Frey | Das letzte Testament der heiligen Schrift | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 257 Seiten

Frey Das letzte Testament der heiligen Schrift


1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-942989-16-9
Verlag: Haffmans & Tolkemitt
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, 257 Seiten

ISBN: 978-3-942989-16-9
Verlag: Haffmans & Tolkemitt
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Seine skandalträchtige, weil teilweise erfundene Autobiografie über seinen Entzug von Alkohol und Crack machte James Frey über Nacht zu einem der wichtigsten jungen Autoren Amerikas - und verkaufte sich weltweit 4,5 Millionen mal. Frey, eigentlich ein Kind der gehobenen Mittelschicht, weiß wie es ganz unten aussieht. Und dorthin schickt er auch den Protagonisten seines neuesten Buchs: Den Messias. Mehr als 2000 Jahre hat das Christentum auf die Rückkehr des Erlösers gewartet, jetzt ist er wieder da. Heute. In New York. Er begibt sich zu den Ärmsten der Armen. Er mengt sich unter Penner und Junkies. Er schläft mit Männern und Frauen. Er verachtet die Kirche und wird vom Staat verfolgt. Er heilt die Kranken. Er gibt Liebe und wird gehasst. Er wird getötet.Wie es sich für ein Testament gehört, erzählen 13 Zeugen von der Wiederkehr des Erlösers. Jeder Zeuge wird von einem bekannten Literaten ins Deutsche übertragen. Als Übersetzer wirken mit: Alexa Hennig von Lange, Charles Lewinsky, Clemens J. Setz, Gerd Haffmans, Harry Rowohlt, Juli Zeh, Katja Scholtz, Klaus Modick, Kristof Magnusson, Steffen Jacobs, Sven Böttcher, Tina Uebel, Zoë Jenny.

James Frey, geboren 1969, studierte Kunst an der University of Chicago. Danach arbeitete er u.a. als Skateboard-Verkäufer, Berater in Jugendcamps, Hilfskellner und Türsteher. In Los Angeles schrieb er Drehbücher, war Regisseur und Filmproduzent. James Frey lebt heute mit seiner Familie in New York.Charles Lewinsky, geboren 1946, lebt in Zürich und in der Franche-Comté. Er arbeitete als Dramaturg, Regisseur und Redaktor, seit 1980 als freier Autor. Er schreibt Romane und Theaterstücke und ist der Autor vieler erfolgreicher Fernsehsendungen. Für seinen Roman Johannistag (2002) erhielt er den Preis der Schweiz. Schillerstiftung.Clemens J. Setz wurde 1982 in Graz geboren. Seit 2001 studiert er an der dortigen Universität Mathematik und Germanistik. Er ist Obertonsänger, Übersetzer und Gründungsmitglied der Literaturgruppe Plattform. Zahlreiche seiner Gedichte und Erzählungen wurden in Zeitschriften und Anthologien veröffentlicht. 2008 wurde er beim Bachmann-Wettbewerb mit dem Ernst-Willner-Preis ausgezeichnet.

