E-Book, Deutsch, 192 Seiten
Frank / Graf Lambsdorff Geldgerinnung
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-7398-0339-5
Verlag: UVK
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Wirtschaftskrimi
E-Book, Deutsch, 192 Seiten
ISBN: 978-3-7398-0339-5
Verlag: UVK
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Mord an der Wirtschaftsuniversität
Als Lester Sternberg eines Morgens in die Arbeit kommt, ist nichts mehr so, wie es einmal war. Denn er steht unter dringendem Tatverdacht seinen Chef, Professor van Slyke, ermordet zu haben.
Um seine Unschuld zu beweisen sucht er auf eigene Faust nach dem wahren Täter. Hilfe erhält er von der Studentin Milena – und die kann er sehr gut gebrauchen, denn der Mörder seines Doktorvaters ist nun hinter ihm her. Ist der Grund seine wissenschaftliche Arbeit über die Kritik am Bankensystem? Aber wer würde deshalb töten?
Eine rasante Verfolgungsjagd durch Europa beginnt, bei der einige Banken und ein internationales Forschungsinstitut verwickelt sind. Licht ins Dunkle könnten dabei bekannte Ökonomen bringen. Die sind längst verstorben, aber ihre Ideen sind wichtiger als je zuvor!
"Von Keynes zu Hayek – dieser neuartige Wirtschaftskrimi spannt einen großen Bogen durch die Dogmengeschichte und zeigt, wie aktuell, relevant und mörderisch unterhaltsam Volkswirtschaftslehre sein kann."
Prof. Peter Bofinger, Universität Würzburg & Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
"Keynes wurde seit der Finanzkrise wiederentdeckt – nicht zur Freude aller. In diesem Buch wird daraus ein spannender Krimi. Lesens- und empfehlenswert!"
Prof. Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am DIW Berlin
"Eine ganz andere Art sich der VWL zu nähern - mit Ironie, und eingebettet in einen Krimi."
Prof. Achim Wambach, Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW)
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15. Juli 2016 Zu den vielen vergeudeten Stunden im Leben Lester Sternbergs hatten jene drei gehört, in denen er eine Gardine für sein Schlafzimmer gesucht hatte. Im Baumarkt war er ziellos zwischen den Angeboten entlanggeschlendert, hatte Bambusrollos betastet, Laufrollen für Gardinenschienen mit Innenlauf in den Händen gewogen, Teleskopstangen aus ihren Fächern gezogen, hatte alles betrachtet und die Entscheidung reifen lassen, sich weiterhin von der Sonne wecken zu lassen. In seinem Studium hatte er gelernt, die Entscheidungen anderer zu verstehen – Macher, Mächte und Märkte zu untersuchen. Er selbst hatte sich nicht einmal zwischen Raffrollos, Plissees und Gardinen an ein- und mehrläufigen Stangen entscheiden können, und das bedauerte er jeden Morgen, wenn die ersten Sonnenstrahlen viel zu früh durch die Schlieren und Streifen seines ungeputzten Schlafzimmerfensters drangen. Lester zog sich die Bettdecke über den Kopf, drückte sich das Kissen auf die Augen und versuchte, in der stickiger werdenden Luft weiter zu schlafen, aber so war er nicht entspannter als ein Kaninchen, das ein Loch gefunden hat, in dem es sich vor dem Fuchs versteckt. Dazu fiel ihm sein Vater ein, der ihn früher immer geweckt hatte, indem er ihn an der Fußsohle kitzelte und eine Geschichte vom Kille Kille Kaninchen erzählte, selbst später noch, als Lester längst aus dem Alter heraus war. Sein Vater hatte dann die Gardinen aufgezogen und den Tag begrüßt. So lange er das noch konnte. Nach diesem morgendlichen Ritual war der Schweißwerkmeister um 7:45 Uhr aus dem Haus gegangen, das er, Lester, vor zwei Jahren verlassen hatte. Lester stand auf und torkelte zum Badezimmer, noch etwas benebelt