Frank / Heinzer / Denzler | Wölfe in der Schweiz | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 208 Seiten

Frank / Heinzer / Denzler Wölfe in der Schweiz

Eine Rückkehr mit Folgen
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-03919-990-7
Verlag: Hier und Jetzt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Eine Rückkehr mit Folgen

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

ISBN: 978-3-03919-990-7
Verlag: Hier und Jetzt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Vor mehr als 25 Jahren sind die ersten Wölfe nach langer Abwesenheit wieder in der Schweiz gesichtet worden. Die Irritationen in der Berglandwirtschaft waren gross. Und bis heute wird kontrovers diskutiert, ob der Wolf oder auch andere Raubtiere hier wieder ein Existenzrecht haben sollen. Umso mehr, als sich mittlerweile über hundert Tiere, teils in Rudeln, in verschiedenen Teilen des Landes etabliert haben und immer öfter auch im Mittelland und im Jura gesichtet werden. Der Wolf polarisiert. Die Autoren haben sich mit Wildhütern, Behörden, Fachstellen und Nutztierhaltern ausgetauscht. Ihr Buch lotet die vielschichtigen, sich verändernden und oft verborgenen Beziehungen zwischen Menschen und wilden Tieren aus. Es erkundet nicht die wildtierbiologischen Aspekte des Wolfs, sondern beleuchtet Fakten und Emotionen. Damit trägt es zum besseren Verständnis der Konflikte rund um das Nebeneinander von Mensch, Nutztier und Wolf bei.

Elisa Frank und Nikolaus Heinzer haben am Institut für Sozialanthropologie und Empirische Kulturwissenschaft der Universität Zürich zur Rückkehr der Wölfe geforscht. Lukas Denzler ist Forstwissenschaftler und Geschäftsführer des Schweizerischen Forstvereins. Bernhard Tschofen ist Kulturwissenschaftler und Ethnologe. Er lehrt und forscht an der Universität Zürich.
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Bernhard Tschofen


Die Rückkehr der Wölfe als Kulturthema. Eine Einleitung


Dieses Buch folgt der Fährte eines Tiers. Es nimmt seine Spur auf und beobachtet seinen Platz in verschiedenen Habitaten. Es verfolgt, wo dieses Tier vorbeikommt, bietet Panoramen seiner Räume, zeigt Wege und Orte und «zoomt» gelegentlich auch ganz nahe heran, es fokussiert auf Ausschnitte und zeigt Details. Und dennoch ist es kein naturkundliches Buch, sein Zugang unterscheidet sich grundlegend von Büchern oder Fernsehsendungen, die sich mit der heimischen Natur und ihren Wildtieren beschäftigen.1 Dieses Buch verfolgt vielmehr die Spuren eines Tiers in der Gesellschaft, genauer des Wolfs in der Schweiz, und interessiert sich für die kulturellen Umgangsweisen mit dessen Rückkehr seit Mitte der 1990er-Jahre. Mit seiner zunächst zögerlichen, in den vergangenen Jahren aber unaufhaltsamen Etablierung begann der Wolf auch seinen Platz in der sozialen Welt zu reklamieren.

Die Zahl der dauerhaft in der Schweiz lebenden Wölfe ist mittlerweile dreistellig, die der Rudel zweistellig. Diese Zahlen mögen, so wenig dieses Buch seine Zugangsweisen an ihnen festmachen will, gemessen an den Beständen anderer Wildtiere gering erscheinen, gemessen am Anspruch der Menschen, über andere Arten, ihre Präsenz und Bestände nahezu unbeschränkt verfügen zu können, sogar verschwindend gering. Nimmt man aber die Spuren in den Blick, die diese vergleichsweise wenigen Tiere in den vergangenen Jahren in den Vorstellungs- und Lebenswelten der Schweizer Bevölkerung und in der Folge in Politik und Öffentlichkeit dieses Landes hinterlassen haben, ergibt sich ein gänzlich anderes Bild. Die Rückkehr der Wölfe hat, so unbemerkt sie sich de facto für viele vollzogen hat, zumindest für Irritationen gesorgt. Sie hat Selbstverständlichkeiten in Frage gestellt und Konfliktlinien aufgebrochen, die zum einen unmittelbar mit der Lebensweise dieses Grossraubtiers zu tun haben, zum anderen mittelbar und oftmals nur kulturell vermittelt durch seine Präsenz erst sichtbar und spannungsgeladen werden konnten.

