E-Book, Deutsch, 242 Seiten
Franke / Plötner Rekonstruktion und Erneuerung
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-8233-0367-1
Verlag: Narr Francke Attempto Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die neue Lehrwerkgeneration als Spiegel fremdsprachendidaktischer Entwicklungen
E-Book, Deutsch, 242 Seiten
Reihe: Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik
ISBN: 978-3-8233-0367-1
Verlag: Narr Francke Attempto Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Aktuelle Lehrwerke für den Fremdsprachenunterricht sollen (und wollen) den Anforderungen des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen, der Kultusministerkonferenz sowie Prinzipien der neokommunikativen Methode gerecht werden. In den letzten Jahren werden zudem Bedarfe an globaler Bildung und rassismus- und diskriminierungsfreien Inhalten sowie Wünsche nach digitalen Lösungen an das Lehrwerk herangetragen. Die Beiträge des Sammelbandes untersuchen die Konzeptionierung von Lehrwerken und den Einsatz derselben aus synchroner und diachroner Perspektive.
Dr. Manuela Franke ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für die Didaktik der romanischen Sprachen, Literaturen und Kulturen an der Universität Potsdam.
Prof. Dr. Kathleen Plötner ist Inhaberin des Lehrstuhls für die Didaktik der romanischen Sprachen, Literaturen und Kulturen an der Universität Potsdam
Autoren/Hrsg.
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2 Bewertungsgrundlage: Forschungsstand zur Aussprachedidaktik
Als Grundlage für die Bewertung der Analyseergebnisse werden im Folgenden zunächst die wichtigsten Ansprüche an eine gelingende Aussprachedidaktik im Überblick zusammengetragen. 2.1 Aufbrechen der Strukturen der L1 durch bewusstes und häufiges Hören und darauf aufbauendes Sprechen Dem bewussten und aufmerksamen Hören kommt in der fremdsprachlichen Aussprachevermittlung eine besondere Rolle zu, denn erst durch ausreichend umfangreiche und systematische Höreindrücke können Lernende überhaupt in die Lage versetzt werden, neue kognitive Kategorien im Bereich der Aussprache zu erwerben (Kaunzner ²2017: 5-6). Grund hierfür ist, dass die phonologischen Kategorien der L1, die während des Erstspracherwerbs erworben werden, kognitiv besonders fest verankert sind. Da durch direkte Vergleiche neue Laute besser wahrgenommen und erfasst werden können, „[…] spielen diskriminatorische Übungen zur Sensibilisierung […] (le vent – le vin) […] eine wichtige Rolle“ (Nieweler 2017: 119, cf. auch Dieling & Hirschfeld 2000: 49-50). Das aufmerksame Hören sollte aus diesen Gründen am Beginn der Aussprachevermittlung stehen (ebd., Hirschfeld 2011: 13-14, Mordellet-Roggenbuck 2005: 17-18). Es ist darauf zu achten, dass zu denselben Ausspracheproblemen sowohl Hörübungen als auch Sprechübungen angeboten werden und die Sprechübungen auf den Hörübungen aufbauen (Dieling & Hirschfeld 2000: 48, Göbel & Graffmann 1977: 3-6). Da die Veränderung stark verfestigter neuronaler Netzwerke und motorischer Bewegungsmuster sehr anstrengend ist, sollten Lerneinheiten zur Aussprache kurz und häufig sein und ausreichend Wiederholungen enthalten; dies bedeutet konkret, dass Ausspracheübungen nicht eine ganze Unterrichtseinheit, sondern nur kurze Teile dieser einnehmen, dafür jedoch in mehreren Unterrichtseinheiten aufgegriffen werden sollten (Hirschfeld 2000: 15, Kaunzner ²2017: 7, Cauneau 1992: 21, Göbel & Graffmann 1977: 3). 