und ohne Verbindung zwischen seinem Gleichgewichtssinn und seinen Füßen, die im 3/4-Takt schlurften. Seine Gangart war immer etwas bedächtiger als das Tempo seiner Umwelt. Er konnte auch schneller rennen und hatte sich sogar in die Sprintstaffel seiner Schule nötigen lassen. Aber er sah es nicht ein, sich zu hetzen. Langsam kam er auch immer ans Ziel. Außerdem vertrat er die Ansicht, dass die meisten gutmütigen Menschen etwas langsamer sein müssten. Die Augen noch halb geschlossen, schaute er in den Spiegel und entschied, vom Fünf-Tage-Bart drei Tage wegzunehmen. Das müsste genügen. Es war nicht das Aussehen, das ihm wichtig war, sondern der Kompromiss zwischen Ordnung und Schmuddeligkeit. Seine Haare wusch er täglich, aber dafür ließ er sie länger wachsen. Er trug ohnehin immer eine Baseballmütze darüber. Den Gang zum Friseur vertagte er genauso wie den Kauf der Gardinenstangen. Zurück im Schlafzimmer öffnete er seinen Laptop. Wer zu früh aufsteht, kann auch gleich etwas Sinnvolles tun, dachte er. Das Fehlen der Gardinen mag vielleicht auch Vorteile mit sich bringen. Die frühen Sonnenstrahlen hatten ihn gezwungen, seinem Leben etwas mehr Ordnung zu geben, mehr Zeit für sein Studium aufzubringen, ein paar ordentliche Noten zu bekommen und sogar eine Stelle als Doktorand. Die Lüftung seines Laptops setzte sich surrend in Bewegung. Das Verzeichnis mit seiner Masterarbeit prangte ganz allein in der Mitte des Bildschirms. Seit er die geschrieben hatte, kannte er die intellektuelle Unruhe, die wissenschaftliche Neugier, den Wunsch, etwas herauszufinden und die Sache auch wirklich zu Ende zu bringen – was hieß, morgens aufzustehen und zu schreiben. Da könnte in der Welt etwas ziemlich schief laufen und er, Lester, könnte das entdeckt haben. Er ahnte nicht, dass genau deswegen Menschen sogar morden. Kein Zweifel, das Messer war stumpf. Petersen zog es aus dem Fleisch und fuhr ärgerlich mit dem Daumen über die Klinge. „Ist egal“, sagte van Slyke, „das Schwein spürt nichts mehr.“ „Weißt du’s?“ Petersen kraulte sich den kurzgeschnittenen Kinnbart, als ob er so seine Gedanken besser ordnen könnte, und umfasste das Messer nun mit der ganzen Faust. „Auch post mortem soll man doch noch einiges mitbekommen. Ich stech lieber nochmal rein.“ Van Slyke spitzte den Mund, wie er es gerne tat, wenn ihn ein Anflug von Zynismus überfiel. „Da hatte diese Kreatur schon ein unglückliches Leben, und du widmest dich noch der Leichenschändung.“ Er schaute sich in alle Richtungen um und stellte fest, dass sie nicht beobachtet wurden. „Was die interessante Frage aufwirft, ob Leichenschändung den Tatbestand der Beteiligung an Mord erfüllt.“ Es knirschte, als Petersen das Messer ruckartig hin- und herbewegte. „Einerseits liegt der Todeszeitpunkt vor meiner Tat, andererseits wurde dieses Schwein nur zu meinem Vergnügen getötet, da spielt der Todeszeitpunkt für die Schuldfrage keine Rolle.“ „Öäh“, van Slyke stöhnte und schaute auf die freigelegte Rippe und das abgetrennte Stück Fleisch. „In einem anständigen Handwerksberuf wärst du wirklich gescheitert.“ Missbilligend sah er Petersen über seine randlose Brille an. Die runden Gläser waren aus der Mode gekommen, so wie van Slyke es haben wollte. Ein Fels in der Brandung wollte er sein und den anrollenden Wellen widerstehen, bei der Mode wie in der Wissenschaft. Er sah sich gerne als abstrakten Denker mit unerschütterlichen Prinzipien. Andere sahen ihn als Langeweiler, und seine Spitzfindigkeit hatte van Slyke den Ruf eingebracht, ein Spielverderber zu sein. „Na klar, da spricht jetzt der moralisch überlegene Vegetarier,“ sagte Petersen. „Aber bedenke, dass du Mitwisser bist und die Tat nicht verhindert hast. Mitgefangen, mitgehangen.