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MARIA MAGDALENA
Er war nichts Besonderes. Einfach ein Weißer.
Ein stinknormaler Weißer. Braune Haare, braune Augen, normal groß und normal schwer. Genau wie die zehn oder zwanzig oder dreißig Millionen anderer weißer Typen in Amerika auch. Wie gesagt: nichts Besonderes. Zum ersten Mal sah ich ihn, als er den Hausflur runter kam. Gegenüber stand seit einem Jahr eine Wohnung leer. Normalerweise gehen die Wohnungen in unserer Siedlung schnell wieder weg. Die Regierung zahlt was drauf für Leute, die nichts haben – und wissen, dass sich daran nie was ändern wird, auch wenn man uns dauernd was anderes erzählt. Gibt Wartelisten. Werden immer länger. Trotzdem wollte niemand da drüben wohnen. Hatte keinen guten Ruf, die Wohnung. Der Mann, der zuletzt drin gelebt hatte, war durchgedreht. Am Anfang war er noch ganz normal. Verkaufte vor dem Yankee Stadion Souvenirs, hatte eine Frau und zwei kleine Jungs, zwei richtig süße kleine Jungs. Doch plötzlich hörte er Stimmen und solchen Scheiß, fing an von Teufeln und Dämonen zu schwafeln und dass er unsere letzte Rettung ist. Er verlor seinen Job und fing an, sich komplett weiß zu kleiden, und versuchte, allen auf den Kopf zu tatschen. Ein paarmal kriegte er richtig die Fresse poliert und seine Kirchengemeinde verbot ihm, je wieder aufzukreuzen. Er schrie seine Familie an und ließ die ganze Nacht lang solche Orgelmusik laufen. Verfluchte die Dämonen und flehte den Herrn an. Jaulte rum wie ein Köter. Seine Familie durfte nicht mehr raus. Plötzlich hörte die Musik auf, dafür fing es an zu riechen und Mami rief die Bullen, und die entdeckten ihn in der Dusche – erhängt. Steckte in einer weißen Kutte, wie so ein Mönch. Baumelte am Elektrokabel. Seine Frau und die Jungs waren an Händen und Füßen mit Klebeband gefesselt und hatten Plastiktüten über den Köpfen. Im Abschiedsbrief stand: Wir sind an einen besseren Ort gegangen. Schätze, der Teufel oder die Dämonen haben ihn geholt oder sein Herr hat ihn verlassen. Oder er hatte einfach keinen Bock mehr. Und kann ja sein, sie haben diesen besseren Ort gefunden. Ich weiß es nicht und werde es vermutlich auch nie erfahren. War sowieso egal. Jeder wusste von der Sache und niemand wollte da wohnen. Bis auf Ben. Kam mit Rucksack und einem alten Koffer den Hausflur runter und zog einfach ein. Entweder er hatte keinen Schimmer oder ihm war’s egal. Zog scheißenochmal einfach ein. Er war der einzige Weiße im ganzen Haus. Mal abgesehen von den Juden, denen die Schnaps- und Klamottenläden gehörten, war er der einzige Weiße im ganzen Viertel. Der Rest von uns war durchweg puertoricanisch. Ein paar Dominikaner gab’s auch. Und die üblichen schwarzen Old-School-Motherfucker. Alle arm. Und genervt. Alle am Überlegen, wie sie da rauskommen, obwohl’s sowieso keinen Ausweg gab. Es war, was es war. Ein beschissenes, amerikanisches Großstadt-Ghetto. Sind überall gleich beschissen. Ben schien das nicht zu stören. Interessierte ihn gar nicht, dass er hier nichts verloren hatte. Er kam und ging. Sprach mit niemandem. Lief die Woche über in so einer Art Polizei-Uniform rum, über die hier jeder lachte. Am Wochenende blieb er die meiste Zeit in seiner Wohnung, außer er ging sich besaufen. Dann sahen wir ihn weggeschossen auf einer der Bänke vorm Haus liegen, gleich neben dem Spielplatz. Oder im Flur mit Kotze auf dem T-Shirt. Einmal kam er Samstag früh nach Hause getaumelt, hatte sich komplett die Hosen voll gemacht und grölte einen zwanzig Jahre alten Rapsong. Mein Bruder und sein Kumpels griffen ihn sich und verarschten