2.2 Die Bedeutung von Suprasegmentalia Unter Suprasegmentalia werden im Folgenden lautliche Phänomene verstanden, die den Einzellaut überschreiten. Dazu zählen hier Prozesse zwischen Lauten und Silben, Wort-/Phrasenakzent (Betonung bestimmter Silben im Wort oder in der Wortgruppe) und Intonation. Sprachwahrnehmung verläuft über zwei Wege, den Weg top-down (es wird zunächst eine Gesamtbedeutung wahrgenommen, die im zweiten Schritt mit Details ausgefüllt wird) und den Weg bottom-up (Einzelbestandteile einer Äußerung werden zu einer Gesamtbedeutung zusammengeführt) (Barattelli & Schade 2003: 86). Bedeutung wird also immer in entscheidendem Maß auch über Rhythmus und Satzmelodie vermittelt. Auf dieser Erkenntnis aufbauend, schlussfolgern einige Autor:innen, dass es sinnvoll ist, suprasegmentale Phänomene in der Aussprachevermittlung möglichst früh, bereits vor der Beschäftigung mit einzelnen Lauten, anzusetzen. Mordellet-Roggenbuck (2005: 23-24) wählt die Prosodie als ersten Gegenstand der Aussprachevermittlung im Französischunterricht: Pourquoi […] placer ce chapitre [sur la prosodie] en début de cours ? D’une part, parce que les faits prosodiques sont décisifs pour la compréhension et pour la prononciation de l’énoncé oral. Klimow […] va même jusqu’à affirmer que la prosodie de la langue prédestine l’articulation. Ainsi, dit-il, si la prosodie en cours de langue étrangère est bien mise en place dès le début de l’enseignement, l’articulation des sons suivra automatiquement. […] Cauneau (1992: 36-37) berichtet vom Erfolg eines solchen Ansatzes im Rahmen der verbo-tonalen Methode von Guberina: Auf der Suche nach einer Verbesserung der Ausspracheschulung beobachtete [Prof. Guberina] Schauspieler einer französischen Theatertruppe […] Mit seinen Mitarbeitern achtete er besonders auf Intonation, Rhythmus und Körpersprache der Schauspieler. […] Er ermunterte seine Studenten zur Nachahmung – mit Erfolg; sie bekamen tatsächlich eine bessere Aussprache. Von da an wurden Intonation, Rhythmus und Körpersprache wichtige Elemente in der Ausspracheschulung. […] Dieling & Hirschfeld (2000: 32) argumentieren, dass „erfahrungsgemäß […] Artikulationsabweichungen vom Hörer viel eher verarbeitet und auch viel eher toleriert [werden] als Verstöße gegen den Sprechrhythmus, gegen den Wort- und Satzakzent oder falsche melodische Muster“. Auch Reimann (2016: 37-38) und Hirschfeld (2011: 15) erwähnen die Wichtigkeit einer frühen Vermittlung prosodischer Kompetenz. Allerdings verläuft die Aussprachevermittlung heute meist entgegengesetzt. Erst sind Einzellaute und danach – wenn sie nicht vollständig weggelassen werden – prosodische Phänomene Gegenstand der Ausspracheschulung (Mordellet-Roggenbuck 2005: 23, Dieling & Hirschfeld 2000: 32). Grund hierfür ist vermutlich, dass die Realisierung prosodischer Elemente als für zu schwierig für das Anfänger:innenniveau angesehen wird: „L’expérience montre que la prononciation en groupes rythmiques est une des grandes difficultés des débutants en français“ (Mordellet-Roggenbuck 2005: 38). Übersehen wird jedoch, dass – abgesehen von den oben genannten Vorteilen des frühzeitigen Vermittelns prosodischer Strukturen – das Hörverstehen zumindest in Französisch entscheidend behindert wird, wenn prosodische Phänomene nicht von Anfang an eingebunden werden: […] l’auditeur de langue maternelle française orientera son écoute vers la fin du groupe rythmique porteur de l’accent alors que le germanophone ‘attend’ des proéminences actuelles pour chaque mot et sera dérouté de ne pas les trouver en français s’il n’y est pas préparé (Mordellet-Roggenbuck 2005: 34). Mordellet-Roggenbuch schlägt deswegen vor, prosodische Strukturen im Anfänger:innenunterricht zu vermitteln durch häufiges aufmerksames Hören verschiedenster Hörtexte aus diversen Medien (Mordellet-Roggenbuck 2005: 34), durch einfache, kurze Wortgruppen wie ça va, ça va très bien, elle est là, ils ont seize ans (Mordellet-Roggenbuck 2005: 38) und durch eine Konzentration auf die Grundschemata der Intonation unter Vermeidung der individuellen und expressiven intonatorischen Mittel (Mordellet-Roggenbuck 2005: 36). 