Dies ist in etwa das Feld, in dem sich dieses Buch bewegt und das es in seinen zahlreichen Widersprüchen zu verstehen helfen möchte. Es ist aus einem vom Schweizerischen Nationalfonds 2016–2019 geförderten Forschungsprojekt «Wölfe: Wissen und Praxis» hervorgegangen, das die Wiederkehr der Wölfe in der Schweiz erstmals als kulturellen Prozess untersucht hat. Ihm ging es nicht um biologische Vorgänge oder die ökologischen Bedingungen und Folgen der Eingliederung der geschützten Grossraubtiere in unserem Raum, sondern um die gesellschaftlichen Umgangsweisen mit diesen Veränderungen und damit darum, wie sich die Beziehungen der Menschen nicht allein zu den lange abwesenden Wölfen, sondern auch zu anderen Nutz- und Wildtieren und der Menschen untereinander formen und wandeln. Das Projekt versuchte damit zugleich ein erweitertes Konzept von «Wolfsmanagement» vorzuschlagen, verstanden als breit gelagerte Formen sozialer Praxis, ihrer kulturellen Grundierungen und Ausdrucksmodi.2 Es rückte damit bewusst Dimensionen alltagsweltlicher und politischer Denk- und Handlungsweisen ins Zentrum, die im klassischen Verständnis von Wildtiermanagement, wie es im Anschluss an den in den USA der Zwischenkriegszeit geprägten, primär ressourcenorientierten Begriff des oder geformt worden ist, weitgehend ausgeblendet bleiben. Diesen Ansatz hat auch die generelle, auf einen Dialog mit dem Feld und seinen heterogenen Akteuren zielende Ausrichtung des Projekts verfolgt – etwa in den (mit-)kuratierten Ausstellungen «Der Wolf ist da» (Bern, Brig, Luzern, Zernez, Chur) und «Von Menschen und Wölfen» (Hamburg), in denen die zahlreichen Widersprüche, ungleichen Machtverhältnisse und kulturell situierten Wahrheiten im Umgang mit dem Wolf einer breiteren Öffentlichkeit zur Diskussion gestellt wurden.3

Indirekt sind die Forschungen des Projekts aber dann doch wieder zu Arbeiten über Natur und Wildnis geworden, nämlich weil sie exemplarisch untersuchen und zeigen konnten, in welchem dynamischen Verhältnis Natur und Kultur generell stehen und wie sehr Wildnis eine kulturelle Kategorie ist, die nicht natürlich definiert ist und für die auch kein allgemeingültiges Verständnis vorausgesetzt werden kann. Selbst was ein Wolf ist, was ihn genetisch ausmacht und was als «wölfisch», also der Art entsprechend, oder als «unwölfisch» gilt, ist nicht von vornherein klar. All dies ist nicht gegeben, sondern Gegenstand von Aushandlungen, bei denen kulturelle Positionen eine zentrale Rolle spielen. Der jüngst in Graubünden erfolgte Abschuss eines sogenannten Hybriden ist nur ein Beispiel dafür: Das Tier war einerseits nicht Wolf genug, um dessen absoluten Schutz zu geniessen, andererseits machte der Abschuss das Spannungsfeld zwischen der biologischen Vorstellung eines genetischen Kontinuums und einer gesetzlich festgelegten Grenze zwischen Wolf und Hund deutlich.

Die Spuren des Wolfs führen solchermassen durch sehr unterschiedliche Felder. Dem trägt dieses Buch in seiner Konzeption Rechnung, indem es die Ausbreitung der Wölfe nicht als ein Kontinuum in Raum und Zeit zu rekonstruieren versucht, sondern entlang eines Zeitstrahls von knapp drei Jahrzenten jeweils räumliche und thematische Akzente setzt. So widmen sich die drei grossen, von Elisa Frank und Nikolaus Heinzer auf der Grundlage der im genannten Projekt entstandenen Dissertationen verfassten Kapitel zunächst den primär mit dem Wallis verbundenen Anfängen der etappenweisen Wiederkehr und gesellschaftlichen Wahrnehmung dieser Tatsache. Im zweiten Kapitel stehen mit dem ersten, seit 2012 im Calandagebiet nahe Chur nachgewiesenen Rudel regional Graubünden und St. Gallen und thematisch die Administration und Aushandlung der durch das Auftreten der Wildtiere irritierten Ordnungen von Natur und Kultur im Zentrum. Das dritte Kapitel verlässt schliesslich – nach einigen beispielhaften Inspektionen in den politisierten Feldern der Alpwirtschaft und des Herdenschutzes – das unmittelbar «betroffene» Berggebiet und beschäftigt sich mit den jüngsten Konflikten und Bemühungen um die Koexistenz von Mensch und Tier auf den politischen Bühnen der föderalen Schweiz. Wie sich zeigt, geht es dabei aber um weit mehr: um Perspektiven für ein Nebeneinander von Landwirtschaft und Naturschutz, ein Miteinander von Stadt und Berggebiet, um Fragen nach einem zeitgemässen gesellschaftlichen Umgang mit Natur und mit nicht immer gänzlich zu kontrollierenden «wilden» Rückkehrern – und vielleicht auch um den Zusammenhalt der Schweiz, jedenfalls so etwas wie ihren identitätsstiftenden «Kitt».

