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Anfang Juni 2018, Tom Parker
Tom Parker war vor Kurzem 43 Jahre alt geworden und zu dem Schluss gekommen, dass er sein Leben ändern sollte. Wenn er schon Single war, so wollte er wenigstens sein Hobby zum Beruf machen und seinen bisherigen Beruf an den Nagel hängen, genau wie seine langweilige Identität. Er wollte in die Rolle des Tom Parker schlüpfen. Sein Alter Ego ließ sich von niemandem unterjochen und verfolgte klare Ziele. Außerdem war Parker bereits jetzt ein ernstzunehmender Schriftsteller. Mit diesem Talent wurde er geboren. Nur hatten ihn seine Eltern stets kleingehalten. Schon in seiner Kindheit. Seit Jahren galt seine Leidenschaft Krimis. Er las alles, was ihm unter die Finger kam, besonders gern Bestseller. Von dem Erfolgsautor Will Buck hatte er sämtliche Krimis gelesen. Ihm war bewusst, der Kerl beherrschte das Schreiben. Der neue Star am Autorenhimmel war Mikkels, der dauerhaft Bestseller raushaute. Die Presse lobte ihn in den höchsten Tönen, aber Mikkels neuester Thriller gefiel Parker besonders. Dort ging es um die Entführung eines Mannes, der physisch und psychisch bis zum Tod gefoltert wurde. Der Entführer prahlte vor seinem Opfer, dass er sich mit Erfolg an dessen Frau herangemacht und sie verführt hatte. Das trieb den Gefangenen beinah in den Wahnsinn.
Psychospiele sollten auch Parkers Krimis auszeichnen. Er hatte in dieser Hinsicht mehrfach hervorragende Manuskripte geschrieben, davon war er selbst fest überzeugt. Sie lagen trotzdem in der Schublade. Die eine oder andere Änderung stand noch aus. Außerdem musste er den richtigen Verlag suchen. Bisher war er stets abgelehnt worden. Vermutlich hatten die sich nicht einmal die Mühe gemacht, seine Werke zu lesen. Nur weil er unbekannt war. Doch er tröstete sich damit, dass auch die Großen einmal klein angefangen haben. Den wenigsten gelang auf Anhieb ein Kassenschlager. Er hatte kürzlich die Memoiren von Stephen King gelesen. Seinem großen Vorbild. King musste in seinen Anfängen diverse Absagen hinnehmen, und das über Jahre hinweg, bevor er mit dem Thriller durch die Decke geschossen war. Und nun verglich man Mikkels mit King, wie Parker neulich gelesen hat. Das wurmte ihn dann doch. Dieser Glückspilz war noch mit einer bildhübschen Frau gesegnet. Die war Parker aufgefallen, denn sie saß stets an Mikkels Seite, wenn er Interviews gab. Das brachte ihm garantiert zusätzliche Aufmerksamkeit.
Wie auch Buck hat Mikkels einen Agenten, der sich um die richtige Platzierung im Verlag, Lesungen und um die Lizenzverkäufe kümmerte. In einem Interview erwähnte er den Agenten einmal. Parker notierte sich den Namen, um ihm gleich mehrere Exposés und Leseproben zukommen zu lassen.
Klaus Heimann war Profi. Er würde seine Manuskripte zu schätzen wissen. Schrott gab es schließlich genug. Parker würde sich künftig nicht mehr selbst um die Verlagssuche kümmern müssen. Das würde Heimann für ihn übernehmen. Parker würde die bekannten Schriftsteller schon bald in den Schatten stellen.
Freitag, 30. Juni 2018, Tom Parker
Parker hatte endlich per E-Mail eine Einladung von seinem künftigen Agenten erhalten, das wurde auch Zeit. Dennoch war es ein erhabenes Gefühl. Er kannte die Mail bereits auswendig, so oft las er sie. Der Agent verstand ganz offensichtlich, was in ihm steckte. Tom wusste, es war alles eine Frage der Zeit.
Seine kleine Wohnung in Rödelheim würde er als erstes kündigen. Im Schlafzimmer hatte sich bereits vor einem Jahr Schimmel über dem Bett gebildet. Es wurde Zeit für eine bessere Wohnung. Er war nun kein Hobbyautor mehr, sondern würde bald vom Schreiben leben. Das Manuskript, an dem er gerade arbeitete, würde ein Verkaufsschlager werden. Stilistisch war es überdurchschnittlich gut, der Plot gelungen, die Figuren einzigartig. Klar musste ein Agent wie Heimann da zuschlagen. Tom sagte seinem alten Leben nur allzu gern Lebewohl.
Parker brauchte zu Fuß nur knappe zehn Minuten bis zur Ginnheimer Straße. In Höhe des Elisabethenkrankenhauses überquerte er die Fahrbahn. Heimanns Büro lag im ersten Stock eines eher ungepflegten Mehrfamilienhauses. Nach mehrfachem Klingeln an der Tür ertönte der Summer. Parker sah auf die Uhr. Exakt elf Uhr, keine Minute zu früh, aber auch keine zu spät. Kurz spielte er mit dem Gedanken, das akademische Viertel zu nutzen, um sich interessanter zu machen. Aber nicht gleich beim ersten Mal.
Er trug eine Kappe und eine dunkle Sonnenbrille, die er nicht abnahm, als er das Büro betrat. Die Sekretärin, die ihn mürrisch beäugte als er vor ihr stand, war genauso in die Jahre gekommen wie das gesamte Büro. Die vergilbten Wände benötigten dringend einen Anstrich und der Schreibtisch, an dem die Frau mit dem grauen Dutt saß, war abgewetzt wie eine alte Schulbank. Parker fragte sich, ob er sich im falschen Büro befand.