2.3 Beachten von psychologischen Barrieren Gerade im Bereich der Ausspracheschulung muss beachtet werden, dass der Erwerb einer neuen Aussprache in vielfältiger Weise auf psychologische Barrieren treffen kann, beispielsweise können öffentliche Ausspracheübungen als peinlich erlebt werden (Hirschfeld 2011: 13, Dieling & Hirschfeld 2000: 63, Mertens 2011: 67). Eine der Lösungen, die für dieses Problem gesehen wird, ist das Gestalten von Ausspracheübungen als Spiel (cf. Dieling & Hirschfeld 2000: 64). 2.4 Die Rolle der Imitation (Zuhören und Nachsprechen) in der Ausspracheschulung Mertens (2011: 67-68) fand in seiner Befragung von Studierenden zu ihrem schulischen Französischunterricht unter anderem heraus, dass die Imitation in der Aussprachevermittlung eine große Rolle spielt. Er beurteilt dies größtenteils negativ, indem er klarstellt, dass der Imitation ein behavioristischer Lernbegriff zugrunde liegt, und indem er Imitation mit „der impliziten, beiläufigen Arbeit an der Aussprache“ in Verbindung bringt (Mertens 2011: 67). Das Problem an der Imitation ist weniger der methodische Ansatz der Imitation an sich, sondern ihr ausschließlicher, unreflektierter und ungezielter Einsatz (Dieling & Hirschfeld 2000: 56). Ein Imitationsauftrag setzt nämlich mehrere Kompetenzen voraus: erstens, das genaue Hören und zweitens, die präzise Steuerung der Sprechwerkzeuge (Dieling & Hirschfeld 2000: 56). Um eine erfolgreiche Imitationsleistung zu erzielen, sollte zunächst das genaue Hören geübt werden (siehe Kap. 2.1.). Auch sollte die Aussprachevermittlung nicht bei der Imitation stehen bleiben, sondern mit produktiven und angewandten Sprechübungen fortfahren, wie es z. B. das Konzept von Dieling & Hirschfeld (2000: 57-62) vorsieht. 2.5 Die Rolle kognitivierender Vermittlung Mehrere Autor:innen heben hervor, dass Kognitivierung den Ausspracheerwerb erleichtern und beschleunigen kann. Grünke (2019: 43-44, 52) fand in seiner Untersuchung zum Erwerb der spanischen Spiranten [ß, ð, ?] heraus, dass die Bewusstmachung einen positiven Einfluss auf den Erwerb der Spiranten hatte oder sogar ein ausschlaggebender Punkt für den Erwerbsfortschritt war. Für Kaunzner (2017³: 6) ist das Wechselspiel von imitativem und kognitivem Lernen wichtig. Für Reimann, der der Kognitivierung viel Raum in seiner Konzeption einer Ausspracheschulung einräumt, ist das Wechselspiel von „Kognition bzw. Kognitivierung, Emotion (affektive Komponente der Aussprache) und Motorik (Zunge als Muskel, Trainingsbedarf!)“ zentral (Reimann 2016: 38). Göbel & Graffmann (1977: 3) sehen die Bewusstmachung des relevanten Aussprachephänomens als Voraussetzung für eine gelingende Vermittlung an. Dieling & Hirschfeld (2000: 35-36) erläutern, dass kognitivierende Vermittlungsformen besonders für ältere Schüler:innen sinnvoll sind, während jüngere Schüler:innen oft noch relativ viel Fortschritt durch Imitation machen können. Mordellet-Roggenbuck (2005, 16) weist allerdings aufgrund ihrer „observations pratiquées en classe de français...