür ein hinreichend entfaltetes Sensorium zu entwickeln, ist ein Ziel unseres Buchs. Es wird also keine Eigenlogik-Hypothese, die im engeren Sinne falsifizierbar wäre, geprüft oder gar angewendet. Es wird vielmehr die Ergiebigkeit einer Heuristik erkundet und vorgeführt, die zeigt, dass wir über Städte deutlich mehr (und anderes) wissen können, als sich in generalisierbaren Rastern abbildet. Man nimmt beim Gehen also nicht das Hinweisschild mit, sondern eine methodische Orientierung für unterwegs - und eine Kartierung des Geländes schließt dann eine vom Material her zu findende, sich konkretisierende Arbeits- und Beschreibungssprache ein
Allerdings ist, um im Bild zu bleiben, in unserem Fall eine fachlich gemischte Gruppe unterwegs: insgesamt neunzehn Forscherinnen und Forscher aus Soziologie, Politikwissenschaft, Literaturwissenschaft und Philoso-phie. Die beteiligten Disziplinen bringen wiederum neben ihrem je spezifischen Methodenwissen auch Theoriebestände und begriffliche Präferenzen mit. Zur Problemstellung passt das. Städte sind ein interdisziplinärer Gegenstand, und alles an ihnen bleibt multiperspektivisch. Das gilt erst recht dort, wo man über Städte als relativ - also: im Unterschied zu anderen - unverwechselbare Einheiten Aussagen treffen will. Ein Ganzes ist dieses Ganze ja nie. Wie aber ordnet man zugunsten eines in sich unabschließbaren Gegenstandes die erforderliche Vielheit der disziplinären Perspektiven?
Im Falle der Forschungen, die diesem Buch zugrunde liegen, trat das koordinierte Miteinander der Methodiken und Begriffe als eigenständige Aufgabe neben die Herausforderung der Gegenstandskonstitution - diese Stadt, "Birmingham" etc. - sowie neben die Herausforderungen der (in der Art einer Laborsituation) möglichst strikt zu organisierenden Vergleichbarkeit des Rahmens für die Datenerhebung. Bevor wir auf die Städteauswahl und auf die forschungspraktische Seite des arbeitsteilig auf insgesamt vier Teilfragestellungen gerichteten Forschungsprozesses eingehen, skizzieren wir daher, was "Interdisziplinarität" im Falle des hier vorliegenden, auf kontrastierende Bezüge angelegten Städtevergleichs hieß. Dabei schildern wir zunächst die theoretischen Eckpunkte und die Methoden der beteiligten Perspektiven sowie die Einstiegsbegrifflichkeit, aus denen sich dann erste gemeinsame Arbeitsbegriffe entwickelten.
In der Konstellation der Fächer treffen einerseits klassische Sozialwissenschaften (Soziologie, Politikwissenschaft), andererseits zwei ebenso klassische Geistes- oder auch Kultur- beziehungsweise Textwissenschaften zusammen (Literaturwissenschaft und Philosophie). Ausgehend von einer wissens- und kultursoziologischen Orientierung der soziologischen Seite sowie diskursanalytischen, an Fragen von "Praxeologien" und "Medien" gleichermaßen interessierten Ansätzen in Politikwissenschaft, Literaturwissen-schaft und Philosophie konnten die Theoriehemisphären allerdings vergleichsweise leicht aneinander angeschlossen werden. In Sachen "Stadt" verzichtet auch unser Verbund auf eine formelle Definition. Gleichwohl steht es für uns außer Frage, dass es Städte gibt und dass sich, zumindest für die europäischen Verhältnisse, die Schwellenwerte zur Stadtwerdung feststellen lassen. In Anlehnung an Louis Wirth (1974, orig. 1938) und Helmuth Berking (2013) gehen wir aus von einer (ins raumstrukturelle Sosein der Stadt ein-geschriebenen) konstitutiven Dichte und Heterogenität des städtischen Alltagslebens: Städte sind überdeterminiert, in ihnen überschneiden und überlagern sich auf Fremdheit eingerichtete, eben darin aber auch miteinander kommunizierende Formen. Infolgedessen lassen sich Städte als Sinnhorizonte, als "kumulative Textur" (Suttles 1984; Berking/Schwenk 2011: 21) nicht nur beschreiben, sondern sie werden auch praktisch so genutzt. Dank vielfältiger Formen, vor Ort Bezüge, Unerwartetes und Möglichkeiten frei-zusetzen, kann eine Stadt nicht nur als Resonanzraum für "Gesellschaft", sondern auch als Inkubator generisch sich herausformender Wirklichkeiten funktionieren. Zugleich sind Städte reflexiv, sie sind Knoten-punkte von Symbolisierungen und von Selbstsymbolisierungen (Berking/Frank 2010). Dieser Aspekt spielt für die diskurs- und literaturanalytischen Untersuchungspfade, aber auch für Fraugen etwa nach Bildern und anderen sprechenden Artefakten (Gebäuden, Werbeprodukten, designförmigen Inszenierungen etc.) eine zentrale Rolle.
