E-Book, Deutsch, 384 Seiten
Franke Sommernerdstraum
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-641-19999-9
Verlag: cbt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 384 Seiten
ISBN: 978-3-641-19999-9
Verlag: cbt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Rubys Sommer ist etwas ganz Besonderes: Eine Woche zelten mit ihren Freunden im Nirgendwo, sich in fantastische Abenteuer stürzen und einmal jemand anderes sein – oder in ihrem Fall ganz sie selbst. Lady Ruby, die starke, beliebte Anführerin ihres Rollenspiel-Teams. Aus Not an Mitspielern lädt sie den Gamer Ben ein, der Gefallen an ihrem bisher geheim gehaltenen Hobby findet. Oder doch an Ruby selbst? Und dann taucht auch noch ihr Ex Henrik auf, mit dem Ruby noch eine Rechnung offen hat.
Ein Sommer, ein schräges Mittelalter-Kostüm-Event und eine überraschende Liebe.
Autoren/Hrsg.
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2. Kapitel
»Fertig sieht definitiv anders aus«, stellte Ruby fest, als sie mit Isabel zu ihrem Zeltplatz zurückkehrte. Immerhin besaß Merlins Zelt nun die richtige Grundform, selbst wenn eine Stange quer nach oben herausragte. Merlin betrachtete sein Werk so konzentriert, als müsste er dafür Planetenumlaufbahnen berechnen.
»Ihr habt eine Ewigkeit gebraucht«, murrte er.
»Ach, es gab eine Schlange bei der Anmeldung«, meinte Isabel schnell, bevor Ruby antworten konnte. Daher gab sie sich Mühe, kein betroffenes Gesicht zu zeigen.
»Jemand Bekanntes getroffen?«, hakte Merlin trotzdem nach.
»Nur die üblichen Verdächtigen.«
Merlin verengte die Augen einen Moment zu Schlitzen, als er den Hinweis verstand. »Muss echt langweilig gewesen sein, wenn Isabel Zeit hatte, dir eine andere Frisur zu verpassen.«
Schnell suchte Ruby eine Ablenkung, ihr Blick fiel auf das ordentlich aufgebaute Zelt neben Merlins Chaosprojekt. »Aber Ben hat es geschafft.«
Tatsächlich saß er vorm Eingang seines Zeltes und tippte auf seinem Tablet herum. Nur kurz blickte er auf und meinte: »Der große Zauberer hat meine Unterstützung verschmäht.«
Ruby schenkte ihm ein Lächeln und beugte sich über ihn, um zu sehen, was er spielte. Zu ihrer Überraschung las Ben ein Buch, doch er drehte rasch das Display von ihr weg.
»Du hast wohl einen Fahnenmast mit eingebaut«, scherzte Isabel und schnippte gegen Merlins wackelige Konstruktion.
»Nicht lustig.«
»Jetzt ärger ihn nicht unnötig«, schlichtete Ruby, ganz im Sinne einer Anführerin.
»Ich warte nur darauf, dass der große Zauberer Hilfe von einem Mädchen erbittet«, stichelte Isabel ungerührt weiter.
Das wird nie passieren, dachte sich Ruby und verschwand im Mädchenzelt, um die Teamunterlagen zu verstauen.
»Noob, hast du Platz bei dir?«, hörte sie Merlin fragen. Wie gesagt, nie im Leben würde er Isabel um Hilfe bitten.
»Nur, wenn du mich nicht mehr Noob nennst.«
»Mach Platz, mein Schützling, dein Meister wünscht es so.«
Bens genervter Seufzer brachte zumindest Isabel zum Lachen. Ruby hingegen zweifelte, dass er sich einen Meister wünschte.
Ein letztes Mal kontrollierte Ruby ihren fest verschlossenen Schlafsack, denn Isabel sollte auf gar keinen Fall mitbekommen, was sie Geheimes und Wertvolles mit sich herumtrug. Allein der Gedanke, dass sie ihr in Leder gebundenes Notizbuch mitgebracht hatte, ließ Ruby nervös werden. Doch es zuhause zurückzulassen, hätte es nur noch schlimmer gemacht.
