Frankenberg / Heitmeyer | Treiber des Autoritären | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 532 Seiten

Frankenberg / Heitmeyer Treiber des Autoritären

Pfade von Entwicklungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts

E-Book, Deutsch, 532 Seiten

ISBN: 978-3-593-45117-6
Verlag: Campus Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Zählen Krisen zu den besonderen Treibern autoritärer Entwicklungen und rechtsextremer Aktivitäten im jungen 21. Jahrhundert? Um diese Frage zu beantworten, bietet dieser Sammelband breit angelegte theoretische und empirische Analysen. Die Beiträge knüpfen an längerfristige ökonomische, politische und gesellschaftliche Entwicklungen an, rücken aber auch die Covid-19-Krise in den Mittelpunkt. Es geht in ihnen um die Gefährdungen der offenen Gesellschaft und der liberalen Demokratie, der zentrale Blick richtet sich auf rechtsautoritäre und rechtsextremistische Bewegungen und Parteien.

Mit Beiträgen von Brigitte Bargetz, Kai Biermann, Oliver Decker, Paula Diehl, Klaus Dörre, Nina Elena Eggers, Klaus Günther, Maximilian Pichl, Lars Rensmann, Dieter Rucht, Birgit Sauer, Bernd Stegemann, Natascha Strobl, Volker Weiß, Michael Zürn.
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Autoritäre Herrschaftsformen im 21. Jahrhundert
Michael Zürn Einleitung: Demokratie in der Defensive
Ein Blick auf die Daten der derzeit besten Messung der Entwicklung der Demokratie – aus dem »Varieties of Democracy«-Projekt (V-Dem) (vgl. Coppedge u.a. 2011) – zeigt, dass die demokratische Herrschaftsform in die Defensive geraten ist. Ganz gleich, welcher Konzeption von Demokratie wir folgen,70 es zeigt sich ein Abwärtstrend in der Ausbreitung der Demokratie zu Beginn des neuen Jahrtausends, dessen Ausmaß inzwischen Ähnlichkeiten mit den 1930er Jahren aufweist. Abb. 1: Die Entwicklung der Demokratie. Anmerkung: Dargestellt sind die absolute Anzahl und der Anteil der Demokratien, gemessen an verschiedenen Demokratiekonzepten. Quelle: Schäfer/Zürn (2021: 34). Den Wendepunkt markierte wohl das Jahr 2001. Nur drei Monate nach 9/11, dem Al-Qaida Anschlag auf die Twin Towers im New Yorker Finanzdistrikt und das Washingtoner Pentagon, publizierte John O’Neill von Goldman Sachs ein Papier, in dem er den Begriff »BRIC« für die vier aufstrebenden Mächte Brasilien, Russland, Indien und China prägte. Im Nachhinein erwies sich diese Koinzidenz als symbolträchtig. Die Vermessung der Demokratie verweist nämlich genau zu dieser Zeit einen Bruch in einer von Vielen als teleologisch angesehenen Entwicklung. Statt eines langfristigen und säkularen Trends der politischen Modernisierung (vgl. Inglehart und Welzel 2005; Pinker 2018) könnte die Ausbreitung der Demokratie nach dem Zweiten Weltkrieg auch spezifischen historischen Kontextbedingungen der Nachkriegszeit geschuldet sein, die heute nicht mehr in derselben Weise gegeben sind. Die demokratische Regierungsform verlöre dann ihren Status als alternativloses Modell und könnte numerisch wieder auf ein deutlich niedrigeres Niveau absinken. Zumindest aber macht diese Entwicklung deutlich, weshalb mahnende Stimmen vor einem backsliding (vgl. Bermeo 2016), einer de-consolidation (vgl. Foa/Mounk 2016) oder einer recession (vgl. Diamond 2015) der Demokratie warnen. Wenn Demokratie und Autokratie als die zwei Grundtypen politischer Herrschaftssysteme verstanden werden, dann verbirgt sich hinter dem Rückgang der Demokratie automatisch auch eine Zunahme autoritärer Versuchungen (vgl. Heitmeyer 2018) und des Autoritarismus (vgl. Frankenberg 2020). Verschiebungen im Kräfteverhältnis der beiden Grundtypen werden jedoch meistens einseitig aus der Perspektive der Demokratie betrachtet. Zwar gibt es sowohl (empirische) Demokratietheorien (vgl. Dahl 1991; Lijphart 1999; Schmidt 2019) als auch Theorien der Autokratie und des Autoritarismus (vgl. Svolik 2012; Geddes u.a. 2018). Solche Theorien verweisen gleichsam grundtypenintern auf die Funktionsweise der jeweiligen politischen Herrschaftsform und unterschiedliche Typen davon. Wenn es aber um die Wechselwirkung zwischen den beiden Regimetypen und deren Dynamiken geht, fällt eine Asymmetrie auf. Wir kennen zwar zahlreiche Theorien der Demokratisierung und neuerdings eben auch Theorien darüber, wie Demokratien sterben (z.B. Levitsky/Ziblatt 2018; Waldner/Lust 2018). Theorien der Autokratisierung sind aber Mangelware. Zumeist geht es in der Forschung über autoritäre Herrschaftsformen entweder um die Frage, wie sich autoritäre Regime an der Macht halten können, also um die Frage »Warum überleben Diktaturen?