ihn, aber er war zu besoffen, um’s mitzukriegen. Wir dachten, wir wüssten, warum er hier bei uns wohnte. Warum es ihn nicht kratzte, dass er hier total fehl am Platz war. Wir dachten, sie hätten ihn verjagt, von wo er herkam. Dass er da nicht mehr willkommen war. Und wir hatten recht, seine Leute hatten ihn scheißenochmal verstoßen. Nur, was die Gründe anging, lagen wir falsch. Zum ersten Mal unterhielten wir uns im Hausflur. Ungefähr sechs Monate nachdem er eingezogen war. Meine Tochter und ich kamen gerade aus unserer Wohnung, um ein bisschen vorm Haus zu chillen. Da stand er in Boxer-Shorts und T-Shirt, die Tür offen, das Telefon in der Hand. Meine Tochter war so etwa anderthalb. Gerade dabei, ein paar Worte zu lernen. Sie sagte: Hallo, aber er grüßte nicht zurück. Sie ist wie ihre Mami. Wenn ich jemanden grüße, erwarte ich, dass man mich zurück grüßt. Jeder will das. Ein bisschen Respekt. Als Mensch zur Kenntnis genommen werden. Sie versuchte es noch mal, aber er stand einfach nur da. Also sagte ich: Ey, du Schwanzlutscher, weißt du nicht, dass man als anständiger Nachbar zurück grüßt? Und er guckte gleich ganz nervös und irgendwie verängstigt und sagte: Sorry. Meine Kleine meinte dann noch mal: Hallo, er grüßte zurück, sie lächelte, umarmte sein Bein und er lachte. Ich fragte ihn, was das soll, hier so in Unterhosen im Flur rumzustehen, die Tür offen und das Telefon in der Hand. Er sagte, er wartet auf seinen neuen Fernseher, den er sich im Ausverkauf besorgt hat und der geliefert werden sollte. Ich meinte, Hauptsache er hat ein gutes Schloss, für so einen Fernseher schlitzen sich die Schwanzlutscher hier schon mal gegenseitig auf, ohne Scheiß. Er lächelte nur, immer noch irgendwie nervös, und meinte: Ich glaube, mein Schloss ist okay, aber ich werd’s noch mal checken. Das war’s. Wir ließen ihn da stehen und auf seinen Fernseher warten. Ich weiß, dass der verdammte Fernseher ankam. War ja nicht zu überhören. Bang bang bang. Explosionen. Hubschrauber und Flugzeuge. Und er voll am Schreien und Brüllen: Yeah yeah yeah, ich zeig’s dir, du Arschloch. Was sagst du nun, du Schwanzlutscher? Machst du dir ins Hemd? Hörte ihn hin und her rennen, hin und her. Kriegte richtig ein bisschen Schiss, weil er genau wie der Verrückte klang, der seine Familie umgebracht hatte, und dachte, ob dieser Ort irgendwie verflucht war. Brachte meinen Bruder dazu, der ein Jahr vor mir die Schule geschmissen hatte und damals noch bei uns war, mal an der Tür zu lauschen. Mein Bruder nahm’s ziemlich ernst und drückte sich das Ohr platt, dann kam er wieder und meinte: Okay, das ist richtig Scheiße, Maria Magdalena, richtig Scheiße, gegenüber sitzt ein Idiot, der Videospiele spielt, ich trommle mal besser ein paar Jungs zusammen und kümmere mich darum. Ich lachte, aber ich hätte es gleich wissen müssen. So läuft’s eben im Leben, du liebst die Deinen, traust aber niemandem, der nicht so ist wie du. Wäre ich in eine weiße Gegend gezogen und meine Nachbarn hätten bei mir Maschinengewehrgeballer und Gebrüll gehört, hätte mir gleich eine verschissene Garnison von Cops die Tür eingetreten. So läuft das eben. Mein Bruder liebte Videospiele. Also hing er von da an den ganzen Tag bei Ben rum. Sie holten sich ein Basketball-Spiel und ein Autorennen, bei dem man Punkte sammelte, indem man so viele Leute wie möglich über den Haufen fuhr. Sie guckten sich die Spiele der Knicks an, tranken Bier und rauchten hin und wieder Gras. Ich warnte meinen Bruder, er soll vorsichtig sein, Weiße sind mit Vorsicht zu genießen, du weißt nie, was die sonst noch so im