“ Der beständige Lärm der Unterhaltungen, versehen mit einigen Akzenten von klapperndem Geschirr und kratzendem Besteck, füllte die Mensa der Concordia-Universität. Die Sichtbetonwände waren mit Bildern einer Ausstellung behängt. Sonnenlicht drang von einer Seite herein, zu wenig, so dass künstliche Beleuchtung die hinteren Tischreihen erhellen musste. Handzettel zu studentischen Veranstaltungen lagen achtlos durch Saucenreste geschoben auf den Tischen herum. Eine Schlange von fertigen Essern stand vor einem Laufband, um Plastiktablette, Teller und Gläser abzugeben und die Servietten in Papiermülltonnen zu werfen. Hungrige verließen die Essenausgabe, suchten nach freien Plätzen und passenden Sitznachbarn. Drei Studenten standen am Ende des langen Tisches, an dem van Slyke und Petersen saßen; vier Stühle waren frei, aber sie suchten lieber einen anderen Platz. Doch nicht alle kannten Professor Petersen und Professor van Slyke. „Hey, darf ich mal das Salz von euch ... Ihnen ...“ Die Köpfe der beiden Streiter wandten sich einer Studentin zu. Petersen machte eine ungeduldige, abwehrende Handbewegung, mit der er auch eine Fliege hätte verscheuchen können, während van Slyke der Störerin mit übertrieben freundlichem Blick den Salzstreuer reichte. Mit dem Salz und mit hochgezogenen Augenbrauen und schielendem Blick zog sich die Studentin zurück. „Vor Studenten und Schlachtvieh hast du ungefähr gleich viel Respekt“, stellte van Slyke fest. Auf seine Einstellung zu Studenten war er immer stolz gewesen. Sie könnten die Welt eines Tages zum Besseren wandeln. Gegenüber der außeruniversitären Arbeitswelt hatte er hingegen eine Abneigung entwickelt. Vor ein paar Jahren war ihm eine wichtige Tätigkeit in einem Ministerium angeboten worden. Aber van Slyke genoss die langsamere akademische Gangart, bei der man jeden Gedanken bis zu Ende denken konnte. Und in einem Ministerium hätte er zu viele Leute siezen und seinen Schreibtisch aufräumen müssen. Außerdem hätte dann eine achtsame Ehefrau sein zerschlissenes Tweedjacket und die fast bis zum Bauchnabel reichenden Cordhosen in die Altkleidersammlung geben müssen. Was nicht gut möglich war, denn van Slyke hatte nie geheiratet. „Nun komm schon, Willem“, versuchte Petersen den Missklang zu vertreiben, „obwohl du in alter 68er-Manier dich schnell mit allen verbrüderst, sollen sie deine fachliche Autorität umso stärker respektieren. Du lässt doch jeden deine Erfahrung aus 25 Dienstjahren spüren. Ein Suppenhuhn findet mehr Gnade vor deinen Augen als ein schlechter Student.“ Van Slyke wandte sich wieder seiner mit Fleischersatz gefüllten Kohlroulade zu. Seine rechte Hand führte das Messer wie ein Geiger den Bogen. Weich legten sich seine langen Finger um den Griff. Jeder Schnitt wie eine geschwungene Welle, die Anteile an Kohl und Soja ordentlich gemäß der Gesamtmenge austariert. Seine Mahlzeiten behandelte er mit der Hingabe, die sonst seinen Büchern galt. Mit dem Rhythmus, mit dem er sonst einen Fachartikel las und auswertete, kaute er die aromatisierte Pilz- und Selleriemischung und schluckte sie hinunter. Petersen trennte mit hohem Kraftaufwand ein Stück von dem zu hart gebratenen Kotelett ab. „Wobei mir zu Huhn einfällt, dass das Hühnerfrikassee gestern ordentlich war. Nicht in den Mensapfannen gebraten. Von glücklichen Hühnern. Glücklich gelebt, glücklich gestorben, gut geschmeckt.“ „Glücklich gestorben? Was verstehst du unter glücklich sterben?“, fragte van...