« (vgl. Gerschewski u.a. 2013) bzw. um »Strategien und Institutionen autokratischer Herrschaftssicherung« oder um deren Leistungsprofile (vgl. Kailitz/Köllner 2013). Insofern wird die Verschiebung im Kräfteverhältnis zwischen Demokratie und Autokratie als ein democratic backsliding, kaum aber als Autokratisierung bzw. als Aufstieg des Autoritarismus erfasst. Ganz im Sinne der Konzeption dieses Bandes mit seinem Fokus auf die Treiber des Autoritären (Frankenberg/Heitmeyer, in diesem Band) versucht dieser Beitrag einen Schritt in Richtung einer Theorie der Autokratisierung zu gehen, indem er im Rahmen einer Typologie zwei autoritäre Herrschaftsformen identifiziert, die tatsächlich in den letzten Jahrzehnten an Bedeutung und Kraft gewonnen haben. Dabei geht es zum einen um den populistischen Autoritarismus, der ideologisch an den Verwerfungen in den liberalen Demokratien im Zuge der Globalisierung andockt. Zum anderen betrachte ich einen Typus, den man als technokratischen Autoritarismus bezeichnen kann und sich gleichsam evolutionär als die Form alter Autokratien erwiesen hat, die der Ausbreitung der Demokratie widerstehen konnte. Zum Zwecke dieser theoretischen Skizze erfolgt im ersten Abschnitt zunächst eine Diskussion des Kerns autoritärer Systeme in Abgrenzung von demokratischen politischen Systemen. Dabei werden vier Merkmale identifiziert, die allen Formen der autoritären politischen Herrschaft gemein sind. Vor diesem Hintergrund erfolgt im zweiten Abschnitt eine Diskussion unterschiedlicher Typen autoritärer Herrschaft. Das bereitet den Boden, um im dritten Abschnitt zu analysieren, weshalb insbesondere zwei dieser Typen sich in unseren Zeiten als erfolgreich erweisen. Der Beitrag schließt mit allgemeinen Überlegungen zu einer Theorie der Autokratisierung. 1.Merkmale autoritärer politischer Systeme
Eine weitverbreite Definition aus dem Lexikon der Politik (Nohlen 1998) definiert autoritäre Regime wie folgt: »Politische Systeme, deren Grundtyp sich substantiell von demokratischen und totalitären Herrschaftsformen unterscheidet, und zwar J.J. Linz (1985) zufolge v.a. aufgrund von drei Merkmalen: (gegenüber der Demokratie) durch begrenzten Pluralismus, (gegenüber totalitären Regimen) durch das Fehlen einer umfassend formulierten Ideologie sowie durch den Mangel an sowohl extensiver als auch intensiver Mobilisierung« (ebd.: 60). Auffällig ist an dieser Definition, dass autoritäre Herrschaftsformen hier doppelt negativ bestimmt werden: autoritäre Regime sind demnach weder demokratisch noch totalitär. Demgegenüber betrachte ich demokratische und autoritäre Systeme als die beiden Grundtypen politischer Herrschaft. Das macht nur Sinn, wenn man zum einen die Anarchie mit dem Argument aus dem Spiel nimmt, dass sie ja gerade auf die Abwesenheit von Herrschaft zielt. Zum anderen erfordert die Reduktion auf zwei Grundtypen der politischen Herrschaft, dass die Vielfalt und Variabilität von sowohl demokratischen als auch autoritären Herrschaftsformen aufgefächert werden. Der Totalitarismus ist dann nicht eine dritte Grundform politischer Herrschaft, die im Unterschied zum Autoritarismus in alle sozialen Verhältnisse hineinzuwirken strebt, um einen »neuen Menschen« zu formen (vgl. Friedrich/Brzezinski 1965; Linz 2000), sondern ein bestimmter Typ der autoritären Herrschaftsform, der besonders stark in alle Lebensbereiche eindringt (vgl. hierzu auch die Diskussion in Frankenberg/Heitmeyer, in diesem Band, Kap. 3). Wenn wir die Trias Demokratie-Autoritarismus-Totalitarismus auf die Gegenüberstellung von demokratischen und autoritären Herrschaftsformen reduzieren, dann stellt sich die Frage nach dem Gegenbegriff zur Demokratie. Der Gegensatz Demokratie (»Herrschaft der Vielen«) und Autokratie (»Herrschaft des Einen«) ist gebräuchlich, sprachlich sauber und fokussiert dabei allerdings stark auf die Frage nach der Zahl der Herrschaftsausübenden. Die Unterscheidung von demokratischen und autoritären Herrschaftsformen beruht freilich auf einem ganzen Bündel von Merkmalen. Insofern könnte man alternativ auch Autoritarismus als Gegenbegriff zur Demokratie verwenden. In dieser Verwendungsweise beinhaltet der Begriff des...