Sie war nicht nur ein Bücherwurm, sondern ein Hardcore-Fan ihrer Lieblingsbuchreihe . Mehr und mehr war sie in deren Welt abgetaucht: Sie war den Protagonisten Celia, die von allen Seiten unterschätzte Tochter des verstorbenen Königs, und Tristan, der vermeintlich verschollene Prinz des Wolkenvolks, gefolgt, wie die beiden versuchten, das Wettrennen um die meisten Insignien zu gewinnen, dabei erst gegeneinander kämpften, bis sie im Verlauf zusammenfanden und ein Team bildeten.
Doch eines Tages hatten Ruby die Bücher allein nicht mehr gereicht. Denn was machten die zahlreichen Nebenfiguren, nachdem Celia und Tristan weitergezogen waren? Deren Leben hörte schließlich nicht einfach auf, weil der Erzähler nichts mehr über sie berichtete.
Daraufhin hatte Ruby wochenlang Fan-Fictions zu den Insignien-Büchern gelesen. Viele Leser spannen weiter, was im Buch noch hätte passieren können, manche dachten sich verrückte Konstellationen oder neue Todesfälle aus. Oder alternative Enden. Bei einer Fan-Fiction konnte sich die Fantasie zügellos entfalten und die von Ruby war schließlich in vollem Tempo davongeprescht.
Mit zitternden Fingern durchblätterte Ruby ihr Notizbuch. Dick und wellig waren die Seiten, sie hatte mehr als die Hälfte mit ihren Geschichten und Gedanken gefüllt. – die einst verrückte Idee hatte sich mittlerweile in eine sehr detaillierte Fan-Fiction entwickelt.
Dieses Notizbuch war ihr größtes Geheimnis und ihr wertvollster Schatz zugleich. Die Wörter und Zeilen waren wie ein guter Freund. Stets an ihrer Seite, wenn sie sich einsam fühlte.
Dennoch verstaute sie das Buch und überprüfte ein zweites Mal, ob der Schlafsack ordentlich verschlossen war.
Als Ruby ins Freie trat und sich einen Sweater um die Hüften band, hatte Merlin Bens Zelt bereits in Beschlag genommen.
»Ich glaube, Merlin hat mehrere Zelte zusammengewürfelt, das sind viel zu viele Teile.« Isabel beugte sich über das Zeltpuzzle wie ein Arzt über einen Seziertisch. »Und das ohne Anleitung.«
Sollte einer ihrer Freunde fragen, was sie so lange gemacht hatte, würde Ruby einfach behaupten, sie habe ihr Brillenetui gesucht. Das verlegte sie ständig – wo hatte sie das eigentlich verstaut? Schnell tastete Ruby nach ihrer kleinen Hüfttasche und wurde fündig. Wie zum Beweis setzte sie ihre Brille auf. Ihre leichte Kurzsichtigkeit beeinträchtigte sie ihm Alltag wenig, dafür erweckte sie erst recht den Eindruck eines Bücherwurms.
»Um ehrlich zu sein, habe ich mir ein neues besorgt, nachdem das letzte eine Katastrophe war. Und die Gebrauchsanleitung lag auf dem Stapel, den ich unbedingt mitnehmen wollte, ganz sicher. Nur fehlte mir am Ende die Zeit, das Zelt auszutesten, weil ich noch etwas für euch vorbereitet habe.«
Merlin kramte aus seinem übergroßen Koffer einen Haufen Gegenstände hervor: Insektenspray, ein Erste-Hilfe-Set, Klamotten, blaue Lackfarbe, Dosenravioli, Kekse, Handtücher, eine Landkarte, seine lederne Stifte- und Werkzeugrolle … Bis er letztendlich zwei mit Stoff umwickelte Pakete hervorholte. Jeweils eines reichte er den Mädchen. »Happy Birthday, frohe Weihnachten und so weiter.«
Ben beobachtete amüsiert, wie Ruby die Stoffbahnen löste und ihr Geschenk vor Schreck beinahe fallen ließ.
»Danke!«, quietschte sie aufgeregt.