Unterbrochen werden diese ethnografisch-kulturwissenschaftlichen Tableaus von knappen historischen und ökologischen Einschüben, für die Lukas Denzler verantwortlich zeichnet. Sie fassen überblicksartig Fakten zum Status des Wolfs von der Ausrottung bis zur Unterschutzstellung zusammen und beleuchten kontrastierend den Kontext der beiden anderen hierzulande relevanten Grossraubtiere Luchs und Bär. Ein Anhang liefert – verstanden als Lesehilfe für die mehr erzählerische Grundausrichtung dieses Buches – die wichtigsten Daten in übersichtlicher Form. Auch die Bebilderung folgt dem Grundsatz der Vielstimmigkeit, die sowohl dem Gegenstand als auch dem hier verfolgten Verständnis von Wissenschaft in Gesellschaft geschuldet ist: Neben bewusst reduziert und einfarbig wiedergegebenen Illustrationen mit vorwiegend dokumentarischem Charakter stehen Bildstrecken, die auch atmosphärisch in die beschriebenen kulturellen Szenen einführen wollen.

Schliesslich kommt in dem Band nicht nur die Wissenschaft zu Wort, sondern mit der Literatur auch jenes gesellschaftliche Feld, das von Anbeginn an besonders sensibel die Wiederkehr der Wölfe in Europa begleitet hat – gerade auch mit Blick auf die metaphorischen Dimensionen der sozialen Auseinandersetzung mit irritierender «Wildnis». Die Schriftstellerin Gianna Molinari, deren für den Schweizer Buchpreis 2018 nominierter Roman «Hier ist noch alles möglich» bereits der Spur des Wolfs in einer spätmodernen und krisengeschüttelten Welt gefolgt war, hat dem Band den eigens verfassten literarischen Epilog «Wege des Wolfs» beigesteuert – ein bewusster Hinweis nicht zuletzt darauf, dass auch künstlerische Annäherungen an das brisante Thema Erkenntnis generieren können und solches Wissen auch wieder auf die Vorstellungen und Positionen der auf diese oder jene Art «Betroffenen» zurückwirkt.

1Zu Wölfen in der Schweiz in den letzten Jahren u. a. erschienene Publikationen: Baumgartner, Hansjakob; Gloor, Sandra; Weber, Jean-Marc; Dettling, Peter A. (Fotografien): Der Wolf. Ein Raubtier in unserer Nähe. Bern 20112. Dettling, Peter A.: Wolfsodyssee. Eine Reise in das verborgene Reich der Wölfe. Thun 2020. Stiftung KORA: 25 Jahre Wolf in der Schweiz. Eine Zwischenbilanz (KORA Bericht Nr. 91). Muri 2020.

2Vgl. Fenske, Michaela; Tschofen, Bernhard...


Heinzer, Nikolaus
Elisa Frank und Nikolaus Heinzer haben am Institut fu¨r Sozialanthropologie und Empirische Kulturwissenschaft der Universität Zu¨rich zur Ru¨ckkehr der Wölfe geforscht.

Tschofen, Bernhard
Bernhard Tschofen ist Kulturwissenschaftler. Er lehrt und forscht an der Universität Zu¨rich und ist Ko-Leiter des Instituts für Sozialanthropologie und Empirische Kulturwissenschaft ISEK.

Molinari, Gianna
Gianna Molinari ist Schriftstellerin in Zürich, Teil des Autorinnenkollektivs RAUF und hat in ihrem ersten Roman den Wolf zum Thema gemacht ("Hier ist noch alles möglich", Berlin 2018).

Frank, Elisa
Elisa Frank und Nikolaus Heinzer haben am Institut fu¨r Sozialanthropologie und Empirische Kulturwissenschaft der Universität Zu¨rich zur Ru¨ckkehr der Wölfe geforscht.

Denzler, Lukas
Lukas Denzler ist Forstingenieur, freier Journalist und seit 2021 Geschäftsfu¨hrer des Schweizerischen Forstvereins.



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