Frankenberg, Günter
Günter Frankenberg ist Seniorprofessor der Rechtswissenschaft an der Universität Frankfurt am Main.

Heitmeyer, Wilhelm
Wilhelm Heitmeyer ist Seniorprofessor für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld.

Pichl, Maximilian
Maximilian Pichl ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Rechtswissenschaft der Goethe Universität Frankfurt am Main; für seine Dissertation gewann er den Antonio-Gramsci-Preis.

Sauer, Birgit
Birgit Sauer war bis zu ihrer Pensionierung im Oktober 2022 Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Wien. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen feministische Staats- und Demokratietheorie, autoritärer Rechtspopulismus und Geschlecht sowie Politik, Emotionen und Affekte. Sie war Mitbegründerin des AK »Politik und Geschlecht« in der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft.

ORCID iD: 0000-0003-4857-7696

Dörre, Klaus
Klaus Dörre ist Professor für Arbeits-, Wirtschafts- und Industriesoziologie an der Uni Jena.

Heitmeyer, Wilhelm
Wilhelm Heitmeyer ist Seniorprofessor für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld.

Frankenberg, Günter
Günter Frankenberg ist Seniorprofessor der Rechtswissenschaft an der Universität Frankfurt am Main.

Günter Frankenberg ist Seniorprofessor der Rechtswissenschaft an der Universität Frankfurt am Main.
Wilhelm Heitmeyer ist Seniorprofessor für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld.
Klaus Dörre ist Professor für Arbeits-, Wirtschafts- und Industriesoziologie an der Uni Jena.
Maximilian Pichl ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Rechtswissenschaft der Goethe Universität Frankfurt am Main; für seine Dissertation gewann er den Antonio-Gramsci-Preis.
Birgit Sauer war bis zu ihrer Pensionierung im Oktober 2022 Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Wien. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen feministische Staats- und Demokratietheorie, autoritärer Rechtspopulismus und Geschlecht sowie Politik, Emotionen und Affekte. Sie war Mitbegründerin des AK »Politik und Geschlecht« in der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft.

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