»Bin ich hier richtig bei dem Literaturagenten Klaus Heimann?«
Die Frau schob ihre Brille auf der Nase zurecht und musterte Parker unverhohlen von oben bis unten. »Im Prinzip schon, er ist aber nicht da. Blendet Sie hier im Büro das Licht, wenn ich fragen darf? Oder weshalb tragen Sie eine Sonnenbrille?«
»Wegen einer Augenoperation. Ich habe heute einen Termin bei ihm. Heute ist doch der fünfte Juni?«
»Schon. Er hat mir allerdings nichts von einem Termin gesagt. Wie ist denn Ihr Name?«
»Parker, Tom Parker.«
Sie stöberte in einem großen Tischkalender. »Sind Sie ein Klient von uns?«
Parker nickte eifrig. »So gut wie, deshalb sind wir heute verabredet. Ich habe ihm mein gesamtes Material, also meinen Text und das Exposé bereits zukommen lassen.«
»Tja, dann hat er es vermutlich vergessen. Ich sehe in meiner Agenda auch keinen Hinweis darauf. Keine Ahnung, ob er heute noch vorbeischaut. Sie können ja ein anderes Mal wiederkommen. Rufen Sie später einfach nochmal an.«
Parker konnte nicht glauben, was er hörte. »Später? Ich habe lange genug auf den Termin gewartet. Ich gehe nirgendwo hin. Ich habe eine Verabredung mit Herrn Heimann und die beabsichtige ich wahrzunehmen. Bitte rufen Sie ihn an.«
Die Frau schüttelte den Kopf. »Sind Sie verrückt? Glauben Sie, ich riskiere meinen Job? Er würde mich in der Luft zerreißen!«
Parker machte keine Anstalten zu gehen.
Schließlich seufzte sie und deutete auf eine verschlossene Tür. »Gehen Sie in Gottes Namen rein. Wenn er kommt, sage ich ihm, dass Sie da sind. Aber schließen Sie die Tür hinter sich. Ich muss ein paar diskrete Gespräche führen. Und wenn er in einer Stunde immer noch nicht da ist, kommt er vermutlich heute nicht mehr rein. Auf Dienstage legt er meistens seine Außentermine. Das heißt mit anderen Worten, dass Sie dann nicht länger zu warten brauchen.«
Parker lagen ein paar zynische Worte auf der Zunge, die er sich jedoch verkniff. Er öffnete die Tür des Warteraums, der so wenig einladend war, dass Parker sich fragte, ob das pure Absicht war, um sich Leute vom Hals zu schaffen. Er schloss die Tür, setzte sich auf einen der zwei harten Stühle und sah sich in dem kargen Raum um. An der gegenüberliegenden Wand hing eine große Pinnwand, an die diverse Fotos geheftet waren. Von Autoren, Veranstaltungen und Lesungen. Auf Anhieb erkannte er Will Buck, daneben Mike Mikkels und noch ein paar weitere Autoren und Autorinnen. Neben Mikkels war eine Stelle freigeblieben. Schicksal? Der leere Platz war wie für eine Porträtaufnahme von ihm geschaffen.
Eine gute halbe Stunde später saß Parker Heimann gegenüber. Nicht ein Wort der Entschuldigung für die Verspätung kam über die Lippen des Agenten. Heimann war ihm auf den ersten Blick unsympathisch. Ein auffällig angezogener Geck von Mann. Erinnerte in seiner textilen Farbenpracht an einen Buntspecht. Jemand, der um jeden Preis wirken will dachte Parker. Wahrscheinlich litt er darunter, dass er selbst nicht schreiben konnte.
»Tja Parker, wie war nochmal Ihr richtiger Name? Ach …«, Heimann winkte ab, »… bleiben wir einfach bei Parker. Ich muss mir viel zu viele Namen merken. Übrigens dürfen Sie hier Ihre Brille ruhig abnehmen. Ich sehe gern in die Augen meines Gegenübers.«
»Ich vertrage wegen einer Operation am Auge kein Licht, tut mir leid.«
»Nun denn, Parker, ich habe mir Ihre Leseprobe mal angesehen, nachdem Sie sich so hartnäckig um einen Termin bemüht haben. Manchmal täuscht man sich mit seinem Bauchgefühl.« Er nahm den Telefonhörer zur Hand und drückte eine Taste. »Meierchen, bringst du mir bitte einen Kaffee?« Er schaute auf. »Wollen Sie auch?«
»Nein danke, ich …«
»Nur einen, Meierchen«, unterbrach ihn Heimann. »So, wo waren wir stehen geblieben?« Heimann schaute auf seine Unterlagen. »Ach ja, vom Prinzip her kein schlechter Ansatz, wenngleich Entführungen in vielen Krimis vorkommen. Nichts wirklich Neues. Kennen Sie Mikkels’ neuesten Krimi? Erste Sahne kann ich Ihnen sagen. Von dem können Sie viel lernen. Nun ja, auch Sie haben anfänglich eine gewisse Spannung aufgebaut.«
Sag ich doch dachte Parker und lächelte.
»Was Ihnen leider fehlt, ist die Lebendigkeit Ihrer Protagonisten. Die Figuren stehen nur hölzern rum und quatschen dummes Zeug. Sie haben keinerlei Esprit. Sind die etwa alle schon tot, oder was? Ihre Kommunikation ist einschläfernder als jede Schlaftablette.«
Parker war irritiert. Sollte das ein Scherz sein?
»Hauchen Sie Ihnen Leben ein, dann kann man vielleicht was aus Ihrem Text machen.« Er hob den Zeigefinger. »Wobei die Betonung auf vielleicht...