Sie hielt einen kleinen Rundschild aus glänzendem Metall in den Händen, den sie sich mit einem Riemen auf den Rücken schnallen konnte. Vermutlich war sie außerhalb des LARP das einzige Mädchen, das sich darüber freute.
»Jetzt bist du eine Schildmaid mit undurchdringlicher Verteidigung«, erklärte Merlin. »Obwohl der Schild aus Leichtmetall besteht, versuchte mein Handwerker, ihn so robust wie möglich zu gestalten.«
Ruby berührte die eingefassten Verzierungen, Raben flogen über das Metall, bevor sie den Lederriemen überstreifte. Merlins Geschenk wog fast nichts. »Das kann ich nicht annehmen.«
»Ein Geschenk abzulehnen, ist unhöflich. Außerdem kann dir so niemand mehr in den Rücken fallen«, stellte Merlin ernst fest. So überzogen er sich manchmal verhielt, er war einfach zu lieb. Ruby hatte keinen Bruder, doch so in etwa musste es sich anfühlen.
Neugierig wandte sich Ruby zu ihrer Freundin. »Ein Gürtel, wie schön«, kommentierte Isabel halbherzig und hielt das Lederband mit spitzen Fingern hoch.
»Warte, da fehlt was.« Merlin schmiss die nächste Hälfte seines Gepäcks ins Gras, während Ruby erneut den Schild drehte und wendete. »Hier seid ihr …« Als er sich erhob, glänzten in seinen Händen zwei Karambit-Messer, mit klauenförmigen Klingen und einem Ring am Griffende. Anders als bei Ruby zierte ein Wirbel aus Blüten, Ranken und Blättern die Oberfläche.
»Genau solche wollte ich!« Isabel drückte Merlin fest, dann entriss sie ihm die Waffen. »Danke!«
»Die sehen verdammt echt aus«, merkte Ben an und beobachtete die vor Freude hüpfende Isabel.
»Die sind auch aus einem Metallgemisch«, warnte Merlin. Aus Sicherheitsgründen bestanden LARP-Waffen meist aus einem Hohlkern und einer Schaumstoffkonstruktion. »Sie sind nicht geschärft, aber du solltest sie niemandem über den Schädel ziehen.«
»Du kennst mich doch.«
»Genau deswegen betone ich es extra. Die sind auch nicht zum Werfen geeignet.«
»Das ist gemein«, schmollte Isabel und presste ihr Geschenk an ihre Brust.
Prompt lief Merlins Gesicht rot an. Sie wickelte Jungs aller Altersstufen problemlos um den Finger.
»Du solltest kein Mädchen ärgern, kurz nachdem du ihm Waffen geschenkt hast.«
Merlin ignorierte Rubys Einwurf und stopfte seine Sachen zurück in den Koffer. So sah niemand seine feuerroten Wangen.
»Also geht es jetzt zu dieser Party?«, fragte Ben, der sich im Hintergrund gehalten hatte. Was sollte er dazu auch groß beitragen? Er konnte ja schlecht »Das steht dir« sagen, so als hätten die Mädchen gerade Schuhe oder Kleider ausgepackt. Dazu tat er Ruby ein bisschen leid. Als kurzfristiger Ersatz hatte Merlin für ihn natürlich nichts anfertigen lassen.
Wie auch? Es würde sich erst noch herausstellen, welcher Typ Spieler er war. Ruby notierte sich in Gedanken, später bei Johann vorbeizuschauen. Bestimmt konnte Ben eine Waffe aus seinem Arsenal leihen, um sie auszutesten.
»Genau, jetzt geht es zur Party«, antwortete sie lächelnd und legte ihren Schild um, obwohl sie noch nicht ihr Kostüm trug.
Ben holte ein Vorhängeschloss hervor, um den Eingang seines Zelts zu sichern.
Wortlos nahm Merlin es ihm ab, wuchtete seinen Koffer ins Innere und zog den Reißverschluss zu. »So was brauchen wir hier nicht.«
Da Ruby sich vorgenommen hatte, Ben den Einstieg so leicht wie möglich zu machen, setzte sie sogleich zu einer Erklärung an. »Geklaut wird hier nicht. Mit der Anmeldung willigt man ein, dass es sich die Organisation im Falle von...