Schilde führen. Für mich war klar, alles, was in meinem Leben schief gelaufen war, ging direkt auf das Konto von Weißen, und die meisten von denen sahen ziemlich jüdisch aus. Wegen denen war mein Daddy auch ins Gefängnis gewandert, als ich klein war. Meine Mami hatte fast ihr ganzes Leben für sie geputzt. Meine Lehrer, die alle so taten, als würden sie sich voll um uns sorgen, obwohl sie eigentlich Schiss vor uns hatten und uns wie Tiere behandelten, waren Weiße. Sie sind Cops, Richter, Vermieter, Bürgermeister, die reißen sich einfach alles unter den Nagel. Und nichts davon wollen sie wieder rausrücken oder wenigstens teilen. Die Reichen kümmern sich um die Reichen, damit die reich bleiben. Gleichzeitig quatschen sie davon, dass sie den Armen helfen, aber würden sie das machen, gäbe es nicht so viele von uns. Einen Weißen gegenüber wohnen zu haben, ihn manchmal zu grüßen, ihn beim Besaufen oder beim Rumlaufen in bescheuerten Uniformen mitzukriegen war schlimm genug, aber dass mein Bruder ständig bei dem rumhing, war echt nervig. Ich war mir sicher, das würde voll nach hinten losgehen. Mein Bruder hatte noch nie auf mich gehört. Nie. Wünschte, er hätte es mal gemacht dann wäre er möglicherweise noch hier. Aber zugegeben, dieses eine Mal lag er richtig und ich lag falsch. Schon bevor Ben überhaupt eine Ahnung hatte, bevor er wurde, was er wurde, war er eigentlich ganz okay. Nicht mehr, nicht weniger, einfach nur ganz okay. Das kriegte ich mit, als mein Bruder mich mal mit zu ihm rüber nahm. Er hatte nämlich keinen Bock mehr, ständig von mir zu hören, dass dieser Weiße kein Umgang für ihn war, also meinte er eines Tages: Entweder du kommst jetzt mit rüber und überzeugst dich, dass er cool ist oder du hältst für immer die Klappe und lässt mich mit ihm abhängen. Ich war keine, die einfach ihre Klappe hielt, abgesehen von ein paar Ausnahmen, also ging ich mit. Nachdem wir uns vergewissert hatten, dass mit Mami soweit alles okay war, gingen wir über den Flur und klopften an seine Tür und er machte in Boxer-Shorts und einem komplett mit Tomatensauce verschmierten T-Shirt auf, und mein Bruder fing direkt an zu quatschen: Was geht, Ben? Ben wischte sich ein paar Fettspritzer aus dem Gesicht. Was geht, Alberto? Ich hab meine Schwester Maria Magdalena und ihre Tochter Mercedes dabei. Ja, hab die beiden schon mal gesehen. Ben sah mich an. Wie geht’s? Ich bedachte ihn mit einem eisigen Blick. Dürfen wir vielleicht mal reinkommen? Warum nicht? Er hielt die Tür auf. Trat...


James Frey, geboren 1969, studierte Kunst an der University of Chicago. Danach arbeitete er u.a. als Skateboard-Verkäufer, Berater in Jugendcamps, Hilfskellner und Türsteher. In Los Angeles schrieb er Drehbücher, war Regisseur und Filmproduzent. James Frey lebt heute mit seiner Familie in New York.Charles Lewinsky, geboren 1946, lebt in Zürich und in der Franche-Comté. Er arbeitete als Dramaturg, Regisseur und Redaktor, seit 1980 als freier Autor. Er schreibt Romane und Theaterstücke und ist der Autor vieler erfolgreicher Fernsehsendungen. Für seinen Roman Johannistag (2002) erhielt er den Preis der Schweiz. Schillerstiftung.Clemens J. Setz wurde 1982 in Graz geboren. Seit 2001 studiert er an der dortigen Universität Mathematik und Germanistik. Er ist Obertonsänger, Übersetzer und Gründungsmitglied der Literaturgruppe Plattform. Zahlreiche seiner Gedichte und Erzählungen wurden in Zeitschriften und Anthologien veröffentlicht. 2008 wurde er beim Bachmann-Wettbewerb mit dem Ernst-Willner-Preis ausgezeichnet.



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