Grundbegriffe, zwischen denen sich das Netz der Verständigung über den Gegenstand aufspannt, lauten: "Praxis/Praktiken", "Aussage", "Diskurs". Hinzu kommt das, empirisch gesehen, stets paradoxe Faktum der "Singularität" und "Individualität" der Stadt (soll heißen: Städte sind zwar empirisch vielfältig, aber nur als Ganzheit adressierbar, auch an ihren ausgefransten Rändern bleibt diese Stadt eine Stadt) . Desweiteren sind "Wissen", "soziale Konstruktion" beziehungsweise "Formation" und "Konstitution" als Stichworte zentral, mit denen wir uns von allen Naturalismen fernhalten, sowie ? in methodischer Hinsicht ? die Rede von "Unterscheidung/Kontrast" (strikt zu trennen von dem allein der Gegenstandsebene vorbehaltenen Begriff "Differenz"). So, wie wir diese Termini verwenden, verweisen sie insbesondere auf die klassische Phänomenologie, derzufolge Wirklichkeit stets aus (in letzter Instanz: leiblich) sinnhaften Vollzügen und in kollektiven Zusammenhängen erwächst. An zeitgenössischen Autoren sind es Pierre Bourdieu und Michel Foucault, an denen sich unsere Arbeitssprache (oft implizit) orientiert, sowie ? nicht durchgehend, aber vielfach ? Niklas Luhmann, dessen Werkzusammenhang wir weniger als Gesellschaftstheorie denn als Vorlage für eine Vorgehensweise genutzt haben, die sich streng an der konstitutiven Funktion von "Unterscheidungen" orientiert.
Städte sind nicht in allen Fächern gleichermaßen Thema, entsprechend ist die Literaturlage, von der wir ausgehen und auf die wir verweisen, in sich ungleichgewichtig. Wir haben das behutsam zu kompensieren ver-sucht, die Leser werden daher teils nicht überall auf maximal ausgerollte fachinterne Referenznetze, teils auf ungewohnte Sekundärliteratur stoßen. Auch dass sich die Darstellungsüblichkeiten der beteiligten Wissen-schaften unterscheiden, machte sich beim Schreiben dieses Buches zuweilen bemerkbar. Da wir gemeinsame, in Form und Inhalt permanent aufeinander verweisende Ergebnisse präsentieren, kam die Form eines Sam-melbandes mit separaten Aufsätzen nicht in Betracht. In einem Buch mit Kapiteln wiederum müssen sich die Beiträge auch in der Darstellungsweise aufeinander abstimmen. Der strikten Spielregel, Texten kanonische Forschungsstände stets zu Anfang, also gleichsam als Einleitung ins Thema voranzustellen, folgen wir daher nicht und nutzen auch in puncto Literatur die Möglichkeit von kapitelübergreifenden Querverweisen. In Sachen Zitations- und Nachweisdichte - in einigen Fächern würde man im Fließtext Forschungsliteratur sehr umfangreich dokumentieren, in anderen schätzt man Knappheit ? handelten die Autorenteams jeweils einen gewissen Mittelweg aus.
Dass die Startpunkte der beteiligten Disziplinen vergleichsweise stark divergieren, wurde schon gesagt. Ganz kurz versuchen wir, diese zu umreißen. Seit einigen Jahren wird in der deutschsprachigen und interna-tionalen Stadtsoziologie heftig über den Gegenstandsbereich "Stadt" gestritten (vgl. Berking 2013; Siebel 2013; Krämer-Badoni 2011). Auf der einen Seite stehen Vertreter der New Urban Sociology im angloamerikanischen Bereich und der kritischen Stadtforschung im deutschen Sprachraum. Diese Gruppe von Forschern betrachtet "Stadt" als eine räumliche Konkretion allgemeiner gesellschaftlicher Phänomene (Castells 1968; Häußermann/ Siebel 1978; 2004, Kemper/Vogelpohl 2011). Hinter dieser Sichtweise steht die Überzeugung, dass "Stadt" in spätmodernen kapitalistischen Gesellschaften keinen eigenen Gegenstandsbereich der Soziologie (mehr) konstituieren könne: "As the spatial setting of social life becomes almost entirely ›urban‹, the subject matter of urban sociology becomes limitless." (Castells 1968: 56) Entsprechend seien städtische Probleme im Kontext einer allgemeinen Gesellschaftstheorie zu untersuchen. Die Forschungsausrichtung der New Urban Sociology beziehungsweise der kritischen Stadtforschung, Gesellschaft "in der Stadt" (Berking 2013: 225) zu untersuchen, hat in den letzten drei Jahrzehnten nicht nur die deutschsprachige, sondern auch die internationale Stadt- und Raumforschung weitgehend dominiert (Frank u.a. 2013).


Gehring, Petra
Petra Gehring ist Professorin für Philosophie an der TU Darmstadt.

Frank, Sybille
Sybille Frank ist Professorin für Stadt- und Raumsoziologie an der TU Darmstadt.

Haus, Michael
Michael Haus ist Professur für Moderne Politische Theorie an der Universität Heidelberg.

Griem, Julika
Julika Griem, Prof. Dr., lehrte bis 2018 Anglistische Literaturwissenschaft an der Universität Frankfurt. Seitdem leitet sie das Kulturwissenschaftliche Institut Essen.

Sybille Frank ist Juniorprofessorin am Institut für Soziologie an der TU Berlin. Petra Gehring ist Professorin für Philosophie an der TU Darmstadt. Julika Griem ist Professorin für Anglistische Literaturwissenschaft an der Universität Frankfurt. Michael Haus ist Professur für Moderne Politische Theorie an der Universität Heidelberg.


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